SITZUNGSPERIODE 2003

(2. Teil)

BERICHT

10. SITZUNG

Dienstag, 1. April 2003, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Herr Vorsitzender, Herr Präsident, meine Damen und Herren.

Erlauben Sie mir, mit einer Anekdote aus der Zeit Ludwigs XIV. zu beginnen. Er hat einmal Vertreter aus Handel und Wirtschaft gefragt, was er denn tun könne, um Handel und Gewerbe zu fördern, und die Antwort darauf lautete: „Majestät, schlagt gutes Geld und baut sichere Straßen. Für den Rest sorgen wir selbst.“

Ich glaube, diese kleine Episode zeigt die elementare Bedeutung, die ein gutes und leistungsfähiges Verkehrssystem und entsprechende Verkehrsnetze für unser aller Wohlergehen und die Prosperität unserer Wirtschaft haben. Die europäische Verkehrsministerkonferenz bemüht sich seit nunmehr fünfzig Jahren um die Lösung dieser Probleme und zwar durchaus mit Erfolg, wie anzuerkennen ist. Das, was zu tun ist, ist jedoch so gewaltig, dass diese Arbeit nie wirklich beendet sein wird.

Die aktuelle Problemlage ist besonders bedrängend. Nach Schätzungen der EU wird im Zuge der EU-Erweiterung allein der Güterverkehr innerhalb der EU bis 2015 um mehr als 65 % ansteigen. Das ist eine Lawine, die weder auf dem heute bestehenden Straßennetz noch auf der Schiene bewältigt werden kann. Deshalb müssen – wie der Bericht es ja auch vorschlägt – sicher das Tempo und die Effizienz bei der Abwicklung des Personen- und Güterverkehrs deutlich erhöht werden. Dazu gehört übrigens auch, dass Staaten, in denen die Verfahren von der Planung bis zur Realisierung wichtiger Verkehrsmaßnahmen Zeiträume von zehn Jahren und mehr beanspruchen, diese Prozeduren dahingehend ändern, dass solche Vorhaben in einem vernünftigen Zeitraum realisiert werden können.

Ein weiterer nötiger Schritt ist die Öffnung der nationalen Schienennetze für konkurrierende Mitbewerber und eben nicht der Erhalt des nationalen Monopols der Eisenbahngesellschaften. Nur durch Öffnung und Wettbewerb haben wir die Chance, die Eisenbahn eben dort mehr als bisher ins Geschäft zu bringen, wo sie ihre systembedingten Vorteile hat, nämlich beim Transport über längere Distanzen, und das heißt in Europa in der Regel im grenzüberschreitenden Verkehr. Die Öffnung der nationalen Schienennetze ist unabdingbar, je früher desto besser. Die EU-Kommission ist dabei in ihren Bemühungen uneingeschränkt zu unterstützen. Dazu gehören aber auch die Interoperabilität der Systeme und der Ausbau der großen europäischen Verkehrstransversalen, bei der EU zum Bespiel der transeuropäischen Netze. Die Nationalstaaten müssen sich dann aber auch an diese gemeinsamen Festlegungen halten und dürfen nicht – zum Beispiel aus Rücksichtnahme auf Antiverkehrsideologen in den eigenen Reihen – nachgeben und damit diese überragend wichtigen Infrastrukturmaßnahmen gefährden oder verzögern.

Die zur Kontrolle des Gebarens der Verkehrsträger vorgesehene europäische Eisenbahnagentur ist ebenfalls notwendig. Schon die Gründung einer solchen Behörde ist möglicherweise geeignet, um eine heilsame und abschreckend Wirkung zu entfalten. Natürlich müssen auch – wie schon betont worden ist – Wege gefunden werden, die Sicherheit im Verkehr mit Hilfe weiterer technischer Vorkehrungen zu steigern. 90 000 Tote und 2 Millionen Verletzte pro Jahr sind zu viel, als dass man darüber einfach so hinweggehen könnte. Auch in Sachen der Kriminalität muss, wie der Bericht betont, mit Hilfe gemeinsamer Anstrengungen mehr als bisher erreicht werden.

Schließlich meine ich auch, meine Damen und Herren, dass trotz aller Festlegungen stets genügend Spielraum vorhanden sein muss, um auf besondere Empfindlichkeiten wirksam eingehen zu können. Ein markantes Bespiel dafür ist der Verkehr über die Alpen und die daraus für Menschen und Natur resultierenden Belastungen wie Lärm und Abgase. Die Idee, EU und Europarat sollten demnächst eine gemeinsame Konferenz für die Sicherheit im Straßenverkehr zustande bringen, findet meine uneingeschränkte Unterstützung. Der Europarat bietet sich geradezu als Transmissionsriemen zwischen der EU und dem übrigen Europa an, zumal viel Verkehr aus diesen Ländern in die EU fließen wird.

Ich hoffe also sehr, dass der Europarat im Interesse aller unserer Mitgliedsstaaten mit dieser Debatte und seiner Entschließung das Tempo bei der Integration beschleunigen kann. Sonst kann das Klassenziel, das sich viele Mitgliedsländer vorgenommen haben – wie zum Beispiel Deutschland, das den Zuwachs an Güterverkehr möglichst auf die Schiene verlagern und dort einen Anteil von derzeit 8 % auf etwa 24 % steigern möchte – nicht erreicht werden. Es ist aber notwendig, dass wir dieses Ziel erreichen, weil wir sonst alle unter dem Verkehrskollaps, der auf uns zurollt, leiden werden.

Vielen Dank.

Karin HAKL, Österreich, EPP/PPE

Sehr geehrter Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen.

Ich komme aus Österreich und freue mich, heute die Gelegenheit zu haben, zum einen dem Herrn Berichterstatter dafür zu danken, dass er die Alpen in seinem Bericht gesondert erwähnt hat, zum anderen aber auch Ihnen etwas plastischer darzustellen, warum schlagwortartig gesagt wird, die Alpen seien ein für den Verkehr sensibles Gebiet. Wir hören immer wieder – und das ist richtig –, dass es anderswo genauso viel Verkehr gibt und ähnliche Transportvolumen abgewickelt werden. Warum beschweren sich also die Menschen in den Alpen besonders, wenn die Situation überall die gleiche ist? Sie ist aber nicht überall die gleiche. In den Alpentälern bleibt die Luft wie in Badewannen liegen. Aufgrund der Inversionswetterlagen kann kein Luftaustausch erfolgen; die warme Luft wird unter einem kalten Luftdeckel in den Tälern eingeschlossen. Das führt dazu, dass das gleiche Ausmaß an Emission eine drei- bis zehnfache Immissionswirkung hervorruft. Bei gleich viel Abgasen atmen unsere Kinder, unsere Menschen also das zehnfache an Schadstoffen ein wie in der Ebene, wo diese Schadstoffe vom Wind verteilt werden. Das ist eine besondere Situation.

Dazu kommt, dass an den besonders belasteten Alpenübergängen in der Schweiz, vor allem aber auch am Brenner, über den 44 % des Ost-West-Güterverkehrs und mehr als 40 % des gesamten Nord-Süd-Verkehrs der Europäischen Union laufen, 60% der Bevölkerung meines Bundeslandes gleichzeitig neben einer lauten oberirdischen Zugstrecke und einer restlos überlasteten Autobahn leben. Diese Menschen sind von den negativen Auswirkungen des Verkehrs beeinträchtigt, ohne dass sie – wie es beispielsweise in den Ballungsgebieten der Fall ist, wo die Verkehrsbelastungen ebenfalls hoch sind – im Zuge der eigenen Mobilität oder Wirtschaftsleistung irgendetwas von dem Verkehrsaufkommen haben, mit dem sie leben müssen. Unsere Bevölkerung ist an der Grenze der Belastbarkeit angelangt.

Ich appelliere an unsere Freunde und Kollegen in der Europäischen Union. Es darf nicht überall so weit kommen wie bei uns. Setzen Sie bitte politisch Zeichen und Taten, um hier eine Entwicklung zu stoppen und nicht auch in anderen Regionen ähnliche Situationen zu bekommen. Unsere Verkehrsachsen sind die Lebensadern Europas. Dort wo – wie zum Beispiel entlang der Brennerachse – ein Infarkt droht, müssen wir ihn beseitigen. Es ist immer einfach festzustellen, dass man ein Problem hat. Wir müssen uns aber gleichzeitig überlegen, wie wir diese Probleme konkret lösen können. Ich bin überzeugt, dass dies auch hier letztlich nur über das Geld geht. Wir müssen die externen Faktoren, die Auswirkungen des Verkehrs internalisieren. Das bedeutet, dass wir die Umwelt- und die Unfallfolgekosten beim Straßenverkehr in der Maut-Höhe berücksichtigen müssen. Wir haben gerade einen Entwurf für eine europäische Wegekostenrichtlinie vorliegen, wo dies – entgegen den ursprünglichen Absichten der Kommission – wieder nicht der Fall ist.

Ich appelliere deshalb an die jetzigen und an alle künftigen Mitglieder der Europäischen Union, diesen falschen Weg nicht weiterzugehen. Wir müssen diese Kosten in Zukunft überall in Europa in den Maut-Höhen berücksichtigen dürfen und in so sensiblen Regionen wie beispielsweise den Alpen Aufschläge auf diese Mauten verlangen dürfen, damit die Verlagerung zumindest des Verkehrszuwachses auf die Schiene nicht wie in der Vergangenheit ein Schlagwort bleibt.

Ich danke Ihnen und ich bitte Sie, dies auch in Ihre nationalen Parlamente hinauszutragen.

Der Präsident

Danke vielmals, Frau Hakl.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/PPE

Ich danke Ihnen ganz herzlich, Herr Anacoreta. Ich kann Ihnen versichern, dass Ihr Bericht bestimmt in allen Ländern des Europarates Widerhall finden wird. Verkehrspolitik und Wirtschaftspolitik sind eng ineinander verflochten. Wir haben die Botschaft gehört. Ich danke Ihnen für den wirklich ausgezeichneten Bericht. Optimale Verkehrsverbindungen sind für alle Länder wichtig. Ich möchte auch allen danken, die das aus ihrer persönlichen Perspektive betont haben. Ich glaube, dass Ihr Bericht bei den Mitgliedern dieser Versammlung bereits einen recht großen Widerhall gefunden hat.

Die Kommission ist der Meinung, dass die Sicherheit auf den Verkehrswegen im Vordergrund stehen muss. Wir müssen unbedingt den Krieg auf den Straßen beseitigen. Der zweite, sehr wichtige Punkt ist der grenzüberschreitende Umweltschutz. Frau Hakl aus Österreich hat hervorgehoben, wie wichtig es ist, diese Frage anzugehen. Wichtig – auch aus meiner Sicht und der Sicht der Kommission – sind natürlich die Anstrengungen, die für den öffentlichen Verkehr und vor allem den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr unternommen werden müssen. Es braucht wirklich den Willen aller beteiligten Länder , damit dieses Problem gelöst werden kann. Es reicht nicht, wenn ein oder zwei Binnenländer die Struktur erweitern, verbessern, technische Anpassungen machen, während die anderen Länder nichts tun. Der grenzüberschreitende Schwerverkehr muss auf die Schiene verlegt werden. Anders werden wir das Problem nicht in den Griff bekommen. Diese Verhandlungen müssen über die EU-Grenzen hinaus geführt werden. Dafür haben wir diese Ministerkonferenz, damit diese Verbesserungen nicht nur in den EU-Staaten, sondern im gesamten Europa stattfinden.

Ich möchte der Ministerkonferenz auch noch zu ihrem fünfzigjährigen Jubiläum gratulieren. Wir haben große Erwartungen in die zukünftigen Verhandlungen. Die Kommission erwartet, dass dieser Bericht in der Ministerkonferenz zur Kenntnis genommen wird und die dementsprechenden Strukturanpassungen gemacht werden.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/PPE

Die Kommission ist damit einverstanden.