SITZUNGSPERIODE 2003

(4. Teil)

BERICHT

26. SITZUNG

Montag, 29. September 2003, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Marcel GLESENER, Luxemburg, EPP/PPE

Vielen Dank, Herr Präsident.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wir schließen uns selbstverständlich den besinnlichen Worten unseres Kollegen Herrn Eörsi an und sind nach wie vor tief bestürzt über die jüngsten Ereignisse. Aber nun zurück zu dem Tagesordnungspunkt.

Zunächst einmal möchte ich im Namen unserer Fraktion unserem Kollegen Mercan für seinen Bericht danken. Der vorliegende Bericht umfasst die Aktivitäten des Büros und des Ständigen Ausschusses seit der letzten Plenarsitzung. Dieser Bericht zeichnet sich aus durch seine Deutlichkeit und die präzise Wiedergabe der getroffenen Beschlüsse. Deswegen gibt er auch kaum Anlass zu weiteren Kommentaren, es sei denn, einige Kolleginnen und Kollegen meiner Gruppe wollten den einen oder anderen Punkt argumentieren. Erlauben Sie mir aber trotzdem, zwei Anmerkungen hervorzuheben.

Die erste Anmerkung betrifft die Lage in Tschetschenien. Unsere Gruppe bedauert aufrichtig, dass es auf Grund ungenügender Sicherheitsvorkehrungen im Augenblick nicht zu verantworten ist, unseren Aufgaben in Tschetschenien nachzukommen. Wir hoffen, dass wir unseren Berichterstattern in Kürze die Möglichkeit geben können, ihren Auftrag an Ort zu Stelle weiterzuverfolgen und weiterzuführen.

Die zweite Anmerkung betrifft Liechtenstein. Wie im Bericht von Herrn Mercan angegeben, hat der Monitoringausschuss dem Büro empfohlen, ein Monitoringverfahren gegenüber Liechtenstein zu beschließen. Es gab im Büro lange Diskussionen über diesen Vorschlag des Monitoringausschusses. Zwei Auffassungen stehen sich diametral gegenüber. Eine Gruppe ist der Auffassung, dass ein Monitoringverfahren angebracht, notwendig und wünschenswert ist. Eine andere Gruppe vertritt die Meinung, dass ein Monitoringverfahren gegenüber Liechtenstein im Augenblick nicht notwendig ist, weil die jüngsten Verfassungsänderungen nicht fundamental gegen die Grundsätze des Europarates verstoßen. Deswegen ist diese Gruppe also der Meinung, dass ein Monitoringverfahren nicht angebracht ist. Nun wurde im Büro ebenfalls vorgetragen, dass der vorliegende Bericht wesentliche Artikel der Verfassung kaum oder unvollständig berührt, und dass demzufolge eine Beschlussfassung momentan nicht möglich ist. Das war die Entscheidung des Büros, das deswegen die Meinung vertrat, am 6. November die Vorsitzenden und die Berichterstatter des Monitoringausschusses anzuhören und anschließend eine Entscheidung zu treffen. Ein anderer Vorschlag, der im Büro jedoch nicht zur Diskussion kam, wurde von der Mehrheit unserer Gruppe vorgetragen. Sie war der Meinung, vorerst keine Entscheidung zu treffen, die Entwicklung abzuwarten und zu sehen, inwieweit die Verfassungsänderungen angewandt werden und inwieweit sie gegen die Rechtmäßigkeit und die Grundordnungen unserer Normen verstoßen. Zum anderen ging es darum, unseren Kolleginnen und Kollegen aus Liechtenstein Vertrauen zu schenken, wenn die Situation sich dahingehend entwickeln würde, dass der Beschluss eines Monitoringverfahrens angebracht wäre.

Das waren, Herr Vorsitzender, die grundlegenden Überlegungen, die ich im Namen meiner Gruppe zu dem Bericht anführen wollte. Wir sind natürlich bereit, unsere Zustimmung zu dem Bericht zu geben.

Vielen Dank.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Ich muss zuerst etwas feststellen. Ich spreche nicht im Namen der sozialdemokratischen Fraktion, wie auf gewissen Blättern geschrieben steht. Die sozialdemokratische Fraktion hat nämlich keinen Sprecher ernannt. Ich möchte aber die Gelegenheit ergreifen, um drei Dinge festzuhalten.

Erstens möchte ich Herrn Glesener antworten. Es geht bei der Tschetschenien-Wahl nicht um eine Beobachtung, sondern um eine Präsenz. Diese hat nicht nur einen Sicherheitsaspekt im Sinne eines technischen Problems. Die Unsicherheit ist auch eine klare Folge dessen, was in den Wahlen, bzw. in den Vorbereitungen zu den Wahlen passierte. Mehr oder weniger unter Druck haben zwei der wichtigsten Kandidaten, die eine pluralistische Situation ermöglicht haben und eine echte Option für die Bürgerinnen und Bürger garantiert hätten, sich zurückgezogen. Dem einen wurde ein Posten offeriert. Der andere hat diesen Posten nicht akzeptiert und wurde deshalb nicht mehr registriert, was jetzt auch bestätigt wurde. Heute haben die tschetschenischen Bürgerinnen und Bürger keine andere Option mehr als eine sehr zweifelhafte. Diese Wahl ist deshalb keine eigentliche Wahl. Wenn man den Menschen die demokratischen Möglichkeiten nimmt, sich auszudrücken, dann wählen sie andere. Das wiederum vergrößert die Unsicherheit, nicht nur für Beobachter oder für Ausländer, sondern auch für die Bürgerinnen und Bürger, vor allem aber auch für unsere Beobachter und Vertreter. Uns etwas anzutun, ist dann deren Art, sich Gehör zu verschaffen, weil ihnen die demokratischen Möglichkeiten genommen worden sind. Diesen politischen Aspekt des Problems darf man nicht vergessen.

Der zweite Punkt, den ich unterstreichen möchte und der mir als wichtig erscheint, wurde nicht aufgeführt, was aber kein Vorwurf an Herrn Mercan sein soll. Die Erfahrung vom Donnerstagnachmittag anlässlich der gemeinsamen Sitzung mit dem Europa-Parlament war eher eine traurige. Herr Präsident, ich möchte Sie bitten, vielleicht Ihren Kollegen Cox darauf hinzuweisen, dass viele Europaparlamentsmitglieder nichts von dieser gemeinsamen Sitzung wussten, und dass das Europaparlament seine Sitzung nicht einmal unterbrochen hat, um einen Raum zu schaffen, an unserer gemeinsamen Sitzung teilzunehmen. Das ist auch in der sozialdemokratischen Fraktion am Samstag als sehr enttäuschend bemerkt worden. Es gab aber einen Aspekt in der Rede von Herrn Brok, den wir aufnehmen und den wir ernst nehmen sollten. Diesen möchte ich Ihnen auch ans Herz legen. Herr Brok hat auf Deutsch gesagt, dass er als Vorsitzender des politischen Ausschusses mit dem Europarat zusammen, als gemeinsame Aufgabe des Europaparlamentes und der parlamentarischen Versammlung des Europarates, eine gemeinsame Strategie für die neuen Nachbarstaaten der EU nach 2004 aufnehmen, skizzieren und entwickeln wollte. Er hat das Wort „gemeinsame politische Strategie“ gebraucht. Das sollten wir ernst nehmen und nicht wegen der allgemeinen Enttäuschung vergessen lassen. Es ist offenbar auch nicht in allen Übersetzungen so deutlich geworden, wie das auf Deutsch der Fall gewesen ist.

Meine letzte Bemerkung betrifft Liechtenstein. Ich möchte diejenigen, die noch sprechen werden – und insbesondere Frau Wohlwend – auf folgenden Punkt aufmerksam machen: wenn wir in den neuen Demokratien, das heißt in den ehemaligen kommunistischen Staaten, einen Präsidenten erlebt hätten, der sich die Machtanmaßung erlaubt hätte, die der Fürst von Liechtenstein sich erlaubt hat, dann wäre es heute keine Frage, ob wir einen Monitoringprozess einleiten würden oder nicht. Es geht bei diesem Monitoringprozess nicht darum, Liechtenstein hinauszuwerfen. Es geht vielmehr darum, die besondere geschichtliche Situation von Liechtenstein – einen Fürsten, eine konstitutionelle Monarchie – mit einer sehr weitgehenden direkten Demokratie so zusammenzubringen, dass sie die europäischen Standards der Demokratie und der europäischen Menschenrechtskonvention respektiert. Ich hoffe, dass sich das Büro durch die heutige Diskussion und durch weitere Druckversuche nicht einschüchtern lässt, seine Entscheidung zu treffen.

Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/PPE

Danke, Herr Präsident.

Geschätzte Kollegen,

Ich will in diesem Bericht auf vier Punkte eingehen, die mich vor allem in der Kommissions- und Berichterstattungsarbeit berühren und bewegen. Ich gehe sie der Reihe nach durch.

Sie sehen im Punkt 4, dass der Präsident der Versammlung sich an den Kongress der Vereinigten Staaten gewandt hat, um den Dialog zwischen unseren Parlamenten zu intensivieren. Ich glaube, das ist bei all den Berichten, die wir zurzeit betreffs des transatlantischen Dialogs erstatten und in den Kommissionen behandeln, sehr wichtig. Wir werden am Mittwoch die Frage der Todesstrafe in den Beobachterstaaten diskutieren. Auch hier geht es wesentlich darum, dass wir die Möglichkeit eines Dialogs finden und diesen Dialog auch intensivieren müssen.

In Punkt 5 sprechen wir von dem von Herrn Krüger zustande gebrachten Bericht im Fall Gongadze. Heute Nachmittag findet die Debatte über das Monitoring in der Ukraine statt. Ein sehr wesentlicher Punkt in diesem Bericht ist die Frage der Medienfreiheit, der Beeinträchtigung des freien Schaffens und der freien Meinungsäußerung von Medien. Der Fall Gongadze, der weltweit bekannt geworden ist, hat den Berichterstattern großes Kopfzerbrechen bereitet. Ich möchte nochmals persönlich Herrn Krüger und dem Sekretariat für die Unterstützung bei der Arbeit durch Anwesenheit vor Ort und die Erstellung eines speziellen Berichtes zu dieser Frage danken.

In Punkt 8 und in den Punkten 46 ff. wird Weißrussland erwähnt. In Punkt 8 steht, dass der Generalsekretär eingeladen wurde, Mitglieder des weißrussischen Parlaments zu uns einzuladen. Die meisten von Ihnen haben sicherlich schon Gespräche mit Abgeordneten aus Weißrussland geführt. Ich finde es sehr wichtig, dass wir den Dialog mit dem weißrussischen Parlament aufrechterhalten. Ich bedaure außerordentlich, dass die Entwicklungen noch nicht auf einem Stand sind, der es uns heute ermöglichen würde, eine Delegation des weißrussischen Parlamentes als eine „special-guest-Delegation“ zu empfangen. Wie Sie dann allerdings später in den Punkten 46 ff. sehen werden, hat das Büro eine Ad-hoc-Delegation zur Beteiligung an einem Seminar bestellt, das in Zusammenarbeit zwischen unserer Versammlung und dem weißrussischen Parlament vor ungefähr zwei Wochen abgehalten worden ist. Ich hatte die Ehre und Freude, diese Delegation zu leiten. Es gibt auch bereits einen Bericht über das Seminar und die Treffen, die am Rande veranstaltet werden konnten. Dieser Bericht ist zwar noch nicht vom Büro eingesehen und verabschiedet worden; aber für alle, die ein Interesse an der Problematik der Zusammenarbeit mit Weißrussland haben, wird der Bericht in nächster Zukunft zugänglich sein.

In Punkt 42 wird die Bestellung von Mitgliedern in die Anti-Folter-Kommission erwähnt. Hier will ich sehr an die nationalen Delegationen appellieren, dass sie sich jeweils zeitgerecht bemühen, qualifizierte und unabhängige Kandidaten vorzuschlagen. Ich selbst leite den Ausschuss, der sich mit der Frage der Kandidaturen für die Anti-Folter-Kommission befasst, nämlich den Ausschuss für Menschenrechte. Ich denke, es ist sowohl für die Kommissionsarbeit als auch für die Kollegen der Delegationen frustrierend, wenn man mit den Kandidaturen unzufrieden ist. Achten Sie also bitte darauf, dass Sie Kandidaten benennen, die – beruflich und privat – menschlich qualifiziert und wirklich unabhängig sind.

Das war es, was ich zum Ausdruck bringen wollte. Ich sage bewusst nichts zur Angelegenheit meines Landes Liechtenstein.

Der Präsident

Der nächste Redner ist Herr Götz von den Christdemokraten in Deutschland.

Peter GÖTZ, Deutschland, EPP/PPE

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, meine Damen und Herren,

Es ist außerordentlich zu begrüßen, dass wir uns im Europarat mit den Bedrohungen der Demokratie durch extremistische Parteien und Bewegungen befassen. Die Berichte sind dafür eine ausgezeichnete Grundlage.

Die Bekämpfung des politischen Extremismus, ganz gleich, ob von rechts oder von links, ganz gleich, ob aus religiösen oder aus anderen ideologischen Gründen gespeist, muss für die Völkergemeinschaft höchste Priorität haben. Nach meinem Verständnis ist dies keine Einschränkung der Meinungsfreiheit. Politischer Extremismus ist eine Kampfansage gegen unsere verfassungsmäßige Ordnung und damit eine zentrale Herausforderung für unsere Demokratie. Wir müssen uns in unseren Ländern intensiver als bisher mit den Ursachen, mit den Motiven von Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Gewaltbereitschaft beschäftigen. Wir brauchen auch Hilfsangebote, vor allem für gefährdete Kinder und Jugendliche, denn sehr viele Mitglieder der extremistischen Gewaltszene sind noch jung. Gleichzeitig brauchen wir aber auch eine schnelle und konsequente staatliche Reaktion auf Straftaten. Und, meine Damen und Herren, wir brauchen vor allem eine Kultur der Toleranz, der Akzeptanz auch desjenigen, der anders ist. Wir brauchen eine Stärkung der Erziehungskraft der Familie ebenso wie der schulischen Erziehungsaufgabe, sehr wohl wissend, dass die Schule nicht die Reparaturwerkstatt für Versäumnisse in Familie, Gesellschaft und Politik sein kann. Kurzum, wir brauchen einen neuen ethischen Kodex, nach dem junge Menschen zu demokratischen Bürgern erzogen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich noch einen Aspekt ansprechen, der mir sehr wichtig erscheint, wenn wir über Extremismus reden. Politischer oder religiöser Extremismus und internationaler Terrorismus sind sehr oft miteinander verknüpft. Deshalb ist die Bekämpfung von extremistischen Organisationen auf nationaler Ebene das eine; Erfolge aber gibt es nur, wenn wir auch auf internationaler Ebene die Zusammenarbeit weiter ausbauen. Dazu gehört auch die Entwicklungspolitik. Sie ist unverzichtbar im Kampf gegen den internationalen Terrorismus und Extremismus, denn nur mit einer guten Zusammenarbeit in der Entwicklung kann der Nährboden für Terroristen, Extremisten und ihrer Anhänger in den Entwicklungsländern beseitigt werden. Dies erfordert ein zielgerechtes und effizientes strategisches Vorgehen, aber es erfordert auch die Bereitstellung der notwendigen finanziellen und personellen Ressourcen. Ich sage dies auch in einer Zeit, in der staatliche Gelder alles andere als üppig zur Verfügung stehen. Schließlich brauchen wir insgesamt eine bessere Verzahnung der Entwicklungspolitik mit der Sicherheits-, der Außen- und der Außenwirtschaftspolitik.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Extremismus und Terrorismus dürfen nicht zur Normalität werden. Die parlamentarische Versammlung des Europarats und wir alle können dazu einen wichtigen Beitrag leisten.

Herzlichen Dank.

Der Präsident

Danke, Herr Götz.