SITZUNGSPERIODE 2004

(4. Teil)

BERICHT
27. SITZUNG

Dienstag, 5. Oktober 2004, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Danke, Herr Vorsitzender.

Meine Damen und Herren,

Aserbaidschan erlaubt uns in gewisser Weise, dort fortzufahren, wo der Außenminister Norwegens heute Morgen aufgehört hat. Er bezog sich zunächst auf den Balkan und dann auf den Kaukasus und sagte, dass es gleichzeitig Gründe für einen gewissen Optimismus wie auch zur Sorge gebe.

Genau diesen Zwiespalt erfährt man, wenn man nach Aserbaidschan fährt, hinter die Kulissen schaut und mit verschiedenen Menschen spricht. Wir haben – und das haben Sie in diesem Frühjahr auch erfahren – einen Präsidenten, der seinen Reformwillen zum Ausdruck bringt, der diesen Willen manifestiert und umsetzt, indem er etwas tut, was bis vor zwei, drei Jahren noch unmöglich schien: Die Entlassung zahlreicher politischer Gefangener, von denen niemand heute mehr abstreitet, dass es solche waren.

Allerdings muss man hier auch eine Einschränkung anbringen, nämlich in dem Sinne, dass dieser Schwung noch keine endgültige Lösung gebracht hat. Es gibt immer noch politische Gefangene – aber keine sehr prominenten, und es liegt sogar eine gewisse Tragik darin, dass Offiziere und Generäle, die Fehler gemacht haben sollen, freigelassen wurden, ihre Chauffeure, ihre Soldaten, die einfachen Leute jedoch sozusagen im Gefängnis vergessen wurden. Es gibt immer noch Menschen, die ohne rechtliche Handhabe in Haft sind, und wir kämpfen weiter, damit sie freigelassen und keiner von ihnen vergessen wird.

Anschlieβend besteht eine Sorge. Der Präsident gibt selbst zu, dass 80% der Menschen von den Veränderungen der letzten 15 Jahre noch nicht profitiert haben. Sie leben in einer wirtschaftlich ungünstigen Umgebung und schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen – und sie dürfen immer noch nicht anderer Meinung sein. Diesen Punkt sieht der Präsident vielleicht zwar ein wenig anders, doch uns beschäftigt er.

In Sachen Versöhnung zwischen Machthabern und Opposition – was nicht bedeutet, dass sie einer Meinung sein müssen, sondern dass sie einander in ihrer Unterschiedlichkeit akzeptieren  - ist bisher noch zu wenig passiert. Es gibt ein bedeutendes Symbol, das auch unsere Enttäuschung hervorruft: Hinsichtlich der Verarbeitung der Gewalt, die anlässlich der Wahlen im letzten Oktober zum Ausdruck gekommen ist - die Basis unseres Berichtes vom letzten Januar, über dessen Implementierung wir heute berichten sollten - ist sehr wenig passiert. Es sind damals zahlreiche Vertreter der Opposition gefangen genommen worden, sieben Oppositionsführer sind immer noch in Haft. Man hat uns versprochen, dass sie bald frei gelassen würden. Wir hoffen, dass dieses Versprechen eingehalten wird.

Es ist aber noch nicht untersucht worden, warum es zu dieser Gewalt kam und wer zu welcher Zeit wofür verantwortlich war, denn Verantwortliche gibt es auf beiden Seiten: Einige Oppositionelle haben zu schnell zur Gewalt gegriffen, aber es gab auch von Seiten der Behörden, der Polizei inakzeptable Brutalität. Es haben keine Untersuchungen stattgefunden, und die Polizisten, die falsche Entscheidungen getroffen hatten, wurden nicht zur Verantwortung gezogen.

Das ist der Grund für unsere Enttäuschung. Wir räumen allerdings ein, dass wir uns in einer Art Schwebezustand, in einer Übergangsphase befinden. Es könnte sein, dass der Schwung des Präsidenten wirklich greift; und wir hoffen, dass es ihm gelingt, die Widerstände in seiner eigenen Regierung zu überwinden. Dennoch gibt es immer noch reichlich Anzeichen dafür, dass die Reformen nicht tief und auch nicht schnell genug greifen, um alle Menschen sowohl vom Reichtum dieses Landes, der sich noch vergrößern wird, als auch von der neuen Liberalität, die offiziell Einzug gehalten hat, für den Großteil der Bevölkerung allerdings noch nicht spürbar ist, profitieren zu lassen.

Das bedrückt mich persönlich sehr.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Danke, Herr Vorsitzender.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die Kommission Egalité bedankt sich ganz herzlich dafür, dass sie die Gelegenheit zur Mitberichterstattung zu diesem Bericht bekommt. Sie ist sich darüber bewusst, wie wichtig es ist, in der heutigen Zeit die Strategie der sexuellen Gesundheit zu fördern. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass wir dieses Jahr den Bericht unserer Kommission zur Verantwortung der sexuellen Gesundheit der Männer verabschiedet haben. Dieser Bericht wurde in der Commission Permanente in Oslo Anfang September einstimmig verabschiedet. Aus diesem Grunde ist es überaus wichtig, dass unsere Kommission die wichtigsten Punkte dieses Berichtes mit einbringen kann.

Für uns geht es um die Verantwortung, die Frauen und Männer bei der sexuellen Gesundheit und der Familienplanung tragen. In stabilen Beziehungen sind diese Probleme größtenteils unbekannt; dort übernehmen die Männer ihren Teil der Verantwortung und unterstützen ihre Partnerin. Dennoch haben sich auch nach dem Aufkommen von AIDS viele von ihnen, vor allem jüngere Männer, nicht besonders darum gekümmert und keine Verantwortung für die Verhütung einer Ansteckung übernommen. Hauptgründe für das Desinteresse der Männer sind vermutlich die fehlende Erziehung, Information und Beratung. Die fünfte Weltfrauenkonferenz in Peking 1995 hat in ihrem Aktionsprogramm den Einbezug der Männer in die Thematik der sexuellen Gesundheit und Familienplanung gefordert.

Vor diesem Hintergrund ist es sehr wichtig, dass der Europarat mit diesem Bericht sowie mit dem im September verabschiedeten Bericht die Mitgliedstaaten auffordert, aktiver zu werden. Heute sind es vor allem die Frauen, welche die Verantwortung tragen. Wir wollen im Namen unserer Kommission darauf hinweisen, dass es für Frauen und Männer gleichermaßen Vorteile bringt, wenn die Männer einen Teil der Verantwortung für ein gesundes Sexualleben mittragen.

Wie sich AIDS durch ungeschützten Geschlechtsverkehr ausbreitet, wissen wir. Weniger bekannt hingegen ist, dass sich zum Beispiel Syphilis in einzelnen Europarats-Staaten explosionsartig verbreitet hat. Noch vor einigen Jahren galt Syphilis als besiegt; doch seit 1994 breitet sich diese Geschlechtskrankheit von Russland aus über den gesamten europäischen Raum aus. In Deutschland stieg die Zahl der Erkrankten 2002 innerhalb eines Jahres um 45%. Betroffen sind vor allem Großstädte – allein in Zürich stieg die Zahl der Infizierten innerhalb von vier Jahren auf das Fünffache an. Hauptsächlich Geschäftsreisende, Emigranten, Prostituierte und homosexuelle Männer sind von dieser Geschlechtskrankheit betroffen.

Von großer Wichtigkeit für unsere Kommission ist im Bericht die Bemerkung, dass die Erfahrungen anderer Mitgliedstaaten, welche bereits einen hohen Standard in der Beratung sowie Erfahrungen mit der gesetzlichen Regelung bei Abtreibungen haben, diese weitergeben und mithelfen, gesamteuropäisch zur Förderung von sexueller und reproduktiver Gesundheit beizutragen.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Nach der Definition der Internationalen Bevölkerungskonferenz von 1994 haben alle Individuen das Recht auf reproduktive und sexuelle Gesundheit. Dieses fundamentale Recht auf körperliche, psychische und soziale Gesundheit und Integrität ist aber bei weitem nicht für alle Menschen Wirklichkeit.

So wird zum Beispiel gesagt, HIV und AIDS habe man im Westen Europas im Griff. Die Ansteckungen seien minimal, und die Bevölkerung wisse, wie sie sich schützen muss. Man senkte die Kosten für Prävention und Information, und siehe da – jugendliche Homosexuelle stecken sich wieder an. Männer holen sich ungeschützten Sex, weil dies sexy sei, und da dies der eigenen Ehefrau verschwiegen wird, nehmen auch die Ansteckungen von HIV und AIDS wieder stark zu.

Verantwortungslosigkeit und mangelnde Sorgfalt machen krank und töten letztendlich. Dasselbe gilt für andere, sexuell übertragbare Krankheiten, die durch Verschweigen übertragen werden. Wenn Verschweigen mit Treue kaschiert wird, bin ich besonders skeptisch, denn man weiß längst, dass Treue oft ein schlechtes Präventiv-Instrument ist. Treue ist nur dann gut, wenn Untreue transparent ist. Nicht hinterfragte Treue ist jedoch das verlogene Konzept im partnerschaftlichen Zusammenleben. Missbrauch macht Sexualität zum Alptraum.

Frauen sind eben keine Gebrauchsobjekte für die sexuellen Wünsche ihrer Partner; und es gibt hinsichtlich der Sexualität auch keine ehelichen Pflichten, wie die Religionen uns dies weismachen wollen. Aber es gibt die Selbstbestimmung beider Partner in gegenseitigem Respekt. Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir hier nicht über die private Dimension der Sexualität zu unserem Vergnügen oder Missvergnügen reden, sondern wir über Sexualität in ihrer ganzen sozialen und gesellschaftspolitischen Dimension reden, das heißt: Menschliches Zusammenleben, Partnerschaft, Kinder und Gesellschaft.

Häusliche Gewalt, sexuelle Übergriffe, sexuelle Verstümmelungen in vielen Ländern, gesellschaftlich akzeptierte Vergewaltigungen in der Partnerschaft, verschiedenste Krankheiten, Umwelteinflüsse einer chemikalisierten Welt der Umweltgifte und Schwermetalle und nicht zuletzt Armut zerstören die sexuelle Gesundheit und die reproduktiven Fähigkeiten und Wünsche nicht nur von Paaren, sondern von ganzen Gesellschaften. Um dies zu verhindern, ist vor allem die Verantwortung des Staates erforderlich.

Die sozialdemokratische Fraktion unterstützt daher die wichtigsten Forderungen dieses Berichts. Sie ist überzeugt, dass die Verwirklichung der sexuellen und reproduktiven Gesundheit sowohl finanzielle Mittel als auch Lernprozesse benötigt. Zum einen sind Prävention und Beratung erforderlich, die sich vor allem an die besonders Betroffenen wendet: Frauen mit ungewollten oder zu früh eingetretenen Schwangerschaften; auch die männliche Impotenz, die immer noch ein Tabu ist, muss thematisiert werden, und es müssen überall Verhütungsmittel vorhanden und frei erwerbbar sein. Schwangerschaftsabbrüche müssen gesetzlich erlaubt sein; es darf keine Regierung mehr geben, die Frauen zu illegalen und meist gefährlichen Abbrüchen zwingt, weil die Gesetze den medizinischen Schwangerschaftsabbruch nicht zulassen. Es gilt, alle medizinischen und alternativen Möglichkeiten zu nutzen, damit die Sterblichkeit von Frauen im Wochenbett und die Kindersterblichkeit endlich gesenkt werden können. Jedes Land muss einen Aktionsplan entwickeln, diesen finanzieren und umsetzen sowie strenge Kontrollmaßnahmen vorsehen, denn die reproduktive und sexuelle Gesundheit ist die Lebensgrundlage einer jeden Gesellschaft.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Ich bekämpfe selbstverständlich diesen Anhang, denn zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit gehört natürlich, dass Frauen und Männer sich entscheiden können, wann sie eine Schwangerschaft möchten, wie sie diese Schwangerschaft planen. Sie sollen nicht wieder in die Angst vor der ungewünschten Schwangerschaft zurückkehren. Hier geht es um die Freiheit von Frauen und Männern, zukünftig selber entscheiden zu können.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Ich meine, dass dies eine unglaubliche Moral ist. Heute gibt es viele mögliche Beziehungen. Es gibt nicht nur die verheiratete Ehe, sondern es gibt auch Patchwork-Familien und andere Beziehungen. Diese Menschen haben ein Recht auf sexuelle und reproduktive Gesundheit. Sie haben dieses Recht und sie nehmen es sich. Es ist nicht jede auβereheliche Sexualität zu verstoβen.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Mit diesem Abänderungsantrag möchte die Kommission Egalité eine Ergänzung des Paragraphen 6 erreichen. Wir weisen dabei auf unseren Bericht hin und möchten die wichtigsten Maβnahmen als eine Ergänzung und nicht als eine Änderung oder eine Streichung in diesem Artikel festlegen.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Ich glaube, dass da ein Missverständnis vorliegt. Verhütungsmittel sind etwas anderes als Familienplanung. Familienplanung ist eine staatliche Aufgabe, die auch mit den Menschen gemacht wird. Bei Verhütungsmitteln entscheiden sich die Menschen, die sich sexuell nahe stehen, ob sie eine Schwangerschaft verhüten möchten oder nicht und trotzdem ein Verhältnis haben möchten. Das sind zwei verschiedene Dinge und deswegen lehne ich diesen Antrag ab. Die Frage der Verhütungsmittel ist in diesem Paragraphen nötig.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Herr Vorsitzender,

Mit diesem Antrag will die Kommission Egalité nur das letzte Wort des Paragraphen 10 von „la traite des jeunes femmes“ in „la traite des humains“ ändern, das heiβt „Menschenhandel“ anstatt „Frauenhandel“ zu schreiben.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Die Kommission möchte auch hier etwas ergänzen. In diesem Artikel wollen wir „préparer et adopter“, das heiβt „Erarbeitung und Annahme“ zu „Erarbeitung und Annahme sowie Umsetzung“ in diesen Staaten, die das noch nicht getan haben, ergänzen. Es kommt hier auf das Wort „umsetzen“ an. Es geht darum, ebenfalls umzusetzen, was erarbeitet wird.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Mit Ihrem Zusatz-Anhang versuchen Sie einmal mehr, homosexuelle Lebensformen zu kriminalisieren und zu diskriminieren. Denn hier kommt die Meinung auf, dass man Kinder mit erhobenem Zeigefinger gegen die, in Anführungszeichen, homosexuelle Krankheit zu warnen versucht. Ich halte es für eine Zumutung und einfach nicht mehr zeitgemäβ. Wir wissen viel über Homosexualität und Kinder sollten davor nicht gewarnt werden müssen.

Ich denke auch, dass niemand etwas gegen eine stabile Beziehung hat und sie sogar unterstützt. Aber leider werden 40-50% der Ehen geschieden. Es gibt eben auch andere Beziehungen und Kinder aus geschiedenen Ehen sollen nicht diskriminiert werden. Ich möchte Sie darum bitten, diesen Antrag abzulehnen.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Die Kommission ist der Meinung, dass wir nicht nur die Geschlechtskrankheiten erwähnen sollen, sondern ebenso den Brustkrebs. Es handelt sich nur um die Ergänzung „inklusive Brustkrebs“.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Es geht auch hier nur um eine kleine Ergänzung. Wie vorhin möchten wir „la traite des femmes“ in „la traite des humains“ ändern.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Es geht auch hier um eine sehr kleine Änderung. Im Bericht steht „adapté à l’âge“. Wir möchten „adapté à l’âge et au sexe“, das heiβt „Alter und Geschlecht“ schreiben.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Ich wiederhole es gerne noch einmal: Es ist wieder einmal ein unheimlich moralisches Argument. Die Zeiten haben sich geändert, die Beziehungsformen haben sich ebenfalls geändert und Menschen einer Patchwork-Familie oder einer unverheirateten Partnerschaft haben genauso viel Verantwortungsgefühl in ihrer Sexualität als verheiratete Paare oder eben andere Paare. Für gelegentliche sexuelle Beziehungen gibt es Verhütungsmittel. Seien wir nicht so verlogen und sagen doch, was eigentlich Sexualität heiβt, wie sie sein darf und kann. Wie wollen wir es persönlich? Wir müssen sie einfach verantwortlich anwenden.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Danke, Herr Vorsitzender.

Wir möchten von unserem Ausschuss her bei Paragraph 11, 2 einen neuen Absatz einschieben, der wie folgt heiβt: „Erarbeitung einer gemeinsamen europäischen Strategie zur Förderung der Gesundheit und der Rechte in den Bereichen der Fortpflanzung und der Sexualität unter Berücksichtigung der in Paragraph 11 der Resolution angenommenen Punkte.“

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Unser Ausschuss bedauert dies. Der Bericht ist gerade erst verabschiedet worden und es wäre gut, wenn es so ergänzt würde, wie wir es mit diesem zusätzlichen Absatz vorschlagen.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Herr Mooney hat in seinem Bericht auf ein Thema hingewiesen, das in vielen Ländern des Europarates leider immer noch aktuell ist: Das Menschenrecht, wählen zu können und selbst gewählt zu werden. Die EPP-Gruppe begrüβt es, dass diese Problematik diskutiert wird und das Ministerkomitee dazu aufgefordert wird, eine Charte de l’Egalité électorale zu erstellen. Damit werden die Mitgliedsstaaten des Europarates dazu aufgefordert, den Frauen das Wahlrecht zu garantieren. Damit können aber auch die Chancen der Wahlbeteiligung verbessert werden.

Es ist fast nicht zu glauben, dass es immer noch Mitgliedsstaaten des Europarates gibt, die wohl eine perfekte Gesetzgebung für die Wahlen haben und in denen es jedoch den Frauen aus Gründen des Patriarchates oder des Familienclans verboten ist, selbst an die Urne zu gehen und dort ihre Kandidatinnen oder Kandidaten zu wählen. Vergangene Woche wurde diese Situation, wie sie in Teilen der Türkei heute leider immer noch Realität ist, in den Medien einmal mehr öffentlich gemacht. Es nutzt nichts wenn die Parlamentarier der Türkei, wie Sie, Herr Ateş, die Gesetze ändern und bereit sind, den Frauen die gleichen Chancen zu geben. Die Umsetzung dieser Gesetze muss geschehen. Diese Umsetzung geschieht natürlich in den Mentalitäten und in den Köpfen. Da nutzen die Gesetze alleine nichts. Ich danke Ihnen aber dafür, dass Sie diese Offenheit zeigen und sich dafür einsetzen. Das ist das eine Thema dieses Berichtes.

Das andere sind die Wahlchancen der Frauen. Alle unsere Mitglieder sprechen von der gut funktionierenden Demokratie in ihren Ländern. Ist das denn Demokratie, wenn nur 10 von 40 Mitgliedsstaaten einen Frauenanteil von über 30% in ihren Parlamenten aufweisen, obwohl nachweislich mehr als die Hälfte der Bevölkerung weiblichen Geschlechtes ist?

Auch mein Land erreicht nur einen Anteil von 25%. Wir haben auch erst seit 1971 das Frauenstimm- und Wahlrecht. Wir mussten uns sogar unter dem Druck des Europarates endlich in einer Volksabstimmung dafür entscheiden. Das heiβt, dass es Druck braucht, um etwas zu ändern und zu verbessern. Schauen Sie auf der Liste auf Seite 9 des Berichtes des Herrn Mooney nach, wo Ihr Land steht. Das heiβt, Männer müssen Platz machen, und das ist nicht so einfach.

In der Kommission haben wir auch die Quotenfrage diskutiert. Ich stelle fest, dass in vielen Ländern die Quoteneinführung verpönt ist. Trotzdem ist es das einzige Mittel, um die Situation zugunsten der Frau zu verbessern. Das kann natürlich temporär geschehen und dann, wenn es sich eingependelt hat, wieder aufgehoben werden. In meinem Land wurde auch in einer Volksabstimmung die Einführung der Quoten abgelehnt. Wir stagnieren jetzt bei 25%.

Mit diesem Bericht soll Druck auf die Regierungen der Mitgliedsländer ausgeübt werden. Undemokratische Praktiken wie Familienwahl darf es nicht mehr geben. Frauen müssen ihre Stimme frei abgeben können. Wahlsysteme, die sich negativ auf die Vertretung der Frauen auswirken, müssen angepasst werden. Auch die Medien sind gefordert. Untersuchungen nach den Wahlen zeigen in meinem Land immer wieder, dass den männlichen Kandidaten viel mehr Sendezeit eingeräumt wird. Von den Parteien sind Schulungsmöglichkeiten für Kandidatinnen zu organisieren, denn nur so können die Frauen ermutigt werden, in den Wahlkampf zu steigen. Meine Partei legt groβen Wert darauf, dass auch jüngere Frauen kandidieren können und gewählt werden. Dazu braucht es ein Umdenken in der Gesellschaft. Auch eine Parlamentarierin kann eine gute und fürsorgliche Mutter sein. Sie braucht jedoch Familie und Betreuungsformen, die es ihr erlauben, ohne schlechtes Gewissen von zu Hause abwesend zu sein. Der Vater ist schlieβlich auch ein Elternteil.

Die EPP-Gruppe erwartet, dass in den Mitgliedsstaaten Aktionspläne organisiert werden, damit es nicht noch mehr Berichte braucht, um den Frauen die gleichen Wahlchancen wie den Männern zu geben.

František KROUPA, Tschechische Republik, EPP/CD

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Herr Mooney hat in seiner Rede ganz eindeutig über den Frauenanteil in den einzelnen Abgeordnetenkammern berichtet. Es fehlt aber noch die Auskunft über die Bereitwilligkeit der Frauen, in der Politik mitzuwirken, sowie Auskunft darüber, ob die Fähigkeit oder das Geschlecht derjenigen, die in die Politik eintreten wollen, ausschlaggebend sind.

Nach meinen Erfahrungen ist die Bereitwilligkeit zur Politik bei Frauen leider weniger stark ausgeprägt als bei den Männern. Wenn wir dieses annehmen, dann müssen wir fragen, ob die Forderung nach einem bestimmten Anteil von Frauen und Männern richtig ist

Natürlich müssen wir bei unserer Stellungnahme die Verhältnisse in den jeweils einzelnen Staaten berücksichtigen, anstatt eine allgemein gültige Formel zu verwenden. Im Übrigen sehen wir im Artikel über die Quoten auf Seite 9 des Berichtes die Unterschiede zwischen gesetzlichen Voraussetzungen und Wahlergebnissen in einigen Mitgliedstaaten.

Ich bin ganz eindeutig für einen größeren Frauenanteil in den Abgeordnetenkammern. Ich sehe aber völlig andere Wege für das Erreichen dieses Zieles, und vor allem glaube ich nicht an die Allmacht vorgeschriebener Zahlenverhältnisse.

Es handelt sich bei Wahlen um sehr wichtige Angelegenheiten, und wir müssen danach streben, die Parlamente und anderen Staatsorgane so optimal nach Fähigkeit und Bereitschaft zu besetzen, wie nur möglich.

Es gibt eine sehr wichtige Pflicht; nämlich die, allen fähigen und bereitwilligen Persönlichkeiten in den einzelnen Staaten den Zugang zum öffentlichen und zum politischen Leben zu ermöglichen. Das Zahlenspiel ist leider nur ein Ersatz für den tatsächlichen Wettbewerb.

Es fehlt auch die Antwort auf die Frage, wie es möglich ist, dass manche Politiker die gleiche Anzahl von Vertretern beider Geschlechter befürworten, ohne jedoch diese gleiche Anzahl von Vertretern beider Geschlechter in ihrer eigenen Partei zu erreichen.

Ich möchte noch hinzufügen, dass ich ganz eindeutig für die Abschaffung des family voting  in allen Formen bin.  Die Durchführung der Wahl selbst ist eine Sache, die objektiven, allgemeinen Bedingungen für die Zusammensetzung der Kandidatenlisten ist eine andere.

Wenn wir uns für einen größeren Frauenanteil in der Politik bemühen, werden wir damit auch die Möglichkeit, wenn nicht sogar die Sicherheit haben, dass die fähigsten Persönlichkeiten in Parlament und Regierung arbeiten werden. Dazu, und nicht zu dem Versuch mit den Ziffern, wünsche ich uns allen, auch unseren Landsleuten, viel Erfolg.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.