SITZUNGSPERIODE 2003

(4. Teil)

BERICHT

33. SITZUNG

Donnerstag, 2. Oktober 2003, 14.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Wolfgang WODARG, Deutschland, SOC

Mr President, dear colleagues,

I will continue in German if it is allowed.

Es handelt sich um eine Materie, die schwierig zu verstehen ist. Obwohl in Europa in den letzten Jahren viel über Stammzellen diskutiert wurde, ist es immer wieder nötig, die Grundlagen ein wenig darzustellen. Ich will die Zeit nutzen und es kurz machen.

Stammzellen sind formbare Zellen, die sich unter bestimmten Umständen in unterschiedlichste Gewebstypen und unterschiedlichste Gewebszellen entwickeln können. Jeder von uns hat noch Stammzellen in seinem Körper. Im Knochenmark, in der Leber, in der Lunge, im Darm: überall haben wir Stammzellen, die die Grundlage für die Nachproduktion von Zellen sind, die unser Körper braucht. Diese Stammzellen sind in letzter Zeit sehr stark erforscht worden. Es sind adulte Stammzellen, die auch therapeutisch schon nutzbar gemacht worden sind. Man entnimmt Patienten ihre eigenen Stammzellen und nutzt sie dann, um Hautzellen nachwachsen zu lassen, um Leberzellen zu produzieren, die dann eine bestimmte Funktion außerhalb des Körpers übernehmen können, oder aber, um andere Gewebe zu stärken. Beim Knorpel zum Beispiel gibt es bereits klinische Anwendungen. Stammzellen gibt es in jeder Phase des Lebens, und es gibt sie natürlich auch zu Beginn des Lebens. Der Mensch, wir alle, waren einmal eine einzige Zelle. Diese erste Stammzelle teilt sich, entwickelt sich zu einem Zellhaufen, dann zu einer blasenförmigen Figur, der Blastozyste. In dieser mit Flüssigkeit gefüllten Blase, dieser Kugel, entwickelt sich eine dicke Stelle. Aus dieser Stelle, Embryoblast genannt, wird einmal der menschliche Körper. In dieser ersten Blase menschlichen Lebens gibt es also einen Zellhaufen. Dieser Zellhaufen bildet die Stammzellen, über welche diskutiert wird, wenn es um embryonale Stammzellen geht. Aus diesen Zellen kann alles werden – Knochen, Muskel, Nervenzellen – und sie sind pluripotent. Was aus ihnen angeblich nicht mehr werden kann, das ist ein ganzer Embryo. In einem vorhergehenden Stadium, wenn es sich nur um vier oder acht Zellen handelt, kann jede einzelne Zelle des Embryos ein ganzer Mensch werden. Bei Tieren nutzt man dieses Phänomen, das Embryosplitting, um von wertvollen Zuchttieren gleich mehrere Exemplare herzustellen. Man erzeugt auf diese Art und Weise praktisch künstlich Zwillinge. Das ist also nicht das, was wir diskutieren. Wir diskutieren hier vielmehr, ob es erlaubt sein soll und was die Forschung mit Zellen aus der Blastozyste, dieser Kugel, in der sich erstmals der menschliche Körper herausformt, machen darf.

In der Stammzellforschung gibt es zwei Richtungen, die miteinander im Wettbewerb stehen, deren Erkenntnisse sich aber auch zum Teil ergänzen. Die eine Richtung sagt, dass es besser ist, Verfahren zu entwickeln, dank derer man aus dem Patienten selbst, aus seinem eigenen Körper, etwas machen kann, das ihm hilft. In Deutschland gibt es bereits eine Klinik, in der einem Patienten, der einen Herzinfarkt erlitten hatte, Knochenmarkszellen, das heißt Stammzellen, entnommen wurden. Sie wurden ihm in den Herzmuskel gespritzt und haben dort zu einer sehr viel schnelleren Heilung des Herzinfarktes beigetragen. Man vermutet, dass sich die Stammzellen in dieser Umgebung in Herzmuskelzellen entwickelt haben. Es handelt sich um eine sehr nahe an der Therapie liegende Forschung, die sehr viel versprechend ist und die auch in anderen Bereichen, zum Beispiel möglicherweise zur Behandlung von Diabetes, zum Einsatz kommen wird. Diese Richtung ist ethisch relativ unproblematisch. Es werden dem Patienten Zellen entnommen und ihm wieder zugeführt. Es handelt sich auch nicht um die Produktion von irgendwelchen Medikamenten oder Substraten, die dann verkauft werden können, sondern es handelt sich um ein ärztliches Verfahren. Das ist ethisch unproblematisch, bietet aber relativ wenig finanzielle Anreize für Investoren.

Es gibt einen anderen Bereich, in dem es darum geht, Zellen zu finden, aus denen man noch alles machen kann und die möglichst für viele Patienten nutzbar sind. Das sind die embryonalen Stammzellen. Hier möchte man einerseits forschen, wie sich die Zellen überhaupt entwickeln, spekuliert aber andererseits auch damit, dass es sich lohnt, solche embryonalen Stammzellen zu entwickeln, die möglichst viele Menschen vertragen können. Normalerweise ist der Embryo ja ein beginnender Mensch, der ein eigenes Genom, eine eigene genetische Identität hat und dessen Zellen von dem Patienten, dem man sie überträgt, abgestoßen werden würden. Damit dies nicht geschieht, versucht man hier die Technik des Klonierens – das heißt eine Technik, die das künstliche Herstellen von genetischen Duplikaten eines Menschen zum Ziel hat – anzuwenden, über die wir uns an anderer Stelle ja bereits unterhalten haben. Diese Technik haben wir hier im Europarat abgelehnt, und auf der Ebene der UN versucht man ebenfalls eine Regelung zu finden, die das Herstellen von menschlichen Klonen verbietet.

Diese beiden Wege liegen also im Wettbewerb. Es gibt in Europa eine Vielzahl von Ländern, in denen man mit Embryonen nichts tun kann, was nicht zu ihrem eignen Wohl führt. Dahinter steht als Philosophie und ethischer Grundwert, dass man den Menschen nicht zu einem Rohstoff für Medikamente machen und zu einem Zweck verwerten darf. Der Mensch an sich hat einen Wert und eine Würde. Es würde uns alle entwürdigen, benutzte man uns als einen Rohstoff. Es gibt in Europa unterschiedliche Ansichten darüber, was ein human being, ein Mensch ist. In Großbritannien werden die ersten vierzehn Tage eines menschlichen Lebens anders bewertet als das, was danach kommt. In Deutschland sieht man vom Augenblick der Zeugung an eine Kontinuität. Jedes Eingreifen und jeder Versuch, Unterschiede in der Bewertung zu machen, ist von der naturwissenschaftlichen oder ethischen Seite her schwer zu begründen. Wenn man von der Frage ausgeht, was man gerade in der Forschung braucht, so kann dies utilitaristisch missbraucht werden.

Wir haben in unserem Bericht ausführlich dargestellt, welche Diskussion weltweit stattfindet und welche Wege man hier zu finden versucht, damit es zu einer Einigung kommt. Der Europarat hat in seiner Oviedo-Konvention klare Punkte gesetzt. Einer davon gibt an, dass es verboten ist, Embryonen für Forschungszwecke herzustellen. Da sind wir uns einig geworden. Ein zweiter Punkt besagt, dass, wenn Embryonen zu Forschungszwecken in vitro benutzt werden, man so schonend wie möglich mit ihnen umgehen soll. Auch das ist in der Konvention geregelt, und wir haben es auch jetzt wieder in unsere Forderungen aufgenommen und formuliert. Wenn es um die Forschung an Embryonen geht, muss man wissen, dass es sehr viele eingefrorene oder wachsende Stammzellenkulturen gibt, die man zu stabilisieren versucht. Hier ist für die Forschung bereits eine große Menge von Substrat vorhanden. Daher sind wir der Meinung, dass viele Dinge noch nicht genutzt sind und es nicht notwendig ist, hier unnötig Tabus zu strapazieren. Tabus haben eine Funktion in unserer Gesellschaft: sie halten die Gesellschaft zusammen und bilden Grundwerte. Wer diese Grundwerte missbraucht oder sie außer Kraft setzen will, unterliegt natürlich einem sehr hohen Rechtfertigungsdruck.

Zum Schluss will ich von Erfahrungen sprechen, die es in Deutschland gegeben hat. In Verhandlungen bei den Nürnberger Prozessen sind Ärzte, welche durch ihre Forschungen den Menschen schweren Schaden zugefügt haben, gefragt worden, weshalb haben sie das getan hätten. Sie hätten doch gewusst, dass es gegen die Gesetze verstößt, dass man es nicht machen darf und dass es ein Tabu bricht. Die Ärzte haben gesagt, diese Menschen seien sowieso zum Tode verurteilt gewesen und hätten so noch etwas Gutes für die Menschheit tun können. Ich möchte hier keine Parallele zur Stammzellenforschung ziehen. Ich denke jedoch, dass utilitaristische Argumente hinter dem zurückstehen sollten, was wir von unseren Grundwerten festhalten.

Vielen Dank.

Der Präsident

Vielen Dank, Herr Wodarg.

Der Präsident

Leider sehe ich Frau Zapfl-Helbling nicht hier.

(Der Präsident fährt auf Englisch fort.)

Der Präsident

Herr Wodarg, Sie haben insgesamt vier Minuten.

Wolfgang WODARG, Deutschland, SOC

Danke, Herr Präsident.

Ich möchte auf zwei Punkte besonders eingehen, die mehrfach erwähnt worden sind.

Der erste Punkt ist die Aussage, dass die Embryonen, mit denen geforscht werden soll, ja ohnehin praktisch dem Tode geweiht sind, weil man sie sonst wegwerfen würde und sie ohnehin zerstört würden. Diese so genannten überzähligen Embryonen entstehen ja nur, weil wir zurzeit immer noch eine Methode der künstlichen Befruchtung haben, die diese Nebenwirkung nicht vermieden hat, die eigentlich keiner will. Sie ist aber heutzutage vermeidbar, und wir sollten darüber streiten, dass sie möglichst schnell vermieden wird. Wenn Nebenwirkungen in der Medizin vermeidbar sind, dann sollte man das auch tun. Wir diskutieren darüber, wie man von dieser Nebenwirkung profitieren kann. Das ist der falsche Ansatz. Zweitens gibt es natürlich auch Möglichkeiten, diese Embryonen zur Adoption freizugeben. Das wird in einigen Ländern diskutiert. Ich weiß, dass es sehr viele sind. Das heißt aber nicht, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind oder auch in einigen Ländern leichtfertig gearbeitet worden wäre, sodass wir es hier jetzt in einer Regelung festschreiben müssen.

Das Zweite ist die Hoffnung der Patienten. Auch an mich als Arzt treten immer wieder Patienten heran. Letzte Woche kam jemand, dessen Familie Zystennieren hat, eine erbliche Erkrankung. Nach einer bestimmten Zeit kommt es in der Familie gehäuft dazu, dass die Nieren nicht mehr funktionieren. Diese Menschen wollen neue Nieren und fragen uns, ob wir diese nicht in der Technologie entwickeln können. Die Menschen hoffen also, dass sie irgendwann aus den Laboratorien ganze Organe geliefert bekommen. Das bedeutet aber, dass man auch etwas Ähnliches wie einen Menschen, der mehr ist als nur ein Embryo, dem man ein paar Zellen entnimmt, wachsen lässt; etwas, das ein ganzes Organ enthält, welches ja auch durchblutet werden muss. Dazu braucht man wieder ein Herz. Es muss also etwas sein, was kein ganzer Mensch ist, was aber nützliche Organe liefert. Wo ist da die Grenze? Natürlich will ich auch diesen Menschen helfen, und die Technik macht alles möglich.

Wir müssen uns entscheiden, ob wir es mit unserer Würde und mit unserem Selbstverständnis vereinbaren können, wenn wir die Forscher in diese Richtung weiterlaufen lassen. Ich denke, wir haben Alternativen, und wir sind aufgefordert, diese zu fördern. Sie sind hier dargestellt worden, und ich bitte um Unterstützung für die Resolution, die hier vorgeschlagen wird.

Ich danke Ihnen.

Der Präsident

Vielen Dank, Doktor Wodarg.