SITZUNGSPERIODE 2004

(4. Teil)

BERICHT
32. SITZUNG

Freitag, 8. Oktober 2004, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Johannes RANDEGGER, Schweiz, LDR

Herr Präsident,

Der  Leistungsnachweis des Europarates im Bereich von Erziehung und Bildung ist nachhaltig und eindrucksvoll zugleich. Dies belegt nicht zuletzt die im Anhang zum Bericht von Herrn Prisăcaru freundlicherweise beigelegte Liste von insgesamt 15 Deklarationen, Empfehlungen und Resolutionen. Angesichts dieser Fülle von Dokumenten und Aktivitäten darf man sich mit Fug und Recht fragen, ob denn ein weiterer Bericht, der teilweise bereits behandelte Fragen wieder aufgreift, gerechtfertigt ist.

Für die LDR-Fraktion ist diese Frage mit einem klaren „Ja“ zu beantworten. Für uns geht der Bericht in die richtige Richtung, wenn wir auch bei den Empfehlungen wegen des Subsidiaritätsprinzips im europäischen Bildungsraum einige Vorbehalte anbringen werden.

Sie erinnern sich, meine Damen und Herren – bekanntlich befassten sich am Europäischen Rat von Lissabon im März 2000 die Staats- und Regierungschefs zum ersten Mal grundsätzlich mit Fragen der Bildung und stellten fest, dass die EU mit ganz besonderen Herausforderungen im Bereich der Globalisierung und der auf Wissen basierenden Wirtschaft konfrontiert ist. Die Bedeutung der Bildung wurde als zentraler Bestandteil der Wirtschafts- und Sozialpolitik, aber auch mit Blick auf die Osterweiterung anerkannt, und es wurde folgende strategische Zielsetzung formuliert – ich zitiere:

die EU bis ins Jahr 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten, auf Wissenschaft basierenden Wirtschaftsraum der Welt zu machen. Die EU soll fähig sein, dauerhaftes Wirtschaftswachstum, bessere Arbeitsplätze und größeren sozialen Zusammenhalt zu generieren“.

Mit dem vorliegenden Bericht und den Empfehlungen werden die fundamentalen Werte des Europarates und der EU aufgegriffen, und wir werden nachdrücklich daran erinnert, dass die Hoffnung auf nachhaltiges Wirtschaftswachstum, besseren sozialen Zusammenhalt und größeren allgemeinen Wohlstand in einer total vernetzten und auf Wissen basierenden Gesellschaft nur dann berechtigt ist, wenn vor allem die heranwachsenden Generationen nicht nur im EU- sondern auch im pan-europäischen Raum vorurteilsfrei, tolerant, verantwortungsvoll und in vollem Demokratiebewusstsein aufeinander zugehen und in fairem Wettbewerb zusammen arbeiten wollen.

In diesem Bereich, meine Damen und Herren, gibt es noch viel zu tun. Die zivilisatorische Decke ist noch dünn – deshalb ist dieser Bericht so wichtig.

Der Berichterstatter, Herr Prisăcaru, bringt die Sache auf den Punkt, wenn er in seinem Bericht sagt: „Erziehung ist der zentrale Aufbaustein für Demokratie“, und wenn er Erziehungs- und Ausbildungsmaßnahmen auf der Wertebasis des Europarates auf allen Stufen des Bildungssystems und in allen Mitgliedsländern fordert. In diesem Punkt hat er die volle Unterstützung der LDR-Fraktion.

Zurückhaltung besteht in unserer Fraktion dagegen im Hinblick auf die in Abs. 8i zum Ausdruck gebrachte Empfehlung an den Ministerrat, eine Konvention über die Erziehung für demokratische Menschen - und Bürgerrechte auszuarbeiten. Unsere Bedenken beruhen auf dem eingangs erwähnten Subsidiaritätsprinzip in Bildungsfragen, das im europäischen Raum hoch gehalten wird. Ich erinnere daran, dass weder der EU-Ministerrat noch die Regierungen zahlreicher EU- und EFTA-Mitgliedstaaten über die verfassungsmäßige Kompetenz verfügen, Bildungsinhalte festzulegen.

Die Bedenken unserer Fraktion im Hinblick auf diesen Punkt schmälern in keiner Weise die enorme Arbeit des Herrn Prisăcaru. Wir sind froh, dass er als Rumäne die Initiative für diesen Bericht ergriffen hat und danken ihm herzlich für seine Arbeit.

Ali Riza GÜLÇIÇEK, Türkei, SOC

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, sehr geehrte Kollegen,

Ich möchte dem Herrn Berichterstatter dafür danken, dass er dieses Thema auf die Tagesordnung unserer Parlamentarischen Versammlung gebracht hat.

Unsere Gesellschaften nähern sich kulturell, sprachlich und bildungsmäβig immer mehr einer wachsenden Vielfalt. Fremdenfeindlichkeit und rassistische Vorgehensweisen wirken sich manchmal auf unsere Bildungsinstitutionen aus und führen zu Gewalt und Intoleranz.

Der Europarat  kommt seit mehr als 50 Jahren im Bereich „Entwicklung der Bildung in den Demokratien“ seiner Verpflichtung  zu einer institutionellen und praktischen Arbeit nach. Dank der Projekte, die der Rat im Bildungsbereich durchgeführt hat, besitzt er umfangreiche Erfahrung und Fachwissen. Heute ist es erforderlich, diesen Bereich zu aktivieren.

Heute ist es innerhalb eines neuen Europas von gröβter Bedeutung, dass der Europarat mit seiner  umfangreichen  Erfahrung im Bildungsbereich die Erfordernisse des Arbeitsprogramms in den Bereichen Bildungspolitik, Geschichtsunterricht, Sprachpolitiken und Bildung für eine demokratische Bürgerschaft mit Erfolg weiterführt. Denn die Lösung unserer Probleme, die durch die Vielfältigkeit innerhalb unserer Gesellschaft auftreten, liegt in der Zielsetzung, dass insbesondere Demokratieschulung und interkulturelle Ausbildung zu Hauptbestandteilen der Bildungspolitik werden und wir uns den Arbeiten für qualitätsbezogene Ausbildung zuwenden.

Meiner Meinung nach wird der Beitrag des Europarates genau an diesem Punkt von groβer Bedeutung sein, wenn man bedenkt, dass der Rat groβe Erfahrungen in den Bereichen „Verwaltung verschiedener Kulturen“, „interkulturelle Ausbildung“ und „qualitätsbezogene Ausbildung“ aufzuweisen hat.

Verschiedene Kulturen sind nicht nur ein Problem der Schulen, sondern besonders wenn es um Gesellschafts-, Familien- und Flüchtlingspolitik geht, betrifft es die ganze Gesellschaft. Um Probleme in den Schulen, die durch Diskriminierungen, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit, Geschlechtsdiskriminierungen und Randgruppenbildung entstehen, zu lösen und mit diesem Ziel Ausbildungsstrategien und Arbeitsverfahren zu entwickeln und Konflikte mit gewaltlosen Mitteln beizulegen, denke ich, dass man der Ausbildung den Vorrang geben müsste. Es ist meiner Meinung nach auch wichtig, dass in den Schulen die Muttersprache für die Emigranten unterrichtet wird, denn dies erhöht allgemein ihre Chancen, einen guten Schulabschluss zu machen.

Die Unterstützung von Initiativen bezüglich demokratischer Leitung in Schulungs- und Ausbildungsprogrammen durch die Zusammenarbeit mit Eltern und NGO’s ist ein wichtiger Schritt, der die aktive Mitwirkung der Jugend am sozialen und politischen Leben in der Gesellschaft, in der sie lebt, fördern und auch einen aktiven Beitrag der Jugend mit sich bringen wird.

Sehr geehrte Kollegen,

der besondere Beitrag des Europarates zur Ausbildung zugunsten der Demokratie ist von groβem Wert. Ich bin überzeugt davon, dass die Arbeit des Europarates in diesem Bereich für die Arbeit anderer internationaler Institutionen eine wichtige Orientierungsquelle darstellt.

Als letztes möchte ich betonen, dass ich die Themen im Empfehlungsbeschluss des Berichtes unterstütze und dem Herrn Berichterstatter für seine Beiträge danke.

Christian BRUNHART, Liechtenstein, EPP/CD

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

Der vorliegende Bericht befasst sich mit der Bevölkerungsentwicklung in Europa. Die demographische Entwicklung Europas wird in Zukunft radikal anders verlaufen als bisher. Gemäß dem mittleren Szenario der Vereinten Nationen wird nach einem Jahrhundert natürlichen Bevölkerungswachstums die Bevölkerung in Europa rückläufig sein. In der russischen Föderation ist das bereits seit Ende der neunziger Jahre der Fall. Auch Deutschland hat bereits eine rückläufige Bevölkerungszahl. In wenigen Jahren wird dies gemäß der Prognose auch in Südeuropa und etwas später auch in Westeuropa der Fall sein. Es wird erwartet, dass in Osteuropa im Jahre 2050 der Bevölkerungsstand von 1950 erreicht sein wird.

Ich möchte nicht versäumen, dem Sekretariat des Ausschusses für Wanderbewegung, Flüchtlings- und Bevölkerungsfragen, aber auch dem Experten, Professor Cliquet für die exzellente Unterstützung bei der Erstellung des Berichts zu danken.

Geschätzte Damen und Herren, Europa wird nicht nur eine rückläufige Bevölkerungszahl aufweisen, sondern es wird auch mit einer exzessiven Überalterung konfrontiert werden. Die Altersstruktur in der Bevölkerung wird sich in den kommenden dreißig Jahren massiv verändern. Europa hat bereits heute die weltweit älteste Bevölkerung. Die Zahl der 65-jährigen und Älteren ist in den letzten 50 Jahren von 46 auf 112 Millionen angestiegen. Gemessen an der Gesamtbevölkerung hat sich in diesem Zeitraum der Anteil von 8 auf 12 Prozent erhöht. Betrachtet man die älteste Bevölkerungsgruppe, also die der Achtzig- und über Achtzigjährigen, so wird sich deren Zahl  in der kommenden 50 Jahren verdreifachen. 21 Millionen im Jahre 2000, 60 Millionen im Jahre 2050, und das bei einer insgesamt rückläufigen Bevölkerungszahl. Im Gegensatz dazu wird die Gruppe der 15- bis 65-jährigen, also der Personen im arbeitsfähigen Alter, abnehmen, und zwar nicht nur prozentual, sondern absolut gesehen.

Ich möchte nicht, dass hier der Eindruck entsteht, die ältere Generation sei an allem schuld – das Problem liegt nicht am Ende des Lebenszyklus’, sondern am Anfang: Wir haben nicht zu viele ältere Personen, wir haben zuwenig Kinder. Die Geburtenrate in Europa ist einfach zu niedrig. Um eine konstante Bevölkerungszahl sicher zu stellen, muss jede Frau im Laufe ihres Lebens im Durchschnitt 2,1 Kinder gebären. In Europa liegen wir jedoch weit unterhalb dieser Zahl. In meinem Land, in Liechtenstein, betrug die Geburtenrate im Jahre 2003 gerade Mal 1,3 Kinder.

Geschätzte Damen und Herren, wir Politiker müssen im eigenen Land die Rahmenbedingungen schaffen, damit es wieder mehr Kinder gibt. Kinder müssen in unserer Gesellschaft einfach einen höheren Stellenwert haben. Es gibt immer noch Politiker, die behaupten, Kinder seien die Privatangelegenheit der Eltern, in die der Staat sich nicht einzumischen habe. Angesichts der rückläufigen Bevölkerungsprognosen ist dies aber seit langem nicht mehr der Fall.

In vielen Staaten Europas lassen sich Mutterschaft und Beruf beziehungsweise Karriere schlecht vereinbaren. Viele Frauen verzichten zugunsten der Karriere auf Kinder. Je gebildeter die Frauen sind, desto weniger Kinder bekommen sie. Wir müssen den Frauen helfen. Es sind beispielsweise mehr Kinderkrippen vonnöten.  Berufsleben und Mutterschaft  müssen besser vereinbar sein. In meinem Land, in Liechtenstein, jedoch auch in der Schweiz bedeuten Kinder eine große finanzielle Belastung für die Eltern, und demzufolge ein hohes Armutsrisiko.

In der vorliegenden Empfehlung werden die Mitgliedstaaten des Europarates aufgerufen, die demographischen Herausforderungen anzugehen und einen gesellschaftlichen Konsens über Bevölkerungsziele und Bevölkerungspolitiken anzustreben.

Wir werden leider das Sozialsystem an die zukünftige Entwicklung anpassen müssen. Rentensysteme, Gesundheitspflege und sonstige öffentlich finanzierte Pflegesysteme müssen der neuen demographischen Ordnung angepasst werden, damit sie auf lange Sicht wirksam sind.

Im Hinblick auf die Rückläufigkeit der erwerbstätigen Bevölkerung werden wir den Lebenszyklus überdenken müssen. Es kann nicht sein, dass man nach einer fundierten Ausbildung, also mit etwa 25 Jahren, ins Berufsleben einsteigt und bereits 25 Jahre später in die Frühpension geht in der Erwartung, dass einem die Allgemeinheit ein angenehmes Leben bis ins hohe Alter finanziert. Wir werden Vorruhestandsregelungen und Rentenalter überdenken müssen. Ältere Personen müssen manchmal länger im Arbeitsleben bleiben. Andererseits sind Personen ab 45 Jahren auf dem Arbeitsmarkt leider nicht mehr stark gefragt. Diese Diskrepanz gilt es zu überwinden.

Falls wir davon ausgehen, dass eine Geburtenrate gewünscht wird, welche eine gleich bleibende Bevölkerungszahl ermöglicht, so müssen die Mitgliedstaaten entsprechende Maßnahmen ergreifen. Es muss ein kinderfreundlicheres Klima geschaffen werden, insbesondere in städtischen Gebieten. Finanzielle Ungleichheiten im Zusammenhang mit der Elternschaft müssen beseitigt werden. Mutterschaft und Beruf müssen besser vereinbar sein.

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnen zum Schluss ans Herz legen, dass wir die demographischen Herausforderungen angehen müssen. Wir müssen in der Familienpolitik umdenken, wir werden die Lebens-Arbeitszeit überdenken müssen, Kinder und Beruf müssen besser vereinbar sein. Kinder müssen in unserer Gesellschaft einen höheren Stellenwert bekommen, und sie müssen uns stärker willkommen sein.

Christian BRUNHART, Liechtenstein, EPP/CD

Besten Dank, Herr Vorsitzender.

Geschätzte Damen und Herren,

Ich freue mich, dass der Bericht von Ihnen so positiv aufgenommen wurde und möchte mich bei allen Rednerinnen und Rednern für ihre Beiträge bedanken. Herr Dees hat richtigerweise festgestellt, dass die HIV-Problematik ein wichtiges Thema ist und dass diese Problematik gelöst werden muss. Wir haben das beste Beispiel in Afrika. In Afrika ist praktisch eine ganze Generation weggestorben. Aus diesem Grund begrüβe ich auch den Anhang, den der Ausschuss eingebracht hat.

Herr Schreiner hat richtigerweise auf den Rückgang der Geburtenrate hingewiesen und auch darauf hingewiesen, dass er zukünftig aller Prognose nach anhalten wird. Die Überalterung der Bevölkerung wird, wie er ausgeführt hat, zu vielen Spannungen führen. Frankreich möchte das Rentenalter sechzig beibehalten aber wie er gezeigt hat, wird das nicht einfach sein. Er hat auch festgestellt, dass die Zuwanderung das Problem nicht lösen wird, weil die Familien, die zuwandern, sich sehr schnell an die lokalen Verhältnisse anpassen werden und auch wenige Kinder bekommen werden.

Herr Gubert hat von einer demographischen Krise gesprochen und das ist wahrscheinlich ein besserer Ausdruck als „demographische Entwicklung“. Wir in Europa haben in Zukunft – oder jetzt schon – wirklich eine Krise und müssen die Geburtenrate entsprechend anheben. Er hat auch bemerkt, dass der Lebensstandard mit Kindern sinkt. Das ist auch, wie ich bereits ausgeführt habe, in meinem Land der Fall.

Basierend auf der Prognose, dass immer weniger Menschen arbeiten werden und immer mehr Menschen im Ruhestand sein werden, müssen wir die Herausforderung der demographischen Entwicklung zur Kenntnis nehmen und geeignete Maβnahmen ergreifen.

Es gilt, die Sozialsysteme nachhaltig zu sichern. Viele junge Leute gehen davon aus, dass sie zweimal zahlen müssen. Einmal für die älteren Mitmenschen und ein zweites Mal für sie selbst, weil einfach nicht mehr genug Geld in der Kasse sein wird. Hier ist ziemlich viel sozialer Sprengstoff vorhanden. Es darf nicht sein, dass die jungen Leute das Gefühl haben, dass wir die Party gefeiert haben und sie sie dann aufräumen und die Zeche zahlen müssen. Wir müssen stark daran arbeiten, dass die Solidarität zwischen den Generationen sichergestellt ist.

Mir kommt es auch vor, als wenn in unserer Gesellschaft in der Vergangenheit Geld, Selbstverwirklichung und Egoismus einen hohen Stellenwert hatten. Jetzt beginnen wir langsam die Zeche für dieses Verhalten zu zahlen. Es mag für den einzelnen richtig sein, ein oder gar keine Kinder zu haben, aber für die Gesellschaft insgesamt ist das sicher nicht gut.

Ich möchte mich bei allen, die hier in dieser Versammlung so lange ausgeharrt haben, für die Unterstützung bedanken.

Besten Dank.