SITZUNGSPERIODE 2005

(1. Teil)

BERICHT
01. SITZUNG

Montag, 24. Januar 2005, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


René VAN DEN LINDEN, Niederlande , EPP/CD

Sie als Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung sind die direkten Stellvertreter dieser 800 Millionen Bürger. 800 Millionen Bürger unterschiedlicher Kulturen, unterschiedlicher Nationalitäten, die für eine breite Palette politischer Ansichten und religiösen Überzeugungen stehen, jedoch durch gemeinsame Werte verbunden sind: Werte, die der Europarat mit seinen Prinzipien und Normen verkörpert; Werte, die die soziale Kohäsion in unseren Gesellschaften und den Frieden und die Stabilität auf unserem Kontinent fördern. Wie schon Bundeskanzler Kohl vor zehn Jahren zu dieser unserer Versammlung gesagt hat (ich zitiere): „... dass die Parlamentarische Versammlung des Europarates das demokratische Gewissen Europas verkörpert. Sie stehen für eine Werteordnung, ohne die es keine freiheitliche Zukunft in Europa gibt. Das war so, das ist so, und das soll auch so bleiben. Der Europarat ist in der Tat vor allem eine Wertegemeinschaft, die in einem halben Jahrhundert Einzigartiges erreicht hat. Mehr als ein Drittel aller zweihundert Europarat-Konventionen gehen auf Initiativen der Versammlung zurück. Mit unserer Debatte haben wir sehr oft neue Gebiete erschlossen und den Weg bereitet zu neuen Initiativen in der Politik, sowohl innerhalb des Europarates als auch weit darüber hinaus. Dies macht unsere Versammlung zu einer Schule der Demokratie und zu einem Übungsgelände für zukünftige Spitzenpolitiker.

(Herr van den Linden setzt seine Rede in englischer Sprache fort).

René VAN DEN LINDEN, Niederlande, EPP/CD

Ich möchte gern diese Gelegenheit nutzen, um ihm in seiner Muttersprache noch einmal herzlich dafür zu danken, dass er sich in den letzten drei Jahren voll und ganz für den Europarat eingesetzt hat.

Er hat wirklich viel geleistet; er hat auch – wie ich schon sagte, die pan-afrikanische Zusammenarbeit gestärkt, er hat das Verhältnis zu den speakers of the national parliaments gestärkt, er hat im bilateralen Verhältnis erfolgreich interveniert, und ich möchte hinzufügen, dass er auch im Hinblick auf Nord-Süd den Europarat entscheidend unterstützt hat. Ich freue mich sehr über seine Zusage, im nächsten Jahr an der parlamentarischen Zusammenarbeit unter anderem für Nord-Süd dabei zu sein ; und ich hoffe, dass er uns als früherer Präsident - wie schon vor ihm  - auch in nächster Zukunft zur Verfügung stehen wird, denn wir müssen diese Erfahrung auch als Parlamentarische Versammlung nützen – das ist im Interesse aller, und ich hoffe, dass das auch in der nächsten Periode Unterstützung findet. Peter, du hast das Wort.

Peter  Schieder, Österreich, SOC

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Präsident, herzlichen Dank für die lieben Worte. Dass ich nun nach drei Jahren das erste Mal wieder als einfaches Mitglied der Versammlung spreche, hat den Vorteil, dass ich meine Muttersprache Deutsch anstelle einer der beiden offiziellen Sprachen verwenden kann.

Deutsch ist jene Sprache, die in fünf Mitgliedsländern des Europarates die offizielle oder zumindest eine der offiziellen Sprachen ist, in weiteren Staaten ist sie als Minderheitssprache anerkannt.

Im Europarat ist sie gemeinsam mit Italienisch und Russisch nur eine „working language“. Aber das heißt nicht, dass man in ihr tatsächlich arbeiten kann – die Voraussetzungen dazu existieren nicht, bei der Tastatur des PC’s angefangen.

Immerhin aber kann man in ihr reden.

Zu meinem Bericht: Lassen Sie mich zuerst das Formelle erledigen. Ich präsentiere Ihnen den Progress-Report, den Tätigkeitsbericht des Büros. Er liegt schriftlich vor und steht zur Diskussion.

Ich bin als Berichterstatter ausgewählt worden, weil man dankenswerter Weise damit dem scheidenden Präsidenten die Gelegenheit zu einem Résumé und zu ein paar Abschiedsworten gibt.

Inhaltlicher Mittelpunkt der vergangenen drei Jahre waren die Menschenrechte, und zwar auf mehreren Ebenen:

Was die neuen Mitglieder des Europarates betrifft, so gab es seit Anfang 2002 drei Aufnahmen: Bosnien und Herzegowina, Serbien und Montenegro sowie Monaco. Alle drei unterscheiden sich von früheren Aufnahmeverfahren, in denen es vor allem um den demokratischen und rechtlichen Aufbau in den betroffenen Ländern selbst ging. In diesen drei  Fällen, am stärksten in den beiden letzten, galt es auch, externe Faktoren zu berücksichtigen, parlamentarisch-diplomatisches Geschick bei der Beseitigung bilateraler Hemmnisse zu beweisen und das auszunützen, was man die Gunst der Stunde nennt. Es wird zu den schönsten Erinnerungen an meine Amtszeit gehören, dass uns dies gemeinsam gelungen ist.

Wichtig war mir auch, unsere parlamentarische Versammlung noch parlamentarischer zu machen – also weniger wie ein INGO, und mehr wie ein auf Verfassung, Wahlrecht und Geschäftsordnungsgesetz aufgebautes nationales Parlament zu agieren. Dazu gehörten folgende Punkte:

Auch auf europäisch-parlamentarischer Ebene soll eine Mehrheit nicht nach Lust und Laune – und auch nicht aus bester Absicht - mit der Minderheit herumspringen dürfen.

Weiter habe ich mich bemüht, besonders dort ausgleichende Schwerpunkte zu setzen, wo ich eine gewisse Reserviertheit in Teilen unserer sonst fortschrittlichen Versammlung bemerkte:

Die Verbesserung der Situation der Roma, die faire Behandlung von Flüchtlingen und Asylanten und die Gleichstellung von Gays, Lesbians und Transgender in unserer Gesellschaft sind drei Beispiele hierfür.

Lassen Sie es mich auch am Ende meiner Amtszeit noch einmal betonen:

Der Europarat und seine parlamentarische Versammlung haben Zukunft. Ja – wir können sogar dieses unseres Modell exportieren. Das war der Grund meines Interesses an unseren außer-europäischen Observerstaaten, meiner Bemühungen um Unterstützung für und Zusammenarbeit mit dem neuen Pan-Afrikanischen Parlament und das Einsetzen für Nord-Süd-Aktivitäten.

Die große Erweiterung des Europarates seit dem Ende der Achtziger Jahre hat nicht nur den betroffenen Staaten geholfen, sondern den Europarat selbst reicher gemacht (wenn auch nicht in finanzieller Hinsicht).

Seine Rolle als politischer, parlamentarischer und Menschenrechtspartner anderer Kontinente könnte einen ähnlichen positiven Schub bedeuten.

Ich danke allen, die mir diese Funktion ermöglicht haben, und die mich unterstützten:

Meiner politischen Gruppe, der österreichischen Delegation, meiner Partei, dem österreichischen Parlament, meinem Kabinett hier in Straßburg, meinem Büro in Wien, dem Sekretariat der Parlamentarischen Versammlung, allen Hilfreichen im gesamten Europarat, dem Ministerkomitee, den NGO’s, den Medienberichterstattern, dem Presidential Committee, dem Büro und Ihnen allen in der Versammlung.

Ich danke den Präsidenten der nationalen Parlamente, mit denen wir große Verbesserungen unserer Zusammenarbeit ausarbeiten konnten.

Und ich danke Vera für ihr Verständnis.

Dem neu gewählten Präsidenten und dem erst vor kurzem gewählten neuen Generalsekretär des Europarates wünsche ich alles, alles Gute.

Zu sagen, dass mir der Abschied leicht fällt, wäre unehrlich.

Damit zu hadern, dass eine Funktionsperiode statutengemäß zu Ende gegangen und eine Wiederwahl nicht möglich ist, wäre unprofessionell.

Beides möchte ich nicht sein.

Herzlichen Dank.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Danke, Herr Präsident. Ich möchte vier Bereiche ansprechen:

Zuerst möchte ich Peter Schieder für seine Arbeit und für den Standard danken, den er für die Interpretation derjenigen Regeln gesetzt hat, die er zum Teil selbst gemacht hat, bevor er Präsident geworden ist.

Ich werde mich in den nächsten drei Jahren immer wieder mit diesen Regeln auseinander setzen müssen; ich hoffe, Du gibst mir deine Mobiltelefon-Nummer, damit ich immer den Vater der Bibel- auch wenn er ja nicht der liebe Gott ist, - immer wieder um Rat fragen kann – wenn du erlaubst.

Der zweite Punkt ist jedoch etwas kritischer: In deinem Bericht steht, dass die Versammlung dem Demokratie-Institut die Geldmittel gestrichen hat, was zur Folge hat, dass das Institut schließen muss. Im Bericht findet sich hierzu keine Begründung. Ich möchte wissen, weshalb das geschehen ist, und ob das nicht ein bisschen eleganter hätte gemacht werden können.

Im Bericht zum dritten demokratischen Gipfel halten wir nämlich fest, dass wir für die Demokratie noch mehr Sorge tragen müssen, dass wir eine neue Struktur aufbauen müssen, welche die Entwicklung der Demokratie beurteilt und die Vorschläge einreicht, ähnlich wie die Venice Commission dies auf Staatsebene tut. Schnell zu zerstören, was der erste oder der zweite Gipfel geschaffen haben,  und dann, auf dem dritten Gipfel wieder etwas neues zu wollen, ich glaube, das kann nicht der Sinn der Sache sein. Zunächst aber möchte ich deine Gründe dafür wissen, so zu verfahren, wie verfahren worden ist.

Der dritte Punkt betrifft die Wahlen in Palästina. Ich denke, wir sollten hier offen aussprechen, dass auf beiden Seiten Verbesserungen notwendig sind. Lord Kilclooney hat gesagt, es sei für die Palästinenser in Ost-Jerusalem eine Schande gewesen - sie konnten nicht richtig wählen. Man hat die Fiktion der postalischen Wahl aufrecht erhalten, obwohl der Wahltag bereits da war – was verfahrenstechnisch unmöglich ist – man kann am Wahltag selbst nicht mehr postalisch wählen. Das muss auf israelischer Seite verbessert werden.

Auf der anderen Seite müssen wir aber eins zugeben – und ich hoffe, dass die palästinensische Autoritäten das ernst nehmen werden – in allen anderen Ländern, vor allem in den neuen Demokratien, hätten wir nie gestattet, dass Wähler und Wählerinnen ihren Wahlschein bekommen, ohne auf der Wählerliste zu unterschreiben. Das ist jedoch in Palästina so gehandhabt worden.   Wenn man weniger Vertrauen in die Wahlbehörde hätte, könnte man die Wahlbeteiligung künstlich erhöhen, indem man Zettel von der Wählerliste streicht und beliebige Wahlzettel ausfüllt. Darauf müssen wir Palästina hinweisen, trotz oder gerade wegen der Sympathien, die wir für sie empfinden, dass das bei Parlamentswahlen nicht geht, denn gerade dort ist der Wähleranteil und der Anteil, der auf die jeweilige Partei entfällt, besonders wichtig.

Der vierte Punkt ist auch kritisch. Ich finde, Christodoulides hat übertrieben, er hat den Vorlauf der Wahlen nicht sorgfältig genug beurteilt. Die Qualität eines Wahltages hängt aber auch vom Vorlauf ab, und die Art, wie die Medien vor dem ersten und dem zweiten Wahltag die beiden Kandidaten beurteilt haben, war absolut unfair. Des weiteren hat er nicht genug betont, dass das schlechte Wahlgesetz in bezug auf diejenigen, die nicht an ihrem Wohnsitz wählen, der Manipulation Tür und Tor öffnet. Im dritten Teil wurde das verbessert, und in bezug auf die Mobilbox muss man sagen, dass der große Fortschritt im dritten Wahlgang darin bestand, dass die Wahlbüros repräsentativ zusammengesetzt waren, und jeweils einer der beiden Mitarbeiter den Behinderten zu Hause aufsuchte, um zu prüfen, ob er wirklich behindert war und per Mobilbox wählen durfte. Hier gibt es eindeutige Fortschritte, und wir müssen dankbar sein, dass so viele Leute in solch kalten Zeiten so viel Kultur und Bürgersinn aufgebracht haben, dass diese  demokratische Revolution so gewaltfrei möglich war.

Doch müssen wir im Europarat selbstkritisch sein und noch viel mehr insistieren, wie der Kollege aus Griechenland, Pourgourides gesagt hat: Es war nicht richtig, wie der Europarat sich geäußert hat – denn er war zwischen Anfang und Ende November quasi nicht existent - und ich möchte vom Generalsekretär erfahren, warum das so war. Man hört Verschiedenes, auch in Bezug auf die polnische Präsidentschaft im Europarat. Hier müssen wir Auskunft bekommen, denn wir haben fünf Jahre lang gute Vorarbeit geleistet, und dass der Europarat entscheidenden Moment nicht mehr sichtbar ist, kann nicht gut sein für die Zukunft, und ich möchte, dass wir hier selbstkritische Lehren für die Zukunft daraus ziehen, damit so etwas nicht wieder vorkommt.

Peter Schieder, Österreich, SOC

Vielen Dank, Herr Präsident, für die freundlichen Worte und für die Zustimmung.

Es ist vom Kollegen Gross eine sehr klare Frage an mich gestellt worden; auf die ich gern verzichtet hätte - aber da sie mir nun gestellt wurde, muss ich sie beantworten; es geht um das Institut.

Um es ganz deutlich zu sagen: Die Versammlung hat weder das Ende des Instituts gewollt noch das Ende ausgelöst noch herbeigeführt. Wir haben für das Jahr 2004 einen verringerten Betrag beschlossen, so wie das Europäische Parlament für das erste und die Auszahlung des weiteren Geldes von genauen Berichten über die finanzielle Situation abhängig gemacht.

Diese Berichte sind nicht eingetroffen; stattdessen kam ein Bericht der Finanzüberprüfung des Europarates, der unter anderen Kritikpunkten eine schwere Verschuldung des Instituts festgestellt hat, die ein Vielfaches des Betrages der Versammlung ausmachte. Die Organe des Instituts haben aus diesem Grunde die Konsequenzen gezogen; und die Versammlung hat sich zurückgezogen.

Dennoch haben wir zum Jahresende beschlossen, auch diesen ausstehenden Betrag (es waren 20.490 Euro) zu bezahlen, und zwar unter der Bedingung, dass der Betrag zur Abdeckung der Schulden – leider nur eines Teils – verwendet wird, und dass er für Forderungen ersten Ranges – also für Gehälter und Sozialversicherungsschulden, verwendet wird. Dies findet sich unter Punkt 64 des Progress Report Die Versammlung bedauert diese Entwicklung, aber sie trägt keine Schuld daran.

René Van den Linden, Niederlande, EPP/CD

Danke schön. Ich möchte Peter Schieder herzlich für seine Antwort danken und ihm hier in dieser Versammlung auch viel Glück und weiterhin gutes Gelingen für seine Arbeit wünschen.

Gerd Höfer, Deutschland, SOC

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

auch ich danke den Berichterstattern herzlich für ihren Bericht, und da die Rednerliste es gefügt hat, dass zwei Mitglieder der sozialistischen Fraktion hintereinander sprechen, werde ich mich etwas kürzer halten können als die fünf Minuten; denn es ist selbstverständlich, dass ich den Kollegen unterstütze – weise jedoch darauf hin, dass es mindestens einen zeitlichen, wenn nicht gar einen inhaltlichen Unterschied geben wird zwischen den Berichterstattern, die gesagt haben, dass die Verpflichtungen Georgiens sehr wohl zeitlich gestaffelt werden könnten, weil es dem Staat vielleicht nicht möglich ist, allen Verpflichtungen so nachzukommen, wie sie übernommen worden sind.

Die Lösung wäre dann im Prinzip eine Kopplung von Verpflichtungen an eine Zeitschiene, so dass schwerpunktmäßige Verpflichtungen in den Vordergrund gerückt und andere möglicherweise unter einem anderen Blickwinkel angesehen werden.

Wir teilen die Meinung, dass Georgien einen guten Anfang gehabt hat, dass Georgien eine Bewährungsphase braucht, und aus deutscher Sicht sind wir natürlich an Georgien speziell sehr interessiert – nicht nur, weil der erste Tote ein Arzt war, der an der Monitoring-Mission teilgenommen hat und dessen Hubschrauber abgeschossen worden ist.

Was uns mit besonderer Sorge erfüllt, ist natürlich das Fehlen der Opposition im Parlament, ein Missstand, den man so schnell nicht wird beseitigen können. Aber man wird darauf hinarbeiten können, dass demokratische Opposition unterstützt und gefördert wird. Bemerkenswert ist, dass sich die neue georgische Führung energisch an ein Reformvorhaben gemacht hat, und dass die Korruption zurückgedrängt werden konnte. Unklar ist jedoch, ob man bereits von einem effektiven, rechtsstaatlich funktionierenden System wird reden können.

Ich will jedoch meinen Beitrag nicht beenden, ohne die beginnenden, beziehungsweise bereits laufende konstruktive Mitarbeit Russlands zu erwähnen. Es scheint so zu sein, dass in einem möglichen Konflikt über die Frage der Energieversorgung sich eine Lösung abzeichnet. Wenn es gelingen sollte, Georgien an die euroatlantischen Strukturen heranzuführen und Stück für Stück das zu erreichen, was ihre Resolution bemerkenswerter Weise beinhaltet, dann hat  der Europarat seine Rolle gut gespielt.

Herzlichen Dank.