SITZUNGSPERIODE 2004

(3. Teil)

BERICHT
18. SITZUNG

Dientag, 22. Juni 2004, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Rainder STEENBLOCK, Deutschland, SOC

Danke, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Auch ich möchte zunächst einmal den Berichterstattern herzlich danken, die uns einen ausgezeichneten Bericht vorgelegt haben. In seinen Schlussfolgerungen zeigt dieser Bericht, glaube ich, sehr deutlich auf, was zu tun ist, aber auch, welche Probleme in der Türkei noch zu lösen sind.

Wer von uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, hätte gedacht, dass diese Reformen so schnell realisiert würden, als die AKP-Regierung mit so großer Mehrheit gewählt wurde? Deshalb verdienen die türkische Regierung, das türkische Parlament und die Kollegen, von denen einige hier anwesend sind, unsere Anerkennung. Herzlichen Glückwunsch für das, was sie in den letzten Jahren geleistet haben! Es ist ein positives Beispiel in einer Welt, in der sich nicht alles im Sinne der Menschenrechte entwickelt, in der positive Botschaften über Demokratisierung nichts Selbstverständliches sind. Deshalb berechtigt, wie ich finde, diese historische Leistung uns heute auch zu einer historischen Entscheidung, die deutlich macht, dass die Türkei „ihre Hausaufgaben erledigt hat“.

Ich will nicht alles wiederholen, was an positiven Ereignissen und an positiven Gesetzgebungsverfahren schon von meinen Kollegen erwähnt worden ist. Trotzdem, liebe Kolleginnen und Kollegen, bleibt noch eine Reihe von Fragen offen. Wenn wir die in der Türkei tätigen Menschenrechtsgruppen anhören, wenn wir ihre Berichte lesen, dann wissen wir, dass die Folter noch immer existiert, dass aus der Praxis der vergangenen Jahre noch eine ganze Reihe Opfer in der Türkei leben, die entschädigt werden müssen. Wiedergutmachung und Versöhnung sind sicherlich Fragen, deren Lösung in der türkischen Gesellschaft noch ansteht. Die Frage der Minderheiten – insbesondere der kurdischen, aber auch religiöser Minderheiten – ist auf gutem Wege, gelöst zu werden. Doch noch sind diese Fragen nicht gelöst. Die Frage der kurdischen Sprache wird mittlerweile in Ansätzen positiv in den Medien repräsentiert, aber auch hier müssen weitere Fortschritte gemacht werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Monitoring-Prozess, wie wir ihn hier organisiert haben, ist natürlich eine Hilfestellung, aber er ist gleichzeitig auch eine Kontrolle. Wir haben immerhin mehr als zehn Punkte. Das ist außergewöhnlich und zeigt, dass die Situation in der Türkei noch nicht beendet ist. Deshalb glaube ich, dass wir diesen Post-Monitoring-Prozess so organisieren sollten, dass einerseits die Hilfestellung deutlich wird, andererseits aber die Kontrolle und der öffentliche Druck nicht abgebaut werden. Gerade im Interesse von Menschenrechten und demokratischer Entwicklung stehen wir in der Verantwortung, diesen Post-Monitoring-Prozess so zu organisieren, dass der öffentliche Druck auf die Türkei und die Kritik an Entwicklungen, die wir noch verbessern und verändern müssen, weiterhin aufrechterhalten werden.

Trotzdem glaube ich, dass dies heute ein sehr wichtiger Schritt ist, weil er in Verbindung mit den Entscheidungen zu sehen ist, die wir am Ende dieses Jahres in der Europäischen Union treffen müssen. Es ist ein erster Schritt, ein Schritt, der die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen erleichtert. Ich finde das richtig und ausgesprochen begrüßenswert, weil die Aufnahme der Türkei in die europäische Situation Europa und die Welt sicherer macht. Die Türkei ist ein Land, das sich auf gutem Wege befindet, demokratische Kultur und ihre islamischen Wurzeln miteinander zu verbinden. Diese Verbindung ist eine der wichtigsten Fragen, die wir auf der Welt zu lösen haben. Deshalb ist die Türkei Modell und Vorbild für viele andere. Sie verdient unsere ganze Unterstützung auf diesem Wege, islamische Wurzeln, islamische und demokratische Kultur miteinander zu verbinden. Das macht uns sicherer und hilft uns im Kampf gegen den internationalen Terrorismus.

Deshalb glaube ich, dass wir heute eine gute Entscheidung treffen, die vor der Geschichte bestehen kann und die darauf gerichtet ist, den türkischen Staat zu unterstützen.

Vielen Dank.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Auch ich möchte den Berichterstattern für ihren ausgewogenen Bericht danken. Sie haben sehr gute Arbeit geleistet. Ich gratuliere aber auch der türkischen Regierung, die in den vergangenen zwei Jahren sowohl bei der Gesetzgebung als auch bei der Umsetzung der Gesetze enorme Fortschritte gemacht hat.

Seit 1994 sah sich die türkische Regierung wegen Menschenrechtsverletzungen und wegen ihres Vorgehens gegen die kurdischen Gebiete im Nordirak wachsender europäischer Kritik ausgesetzt. Mit dem Bericht hat der Europarat die Türkei nun nicht verurteilt. Er hat auch keine vollständige Respektierung europäischer Normen verlangt, obwohl dies sehr einfach gewesen wäre und dem Europarat den Beifall zahlreicher Mitglieder eingebracht hätte. Der Berichterstatter und die Versammlung kamen zu dem Schluss, dass Verurteilung und Kritik die Türkei lediglich ins Abseits drängen, die bedauerlichen Verhältnisse aber nicht ändern würden. Es war dem Europarat bewusst, dass die Türkei, obwohl Mitglied des Europarates, zweimal Machtübernahmen durch das Militär erlebt hatte, dass dieses auch heute noch eine starke Machtposition einnimmt und dass die Türkei Hilfe und Anleitung braucht, um die Verpflichtungen eines Europarat-Mitglieds zu erfüllen. Die Kritik war deshalb stets mit dem Aufzeigen von Wegen zu notwendigen Reformen verbunden. Als erstes Altmitglied wurde die Türkei in das Monitoring-Verfahren der Versammlung mit einbezogen, und die Türkei hat dies auch akzeptiert.

In dem Bericht, den der Europarat erstellt hat, wird darauf hingewiesen, dass die Türkei in den letzten zwei Jahren mehr Reformen umgesetzt hat als in den zehn Jahren zuvor: die Abschaffung der Todesstrafe, die Nulltoleranz gegenüber Folter, die Aufhebung vieler Einschränkungen bei Religions- und Meinungsfreiheit sowie die Garantie kultureller Rechte gegenüber den kurdischen Minderheiten. Es wird auch lobend hervorgehoben, dass Fortschritte in der Vereinigungs- und der Religionsfreiheit sowie im Hinblick auf die Rechte der Frauen erzielt wurden. Die Berichterstatter sind sogar überzeugt, dass die türkische Regierung die Reformen fortsetzten wird und beantragt deshalb bei der Versammlung, dass dieses Monitoring-Verfahren aufgehoben wird. Die Gesetze müssen jedoch auch noch umgesetzt werden. Neben den erzielten Fortschritten bei Religions- und Meinungsfreiheit und der Garantie des kulturellen Erbes sind auch die Rechte der Frauen zu beachten. Die türkische Regierung hat noch sehr viel zu tun, damit auch im Südosten des Landes die Ehrenverbrechen an Frauen geahndet werden. Dort werden Morde im Familienkreis immer noch als Kavaliersdelikte abgetan. Ich appelliere an die türkischen Abgeordneten in diesem Haus, sich für die Umsetzung der Gesetze einzusetzen, für das ganze Paket, was noch vor ihnen liegt. Es steht bereits auf dem Papier. Nun muss es in sehr vielen Teilen auch Wirklichkeit werden. Ich denke, an dieser Umsetzung hapert es noch.

Ich wünsche dem Land viel Erfolg auf dem Weg dieser Reformen.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Auch ich will mit einem Dank an die drei Berichterstatter und an die Sekretariate des Monitoring- und des Rechtsausschusses für die Anfertigung der Berichte beginnen. Die sieben Reformpakete sind in dem Monitoring-Bericht sehr ausführlich dargelegt und sind, glaube ich, eine wichtige Zusammenstellung der Ereignisse, die in den letzten Jahren in der Türkei stattgefunden haben.

Ich will freimütig bekennen, dass ich zu den Zweiflern gehört habe, ob es möglich ist, in der Türkei wirklich einen Reformprozess in Gang zu bringen. Ich habe mich seit mehr als dreißig Jahren mit Fragen der inneren Situation in der Türkei und mit der Menschenrechtslage dort befasst und habe von türkischen Politikern in früheren Jahren viel an Beschönigungen und Beschwichtigungen gehört, an Entschuldigungen und an Schönfärberei, sodass ich enttäuscht und ernüchtert war und meine Zweifel hatte, ob es möglich sein würde, einen Reformprozess in Gang zu bringen. Ich glaube, auch diese Versammlung hier muss sich rückwirkend fragen, ob sie immer bereit war, die hohen Prinzipien und Standards des Europarates wirklich anzuwenden, wenn wir Fragen der Türkei debattiert haben. Ich erinnere mich an eine frustrierende Debatte hier vor etwa fünf Jahren über einen Türkei-Bericht. Die Versammlung war damals bereit, aus einem Entwurf für eine Resolution der Schweizer Kollegin Vermot-Mangold das Wort Kurden an etwa zehn Stellen zu streichen und vollständig aus dem Bericht heraus zu nehmen. Es gab doch wirklich in früheren Jahren viele Probleme: die Stellung des Nationalen Sicherheitsrates, die Einschränkung der Presse- und der Versammlungsfreiheit, die willkürlichen Verhaftungen, die Folter, die weit verbreitete Straflosigkeit, die Nicht-Anerkennung der kulturellen Rechte der kurdischen Volksgruppe, die Einschüchterung der NGOs.

Inzwischen ist aber innerhalb der letzten zwei Jahre ein Reformprozess in Gang gekommen. Auch ich habe mich vielfältig, auch vor Ort in der Türkei, darüber informieren können, dass es wirklich zu Veränderungen gekommen ist. Dies ist um so mehr zu begrüßen. Ich gratuliere den türkischen Politikern dazu, dass sie diesen Fortschritt eingeleitet haben.

Wichtig ist nun, mit diesem Reformprozess fortzufahren und nicht nach dem De-Monitoring zu sagen: „Wir haben einen Status erreicht, und es ist nichts mehr zu tun“. Ich möchte drei Bereiche nennen, in denen meines Erachtens weitere wichtige Fortschritte nötig sind. Sie sind in der Ziffer 23 enthalten: eine weitere Reform der Verfassung, die Einführung einer Möglichkeit der Wehrdienstverweigerung aus Gewissensgründen und die Einführung eines alternativen Zivildienstes. Auch in Bezug auf die Lage der kurdischen Bevölkerung ist noch Etliches zu tun. Ein deutsches Sprichwort lautet: “Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer.“ Vielleicht sind es inzwischen fünf Schwalben, aber gerade in der Frage der Behandlung der kurdischen Minderheit ist noch Einiges zu tun. Vieles steht dort bisher nur auf dem Papier, zum Beispiel was Rundfunk- und Fernsehsendungen angeht, oder die Möglichkeit, die Sprache zu lernen und zu lehren. Hier muss noch Etliches geschehen.

Dennoch sollten wir, nachdem nun wirklich ein Prozess in Gang gekommen ist, die türkische Regierung und die türkischen Politiker hier motivieren, weiterzumachen. Ich glaube, dass dies geschehen kann und geschehen sollte, nämlich durch die gemeinsame Entscheidung, das Monitoring-Verfahren formal zu beenden und in den Post-Monitoring-Dialog einzutreten.

Der Präsident

Danke schön, Herr Bindig.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Auch bei den Beratungen im Rechtsausschuss war die allgemeine Erleichterung geradezu zu spüren, dass die Türkei die Reformen so entschlossen und nachhaltig angepackt hat. Dennoch waren natürlich auch Stimmen zu hören, dass in der Euphorie nun nichts übersehen werden darf und dass es jetzt darum gehen muss, all dies in der Praxis auch tatsächlich durchzusetzen. Die Frage, wie die Türkei mit den Urteilen des Menschenrechtsgerichtshofes umgeht, ist hier ein wichtiger und, wie ich finde, sehr interessanter Indikator. Deshalb ist meiner Meinung nach unser Bericht eine so wertvolle Ergänzung zu dem gründlichen und gut recherchierten Bericht des Monitoring-Ausschusses. Im Übrigen wird es natürlich auch weiterhin Aufgabe des Rechtsausschusses bleiben, darüber zu wachen, ob in der Umsetzung der Urteile und Entscheidungen das Richtige geschieht.

Ich darf mich abschließend bei unserem Berichterstatter sehr herzlich für seine geduldige und sorgfältige Arbeit bedanken. Ich hoffe mit ihm, dass die Liste der Bereiche, wo die Umsetzung noch nicht stattgefunden hat, ständig kleiner wird und schließlich ganz aufgearbeitet werden kann.

Vielen Dank.

Maximilian REIMANN, Schweiz, LDR

Nein, aber ich danke sehr für die Antwort.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre Bereitschaft, diesen Text zu veröffentlichen. Ich denke, es ist für unsere Versammlung sehr wichtig, diesen dann auch einsehen zu können.