AS (2007) CR08

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2007

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(1. Teil)

BERICHT

08. SITZUNG

Donnerstag, 25. Januar 2007, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

 


Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

(Doc.11033, 11113 und 11108)

Herr Präsident,

Meine Damen und Herren!

Ich zitiere: „AIDS ist nur ein Problem von Afrika, Asien und den Ländern des Balkans. Die Distanz zum Grauen ist somit größer geworden.“

Dieses Zitat eines deutschen Politikers während einer Talkshow ist etwa zwei Jahre alt. Es klang damals besorgte Erleichterung mit; Erleichterung, weil wir ja hier bei uns das Problem mit Medikamenten, Therapien und fortschrittlichen Maßnahmen im Griff haben.

Ich zitiere weiter: „Afrika muss sich nun eben auch bemühen, mit diesen Problemen demokratisch und medizinisch fertig zu werden.“

So brachte der Sprecher arrogant die neue Form des Outsourcings von gesundheitspolitischen Problemen auf den Punkt. Lange glaubte man bei uns sehr gerne, das HIV/AIDS-Problem sei gelöst. Das mag das Wunschdenken vieler gewesen sein, nicht nur von PolitikerInnen, die auf die Distanz zum Grauen hofften und damit die Entsorgung der Krankheit in den Süden und Osten meinten.

Heute müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass die Ansteckungszahlen auch bei uns wieder signifikant zunehmen. Darum ist es richtig, dass sich der Europarat ebenfalls mit dem Problem befasst und dafür einsteht, dass weltweit verschiedenste Maßnahmen der Armuts- und Krankheitsbekämpfung umgesetzt werden. Bleiben griffige Maßnahmen aus, wird sich die Situation endgültig zu einer humanitären Katastrophe ausweiten.

HIV und AIDS sind heute absolut kein Problem des Südens mehr, denn auch bei uns nehmen die Ansteckungen wieder zu. Junge Leute, Hetero- wie Homosexuelle, sind sorgloser geworden und halten sich nicht mehr an die Safer Sex-Regeln, nach denen Sex nur mit Gummi sicher ist. Aber auch Erwachsene benutzen in riskanten Situationen immer weniger Kondome. Der Gebrauch, so die Kondom-Hersteller, ist massiv gesunken.

Wie wir gehört haben geht es um die Feminisierung von HIV und AIDS:

Frauen und Mädchen sind heute die wichtigsten Opfer von Ansteckung. Wo die Rechte von Frauen und Mädchen missachtet werden, wird auch ihre sexuelle Integrität missachtet. Frauenverachtende Traditionen und ökonomische Abhängigkeit von Frauen, die Einschüchterung durch religiöse Fundamentalisten, Kirchen (der Vatikan wurde vorhin erwähnt) führt immer wieder dazu, dass Frauen zu Sex ja sagen, sich den Schutz nicht holen dürfen oder können, und sich dadurch anstecken. Das ist in vielen Gesellschaften noch immer nicht anerkannt. Viele Frauen glauben auch ihren Ehemännern, dass diese treu sind. Auch hier ist Vorsicht angesagt, denn viele Ehemänner sagen es nicht, wenn sie sich angesteckt haben. Wir haben in unseren Organisationen viele dieser Frauen.

Eine weitere Quelle der Ansteckung ist die Zunahme des intravenösen Drogenkonsums. Wo Drogenkonsum kriminalisiert wird, ist auch keine Hilfe zu erwarten. Das einzige Mittel ist die Abgabe von sauberen Spritzen, damit die Drogenkonsumenten sich nicht gegenseitig mit schmutzigen Spritzen infizieren. Die verschiedenen Berichte zeigen, dass sich die Situation in den Mitgliedsstaaten und weltweit auf ernstzunehmende Weise verschlechtert hat.

Die sozialdemokratische Fraktion sieht hier dringenden Handlungsbedarf und unterstützt die vorgeschlagenen Maßnahmen, d.h. Information, öffentliche Kampagnen, Behandlung, Beratung, Aufklärung, Schutz der Betroffenen, Bekämpfung der Diskriminierung der von HIV und AIDS Betroffenen, sowie natürlich die Bereitstellung von Retrovir-Medikamenten.

Dies alles ist dringend nötig, und es muss überprüft werden, ob diese Maßnahmen in den Mitgliedsstaaten auch umgesetzt werden.

Präsident

Dankeschön. Ich erteile nun Herrn Mendes Bota aus Portugal das Wort.

Wolfgang WODARG, Deutschland, SOC

(Doc.11033, 11113 und 11108)

Herr Präsident,

Meine Damen und Herren!

AIDS ist eine Krankheit, die vorwiegend Schwache und Arme trifft. AIDS ist aber auch eine Erkrankung, die mit dem Geld kommt. Arme Länder hatten kein Aids, bis Menschen mit Geld dorthin kamen und die dortigen Einwohner ihre Frauen und Kinder an Fremde verkauften und zur Prostitution benutzten. Auch als die eigenen Leute anfingen, Drogen zu handeln, um Geld zu verdienen, da kamen die Opfer in die Länder. Dadurch hat sich Aids in Afrika ausgebreitet und so breitet es sich jetzt in China, Indien und Europa aus. AIDS hat etwas mit dem Unterschied zwischen arm und reich zu tun, und was wir bisher dagegen tun, ist halbherzig.

Ich war auf beiden großen Versammlungen in Genf und New York, und habe dort die vielen verschiedenen möglichen Maßnahmen gesehen. Hier wiederholen wir das ein wenig. Aber wir sind eine Menschenrechtsinstitution und müssen unser Augenmerk auf Europa richten, die Ungerechtigkeiten aufspüren und uns überlegen, wo wir mit unseren Regierungen, die hier in diesem Hause ja durch die Abgeordneten kontrolliert werden, etwas erreichen können. Und hier können wir Menschenhandel und Drogenhandel verhindern bzw., wenn der Drogenhandel nicht zu verhindern ist und es eben Drogenabhängige gibt, dafür sorgen, dass diese wenigstens saubere Nadeln haben.

Wir müssen diese Probleme ganz offen und ehrlich in unseren Ländern analysieren. Die Politiker an der Spitze müssen sie zur Chefsache machen und als Problem anerkennen, anstatt sie länger zu verleugnen. Ich freue mich, dass Herr Putin zum ersten Mal gesagt hat, „ja, AIDS ist ein Problem in Russland“. Das ist der Anfang für die Hilfe, ein erster Schritt, der in allen europäischen Ländern getan werden muss.

In der kurzen Zeit möchte ich noch etwas erwähnen, was ich bei uns für verlogen halte, nämlich den Umgang mit der Therapie:

Wenn wir sehen, wie die Gewinnzahlen der großen Unternehmen, die diese Medikamente herstellen, steigen, je mehr Aidskranke wir haben, wenn ich sehe, wie hoch die Preise für diese Medikamente sind und wie die Verteilungsmechanismen aussehen, wie arme Völker benutzt werden, um Medikamente auszuprobieren, die ihnen hinterher vorenthalten werden, dann kann das nicht hingenommen werden.

Auf diesem Gebiet hat sich einiges verändert; es gibt NGOs und Regierungen, die sich im internationalen Rahmen stark machen und dafür kämpfen, dass dieser Zustand aufhört. Ich freue mich sehr, dass die Weltgesundheitsorganisation eine Kommission eingesetzt hat, die sich endlich darüber Gedanken macht, ob Patentgebühren oder Patente für die Pharma-Unternehmen wirklich die richtige Belohnung sind.

In der Kommission, die von der ehemaligen Schweizer Gesundheitsministerin Frau Dreyfus geleitet wurde, wird darüber nachgedacht, ob es nicht andere Belohnungsmechanismen gibt, ob man nicht besser öffentliche Mittel in die Erforschung von Impfstoffen und Medikamenten investieren sollte, um die Medikamente dann gleich für alle billig zur Verfügung zu haben und nicht durch strategisch eingesetzte Patente erpresst werden zu können. Denn Patente werden strategisch eingesetzt: Die alten Medikamente werden ausverkauft, so lange sie noch gut gehen, und dann erst wird das neue auf den Markt gebracht.

Man kauft Medikamente und hält sie zurück, und versucht sie vor allem für Krankheiten zu entwickeln, die zahlungskräftige Kunden betreffen, nämlich Zivilisationskrankheiten. Das Verhältnis der Investitionen in die Impfstoffentwicklung zur Medikamentenentwicklung ist 1:10. Dies ist zynisch, wenn man die Forschung ansieht.

Nur dadurch, dass wir z.B. Mikrobiozide für Frauen entwickeln, können wir diese Frauen, wenn der Mann Gewalt anwendet, wie das in Afrika, aber auch in Europa und weltweit ja ausgesprochen häufig passiert, in die Lage versetzen, trotzdem selbst geschützt zu sein, unabhängig vom Mann. Dafür brauchen wir Mikrobiozide, für die massiv geforscht werden muss, wenn wir es mit dem Schutz von Frauen ernst meinen.

Oder wir müssen Impfstoffe entwickeln, wobei wir in Europa vorbildlich sein sollten: Diese Impfstoffe sollten so entwickelt werden, dass es keine Patente für sie gibt, damit sie nicht wieder strategisch ausgenutzt werden.

Diese Impfstoffe müssen allen Menschen die sie brauchen zur Verfügung gestellt werden, und das sind meist gerade wieder die Ärmsten, die sie sonst nicht bezahlen können.

Und das hat etwas mit Menschenrechten zu tun.

Angelika GRAF, Deutschland, SOC

(Doc.11033, 11113 und 11108)

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich bei den Berichterstatterinnen für die gute Arbeit, die sie geleistet haben bedanken.

Ich denke, die Berichte die sie uns vorgelegt haben sind eine ganz wichtige Grundlage für die weitere Arbeit.

Sie beschreiben die Ausbreitung dieser schrecklichen Krankheit mit sehr viel Tiefgang und machen uns gute Vorschläge, was getan werden kann und was getan werden muss. Immerhin infizieren sich jährlich etwa fünf Millionen Menschen und jeden Tag sterben 8000 Menschen an der Seuche. Es ist sozusagen nicht fünf vor zwölf, es ist fünf nach zwölf und die Zeit drängt nun wirklich.

Die Zahlen unterscheiden sich etwas aber sie sind im Endeffekt alle gleichermaßen schrecklich: Circa 50 Millionen Menschen waren Ende 2006 HIV-infiziert und darunter sind immer mehr Frauen, weltweit rund 50%.

Überall auf unserem Planeten werden in kriegerischen, ethnischen und religiös motivierten Konflikten unserer Zeit Frauen als Mütter der Kriegsführung vergewaltigt: auch so wird AIDS verbreitet. Und Herr Hancock hat die Auswirkungen auf Familien und Kinder sehr beeindruckend beschrieben. Ich danke Ihnen dafür sehr herzlich, weil Sie damit deutlich gemacht haben wie sich die Seuche auch in diesem Bereich auswirkt.

Die immer weitere Ausbreitung und Zunahme der Epidemie ist nicht nur in Afrika festzustellen, wo die Zahl der infizierten Frauen die der Männer inzwischen deutlich übertrifft. Die Ukraine ist bereits erwähnt worden, denn sie hat als erster europäischer Staat die Einprozentmarke überschritten: ein Prozent der Bevölkerung ist in diesem Land, was ja gar nicht so weit von Strassburg entfernt liegt, infiziert, davon sind viele Frauen.

Das Wissen über die Verhütung von AIDS ist nicht übermäßig gut ausgeprägt: Dies zeigt sich unter anderem darin, dass in Libyen bulgarische Krankenschwestern vor Gericht stehen und mit dem Tode bedroht sind, weil sie angeblich AIDS verbreitet haben. Der Mangel lag nicht bei den Krankenschwestern, der Mangel lag an der Hygiene in diesem Krankenhaus. Hier findet eine Hexenverbrennung statt, und wir sollten als Europarat fordern, dass diese Krankenschwestern freigelassen werden.

In meinem eigenen Land, in Deutschland, hat sich seit 2001 die Anzahlt der Neuinfizierten nicht nur fast verdoppelt, es sind zur Zeit auch etwa 25% davon Frauen. Ihnen, Frau Vermot-Mangold möchte ich an dieser Stelle sagen, dass, der Politiker, den Sie da zitiert haben schlicht und einfach ignorant ist, denn er hätte von diesen Zahlen wissen müssen.

Wir müssen – und das wird in den Berichten ganz deutlich angesprochen – feststellen, dass seit der Zeit als der AIDS-Tod von Rock Hudson oder von Freddy Mercury die Leute aufrüttelte und ihnen zeigte, dass sie etwas ändern müssen, das Ganze wieder abgeflaut ist: denn das Sexualverhalten hat sich wieder verändert, und zwar in Richtung Nachlässigkeit und Sorglosigkeit.

Deswegen müssen wir dafür sorgen, dass sich insbesondere junge Frauen die oft kein Selbstbewusstsein haben und zu wenig über Verhütung wissen, über die Folgen eines ungeschützten Geschlechtsverkehrs im klaren sind, und dass sie sich stärker mit der Thematik auseinandersetzen.

Für Emigrantinnen ist die Situation noch komplizierter. Wir müssen dafür sorgen, dass HIV und AIDS in den Schulen Thema ist, zwar altersangepasst, aber die Kinder müssen von klein auf lernen, was es mit dieser Krankheit auf sich hat und wie man sich davor schützt.

Hier dürfen wir uns nicht von denen aufhalten lassen, die aus religiösen und weltanschaulichen Gründen Sexualität und Gender aus dem Unterricht verbannen wollen. Diese Themen gehören in den Unterricht hinein, wenn schon das Elternhaus diese Aufklärung nicht leisten kann.

Armut und HIV/AIDS sind weltweit eng mit Bildungsarmut verbunden: Frauen brauchen einen verbesserten Zugang zur Bildung, zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsvorsorge und Schwangerschaftsvorsorge. Ich möchte die Anregung aus dem Bericht aufnehmen, dass wir einen Aktionsplan auf der Ebene des Europarates erstellen, den wir miteinander durchführen und mit dem wir deutlich machen können, dass wir dieses Thema aus der „Schwuchtelecke“ herausholen und in den Mittelpunkt der Gesellschaft stellen wollen, mit dem Ziel eine ehrliche Diskussion darüber zu führen.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, PPE/DC/EEP/CD

(Doc.11033, Amendement 1)

Herr Präsident, Frau McCafferty schlägt vor, dass wir uns in dieser Versammlung in Zukunft auch mit der Situation der AIDS-Kranken und AIDS-Waisen außerhalb Europas beschäftigen, insbesondere in Afrika, was wir sehr gut finden. Ich kann dem nur zustimmen, möchte aber vorschlagen, dass wir uns dann auch mit der Ausbreitung der AIDS-Epidemie auf Frauen und Mädchen beschäftigen, denn dies ist ja gerade in Afrika das ganz große Problem. Daher dieser Abänderungsantrag.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

(Doc.11113, Amendement 1)

Es geht hier wirklich um die Nachhaltigkeit der Maßnahmen und die Zusammenarbeit mit dem Süden, vor allem mit Afrika. Ich denke, dass es wichtig ist dies zu tun, und dass wir unsere Maßnahmen eben auch mit Menschen im Süden, mit den dortigen ParlamentarierInnen diskutieren können, und dass wir weiterführende Studien erstellen, die die Effizienz dieser Maßnahmen nachweisen und mit Hilfe derer Korrekturen vorgenommen werden können

Eduard LINTNER, Deutschland, Kommissions-Präsident

(Doc. 11115, Amendement 4)

Im ganzen Ausschuss war die Zufriedenheit darüber zu spüren, welche Entwicklung die Dinge in Albanien genommen haben. Ich möchte die Gelegenheit wahrnehmen darauf hinzuweisen wie wertvoll und wichtig das Monitoring des Europarates ist, und auch, wie hilfreich es bei der Entwicklung dieser Länder und ihrer durchaus schwierigen Situationen sein kann.

Auch danke ich erneut den beiden Berichterstattern sowie dem Sekretariat welches eine solche Leistung ermöglicht hat. Ich glaube, dies ist ein gutes Beispiel dafür wie wir auch in anderen Fällen verfahren sollten.

Vielen Dank.

Eduard LINTNER, Deutschland, Kommissions-Präsident

(Doc. 11115, Amendement 1)

Ich möchte darauf hinweisen, dass es sich im Grunde nur um eine technische Anpassung handelt, die völlig unstreitig war.