SITZUNGSPERIODE 2005

(3. Teil)

BERICHT

20. SITZUNG
Mittwoch, 22. Juni 2005, 10.00 Uhr

REDEBEITR�GE IN DEUTSCH


Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Danke, Herr Pr�sident!

Meine Damen und Herren,

ich glaube, wir m�ssen unserem Berichterstatter f�r diesen Bericht dankbar sein, denn sie haben die schwierigste Aufgabe, die man heute im Europarat haben kann, auf eine Art gel�st, die zeigt, wie viel Russland bereits vom Europarat gelernt hat, jedoch ebenso, wie viel umgekehrt der Europarat von Russland gelernt hat.

Ich sage das als jemand, der sich mit der schwierigen Frage auseinander setzen muss, mit der Russland und Europa konfrontiert sind: das Problem Tschetschenien, wo von europ�ischer Zivilisiertheit noch nichts zu sehen noch zu sp�ren ist, wo Tausende von Menschen leiden, und zwar in einer Art, wie es uns unverantwortlich erscheint.

Doch in der Behandlung dieser Wunde, die nicht nur Russland angeht, sondern ganz Europa, hat sich gezeigt, dass wir nicht so sehr die B�ume, sondern eher den Wald betrachten sollten, und es ist sicherlich schwieriger, das Ganze einfach zu vergessen, als sich als einzelne damit auseinander zu setzen.

In den letzten Wochen habe ich in unserem Kreis zunehmend Unverst�ndnis gegen�ber unseren russischen Kollegen empfunden.

Ich glaube, dieses Unverst�ndnis steht einer effektiven Arbeit im Wege und muss daher beseitigt werden. Es muss uns klar werden, dass es die einzigartige Aufgabe des Europarates ist, Russland und die von Russland gepr�gten anderen Staaten Europa zuzuf�hren, doch wir m�ssen uns auch dar�ber im klaren sein, dass das Gelingen dieser Mission �ber unser Sein entscheidet.

Solange Russland nicht freier, nicht demokratischer wird, k�nnen auch wir nicht frei sein.

Wir m�ssen an dieser Stelle die Diskussion mit unseren Kollegen vertiefen. Ein wichtiger Kollege aus der russischen Delegation hat mir zum Beispiel neulich gesagt, er m�chte endlich, dass Russland als normales Land behandelt wird - statt als Fortsetzung der Sowjetunion, welche er pers�nlich ebenso hasst wie viele von uns, wobei sich der Hass weder gegen die Menschen noch gegen die Landschaft, sondern gegen das Regime richtet.

Dennoch behandeln viele von uns Russland immer noch so, als sei es die Sowjetunion.

Das allein ist verst�ndlich, denn es gibt viele unter uns, deren Vorfahren, deren Gro�v�ter jahrzehntelang unter diesem grausamen Regime gelitten haben.

Wenn wir aber die Russen von heute, die zum Teil sehr wenig daf�r k�nnen, was geschehen ist, ebenso behandeln wie wir ihre Gro�v�ter behandelt haben, die vielleicht verantwortlich waren, dann tun wir ihnen Unrecht und bauen neue Hindernisse zwischen ihnen und uns auf.

Wenn wir zweitens den Zentralismus kritisieren, dieses vertikale Machtgef�ge, welches inkompatibel ist mit jeder Demokratie, dann vergessen wir, dass dieser Zentralismus, diese Hierarchie, dieses Reduzieren des Menschen auf ein Objekt, viel �lter ist als die Sowjetunion.

In einem Land, das hundert Jahre lang keinerlei Chance hatte, im Hinblick auf Demokratie etwas zu lernen, kann notgedrungen innerhalb von zehn Jahren nicht das erreicht werden, was zum Beispiel in England auch zweihundert Jahre gedauert hat, und in der Schweiz auch zweihundert Jahre. Und hier ein entsprechendes Ma� an Geduld und Verst�ndnis aufzubringen, ist eine Aufgabe, f�r die wir uns noch mehr anstrengen m�ssen, und zwar in derselben Form, wie es auch der Bericht tut: Offen mit denjenigen zu reden, mit denen wir anscheinend nicht einverstanden sind, und ihnen dabei aufmerksam zuzuh�ren.

Somit tun wir das, was wir am besten tun k�nnten, und dies sollte auch die geliehene Identit�t des Europarates sein, von dem ich manchmal den Eindruck habe, dass er an dieser Aufgabe verzweifelt � und das sollten wir mit allen uns zur Verf�gung stehenden Mitteln verhindern.

Vielen Dank.