SITZUNGSPERIODE 2004

(4. Teil)

BERICHT
30. SITZUNG

Donnerstag, 7. Oktober 2004, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Danke, Herr Vorsitzender.

Meine Damen und Herren,

Es ist unmöglich, dem Thema Tschetschenien in acht Minuten gerecht zu werden; andererseits bin ich froh, dass wir nach anderthalb Jahren endlich wieder über Tschetschenien reden.

Es ist einer der dunkelsten Orte in Europa, und zwar nicht nur deshalb, weil dort im Vergleich zum restlichen Europa wahrscheinlich mehr Waffen pro Quadratmeter existieren, sondern weil dort die Zahl der Menschen, die unter dem Gebrauch dieser Waffen leiden, am höchsten ist. Menschen sterben, werden verwundet und verletzt, sie sind psychisch und physisch am Ende, und sie haben von allem, was mit Waffen und Gewalt zu tun hat, genug.

Das Schlimmste aber an diesem dunkelsten Ort in Europa ist, dass soviel ungesühntes Unrecht geschieht. Seit über zehn Jahren passiert allen Menschen irgendein Unrecht – jeder ist irgendwie davon betroffen –, das ungesühnt bleibt.

Es gibt Zehntausende von Menschen, die ihre Angehörigen verloren haben – den Vater, den Sohn, den Bruder, die Schwester, den Onkel. Sie wissen nicht, wo ihre Angehörigen sind, was mit ihnen passiert ist, und dieses Nichtwissen ist eine der Hauptursachen für die Unmöglichkeit, eine Versöhnung anzubahnen. Versöhnung ist ein umfangreicher, sehr anstrengender Prozess, und das Schlimmste an der Gewalt ist, dass sie nie vergessen wird, sondern immer neue Gewalt geriert. Aber der Ausweg der Versöhnung muss mit dem Wissen über das Schicksal der vermissten Menschen beginnen, mit dem Wissen, wer verantwortlich ist und mit der Bestrafung der Verantwortlichen.

Ein weiteres Thema sind Arbeitsplätze; 80 Prozent der Bevölkerung ist arbeitslos. Außerdem müssen die Ruinen verschwinden – Grosny ist eine Geisterstadt. Man sollte wie in Berlin die Trümmer aufhäufen; wer heute Berlin besucht, sieht nicht mehr, dass hier einst ein Trümmerhaufen war. Es ist in psychologischer Hinsicht wichtig, um neu anfangen zu können.

Doch das Allerschwierigste ist, sozusagen „die Herzen zu rekonstruieren“, denn Vertrauen neu zu schaffen ist ungleich schwieriger, als die Gebäude wieder instand zu setzen oder die Ruinen wegzuräumen.

Aber nicht nur die tschetschenische Bevölkerung leidet unermesslich – auch für die russischen Soldaten ist es eine Qual. Jedes Jahr werden neue Zehntausende von Achtzehnjährigen nach Tschetschenien geschickt – das ist eine Sozialisation der Gewalt, von der sie sich nie wieder erholen.

Nicht nur der Gewalt, sondern auch der Willkür, der Möglichkeit, mit Geld alles machen zu können, ist eine unglaubliche Belastung für die russische Gesellschaft, die das nicht länger hinnehmen wird. Die russische Gesellschaft leidet genauso unter dem tschetschenischen Trauma, unter der tschetschenischen Realität wie die tschetschenische Gesellschaft selbst.

Jetzt ist es einfach, von einer Katastrophe zu sprechen und festzulegen, wer Schuld hat – es gibt keinen Unschuldigen. Es ist einfach zu sagen: „Wir können nichts tun, es ist schlimm, es ist eine Katastrophe“. In meinem Bericht versuche ich, trotz allem sozusagen ein Licht im Dunkeln zu finden, obwohl dies sehr schwierig ist, obwohl der Zeitpunkt, zu dem wir dies versuchen, sehr kompliziert ist, denn – wie gesagt – Gewalt scheint immer neue Gewalt zu schaffen. Aber wir müssen diese Schwarzweißmalerei überwinden. Es gibt auf beiden Seiten – beziehungsweise auf jeder Seite, denn es gibt mehr als nur zwei Seiten in dieser Auseinandersetzung, in diesem Krieg - Menschen, denen klar ist, dass es so nicht weitergehen kann, und dass der Ausweg nur über vertrauensbildende erste Gespräche mit dem Andersdenkenden möglich ist. Den Feind, mit dem man Frieden schließen muss, kann man sich nicht aussuchen. Man muss den Feind so nehmen, wie er ist, hat schon Rabin gesagt.

Auf beiden Seiten gibt es Menschen, die das wissen, und unsere Aufgabe ist es, mit den Menschen beider Seiten diese Prozesse einzuleiten – es gibt keine Alternative dazu. Es gibt keine Alternative zu diesem Dialog, der auf einem minimalen Respekt und der Achtung vor dem anderen beruht. Den Freund zu achten ist einfach, doch denjenigen zu respektieren und zu achten, der eine andere Position vertritt, das ist die große Aufgabe, um die wir nicht herumkommen. Diese Erkenntnis müssen wir allen Seiten mitteilen, nicht nur einer einzigen, denn die Verantwortung liegt auf allen Seiten. Selbstverständlich gibt es Größere und Mächtigere, und es gibt Leute, die mehr Verantwortung tragen. Natürlich verlangen wir von denen mehr, doch dürfen wir nicht glauben, Schuld und Unschuld seien jeweils einseitig verteilt. Es gibt keine Alternative zum Einstieg in diese Gespräche.

Deshalb bin ich sehr froh, dass wir auf einer Konsensbasis mit der russischen Delegation und mit hauptverantwortlichen Tschetschenen, die dem Terror nicht weiter folgen wollen sozusagen unter der Hoheit der Stadt Straßburg, denn in der Delegation war außer Herrn Iwiński und mir war auch der Vizebürgermeister von Straßburg als Vertreter des Kongresses dabei, einen runden Tisch einrichten können, an dem sich sehr unterschiedliche Personen aus den verschiedenen Seiten zusammensetzen können. Bedingung dabei ist – und ich finde es richtig, dass wir diese Bedingungen als grundsätzliche minimale Achtung und Respektsbezeugung akzeptieren – dass sie in Zukunft dem Terror abschwören, dass sie also nicht „mit der Waffe in der Hand an den Tisch kommen“, - denn so kann man nicht diskutieren – und auf der anderen Seite die Integration der russischen Föderation akzeptieren.

Hierzu noch eine sehr wichtige Anmerkung: Bei der heute gültigen Verfassung von Tschetschenien, die unter ungünstigen Bedingungen zustande kam und die wir immer wieder kritisiert haben, gibt es eine Autonomie, die jedoch nicht das ausschöpft, was die Verfassung der russischen Föderation den Gliedstaaten an Autonomie zugesteht. Hier gilt es ein Maximum zu erreichen. Außerdem wissen wir aus der Diskussion über Autonomie aufgrund erfolgreicher Beispiele in Europa, wie Holland und Südtirol,  dass Autonomie in ihrem Kern ein dynamischer, in Richtung Zukunft offener Prozess ist. Man überschätzt leicht die Unabhängigkeit und unterschätzt die Autonomie, und in der Autonomie liegen noch weit mehr Möglichkeiten zur Befriedung, als dies heute wahrscheinlich beiden Seiten, vor allem der tschetschenischen, bewusst ist.

Ich denke, es ist eine große Verantwortung, wie wir es auszudrücken pflegen, „die Herzen und Gemüter der Menschen wieder zu gewinnen. Wenn Moskau Tschetschenien als Teil Russlands sehen und erreichen will, dass Russland auch für die Tschetschenen Heimat sein soll, dann müssen wir auch alles tun, vor allem auch auf Moskauer Seite, damit die Tschetschenen sich in Russland zuhause fühlen können.

Dies ist jedoch unter den heutigen Umständen nicht möglich; dazu bedarf es der ökonomischen Rekonstruktion, es bedarf einer ökonomischen Lebensperspektive, und es bedarf vor allem der Versöhnung als Voraussetzung dafür, dass sie sich zu Hause fühlen können. Dies wiederum wäre die Voraussetzung dafür, dass ein politischer Prozess eingeleitet werden kann, der zu stabilerem Frieden führt, auch wenn es noch ein langer Prozess sein wird.

Vielen Dank.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Meine Aufgabe war es, für den Rechtsausschuss einen Bericht über die Menschenrechtslage in Tschetschenien anzufertigen. Wohlgemerkt: Es war nicht mein Auftrag mich mit der sozialen oder mit der ökonomischen Lage zu befassen, sondern mit der Lage der Menschenrechte in Tschetschenien.

Ich habe meinen Bericht auf offizielle Quellen der russisch-föderalen und tschetschenischen Behörden und auf Informationen von Nicht-Regierungs-Organisationen aus der Russischen Föderation, wie Memorial oder Die Soldatenmütter, aber auch international tätigen Menschenrechtsorganisationen wie Helsinki Watch, Amnesty International oder Ärzte ohne Grenzen gestützt.

Im erläuternden Memorandum meines Berichtes habe ich sehr viele konkrete Daten mit genauen Angaben zu Namen und Orten zusammengetragen, wo es zu schweren Menschenrechtsverletzungen gekommen ist. Diese Angaben im erläuternden Teil stellen die Begründung und den Beleg für die Forderungen dar, die dann in der Resolution erhoben werden. Ich möchte hier klarstellen, dass zu den vielen Dokumentationen, zu den vielen Ereignissen, die dort geschildert worden sind, mir von russischer Seite nie gesagt worden ist,  dass darin etwas nicht stimmt, dass das geschilderte Verschwindenlassen von Personen, dass die geschilderten Ermordungen, dass die geschilderten Fälle von Folter nicht zuträfen – der Vorwurf der Unrichtigkeit wurde nicht erhoben.

Wir müssen leider ernüchtert feststellen, dass die Menschenrechtssituation in Tschetschenien weiterhin katastrophal ist. Für uns im Europarat ist der Schutz der Menschenrechte das Hauptziel, und wir müssen deshalb eindringlich alle Menschenrechtsverletzungen verdammen, die von allen Seiten in Tschetschenien und in der Region begangen werden.

Natürlich sind die terroristischen Gewalttaten, die Anschläge gegen Flugzeuge sowie die Geiselnahme zu verdammen, aber wir müssen auch betrachten, wie die russischen und die prorussisch-tschetschenischen Sicherheitskräfte sich dort verhalten. Leider ist festzustellen, dass es auch hier schwere Menschenrechtsverletzungen gibt, in Form von Ermordungen, in Form von Verschwindenlassen, in Form von Folter, Vergewaltigung, Geiselnahme oder willkürlicher Inhaftierung im Rahmen der Sonderoperationen oder der „gezielten Operationen“, die in der Republik Tschetschenien sowie in zunehmendem Maße auch in den benachbarten Regionen begangen wurden.

Einige Entwicklungen, die es damals, als wir unseren früheren Bericht vorgelegt haben, noch nicht gab, sind besonders Besorgnis erregend. So kommt es zum Beispiel vor, dass Verwandte von mutmaßlichen Terroristen als Geiseln genommen werden, dass sie bedroht werden, dass sie erschossen werden sollen, wenn sich ihr Verwandter nicht ergibt. Derartige Methoden sind völlig unannehmbare strafrechtliche Akte, die von den Behörden der Russischen Föderation ausgemerzt werden müssen.

Der zweite Punkt, der uns Anlass zu großer Sorge gibt, ist die Tatsache, dass einige Applikanten, die ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gebracht haben, bedroht worden sind, einige ermordet worden sind, sogar Familienangehörige von ihnen seitdem verschwunden sind. Die Tatsache, dass hier Menschen, die von ihrem Recht Gebrauch machen, ihren Fall vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zu bringen, selbst aber deren Angehörige bedroht werden, ihrerseits bedroht werden, ist ein ganz besonders verdammenswerter Tatbestand.

Schließlich müssen wir auch sehen, dass im Zusammenhang mit den Wahlen, die es bei der Abstimmung über das Referendum und auch bei der Wahl des Präsidenten gegeben hat, zu neuen Verstößen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention gekommen ist, gegen das Recht der Bevölkerung auf freie Wahlen und gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung.

Besondere Aufmerksamkeit habe ich in meinem Bericht der Frage gewidmet, inwieweit die Verantwortlichen für die Menschenrechtsverletzungen durch die Strafverfolgungsbehörden zur Rechenschaft gezogen werden. Ich habe also nachgefragt, wie viele Klagen bei der Militär- und bei der Zivilstaatsanwaltschaft registriert wurden, wie viele dieser Fälle vor Gericht kamen, und vor allem, wie viele Verurteilungen es gegeben hat. Leider hat sich hier keine vollkommene Klarheit schaffen lassen.

Mir ist berichtet worden, dass der hier in Straßburg anwesende Stellvertretende Generalstaatsanwalt der Russischen Föderation, Herr Fridinskiy, mir vorgeworfen hat, bei dieser Darstellung falsche Zahlen zu verwenden. Das ist schon kurios. Ende Mai hat er mir nämlich selbst in der Generalstaatsanwaltschaft in Moskau genau die Zahlen übergeben, von denen er jetzt behauptet, sie seien falsch. Wenn er also behauptet, die Zahlen seien falsch, dann gibt er selbst zu, mir falsche Zahlen mitgeteilt zu haben. Ich weise seine Beschuldigung also ausdrücklich als falsch zurück.

Leider müssen wir also feststellen, dass es bisher keine wesentlichen Fortschritte in der Menschenrechtssituation in Tschetschenien gegeben hat. Es herrscht weiterhin ein Klima der Straflosigkeit, und man kann weiterhin behaupten, dass die tschetschenischen und föderalen Strafverfolgungsbehörden noch immer nicht willens oder nicht in der Lage sind, die große Mehrheit derjenigen, die für schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen verantwortlich sind, zur Verantwortung zu ziehen.

Ich halte es für erforderlich, dass wir die Regierung der Russischen Föderation nachdrücklich auffordern, bereits erfolgte Menschenrechtsverletzungen tatkräftig zu untersuchen und die Täter zu verfolgen, ungeachtet ihrer Herkunft, ob sie aus dem terroristischen Lager kommen, oder von den föderalen Sicherheitskräften, von den Omon-Truppen oder von den Einheiten, die von Ranzan Kadyrov befehligt werden.

Ich halte es ebenfalls für erforderlich, dass in Russland endlich von höchster politischer Ebene, also von Herrn Putin, ein klares Signal kommt, dass alle Sicherheits- und Strafverfolgungsbeamten bei der Ausübung ihrer Pflichten jederzeit die Menschenrechte zu wahren haben. Nur wenn auch auf der Seite der dort tätigen russischen Sicherheitskräfte der Wille vorhanden ist, selbst die Menschenrechte zu achten, kann die Spirale der Gewalt, die sich im Moment immer noch hochschraubt, vielleicht einmal angehalten werden und ein Nährboden für neuen Terrorismus beseitigt werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

František KROUPA, Tschechische Republik, EPP/CD

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die Situation in Tschetschenien stand schon mehrmals im Programm unserer Versammlungen. Anfangs war alles klarer als heute. Die Gewalt in Grozny war ein eindeutiges Zeugnis der Verhältnisse in einem Mitgliedstaat des Europarates. Damals, und leider nur damals, reagierte der Europarat mutig auf die traurige Situation der Menschenrechte in Russland durch die Aberkennung des Stimmrechts der russischen Delegation in unserer Versammlung. Solche und andere Entscheidungen können selbstverständlich nicht die innere Lage eines Mitgliedsstaates lösen oder ändern. Das bleibt die Angelegenheit der betroffenen Staaten. Unsere Angelegenheit, die Angelegenheit einer Organisation, die sich für die Menschenrechte einsetzen möchte, ist es, Stellung zu nehmen, wenn die Menschenrechte in einem Mitgliedsstaat nicht respektiert werden. Es ist sehr bedauerlich, dass wir heute nicht Ansichten von allen Seiten des russischen politischen Spektrums haben können, wie dies in der Zeit der Mitgliedschaft des Herrn Sergei Kovalvevs der Fall war.

Zwei wichtige Fragen stellen sich uns. Wer ist eigentlich für den Missbrauch der groben Kraft, nicht nur in Grozny, verantwortlich? Wer ist daran schuldig, dass die Situation keinesfalls gelöst und wahrscheinlich gar noch schlimmer als früher ist? Ich meine, die Schuld wird von beiden Seiten geteilt. Es ist sehr traurig, das die tschetschenische Seite nach den schmerzvollen Erfahrungen in Grozny nicht nach einer friedlichen Lösung des Konfliktes sucht sondern nach einer gesetzlosen. Die Ereignisse in Beslan, die Morde an den Unschuldigsten der Unschuldigen, der schulpflichtigen Kinder, verdienen nur Verurteilung und ihre Täter Verachtung. Es sind einfach immer die Täter der Verbrechen schuldig, seien sie auf der russischen oder der tschetschenischen Seite.

Ein wenig anders sieht es mit der Verantwortung für die tschetschenische Situation aus. Tschetschenien ist ein Bestandteil des russischen Staates. Der Staat ist nicht nur berechtigt sondern auch verpflichtet, seine internen Probleme gemäβ den demokratischen Prinzipien zu regeln. Die Situation in Tschetschenien zeigt, dass der russische Staat und seine Institutionen schon seit einigen Jahren nicht fähig sind, einen friedlichen Ausweg zu finden. Ich muss auch fragen, – und dies wendet sich nicht persönlich gegen die Mitglieder der russischen Delegation – ob es nicht wieder nötig ist, die gleiche Entscheidung wie vor einigen Jahren zu treffen. Wenn wir dies bejahen, dann müssen wir überlegen, ob die Aberkennung einiger Rechte der russischen Delegation heute schon aktuell ist oder für eine nähere Zukunft vorbereitet werde müsste. Unsere Entscheidung muss in allen Fällen die Beschädigung der Demokratie und das Leiden mancher Menschen mit einbeziehen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Herr Präsident,

Ich möchte den verschiedenen Rednern dafür danken, dass sie zum Ausdruck gebracht haben, dass hier ein ausgewogener Bericht vorgelegt worden ist, der die Lage in Tschetschenien klar darstellt, der das Auge auf beide Seiten richtet, der beschreibt, welche Menschenrechtsverletzungen von der terroristischen Seite ausgehen, der jedoch auch darlegt, dass leider auch tschetschenische wie russische Sicherheitskräfte an schwersten Menschenrechtsverletzungen beteiligt sind.

Die beiden Redner aus der russischen Delegation, Herr Slutzky und der Leiter der Delegation, Herr Kosachev, haben mich angegriffen und gesagt, mein Bericht enthielte eine Fülle von Fehlern.

Ich möchte Sie hier noch einmal ganz konkret auffordern mir zu sagen, welcher Punkt in dem erläuternden Memorandum nicht zutrifft. Welches Massaker hat nicht stattgefunden? Welche Entführung hat nicht stattgefunden? Welche Belästigung von jemandem, der seinen Fall hier vor den Europarat gebracht hat, hat nicht stattgefunden? Welches Opfer hat es nicht gegeben?

Nur so können wir vorangehen. Wir haben sorgfältig versucht, das zu dokumentieren, und ich muss sagen,  dass ich bisher keine konkrete Kritik erhalten habe. Es ist die allgemein gehaltene Anschuldigung erfolgt, ich würde den Terrorismus nicht scharf genug verdammen. Hier bitte ich einen Blick in den Bericht zu werfen. Die Ziffer 2 ganz am Anfang des Berichtes verdammt die terroristischen Anschläge, die zum Absturz der Flugzeuge geführt haben, verdammt das Attentat auf die U-Bahn-Station und natürlich die Geiselnahme der Kinder. In Ziffer 3 verdammen wir die Ermordung von Kadyrov und die Ermordung unschuldiger Personen in Inguschetien.

Dies zeigt doch wohl deutlich, dass ich ganz klar in diese Richtung sehe. Ich muss jedoch – und das mag einigen Vertretern der Russischen Föderation nicht genehm sein – auch sehen, welche schweren Menschenrechtsverletzungen von der Armee sowie von den Kräften der tschetschenischen Republik, welche eigentlich die Menschenrechte ganz besonders beachten sollten, begangen werden.

Ich muss also die hier erhobenen Vorwürfe und Anschuldigungen zurückweisen; und ich möchte die russischen Kollegen bitten, nicht denjenigen zu kritisieren, der Menschenrechtsverletzungen dokumentiert, sondern denjenigen zu kritisieren, der Menschenrechtsverletzungen begeht.

Ich möchte Sie darum bitten, doch einmal die Menschenrechtsverletzungen, die von russischen Sicherheitskräften in Tschetschenien begangen werden, in der Duma zu diskutieren – denn dort gehört es hin, dort muss es thematisiert werden. Dort muss darüber gesprochen werden, dort müssen Sie in der Fragestunde ihre Regierung fordern, dort müssen Sie Extrapunkte auf die Tagesordnung setzen, damit sich das Parlament so verhält, dass die Regierung ihre Maßnahmen ändert und das umsetzt, was die Russische Föderation sich verpflichtet hat, einzuhalten, als sie Mitglied dieser Versammlung geworden ist.

Vielen Dank

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Herr Vorsitzender,

Ich glaube, es ist dem Hohen Haus bekannt, dass der Rechtsausschuss immer besondere Sorgfalt darauf legt, seine Beschlüsse und Forderungen immer auf belastbare, sorgfältig recherchierte Tatsachen zu gründen.

Ich glaube, gerade in diesem Punkt, der ja auch soeben wieder im Mittelpunkt der Diskussion stand, muss ich unserem Berichterstatter wirklich dafür danken, dass er sich unermüdlich und mit großer Geduld der Mühe unterzogen hat, präzise Fakten zu sammeln, damit die Beschlüsse, die wir fassen, auch nachher auβerhalb unter allen Umständen vertreten werden können.

Aufgabe des Rechtsausschusses ist es, kompromisslos zu fordern, dass rechtsstaatliche Verfahren vor einer unabhängigen Justiz in Tschetschenien eingeführt werden. Es ist zu fordern, dass die Medien recherchieren und informieren dürfen. Es ist zu fordern, dass die Institutionen, die vor Ort im Dienste der Menschen tätig sind, effektiv und ungehindert arbeiten können - Europarat, OECD, NGO’s und andere.

Vor allem aber ist ohne jede Einschränkung zu gewährleisten, dass Menschen, die sich an unseren eigenen Menschenrechts-Gerichtshof wenden wollen, dies auch ohne Gefahr für Leib und Leben tun können, und ich rege an, dass, falls dies nicht gewährleistet wird, wir über eine Änderung der Verfahrensordnung dazu kommen müssen, dass Klagen auch dann weiter verfolgt werden, wenn die Kläger verschleppt oder ermordet werden. Es gilt also, diesem Übel ein Ende zu setzen.

Meine Damen und Herren, ich kann nur sagen: Alle Regierungen, die ja die Verhältnisse kennen und nichts tun, erst recht diejenigen, die sozusagen positiv kommentieren, machen sich schuldig an diesen Verhältnissen.

Deshalb erwarten wir vom Ministerrat, von den Regierungen unserer Mitgliedstaaten, dass sie mehr als bisher dafür tun, damit die Dinge in Tschetschenien sich endlich in eine andere Richtung entwickeln.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Wir haben mit dem Anhang 10 präzisiert, dass wir uns in diesem Paragraphen mit der menschrechtlichen Lage befassen. Es mag eine Verbesserung im sozialen, im ökonomischen Bereich geben, aber leider müssen wir sagen, dass es keine richtige Verbesserung im Menschenrechtsbereich gegeben hat, und deshalb wäre es nicht gerechtfertigt hier zu sagen: „beginning to stabilise“. Ich möchte deshalb dagegen sprechen.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Nicht alle Akteure vor Ort sind international agierende Gruppen und nicht alle sind Banditengruppen. Deshalb würde dieser Anhang, wie er im Texte steht, nicht gerechtfertigt sein. „Certain rebel groups“ gibt den Sachverhalt besser wieder. Ich bin deshalb dagegen.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Leider müssen wir eben feststellen, dass immer noch schwere Menschenrechtsverletzungen stattfinden, „on a massive scale“ und der Kommissar für Menschenrechte des Europarates, Gil-Robles, hat über die Konferenz in Grozny gesprochen. Dort ist ein Dokument angenommen worden, in dem es heiβt: „violations are still committed on a massive scale“. Genau diese Formulierung ist in diesem Dokument breit akzeptiert und somit niedergelegt worden.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Der Antragsteller hat darum gebeten, dass ich einen konkreten Fall nennen sollte. Ich habe hier ein Papier von Amnesty International, welches eine Fülle von Fällen mit Namen, Daten und Alter der betroffenen Personen dokumentiert. Auch in meinem Bericht habe ich mehrere konkrete Fälle dargestellt. Leider findet dies statt und deshalb ist es gut begründet, den Satz stehen zu lassen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Leider gibt es eben Tatsachen, dass Kandidaten behindert worden sind, dass Leute, die Flugblätter verteilten, bedroht worden sind, dass es nicht möglich war, dort seine Meinung zu äuβern, dass Leute, die sich an den Wahlen beteiligen wollten, eingeschüchtert worden sind. Deshalb ist es zu einer Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit gekommen und das muss so stehen bleiben.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Natürlich kann man Tschetschenien nicht völlig isolieren. Die Ereignisse in Tschetschenien haben auch Auswirkungen auf die Lage in Inguschetien. In meinem Bericht findet man im Anhang 2 eine ganze Reihe von Fällen, die dies hier belegen. Es gibt hier leider die Wechselbeziehungen, die stattgefunden haben, und im Rahmen unserer Reisen ist Inguschetien auch ganz offiziell immer ein Ort, den wir besuchen, in dem wir die Lage analysieren und besprechen. Deshalb bitte ich darum, den Anhang zurückzuweisen.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

In meinen einleitenden Bemerkungen habe ich das Problem dargestellt, bei dem Militärstaatsanwalt und dem Zivilstaatsanwalt sehr konkrete Zahlen zu erhalten, zum Beispiel zu den Fragen, in welchen Maβen Fälle registriert worden sind. Ich hatte dargestellt, dass uns offizielle Zahlen Ende Mai übergeben worden sind. Aber jetzt sagt der stellvertretende Generalsekretär, der stellvertretende Ankläger der russischen Föderation, dass diese Zahlen nicht korrekt seien. Aus diesem Grunde versuchen wir, diese ganze Zahlenproblematik zu vermeiden und nur in generellen Ausdrücken unsere Meinung darüber darzulegen, dass es so wenig Fortschritte gibt in der Verfolgung von Straftätern, die Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien begangen haben.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Ich glaube, ich habe das Problem doch geschildert. Ganz offiziell habe ich in Moskau eine Reihe von Zahlen überreicht bekommen. Jetzt tauchen hier neue zahlen auf, die sich von den vorherigen unterscheiden. Der Menschenrechtsbeauftragte der russischen Föderation hat mir auch Zahlen zugeschickt, die wiederum abweichen, so dass wir drei verschiedene Formen haben. Es ist unmöglich, zu klären, welches nun die verbindlichen Zahlen sind. Es ist doch besser, wenn wir das hier nicht entscheiden, es aus dieser Entschlieβung herauslassen. Sollte es neue Zahlen geben, wäre ich sehr dankbar dafür, wenn man sie mir formell in einem Brief zur weiteren Beachtung mitteilen würde, damit ich endlich einmal die verbindlichen Zahlen habe.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Der Ausschuss hat sich aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht damit beschäftigen können. Er hat aber Nummer 9 angenommen und damit praktisch implizit Nummer 20 abgelehnt, weil wir den Zahlen aus den eben erwähnten Gründen nicht trauen können.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Ich hatte ja schon gesagt, dass ich in meinem Memorandum eine Reihe von Fakten dargestellt hatte. Ich habe schon erwähnt, dass ich dieses Dokument des internationalen Sekretariats von Amnesty International habe. Darin stehen die Fakten und wenn wir diese Beratung beendet haben, überreiche ich sie Ihnen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

In der tat handelt es sich hier um einen besonderen Punkt, aber ich glaube, wir haben mit dem vorliegenden Artikeln bereits dargelegt, dass es bei der Verfolgung der Straftäter keine Erfolge gibt. Nur ganz wenige sind bisher zur Anklage und zur Verurteilung gekommen, so dass es gerechtfertigt ist, zu sagen, dass hier ein Klima der Straflosigkeit herrscht. Ich will ausdrücklich anerkennen, dass es einige mutige Staatsanwälte gibt, die vor Ort ihre Arbeit tun. Aber leider müssen wir auch feststellen, dass einige dieser Staatsanwälte dies mit ihrem Leben bezahlt haben, wenn sie herausgefunden haben, dass zum Beispiel Leute vom FSB bei einem Verbrechen beteiligt waren.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Menschenrechtsverletzungen kann man ja nicht sehen, wenn ein Berichterstatter des Europarates alle Jahr einmal dort hingeht. Es ist wichtig, dass es Kräfte vor Ort gibt, Nicht-Regierungs-Organisationen, die systematisch die Möglichkeit haben, die Informationen zu sammeln und sie zu dokumentieren. Es geht hier darum, dass Nicht-Regierungs-Organisationen, die Möglichkeit haben, dort zu agieren. Deshalb sollte der Paragraph erhalten bleiben.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Mit Verlaub gesagt, ich habe mit etwas gewundert, dass Mitglieder unserer Versammlung einen solchen Änderungsantrag unterzeichnen. Wir sollten in dem Text streichen, dass die Medien einen freien Zugang haben sollen. Das kann doch, glaube ich, nicht ernst gemeint sein und wenn die Antragsteller ihren Antrag schon nicht zurückziehen, bitte ich darum, dass Sie ihn mit Entschiedenheit ablehnen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Ich hatte die russische Delegation darum gebeten, mir den Aufgabenkatalog dieses eingesetzten Ausschusses zukommen zu lassen. Das ist gestern Abend geschehen und wenn ich ihn hier durchgehe, finde ich einen sehr weit gefassten Auftrag. Aber es kommt uns ja darauf an, sehr genau zu definieren, dass hier die Menschenrechtsverletzungen, die von den verschiedenen Zweigen der Executive begangen werden besonders untersucht werden sollen. Das ist nur sehr allgemein in diesem Auftrag enthalten. Ich glaube also, dass wir diese Forderung erheben sollten, weil das in dem Auftrag nicht völlig abgedeckt ist. Sollte der Ausschuss sein Mandat erweitert bekommen, dann ist diese unsere Forderung später bereits erfüllt.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Ich finde es schon notwendig, dass hier diese Versammlung darauf hinweist, dass in bilateralen und internationalen Kontakten die Frage der Menschenrechte in Tschetschenien thematisiert werden sollte. Ich glaube nicht, dass es bis jetzt einen übermäβigen Druck gegeben hat. Es wäre wünschenswert, dass zwischen den Staaten und zwischen den Regierungschefs Europas und Putin klarer über die Menschenrechte in Tschetschenien gesprochen würde.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Es geht hier natürlich um die Genfer Konvention, die angewendet werden soll. Die Genfer Konvention sieht übrigens vor, dass Terroristen kein Schutz zu gewähren ist. Sie können ausgeliefert werden und werden nur dann nicht ausgeliefert, wenn es Ausschlussgründe gibt, zum Beispiel wenn solchen Personen eventuell die Folter droht oder wenn ihnen ein unfaires Verfahren droht. Es liegt ja bei der russischen Föderation, dafür zu sorgen, dass die Rechtsstaatlichkeit so gewährleistet ist, dass es möglich ist, Verdächtige auch auszuliefern. Das ist bisher nicht der Fall und deshalb ist hier der Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention angebracht.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Mit derselben Begründung wie bei der Resolution: Es ist notwendig, dass wir hier folgendes zum Ausdruck bringen: Wir können nicht akzeptieren, dass Menschen, die ihren Fall hier vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen, beeinträchtigt, unterdrückt, verfolgt oder gar getötet werden.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.

Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Auch ich möchte mit denselben Gründen wie bei der Resolution hier dafür werben, dies unbedingt stehen zu lassen. Es ist ein ganz wichtiger Punkt, dass die Medien national und international aktiver in der Region tätig sein können.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Dafür.