SITZUNGSPERIODE 2006

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(2. Teil)

BERICHT

10. SITZUNG

Dienstag, 11. April 2006, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Präsident

In der Beschränkung zeigt sich der Meister. Und Herr Juncker ist ein großer Meister. Er ist auch der Beweis dafür, dass ein kleines Land große Europäer hervorbringt.

Es freut mich auch sehr, dass er dieses Jahr für den Aachener Karlspreis nominiert worden ist. Dies ist eine große Anerkennung für seine Leistung und Arbeit für Europa. Wir sind ihm zu Dank verpflichtet, und ich möchte betonen, dass er uns einen sehr konkreten Bericht, mit wichtigen und konstruktiven Vorschlägen, vorgelegt hat.

Ich möchte ihm jetzt schon sagen, dass wir sehr damit einverstanden sind, auch in Zukunft den Fortschritt dieses Berichtes zu verfolgen, und wir laden Sie schon jetzt dazu ein, uns dabei behilflich zu sein. Dankeschön.

Präsident

(Spricht zuerst Französisch.)

Herzlich willkommen, Herr Kanzler. Sie sind heute hier als Vertreter der Präsidentschaft der Europäischen Union; wir danken Ihnen für Ihr Kommen und schätzen Ihre Anwesenheit in dieser Debatte. Außerdem haben Sie den Zeitpunkt für Ihren Besuch sehr günstig gewählt: Die gegenwärtige Vertrauenskrise ist sowohl eine Herausforderung als auch eine Chance für die Europäischen Institutionen. Ich hoffe sehr – und Sie sind in dieser Hinsicht ein starker Vorreiter – dass wir das als Chance und nicht als Bedrohung begreifen, nämlich als Chance für eine effizientere Arbeitsweise der Europäischen Union in Europa, ein Prinzip das wir einhalten sollten zur Vermeidung unnötiger Doppelarbeit.

Uns kommt es besonders darauf an, neue Trennlinien in Europa zu vermeiden.

Europa schaut auf Sie, um sich diesen Herausforderungen zu stellen, und die Chancen zu nutzen. Bei all Ihren politischen Aufgaben waren Sie immer eine treibende Kraft in der Politik der Europäischen Union. Sie haben immer wieder Ihre Führungsqualitäten und Ihre Visionen unter Beweis gestellt. Wir zählen auf diese Führungsqualitäten und Visionen, um ein Europa ohne Trennlinien aufzubauen. Für Österreich, das im Herzen des neuen Europa liegt, ist dies eine besondere Aufgabe.

Bei der Vorstellung des Programms der österreichischen Präsidentschaft verwiesen Sie zu Recht auf die derzeitige Skepsis und das fehlende Vertrauen vieler Bürger in Europa und in seine Institutionen. Die Blockierung des Europäischen Verfassungsvertrags zeigt deutlich, dass Europa für viele Bürger ein allzu abstrakter Begriff geworden ist.

Sie kündigten einen neuen Anlauf für die österreichische Präsidentschaft an und versprachen, das Vertrauen der Öffentlichkeit in Europa und seine Institutionen zu stärken.

Unsere Botschaft an Sie als Vertreter der derzeitigen Präsidentschaft der Europäischen Union ist klar und eindeutig: Der Europarat ist die gesamteuropäische Plattform für den Aufbau eines Europas ohne Trennlinien, und die Europäische Union sollte unsere Sachkenntnis, Mechanismen und Instrumente besser, systematischer und offener nutzen, um damit auch Europa den Bürgern näher zu bringen.

Sie haben das Wort.

Wolfgang SCHÜSSEL, Österreich

(Beginnt auf Englisch).

Lieber Calin und lieber Jean-Claude,

lassen Sie mich zunächst ein kleines Missverständnis aufklären: Ich spreche hier als Präsident des Europäischen Rates, nicht als Präsident des Europarates und vertrete hier natürlich nicht Gesamteuropa – das tun vielmehr Sie – sondern einen wichtigen Teil Europas.

Niemand stellt den gesamteuropäischen Anspruch des Europarates in Frage. Es ist sehr wichtig, hier die Unterschiede zu betonen und deutlich zu machen, dass die Europäische Union eben nur für einen Teil des Ganzen sprechen kann – das Ganze vertreten Sie.

Ich habe im Gegensatz zu Jean-Claude Juncker den Nachteil, hier nicht meine ganz persönliche Sicht darlegen zu können; ich bin gezwungen, auf jener Basis zu Ihnen zu sprechen, die der gemeinsame Nenner aller Mitgliedstaaten ist.

Sicherlich wäre es reizvoll, auf einiges persönlich einzugehen, aber Sie werden verstehen, dass ich hier als Ratsvorsitzender sprechen muss.

Als österreichischer Ratsvorsitzender ist es für mich auch ein ganz besonderes Zusammentreffen, dass sich in diesen Tagen der Beitritt Österreichs zum Europarat zum fünfzigsten Male jährt. Gleichzeitig ist dies auch ein Anlass für den Versuch, Bilanz zu ziehen, wobei wir Österreicher ohnehin dazu neigen, das Bilanzziehen mit einem seligen Blick in die Vergangenheit zu verwechseln. Dies wäre jedoch ganz falsch, denn beim Bilanzziehen sollen zwar die Erfahrungen aus der Vergangenheit einfließen, der Blick jedoch sollte in die Zukunft gerichtet sein.

Ich bin stolz auf Österreichs Engagement im Europarat in diesen fünfzig Jahren, und es ist auch nach unserem Beitritt zur Europäischen Union vor fünfzig Jahren ebenso hoch geblieben wie in den frühen Jahren unserer Mitgliedschaft.

Dieses Engagement Österreichs wurde von Ihnen immer wieder gewürdigt, ich will hier nur erwähnen, dass Österreich in diesen fünfzig Jahren mit Lujo Toncic-Sorinj , mit Franz Karasek und Walter Schwimmer drei Generalsekretäre des Europarates gestellte hat; wir hatten mit Karl Tschernitz und Peter Schieder zwei Präsidenten der parlamentarischen Versammlung, und mit Herwig van Staa bis vor kurzem einen Präsidenten des Kongresses der Gemeinden und Regionen.

Auch haben eine Reihe von Persönlichkeiten im Rahmen des Europarates am europäischen Einigungsprozess mitgewirkt. So stand am Anfang unser Außenminister Leopold Fiegel,

der die Beitrittsurkunde unterschrieben und betont hat, dass unser Land mit dem Beitritt zum Europarat auch die Zugehörigkeit zur demokratischen Staatengemeinschaft hervorheben wollte.

Ich möchte Peter Schieder dafür danken, was ihm als Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung gelungen ist – immerhin wurde unter seiner Präsidentschaft trotz mancher Widerstände die Aufnahme Serbiens und Montenegros in den Europarat erreicht – ein enormer Beitrag zur Stabilität in der gesamten Region. Auch die Mitwirkung des Europarates bei der Schaffung des pan-afrikanischen Parlamentes, Vorschläge zur lebendigeren Gestaltung des Parlamentarismus, die Umsetzung demokratischer Standards in den neuen Mitgliedsländern gehen auf die Initiative von Peter Schieder zurück; ebenso Aktionen gegen die Todesstrafe, Maßnahmen zum Schutz von Minderheiten. Desgleichen hat sich Walter Schwimmer für die Erweiterung des Europarates sowie für eine wichtige Organisationsreform eingesetzt.

Von Anfang an hat diese Arbeit im Europarat für uns eine besondere Bedeutung gehabt; denn wir sind das Heimatland von Richard Coudenhove- Kalergi, dem Begründer der Paneuropa-Idee. Deshalb lag die Idee nah, gleichzeitig mit der Mitunterzeichnung des Staatsvertrages zusammen mit anderen demokratischen Staaten aktiv am Prozess der politischen Einigung Europas teilzunehmen.

Es war auch kein Zufall, dass der erste Gipfel des Europarates 1993 in Wien stattgefunden hat; dort sind bahnbrechende Themen besprochen worden, wie zum Beispiel der Schutz nationaler Minderheiten, der Kampf gegen Intoleranz, gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie die Verbesserung von Sicherheit und Frieden auf dem Kontinent durch den Aufbau von Demokratie. Die Tatsache, dass seither viele Länder Mittel- und Osteuropas Mitglieder geworden sind, hat diesen Postulaten des ersten Gipfels des Europarates Rechnung getragen.

(fährt auf Englisch fort).

Präsident

Ich darf Ihnen, Herr Kanzler, zunächst herzlich zum fünfzigjährigen Jubiläum der Mitgliedschaft im Europarat gratulieren; und, wie Sie selbst gesagt haben, Geschichte verpflichtet für die Zukunft.

Wir begrüßen Ihre Würdigung der Werte des Europarates, ebenso wie den Beitrags Österreich und der Österreicher in dieser Versammlung. Ich wünsche mir persönlich, dass es beim nächsten Gipfel in Brüssel, wenn Sie über die Reflexionen sprechen, auch einen Paragraphen geben wird über den Bericht von Premierminister Juncker, damit auch in politischer Hinsicht unterstrichen wird, wie wichtig für die Staatsoberhäupter das Verhältnis von Europarat und Europäischer Union ist.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Entschuldigung.

Ich gehöre zu jenen, die diesen Bericht noch nicht gelesen haben, doch nachdem ich Ihnen zugehört habe, freue ich mich auf die Lektüre. Ich kann Ihnen versichern, dass die zehn Punkte, die Sie genannt haben, die volle Unterstützung verdienen. Wir können unsere Stärke auch dadurch zeigen, dass wir Ihnen helfen, das zu tun, was Sie sich vorgenommen haben.

Eine unserer Stärken, die vielen gar nicht bewusst ist, liegt nämlich darin, dass wir unseren Landesregierungen sagen können, sie mögen in ihrem eigenen Interesse den Europarat viel ernster nehmen.

Diejenigen, die noch nicht dabei sind, es aber eines Tages sein wollen, übernehmen schon heute einige der Schwächen der Europäischen Union indem die Außenminister, die noch nicht dabei sind, den Europarat unterschätzen und diese Haltung zu hause reproduzieren.

Zweitens möchte ich erwähnen, dass Sie vielleicht ein bisschen zu bescheiden waren; denn Sie haben doch bewiesen, dass man durchaus kleine Schritte vorschlagen kann, wenn man das Große Ganze im Auge behält. Und dieses Große – das streichen Sie immer wieder klar heraus – ist die Menschenwürde, ist der zentrale Punkt, der unsere politische Kultur ausmacht.

Zur Menschenwürde gehört jedoch nicht nur, dass wir Rechte haben, die wir gegenüber unseren Staaten einklagen können – dies ist eine gewaltige, oft unterschätzte Errungenschaft – es reicht auch nicht, Souveränität zu vereinigen, um der Globalisierung zu widerstehen, eine geniale Errungenschaft der Union – zur Menschenwürde gehört auch, dass wir nur dann frei sind, wenn wir selbst aktiv sein können und dürfen.

In denjenigen Ländern, in denen dies jahrzehntelang oder gar noch niemals möglich war, dass Menschen aktiv auf ihr Leben Einfluss nehmen können anstatt ihr Schicksal hinnehmen zu müssen, ist dies ein großer Lernprozess.

Seit fünfzehn Jahren praktiziert der Europarat genau dies mit den Staaten der ehemaligen Sowjetunion, und diesen Prozess voranzubringen, wird wohl noch einmal einige Jahrzehnte dauern.

Die Parlamentarier hier tragen dazu bei, dass dies gelingt - der Monitoring-Prozess ist deshalb eine weitere Stärke - und diese Arbeit der Parlamentarier und der Bürger sollte noch besser herausgearbeitet werden.

Was die Nachbarschaftspolitik der EU angeht, so praktiziert der Europarat bereits einiges von dem, was dort gewünscht wird, und hier liegt eins der größten Gebiete für eine mögliche Zusammenarbeit, wo Wiederholungen vermieden werden sollten wie bei der Agentur für Menschenrechte.

Ich möchte Sie bitten, dazu noch Stellung zu nehmen und diesen Punkt zu unterstreichen.

Vielen Dank.

Wolfgang SCHÜSSEL, ÖSTERREICH,

Zunächst noch einmal eine Bekräftigung meinerseits: Der Europarat sollte sich nicht als kleiner Bruder betrachten; dies ist unnötig aufgrund der großen Leistungen, die der Europarat in der Geschichte, und sicherlich auch in der Zukunft Europas gespielt hat. Dadurch ist es sehr wichtig, selbstbewusster auf diese Leistung hinzuweisen, gegenüber der Öffentlichkeit und anderen Institutionen.

Ein zweiter Punkt ist, dass einige Sprecher auf das Thema der Grundrechtsagentur hingewiesen haben – Sie können sicher sein, dass wir in allen Institutionen das gleiche Problem haben. Wir können es uns ganz einfach eine Duplikation von Geldern und Aufgaben nicht leisten. Wir müssen sparsam mit den Budgets die wir haben umgehen, und wir sind froh wenn wir eine Arbeitsteilung finden, die die Stärken jeder einzelnen Institution und Agentur ins Zentrum rückt.

Ganz besonders wichtig scheint mir der Punkt der in der Öffentlichkeit häufig als zu gering bewerteten Bedeutung des Monitoring-Prozesses durch den Europarat zu sein. Dies ist ein ganz wichtiger Punkt, der meiner Meinung nach zu einer positiven Veränderung Europas ungemein viel beigetragen hat. Daher abschließend von meiner Seite aus noch einmal das Signal zur vollen Bereitschaft, an einer gemeinsamen Lösung mitzuwirken. Ich gratuliere Jean-Claude Juncker zur Erarbeitung dieses Textes, der natürlich in den einzelnen Mitgliedsstaaten noch viele Diskussionen auslösen wird. Dies finde ich auch gut so – es gibt eine Reihe verfassungsrechtlicher und anderer Probleme, aber dies ist nicht das Thema gewesen. Er hat einen politisch mutigen Schritt gesetzt, er hat mich persönlich an seiner Seite, auf dass wir hier zu gemeinsamen Beschlüssen kommen.

Ich greife auch gerne den Vorschlag des Präsidenten auf, dass wir in den Schlussfolgerungen des Juni-Gipfels beim Europäischen Rat den Bericht an den Europarat erwähnen. Dies erscheint mir sinnvoll, und ich begrüße jetzt Herrn José-Manuel Barroso, der gerade zum richtigen Zeitpunkt eingetroffen ist.

Emanuel ZINGERIS, Litauen, EDG/GDE

Danke Herr Präsident, für Ihren ausführlichen Bericht.

Es geht um die Politik Europas mit seinen Nachbarstaaten, die man in zwei verschiedene Richtungen aufteilen kann: Richtung Süden sowie Richtung Osten, beispielsweise mit der Ukraine, Weißrussland, und möglicherweise mit den Kaukasusstaaten. Und es geht um das Budget von 2007 bis 2013. Ich glaube, dass die zwei unterschiedlichen Richtungen der EU-Außenpolitik ausgeglichener sein müssen. Es müsste mehr in Richtung Osten, in Richtung derUkraine getan werden, vor allem nach den letzten Wahlen, die wunderbar und echt waren. Hier müsste die Politik intensiviert werden, und das Budget größer sein.

Christoph STRÄSSER, Deutschland, SOC

Herr Barroso, ist es nicht gerade angesichts der von Ihnen beschriebenen größeren Synergie zwischen den einzelnen Organisationen sinnvoller, vorhandene, gut arbeitende Menschenrechts-Schutzsysteme zu stärken und so auszustatten, dass sie ihre Arbeit effektiv und im Sinne der betroffenen Menschen tun können, als eine neue Organisation zu schaffen, die dann parallel arbeitet, doppelte Standards mit sich bringt und möglicherweise mehr Geld ausgeben muss, größere Organisationsformen beansprucht ?

Und sollte man daher nicht lieber im Sinne gemeinsam für eine Stärkung der effektiv arbeitenden Menschenrechts-Schutzsysteme auch des Europarates arbeiten?

Präsident

Danke.