SITZUNGSPERIODE 2007

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(3. Teil)

BERICHT

20. SITZUNG

Montag, 25. Juni 2007, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung

(Rede von Hans-Gert PÖTTERING, Präsident des Europäischen Parlaments)

Sehr geehrter Herr Präsident!

Ihre Anwesenheit ist ein wunderbarer Ausdruck für den kontinuierlichen Dialog und die ständige Zusammenarbeit, die zwischen den europäischen Institutionen unerlässlich ist.

Seit Beginn meiner Präsidentschaft war die Stärkung der Kooperation mit der Europäischen Union eine der Prioritäten für dieser Versammlung.

Sie haben in Ihrer ersten Ansprache nach der Wahl zum Präsidenten des Europäischen Parlaments in gleicher Weise die Rolle der parlamentarischen Versammlung gewürdigt und Ihrem Wunsch Ausdruck verliehen, so eng wie möglich zusammen zu arbeiten.

Diese Zusammenarbeit ist notwendig, denn wir sind alle denselben Werten, Grundsätzen und Zielsetzungen verpflichtet. Beide Institutionen streben eine noch stärkere europäische Einheit an. Aber in erster Linie sind wir diesen Dialog unseren Bürgern schuldig. Es gibt nur ein Europa: unser Europa mit nahezu 500 Millionen und 800 Millionen Bürgern, die von uns, den verantwortlichen Politikern, erwarten, ihre Menschenrechte zu schützen und Frieden, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Wohlstand für den gesamten Kontinent zu garantieren.

Wir begrüßen die Ergebnisse des in der letzten Woche stattgefunden habenden EU-Gipfels, da sie die Verpflichtung der 27 Mitgliedstaaten auf eine Wertegemeinschaft stellten. Der nächste wichtige Schritt zur Verbreitung unserer Werte über den gesamten Kontinent muss der Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention sein. Ich möchte Sie bitten, diesen Beitrittsprozess zu beschleunigen.

In der Vergangenheit war Europa durch den Eisernen Vorhang geteilt. Das erste Ziel der europäischen Integration muss sein, in der Zukunft keine neuen Gräben entstehen zu lassen. Im Europarat sind alle Mitgliedsstaaten gleichberechtigt vertreten: Sie sind alle den selben Verpflichtungen und Zusagen unterworfen. Hier liegt die große Stärke unserer beiden Institutionen. Wir müssen als Partner zusammenarbeiten. Der Europarat und die Europäische Union haben kürzlich eine Absichtserklärung unterzeichnet. Sie wird hoffentlich dazu beitragen, unsere Energien zu bündeln und überflüssige Arbeit, doppelte Standards und Geldverschwendung zu verhindern.

Nun müssen wir diesem Schriftstück durch die praktische Umsetzung Leben einhauchen. Um sicher zu stellen, dass unsere Kooperation so bürgernah wie möglich ist, müssen wir dieser Absichtserklärung eine starke parlamentarische Dimension verleihen. Es ist von größter Bedeutung, dass das Europäische Parlament und die parlamentarische Versammlung schnellstmöglich eine Vereinbarung über eine parlamentarische Kooperation abschließen.

Ich kann die exzellente Zusammenarbeit, die zwischen unseren beiden Präsidialebenen herrscht, nur loben. Ich glaube, wir sollten diese Gelegenheit beim Schopf packen und die Kooperation auf alle Ebenen innerhalb unserer Institution ausweiten und vertiefen. Es reicht schon ein Blick auf unsere Agenden und man stellt fest, wie viele Themen ein gemeinsames oder ergänzendes Handeln erfordern: Menschenrechte, interkultureller und interreligiöser Dialog, Wahlbeobachtung, Migration, Todesstrafe, Kampf gegen häusliche Gewalt, Gewalt, Menschenhandel, Internetverbrechen.

Herr Präsident, wir freuen uns darauf, Ihre Ansichten und Vorschläge bezüglich einer Ausweitung unserer Kooperation zu hören. Lieber Hans-Gert, Du hast das Wort.

Rede von Hans-Gert PÖTTERING, Präsident des Europäischen Parlaments

Sehr geehrter Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen.

Ich möchte mich sehr herzlich für die freundliche Einladung bedanken, vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarates das Wort ergreifen zu dürfen. Es war eine sehr große Freude, heute bei Ihnen sein zu können und wieder in jenem Sitzungssaal sprechen zu dürfen, der für so viele Jahre der plenare Sitzungssaal des europäischen Parlamentes war.

Ich war zwanzig Jahre hier, in diesem Saal, von der ersten Direktwahl des europäischen Parlaments 1979, bis zum Neubau des europäischen Parlaments bis 1999, und ich habe 5 Jahre neben dem Platz gesessen, den Sie mir eben zugewiesen haben. Und ich erinnere mich an die vielen wichtigen Sitzungen und Entscheidungen, die wir hier in diesem Saal getroffen haben. Dank Ihrer und unserer Arbeit wurde an diesem Ort und in dieser Stadt Straßburg viel zum europäischen Einigungsprozess und zur Förderung von Demokratie und Menschenrechten in der Europäischen Union auf unserem europäischen Kontinent und in der Welt beigetragen.

Ich möchte Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen, herzlich danken für den Beitrag, den Sie zur Einigung unseres gemeinsamen europäischen Kontinents gemacht haben. Dieser Gedanke bringt mich zu meinem nächsten wichtigen Punkt. Die Zusammenarbeit und der Austausch zwischen der parlamentarischen Versammlung des Europarates und dem europäischen Parlament sind nicht nur für mich sehr wichtig: Als Präsident des europäischen Parlaments habe ich mehrmals schon die Bedeutung zum Ausdruck gebracht, die ich unserer Kooperation beimesse, und so war es für mich auch selbstverständlich, zu meiner Antrittsrede am 13. Februar den Präsidenten Ihrer Versammlung auch ins europäische Parlament einzuladen und ihn dort herzlich zu begrüßen.

Der Europarat ist historisch die erste und immer noch einzige paneuropäische Organisation mit einem bedeutenden Acquis in vielen Bereichen, vor allem dem Schutz der Menschenrechte, dem Schutz der Minderheiten, der Rechtsstaatlichkeit und der Förderung der Demokratie. Und ich will hier gleich sagen, was René van der Linden angesprochen hat, den Beitritt der Europäischen Union zur Menschenrechtskonvention: Wir unterstützen das seit langem, und ich bedaure, dass bei dem Ergebnis von Brüssel vom vergangenen Wochenende, wozu ich gleich etwas sagen werde, dieser sehr schwierigen Prozeduren unterworfen ist, aber der Beitritt zur Menschenrechtskonvention ist nach meiner Ansicht dringend erforderlich.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Werte verbinden uns. Der Europarat und die Europäische Union teilen das gleiche Werteverständnis, das im Kern auf dem Respekt der Menschenwürde beruht, und beide Institutionen tragen das Ihre dazu bei, Frieden, Freiheit, Wohlstand und Solidarität in Europa herbeizuführen und zu sichern. Unsere Arbeit ergänzt sich. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die Mitgliedschaft im Europarat für viele Staaten den Weg zur Mitgliedschaft in der Europäischen Union ebnete. Und dieser Prozess ist nicht abgeschlossen, er ist weiterhin relevant in Bezug auf aktuelle Kandidatenländer der europäischen Union, sowie in Bezug auf weitere mögliche zukünftige Mitglieder, insbesondere im Südwestlichen Europa.

Auch deshalb müssen wir unsere Zusammenarbeit koordinieren und Synergien nutzen. Angesichts der Bedeutung des Treffens des europäischen Rates in der vergangenen Woche und der dort erzielten Ergebnisse für die Zukunft Europas, insbesondere eben auch im Hinblick auf die Kandidatenländer und die Nachbarstaaten der Union, möchte ich gerne über das Resultat dieses Gipfels berichten, bevor ich dann unsere Zusammenarbeit und den interkulturellen Dialog anspreche. Und ich habe in meiner Rede vor dem europäischen Rat am letzten Donnerstag in aller Deutlichkeit gesagt, dass das europäische Parlament einem Gipfelergebnis nur zustimmen wird, wenn die Substanz des Verfassungsvertrages gewährleistet wird.

Und nun möchte vor Ihnen gerne, bevor ich das vor dem europäischen Parlament tun kann, - ich hoffe meine Kolleginnen und Kollegen im europäischen Parlament werden mir dieses nachsehen -, das Ergebnis vom letzten Wochenende beurteilen.

2007 ist ein historisches Jahr für die europäische Union, indem wir den 50. Jahrestag der römischen Verträge gefeiert haben. Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs der vorigen Woche, der, wie ich finde, erfolgreich stattgefunden hat, war für die Zukunft der europäischen Union ein historisch bedeutender Wendepunkt. Der deutschen Ratspräsidentschaft unter Bundeskanzlerin Angela Merkel ist es in einer äußerst schwierigen Situation gelungen, eine Einigung zu erreichen und erneut Schwung in der europäischen Einigungs- und Arbeitsprozess zu bekommen.

Dieses Ergebnis ist ein wichtiger Schritt zu den notwendigen Reformen innerhalb der Union und stellt nach fünfzig Jahren die Weichen für eine demokratischere, eine stärkere, eine der Zukunft zugewandten europäischen Union und derzeit 27 Mitgliedsländern mit nahezu 500 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Jetzt besteht die große Chance, die Errungenschaften der europäischen Union der letzten 50 Jahre für die Zukunft zu sichern und neue Wege zu öffnen. Insbesondere wurde eine wichtige Voraussetzung für weitere Beitritte, falls die Bedingungen erfüllt sind, geschaffen.

Um das Ergebnis zusammen zu fassen, kann man sagen: Beschlossen wurde weniger, als sich das europäische Parlament das ursprünglich gewünscht hätte, aber weit mehr als wir uns noch nach den Schwierigkeiten der vergangenen Wochen und Monate vor dem Gipfel erwartet hatten, und wenn man bedenkt, dass nach dem Scheitern des Verfassungsvertrages bei den Referenden in den Niederlanden und in Frankreich der Inhalt der Verfassung noch für tot erklärt wurde, dann haben wir viel erreicht, auch wenn wir natürlich sehr bedauern, dass der Begriff der Verfassung aufgegeben wurde und dass die europäischen Symbole – Hymne und Fahne - aus dem Vertrag gestrichen wurden. Also eine Aufforderung, liebe Kolleginnen und Kollegen, an Sie und an uns, möglichst viel Gebrauch zu machen von der Hymne, um die Flagge noch stärker wehen zu lassen.

Der 2004 im Konvent erarbeitete Verfassungsvertrag war ein ausbalancierter Kompromiss der Zusammenarbeit vieler Frauen und Männer, Abgeordneter aus nationalen Parlamenten und dem europäischen Parlament, Vertreter der Kommission und der Regierungen. Wir, als europäisches Parlament hätten natürlich gerne daran festgehalten. Zwei Drittel der Mitgliedsstaaten hatten diesen Vertrag nach Referenden oder einem Parlamentbeschluss ratifiziert, aber die negativen Volksabstimmungen in Frankreich und in den Niederlanden verlangten nach einer erneuerten Verständigung.

Die Verfassungsbefürworter haben Abstriche machen müssen, um eine Einigung zu ermöglichen, aber der am Gipfel erreichte Kompromiss entspricht dennoch unseren Hauptanliegen. Die Substanz der Verfassungsvertrages, die wir ehemals stark verteidigt haben, bleibt erhalten und wird in einem neuen Vertrag verankert werden. Die Charta der Grundrechte bekommt einen rechtsverbindlichen Charakter und die Europäischen Union erhält eine eigene Rechtspersönlichkeit.

Alles in allem werden die wesentlichen Prinzipien, die das europäische Parlament immer vertreten hat, mit dieser Vertragsform verwirklicht. Das ist ein großartiger Erfolg, der ohne Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Verhandlungsgeschick - davon bin ich zutiefst überzeugt als jemand, der diesen gesamten Verhandlungsprozess begleiten konnte – nicht hätte zustande kommen können, aber auch viele andere haben dabei geholfen und waren gutwillig, und so konnte dieses Ergebnis erreicht werden.

Als besonders positiv ist festzustellen, dass das europäische Parlament als einzige Institution der Union gestärkt und mit neuen Kompetenzen aus diesem Gipfel hervorgegangen ist. Die Ausdehnung der Entscheidung mit qualifizierter Mehrheit im Rat und damit ebenfalls ausgedehnte Mitentscheidungsrechte des europäischen Parlamentes bleiben also - wie es im Verfassungsvertrag vorgesehen war – erhalten. Und in der Frage der Agrarpolitik, wo das Parlament bisher ja nur eine beratende Funktion hatte, wird das europäische Parlament gleichberechtigter Gesetzgeber mit dem Ministerrat.

Die Abschaffung der Säulenstruktur bringt mehr Einfluss und Mitgestaltungsrechte für die direkt gewählten Abgeordneten des europäischen Parlaments, auch und vor allem in Bereichen, die für die Zukunft wichtig sind, wie Justiz und Inneres, wo die Entscheidungen im Rat in Zukunft mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden.

Der europäische Rat hat eine Regierungskonferenz einberufen und sich auf ein sehr detailliertes und sehr klares Mandat geeinigt, das die Hauptelemente des neuen Vertrags bereits festlegt. Alle im Verfassungsvertrag erhaltenen Reformen und Neuerungen werden in den neuen Vertrag übernommen, sofern im Mandat keine Änderungen spezifisch festgelegt sind.

Wesentliche Änderungen sind neben den schon erwähnten: Die europäische Union bekommt einen für zweieinhalb Jahre gewählten Ratspräsidenten. Sie bekommt auch einen hohen Vertreter für die Außen- und Sicherheitspolitik, der die Funktion des bisherigen hohen Vertreters Xavier Solana und des Mitglieds der Kommission zuständig für Außenpolitik, Benita Ferrero-Waltner, in einer Person zusammenfasst, und der hohe Vertreter wird Vizepräsident der europäischen Kommission sein.

Im Mandat für die Regierungskonferenzen wurden auch der Klimaschutz und eine Klausel für Energie-Solidarität als neue Ziele für die europäische Union aufgenommen. Bedauerlich ist dennoch, dass im Rahmen des Kompromisses eine zwar unvermeidbare Verzögerung der Abstimmung mit doppelter Mehrheit im Rat bis 2014 gleichzeitig mit der Verkleinerung der EU Kommission, aber darüber hinaus auch eine dreijährige Übergangsperiode bis Anfang 2017 bis zu der EU-Entscheidungen nach dem alten System überprüft werden können, akzeptiert werden mussten.

Sie kennen die Gründe. Aber entscheidend ist, und in der historische Entwicklungen Europa spielen am Ende fünf, sechs oder sieben Jahre keine so große Rolle, entscheidend ist, dass das Prinzip der doppelten Mehrheit im Kern akzeptiert worden ist und Geltung haben wird.

Bedauerlich ist es auch, dass die Grundrechte nicht gleichermaßen für alle Länder gelten, aufgrund der Ausnahmeregelung für Großbritannien. Rechtlich verbindliche, einklagbare Grundrechte im Rahmen der Europäischen Union sollten eigentlich selbstverständlich sein, aber es gilt, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass für 420 Millionen Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union, d.h. für 26 Völker der europäischen Union, die Grundrechtecharta Geltung hat und das muss man ins Verhältnis setzen zu den etwas 60 Millionen Bürgerinnen und Bürgern im Vereinigten Königreich.

Das beschlossene Mandat bietet jedoch eine solide und gründliche Basis für die Arbeiten der Regierungskonferenz. Diese Regierungskonferenz, an der das europäische Parlament mit drei Vertretern beteiligt sein wird, soll noch in diesem Jahr ihre Arbeit abschließen, um eine Ratifizierung des neuen Vertrags vor den Europawahlen im Juni 2009 zu ermöglichen.

Und der Verfassungsausschuss des europäischen Parlaments ist heute zusammengetreten, um in Hinsicht auf die Stellungnahme, die das europäische Parlament zur Eröffnung der Regierungskonferenz abgeben muss, und die wir noch in der Juliplenarsitzung annehmen wollen, die Ergebnisse des Rates zu erörtern.

Nach Konsultation mit dem Präsidenten des europäischen Parlaments hat der europäische Rat auch das europäische Parlament aufgefordert, bis Oktober dieses Jahres einen Vorschlag zu unterbreiten für die Aufteilung der Mandate im europäischen Parlament ab der nächsten Wahl, also 2009.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Weg war mühsam, das ist wohl wahr. Aber ich bin zutiefst davon überzeugt, unser Kontinent ist heute besser für seine Zukunft in der Welt des 21. Jahrhunderts gerüstet. Diese Neubegründung hat die europäische Einigung auf eine dauerhaft gute und sichere Bahn gebracht und deswegen, liebe Kolleginnen und Kollegen, sind diese Beschlüsse in unserem gemeinsamen Interesse.

Ich habe in meiner Rede am letzten Donnerstag ganz klar gesagt: Wenn die Substanz des Verfassungsvertrages nicht gewährleistet wird in einem neuen Vertrag, dann ist mit Ausnahme von Kroatien eine weitere Erweiterung nicht denkbar. Und diese Voraussetzung ist aber jetzt geschafft: Wenn der Vertrag in allen 27 Ländern ratifiziert wird, dann kann, nach der Beurteilung natürlich jedes einzelnen Kandidaten, auch eine weitere Erweiterung erfolgen.

Lassen Sie mich nun, verehrte Kolleginnen und Kollegen, einige Bemerkungen machen zur Zusammenarbeit des europäischen Parlaments mit dem Europarat und mit Ihnen, der Versammlung des Europarates. Lassen Sie mich zu diesen Thema kommen, das gerade ja für uns gemeinsam von so großer Bedeutung ist. Das europäische Parlament und die parlamentarische Versammlung des Europarates haben zwar eine sehr unterschiedliche Mitgliedschaft: In der parlamentarischen Versammlung sind, denke ich, 46 Staaten erfasst, im europäischen Parlament sind Abgeordnete aus 27 Mitgliedsstaaten, aber wie haben viele gemeinsame Ziele und Bereiche, die sich überschneiden, vor allem im Bereich des Schutzes der Menschenrechte und der Stärkung der Demokratie, insbesondere in den neuen Demokratien unseres Kontinents.

Und ich möchte ganz klar sagen: Ihre Kontrollfunktion als Versammlung des Europarates gegenüber den neuen Demokratien, auch gegenüber Länder die nicht Mitglied der Europäischen Union sind, kann man in seiner Bedeutung gar nicht hoch genug einschätzen, denn Sie wachen darüber, dass die Demokratie und die Menschenrechte in allen Ihren Mitgliedsstaaten gewährleistet bleiben.

Die Erfahrung und der Beitrag des Europarates in diesem Bereich sind entscheidend und unersetzlich. Daher ist es wichtig, dass wir unsere Zusammenarbeit verbessern und unsere Aktivitäten koordinieren, um Doppelgleisigkeit zu vermeiden und Synergien zu schaffen. Dies würde beispielsweise in Bezug auf Wahlbeobachtungen oder gemeinsame Aktionen außerhalb der europäischen Union zutreffen.

Die Geschäftsordnung des europäischen Parlaments sieht bereits eine Zusammenarbeit vor. Wichtig ist hier zum Beispiel der Meinungsaustausch zwischen unseren jeweiligen Fachausschüssen über Themen von gemeinsamem Interesse. Diese Zusammenarbeit, so kann ich von unserer Seite berichten, funktioniert gut und ich hoffe, dass Sie zu einer vergleichbaren Beurteilung kommen.

Ein Beispiel: CIA-Tätigkeiten in Europa. Bereits bei der Erstellung des ersten Berichts des nicht ständigen Ausschusses des europäischen Parlaments über die vermuteten CIA-Transporte in Europa waren der Ausschuss-Vorsitzende und der Berichterstatter Claudio Fava in engem Kontakt mit dem Vorsitzenden des Rechts- und Menschenrechtsausschusses des Europarates.

Die Konferenz der Präsidenten des europäischen Parlaments, also die Fraktionsvorsitzenden, hat vor kurzem beschlossen, in Hinsicht auf die Erstellung seines zweiten Berichtes über vermutete CIA-Transporte, den Berichterstatter des Europarates über die Aktivitäten der CIA erneut ins Europäische Parlament zu einem Meinungsaustausch mit dem Ausschuss für Grundfreiheiten einzuladen, um über den Inhalt des Berichts und die weitere Vorgangsweise in diesem Bereich zu diskutieren.

Lassen Sie mich die Zusammenarbeit im Bereich der Nachbarschaftspolitik ansprechen. Da der Europarat viele Länder der europäischen Nachbarschaftspolitik umfasst und wir gemeinsame Ziele in Bezug auf die neuen Demokratien haben, könnte sich das europäische Parlament eine Zusammenarbeit in Bezug auf die Delegationen des Europäischen Parlaments in den Nicht-EU-Mitgliedstaaten vorstellen.

Europäischer Tag gegen die Todesstrafe: Unsere beiden Institutionen verteidigen die Würde des Menschen und die Menschenrechte. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass die Todesstrafe damit nicht vereinbar ist. Ich begrüße daher ganz besonders die Initiative, eine gemeinsame Erklärung der europäischen Union und des Europarates zur Einführung eines europäischen Tages gegen die Todesstrafe in die Wege zu leiten. Die Europäische Kommission hat bereits am 19. Juni eine diesbezügliche Vorentscheidung getroffen. Dieser europäische Tag würde auf den 10. Oktober jeden Jahres gelegt werden, und dies bereits ab 2007. Wichtig ist, dass der Europarat an der Erstellung der gemeinsamen Erklärung voll beteiligt wird.

Wir werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, am 30. August eine gemeinsame Sitzung Ihres Presidential Committee und der Konferenz der Präsidenten, also der Fraktionsvorsitzenden des Europäischen Parlaments haben, und im Mittelpunkt soll der interkulturelle Dialog stehen, von dem ich meine, dass er besonders geeignet ist zu einer Zusammenarbeit zwischen Ihrer Versammlung, dem Europarat, und dem europäischen Parlament und auch den anderen Institutionen der Europäischen Union.

Aber ich möchte einen Bereich noch ansprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen, der von großer Bedeutung ist für die Fortentwicklung unseres europäischen Kontinents. Wir erleben vielfach, dass die Menschen Europa wahrnehmen - und das hat vielleicht weniger mit Ihnen, mit dem Europarat zu tun als mit der europäischen Union -, die europäische Union und Europa wahrnehmen als etwas Bürokratisches. Wir wissen, dass oft Kritik an Brüssel gerechtfertigt ist, aber oft ist Kritik auch nicht gerechtfertigt und Brüssel muss sozusagen herhalten als Sündenbock auch für nationale Versäumnisse.

Aber wir sollten uns gemeinsam bemühen, das, was man die Seele Europas nennt, den Menschen wieder näher zu verdeutlichen, das ist im Kern eine kulturelle Frage, eine Frage unserer Identität, eine Frage unserer Werte. Und dieses, den Menschen unsere gemeinsamen europäischen Werte, die Menschenwürde, die Menschenrechte, die Demokratie, die Rechtsordnung, die sozialmarktwirtschaftliche Ordnung, dieses den Menschen gemeinsam zu vermitteln ist, glaube ich, eine wichtige Aufgabe für Sie im Europarat, in der Versammlung des Europarates und uns im Europäischen Parlament.

Ich hoffe, dass wir insbesondere das Jahr 2008 nutzen können für diese Fragen der Kultur in Europa und auch des interkulturellen Dialogs. Und lassen Sie mich, bevor ich zum interkulturellen Dialog einige Bemerkungen mache, sagen, dass ich ganz unterstütze, was Ihr Präsident René van der Linden gesagt hat zu dieser Vereinbarung, die wir möglichst schnell jetzt zu einer auch förmlichen Vereinbarung bringen sollten, wie wir regelmäßige Kontakte zwischen den Präsidenten unserer Institutionen organisieren, wie wir regelmäßige Kontakt zwischen Ihrem Presidential Committee und der Konferenz der Fraktionsvorsitzenden, der Konferenz der Präsidenten im europäischen Parlament organisieren. Wie wir regelmäßige Austausche auch herstellen und vereinbaren zwischen den Ausschüssen und ihren Vorsitzenden und auch Vereinbarungen treffen zwischen unseren Sekretariaten, damit wir uns in unserer Arbeit koordinieren, ergänzen und keine Doppelarbeit leisten.

Ich hoffe sehr, dass es noch im Herbst zu der Unterzeichnung kommt und ich werde mit Ihrem Präsidenten darüber natürlich ausführlich im Dialog bleiben.

Gestatten Sie mir abschließend einige Bemerkungen zum interkulturellen Dialog: Europas Zukunft ist in hohem Maße davon abhängig, wie uns das Zusammenleben der Kulturen und Religionen in der europäischen Union, in den Ländern des Europarates mit unseren Nachbarn und vor allem in der arabischen und islamischen Welt gelingt.

In Europa ist die muslimische Religion zur zweitgrößten Religionsgemeinschaft geworden. Wir in Europa, haben allen Grund, uns selber öfter zu fragen, ob wir genug tun, damit Moslems sich in einer mehrheitlich christlich oder säkular geprägten Umwelt wohlfühlen. Aber wir müssen auch diejenigen, die nicht aus unserem Kulturkreis kommen, und in unseren Kulturkreis hineingekommen sind oder manchmal sogar schon die zweite oder dritte Generation hier sind, auffordern, sich in unsere Gesellschaft zu integrieren: Dialog ist ein gegenseitiger Prozess.

Wir haben in Europa auch immer wieder leider Anlass, gegen antisemitische und rassistische Hetze vorzugehen. Das europäische Parlament setzt sich in dieser Hinsicht mit all seiner Kraft ein und Sie tun das gleiche. Wir verurteilen solche Hetze auf das schärfste und möchten, dass Juden, Muslime, Christen und Menschen anderer Religionszugehörigkeit oder ohne religiöse Bindung sich in gleicher Weise in Europa wohl fühlen.

Das grundlegende Problem liegt meines Erachtens im Mangel an gegenseitigem Kennen und Wissen über einander. Diese Unkenntnis kann zu Missverständnissen führen. Deshalb ist eine gegenseitige Annäherung so wichtig, da sie zu einem besseren Verständnis füreinander und zu einem besseren Kennenlernen beitragen kann.

Ich haben den interkulturellen Dialog zu einer Priorität meiner Amtszeit gemacht, um die positive europäische Erfahrung der Versöhnung, die in Europa in den letzten 60 Jahren stattgefunden hat, teilen zu können, um Brücken zu bauen, für bessere gemeinschaftliche Beziehungen nicht nur innerhalb unserer europäischen Grenzen, sondern vor allem auch mit unseren Nachbarn.

Am morgigen Dienstag werden Sie, wenn ich richtig informiert bin, eine ganztägige Sitzung haben, um sich den Fragen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs zu widmen. Und ich möchte gerne, dass wir als Europäisches Parlament aus Ihren Erfahrungen Vorteile ziehen. Denn wir als Parlamentarier des europäischen Parlaments, und Sie in der parlamentarischen Versammlung des Europarats, die Abgeordnete fast aller europäischer Länder umfassen, sollten hier eine vorrangige gemeinsame Rolle spielen.

Wir sind eigentlich bereits die tägliche Verkörperung dieses Dialogs zwischen unterschiedlichen Traditionen, Kulturen und Religionen. Unsere beiden Institutionen können und müssen einen wichtigen Beitrag leisten, damit der Dialog der Kulturen und Religionen das Markenzeichen Europas wird.

Am 15. Mai 2007 fand in Brüssel ein hochrangiges Treffen religiöser Führer unter dem Thema „ein Europa basierend auf der Würde des Menschen“ statt. Dieses Treffen stellte einen wichtigen weiteren Schritt auf dem Weg eines sich stufenweise entwickelnden Dialogs zwischen der Europäischen Union und den europäischen Kirchen und Religionsgemeinschaften dar.

Unsere Staatengemeinschaft basiert bei allen Unterschieden auf einem gemeinsamen integrierenden Werteverständnis, dessen Kern der Respekt vor der unantastbaren Würde des Menschen bildet. Im gleichen Sinne sollten wir das Jahr 2008 zum Anlass nehmen, um gemeinsam ähnliche Initiativen für die Entwicklung des Dialogs in die Wege zu leiten. Zum Beispiel könnten wir gemeinsame Foren für den Austausch und die Ermöglichung von Kontakten zwischen Menschen der verschiedenen Kulturen legen.

Aber ich möchte abschließend in aller Klarheit betonen, dass der Dialog der Kulturen sich gründen muss auf Wahrheit und auf gegenseitige Toleranz. Und ich möchte Ihnen deswegen abschließend ein Beispiel berichten, das ich selber erlebt habe. Ich habe in den letzten Jahren vielleicht zwanzig arabische und islamische Länder besucht, eher inoffiziell als offiziell, denn wenn man inoffiziell reist, dann kann man normalerweise sehr viel mehr lernen.

Und ich war neben den vielen anderen Ländern auch in Saudi Arabien. Dort führte ich ein Gespräch mit einem hohen geistlichen Würdenträger des Islam, einer zutiefst würdigen und beeindruckenden Persönlichkeit. Und am Ende unseres Gespräches fragte diese beeindruckende Persönlichkeit mich: "Wwie werden Moslems in Europa behandelt?" Und meine Antwort war: „Exzellenz, sie sind nicht immer so integriert, wie wir das wünschten, aber sie haben in der Regel ihre Gebetshäuser und oft auch eine Moschee“.

Aber ich habe dann auch eine Frage gestellt: „Ist es wahr, Exzellenz, dass hier in Ihrem Land, wenn eine Muslima, ein Moslem Christin oder Christ werden möchte, dies mit der Todesstrafe geahndet werden kann?“ Ich habe keine Antwort bekommen und das war die Antwort. Und deswegen empfehle ich uns, liebe Kolleginnen und Kollegen, den notwendigen Dialog der Kulturen auf der Grundlage der Wahrhaftigkeit und der gegenseitigen Toleranz zu führen.

Für uns ist es klar: wir wollen nicht den clash of civilization, wir wollen nicht den Zusammenprall der Kulturen, wir wollen die Zusammenarbeit, die Partnerschaft und wenn es geht, die Freundschaft mit der arabischen und islamischen Welt und allen Kulturen auf dieser Erde, weil wir eine gemeinsame Welt sind.

Und ich möchte abschließend Ihnen, Herr Präsident, lieber René van der Linden, ein herzliches Wort des Dankes sagen für viele Jahre guter freundschaftlicher Zusammenarbeit zwischen zwei Persönlichkeiten, zwei Freunden, und Dir danken, lieber René, dass unser europäischer Kontinent sich weiter eint, und dass sich unsere beiden Versammlungen, Ihre Versammlung, die parlamentarische Versammlung des Europarates, und wir als europäisches Parlament, uns nicht als im Wettbewerb befindlich verstehen sondern als Institutionen, als Parlamente, die dem gleichen Ziel dienen, der Einigung unseres Kontinents in Freiheit, Demokratie, Frieden und Recht.

Ich danke Ihnen.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Lieber Herr Präsident,

lieber Hans-Gert,

Recht herzlichen Dank für diese sehr überzeugende Rede; Du bist ja auch ein überzeugter Europäer, und man braucht Überzeugung, um zu überzeugen.

Jetzt gebe ich das Wort an Herrn Gross, er spricht im Namen der sozialistischen Partei.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC:

Herr Präsident,

Ich möchte mich auch für Ihre Rede bedanken, und auf eine Sache zurückkommen, die am Ursprung des Europarates, der parlamentarischen Versammlung war. Sie war ja von den großen Pionieren, wie auch z.B. Carlo Schmid, als verfassunggebende Versammlung Europas gedacht. Und dieser überstürzte Versuch, nach Laaken auf diese ursprüngliche Idee zurückzukommen, ist jetzt gescheitert.

Ich möchte Sie bitten, uns zu sagen, ob Sie z.B. auch die Befürchtung teilen, dass das Schlimmste wäre, dass das Verfassungsprojekt an sich diskreditiert würde, und dass der revolutionäre Unterschied, den Ihr ehemaliger belgischer christdemokratischer Kollege so betont hat, der qualitative Unterschied in Bezug auf die Integration der Bürgerinnen und Bürger zwischen Verfassung und Vertrag, nicht vergessen geht, und dass das Europaparlament nicht vergisst, dass eigentlich unsere Aufgabe immer noch eine Verfassung mit den Bürgern wäre, und dass das jetzt nicht möglich ist, aber dass wir das nicht vergessen und darauf zurückkommen sollten.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Ich möchte Sie bitten, jetzt schon die Frage zu beantworten.

Hans-Gert PÖTTERING, Präsident des Europäischen Parlaments

Herr Kollege Gross,

ich bedanke mich sehr für diese Frage. Wir müssen natürlich immer aus Entwicklungen lernen, und ich sage Ihnen freimütig: Ich habe lernen müssen, dass z.B. in den Niederlanden und in Frankreich neben zahlreichen anderen Gründen für den negativen Ausgang der Referenden der Begriff der Verfassung eine Rolle gespielt hat.

Besonders in den Niederlanden hat man mir gesagt, und besonders die Niederlande haben ja darauf bestanden - was ich natürlich sehr bedauere, aber wenn es zielführend ist, muss man es akzeptieren -, dass unsere Symbole, die ja Ausdruck eines Zusammengehörigkeitsgefühls sind, auch als Ausdruck von Staatlichkeit verstanden werden. Das wurde vielfach missverstanden. Deswegen haben wir alle, auch ich, lernen müssen, dass der Begriff der Verfassung vielleicht doch nicht zeitgemäß war.

Jetzt sollte unsere Anstrengung dahin gehen, dass wir das, was wir oder die Staats- und Regierungschefs vereinbart haben - und ohne die Mitwirkung von unzähligen Abgeordneten, ja auch von Ihnen, die Sie ja nicht nur die Parlamentarische Versammlung des Europarates sind, sondern auch nationalen Parlamenten angehören, und viele von Ihnen waren auch im Konvent, Sie alle haben ja mitgewirkt -, dass wir jetzt das, was sozusagen in der zweiten Runde aus dem Verfassungsvertrag geworden ist, also den neuen Vertrag, jetzt durch alle 27 Parlamente bringen und ratifizieren.

Darum möchte ich Sie bitten, dies zu unterstützen. Zu einem angemessenen Zeitpunkt werden wir dann auf Fragen zurückkommen, die wir aber dann erst angehen sollten, wenn wir einigermaßen sicher sind, dass sie Erfolg haben. Jetzt muss es zunächst darum gehen, dass der Vertrag in allen 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ratifiziert wird, und ich möchte Sie alle herzlich bitten, daran mitzuwirken.

Lieber Herr Kollege van den Brande,

Es ist etwas sehr Erfreuliches, dass das Europäische Parlament immer mehr Befugnisse bekommen hat. Im Jahre 1979 saß ich, glaube ich, bei 411 oder 416, und das Europäische Parlament hatte keinerlei legislative Befugnisse. Früher sagte ich, "überhaupt keine Befugnisse", doch dann sagte mein Kollege und Freund Horst Langes aus Trier, der Haushaltspolitiker war: "Das stimmt nicht, im Bereich des Haushalts hatten wir schon Befugnisse!" Aber in der Gesetzgebung hatten wir keine Befugnisse.

Mit verschiedenen wichtigen Verträgen, die wir ja auch den Niederlanden verdanken, wie den Vertrag von Maastricht und den Vertrag von Amsterdam, hat das Europäischen Parlament Mitentscheidungsbefugnisse bekommen. Jetzt, mit diesem neuen Vertrag, bekommt das Europäische Parlament weitere Kompetenzen hinsichtlich der Mitarbeit an der Agrarpolitik, aber auch in vielen Fragen der Justiz und Innenpolitik.

Allerdings bleiben noch einige Bereiche offen, nämlich die Fragen, wo weiter die Einstimmigkeit gilt, wie bei Steuern, Steuererhebung und solchen Fragen. Aber im Bereich Haushalt werden wir völlig gleichberechtigt. Dennoch bleiben einige Fragen offen. Das heißt also, die Vertragsentwicklung, man kann vielleicht sogar sagen, die Verfassungsentwicklung, der EU bleibt noch unvollkommen.

Es gibt also auch in Zukunft noch etwas zu tun, um die rechtlichen Möglichkeiten und die Kompetenzen der Institution zu verbessern, da sind wir also noch nicht ganz am Ziel. Man ist sicher nie ganz am Ziel; es wird auch immer wieder Änderungen der Verträge geben. Daran müssen wir gemeinsam arbeiten. Aber wenn ich die ganze Zeit von der ersten Direktwahl 1979 bis heute nehme, dann ist meine Erwartung hinsichtlich dessen, was wir in Europa erreicht haben, mehr als erfüllt worden, man nehme nur das Beispiel der Kompetenzen des Europäischen Parlaments.

Und was die Kooperation mit der Versammlung des Europarates, mit Ihnen, angeht, so habe ich bereits versucht zu sagen, dass wir uns auch institutionell noch mehr vereinbaren sollten. Denn wir haben alle unglaublich viel zu tun, und wenn man nicht auch ganz institutionell Verabredungen trifft, dann bleibt es dabei, man koordiniert sich nicht.

Mir geht es so, dass ich als mich Präsident, nachdem ich, wie Sie wissen, siebeneinhalb Jahre Fraktionsvorsitzender war, mit ganz bestimmten Gruppen im Parlament immer zu ganz bestimmten Zeiten treffe. Diese Treffen sind wirklich institutionalisiert; die Zeiten stehen fest. Ich lade Kolleginnen und Kollegen in mein Arbeitszimmer ein, und dann kann man über die Dinge reden.

Es wäre sehr hilfreich, wenn wir auch eine institutionelle Vereinbarung treffen könnten, die natürlich auch immer flexibel sein müsste, wie wir auch zwischen den Präsidien oder den Präsidenten, den Ausschüssen und den wichtigen Organen ganz kontinuierlich zusammenkommen können. Auch könnten wir besprechen, wie wir in unseren Sekretariaten die Verfahren zum Austausch von Informationen noch verbessern könnten. Wenn wir so eine Vielfalt von Kontakten haben, dann, glaube ich, werden wir uns in hervorragender Weise koordinieren.

Ich habe bereits vom Dialog der Kulturen gesprochen, aber es gibt einen Bereich, wo wir uns noch sehr viel enger koordinieren sollten, und zwar in der ganzen Frage der Erweiterung der Europäischen Union. Denn Sie als Europarat sind ja sozusagen das Nadelöhr: Erst müssen die Staaten in den Europarat hinein, ehe dann einige dieser Staaten in die EU kommen.

Deswegen sollte gerade auch in den Fragen der Erweiterung die Zusammenarbeit zwischen der Versammlung des Europarates und dem Europäischen Parlament drastisch ausgeweitet werden. Ich würde mir wünschen, dass wir mit unserer Vereinbarung dieses rein vom Procedere erreichen, um damit auch die Möglichkeit zu haben, in der Sache vertieft zu beraten.

Herr Kollege Eörsi,

Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie das angesprochen haben. Und ich sage, bei aller Notwendigkeit, dass wir den Blick in die Zukunft richten müssen, dass mich diese Äußerungen, die ja nicht im Europäischen Rat, sondern in Warschau gefallen sind, persönlich sehr sehr betroffen und traurig gemacht haben. Und dass Sie als Vertreter Ungarns das sagen, bestärkt mich in dem Gefühl, dass meine Gefühle verständlich waren.

Ich will Ihnen, wenn Sie mir diese persönliche Bemerkung gestatten, etwas erzählen, obwohl ich eigentlich nicht so gerne darüber rede: Ich bin im September 1945 geboren. Mein Vater ist in den letzten Kriegstagen im Osten Deutschlands, in Pommern, das heute zu Polen gehört, gefallen. Meine Generation hat ein besonders positives, emotionales Verhältnis zu Polen.

Ich war in diesem Jahr bereits viermal in Polen, das letzte Mal am Sonntag vor einer Woche, und werde im September wieder in Polen sein. Das schöne ist, in Polen zu erleben, dass die polnische Bevölkerung sehr proeuropäisch ist. Das darf man in einer solchen Situation nicht vergessen.

Doch ich stimme Ihnen zu, und ich sage das als Deutscher, aber vor allem als Europäer, denn ich stehe hier ja nicht als Deutscher, sondern als Präsident des Europäischen Parlaments: Wir müssen in die Zukunft schauen. Und wenn es bedauerliche Irritationen gibt, dann müssen wir uns immer vergegenwärtigen, dass die große, große Mehrheit anders denkt. Und dass Sie als ungarischer Abgeordneter dies so zum Ausdruck gebracht haben, ist für mich auch ein Zeichen dieser Hoffnung, dass die große Mehrheit anders denkt und wir gemeinsam in die Zukunft unseres Kontinents schauen.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Herr Präsident, Sie haben das Wort.

Hans-Gert PÖTTERING, Präsident des Europäischen Parlaments

Vielen Dank, Herr Kollege Margelov,

Zunächst gestatten Sie mir zu sagen, dass es auch zu den Wundern unserer Zeit gehört, dass ein Vertreter Russlands in einer wichtigen europäischen Institution ist. Im Europäischen Parlament haben wir das ja nicht, wie Sie wissen, aber hier begegne ich einem Kollegen aus Russland.

Dass Russland bei allen Schwierigkeiten in diesem schwierigen Transformationsprozess, die ich jetzt aber nicht beurteilen möchte, Mitglied des Europarates ist und dass Sie als Kollege aus der Russischen Föderation hier als Kollege in der Versammlung des Europarates mit mir einen Austausch führen, ist, finde ich, eine wunderbare Sache. Auch das hätte ich 1979, als ich dort hinten saß, nicht zu träumen gewagt. Insofern bedanke ich mich schon als solches, dass Sie sich gemeldet haben.

Was nun die Frage angeht, wie man helfen kann, so müssen Sie das zunächst einmal selber definieren. Ich komme hier nicht als jemand von außen, der sagt, was Sie tun sollen. Vielmehr müssen der Europarat und die Versammlung selber zunächst einmal beschreiben, was sie wollen, wie sie ihre Zukunft sehen, und welche Erwartugen sie haben.

Wenn ich dabei helfen kann, sage ich Ihnen diese Hilfe gerne zu, wobei meine Zeit beschränkt ist; ich werde, wenn der Herrgott mich gesund lässt, dieses Amt bis zur Europawahl im Jahr 2009 ausführen, und dann, im Juli 2009, wird ein neuer Präsident gewählt. Aber wenn Sie sagen, wo Sie vom Europäischen Parlament und seinem Präsidenten Unterstützung wollen, dann möchte ich Ihnen grundsätzlich – grundsätzlich bedeutet immer im Prinzip – diese Unterstützung zusagen.

Über Einzelheiten muss man dann sprechen, aber Sie sehen aus meinen Bemerkungen, auch so, wie ich Sie als russichen Kollegen begrüßt habe, dass es eine Rolle für eine wichtige parlamentarische Institution in Europa gibt, die nicht das Europäische Parlament ist. Eine Institution, an der Sie, die Türkei und viele andere teilnehmen. Dies verdient unsere Unterstützung und die Unterstützung des Parlamentes, und das möchte ich Ihnen gerne zusagen.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Danke schön.

Es wird am 30. August unsererseits nicht an Vorschlägen mangeln.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Danke schön, Herr Präsident, Sie haben das Wort.

Hans-Gert PÖTTERING, Präsident des Europäischen Parlaments:

Herr Kollege Kox,

Zunächst, was die Frage des Geldes angeht, haben Sie völlig recht, und wir müssen uns über Einzelfragen unterhalten, wie wir zu Lösungen kommen können. Sie haben ja keinen wirklichen Gemeinschaftshaushalt. Sie haben eben gesagt, die Methode wäre vielleicht nicht mehr die Integration, aber um einen Gemeinschaftshaushalt für Sie zu haben, spricht es gerade dafür, das System der Integration zu haben, denn dann hat man auch einen Gemeinschaftshaushalt, so wie das bei uns im Europäischen Parlament der Fall ist.

Aber ich betone noch einmal, dass wir da, wo es um Geld, über Einzelfragen reden müssen, und wir können ja auch gegenüber den Regierungen und den Parlamentspräsidenten aktiv werden. Wir haben mit den nationalen Parlamenten und den Parlamentspräsidenten mittlerweile einen relativ regelmäßigen Austausch und können das auch zum Instrument nehmen, um für Ihre berechtigten Interessen einzutreten, sofern sie auch finanzieller Art sind.

Was der Bundeskanzler Österreichs gesagt hat, habe ich noch nicht zur Kenntnis nehmen können, denn ich komme jetzt von Wiesbaden, da tagt die AKP-Versammlung, was keine türkische Partei ist, sondern die paritätische parlamentarische Versammlung aus Afrika, dem karibischen und pazifischen Raum, mit Abgeordneten des Europäischen Parlamentes, und dort musste ich eine Rede halten. Deswegen bitte ich um Nachsicht, dass ich nicht kommentieren kann, was Bundeskanzler Gusenbauer gesagt hat.

Aber in einem möchte ich völlig klar sein und Ihnen auch in aller Freundschaft, aber auch in aller Deutlichkeit widersprechen: Ich glaube nicht, dass das Europa der Integration vorbei ist. Sie sind, wie ich nach Ihrer sympathischen englischen Aussprache annehme, Niederländer, und es ist gerade im Interesse von Ländern wie den Niederlanden, dass wir über den Ländern der EU ein starkes Dach haben. Und es waren immer die Benelux-Länder – Belgien, Niederlande, Luxemburg -, die für den Integrationsgedanken eingetreten sind.

Das bedeutet doch nicht, dass man einen europäischen Superstaat macht; den will keiner. Ich selbst würde mich auch als europäischen Föderalisten bezeichnen; ich kann das jetzt wieder sagen, nachdem ich nicht mehr Vorsitzender einer großen europäischen Fraktion bin. Aber ich glaube zutiefst an die Einigung unseres Kontinents und an die Gemeinschaftsinstitutionen: ein starkes europäisches Parlament, ein Ministerrat, der seine Rolle wahrnimmt, und eine starke europäische Kommission, die das Gemeinschaftsinteresse und das Recht vertritt.

Und es ist heute in Europa überhaupt das Wichtigste, dass heute das Recht die Macht ist, und nicht die Macht recht hat; das Recht ist das Entscheidende. Ich habe es immer als ein wunderbares Symbol empfunden, dass der europäische Gerichtshof in Luxemburg ist, dem bis zum Beitritt Malta kleinsten Land der EU. Dort wird europäisches Recht gesprochen. Gemeinschaftsinstitutionen bedeuten doch nicht, dass wir unsere nationale Identität aufgeben.

Sie werden immer Niederländer sein, so lange Sie es wollen mit Ihrem Königshaus und Ihrer beeindruckenden Königin. Das gleiche gilt für Großbritannien. Jeder behält seine Staatsordnung, unsere nationalen und auch unsere regionalen Identitäten bleiben erhalten. Aber um das zu ermöglichen, und das ist zutiefst meine Überzeugung, damit Irland, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, alle Länder der EU ihre Identität und ihre Werteordnung bewahren können, dazu bedarf es des gemeinsamen Rahmens in Europa, dass wir gemeinsam dieses schützen.

Lassen Sie es mich an einem Beispiel sagen: Unsere polnischen Freunde, und ich sage auch jetzt noch Freunde, sind besorgt über die Frage, ob eines Tages Russland Polen von der Energieversorgung abschneiden könnte. Hoffen wir, dass diese Befürchtung nicht gerechtfertigt ist. Aber sollte es denn eintreffen, dann hat Polen doch das selbstverständliche Recht auf Solidarität durch alle anderen europäischen Völker. Und so verstehe ich diese EU und Europa, dass wir untereindander solidarisch sind, und dafür braucht man auch das Instrument der Integration.

Wenn Sie Europa, sagen wir, "verflüchtigen" und das Gemeinsame, was wir erreicht haben, abbauen würden, dann haben Sie am Ende das intergouvernementale Europa, und dann stehen die Nationen Europas gegeneinander. Und dann werden die mittleren und kleinen Staaten, aber am Ende auch die großen Länder Schaden nehmen, und es herrscht dann nicht mehr das Recht.

Die Erfahrungen gerade der letzten Woche zeigen, wie groß auch heute noch die psychologischen Belastungen sind. Ich halte in der Geschichte nichts für gegeben; man muss immer wieder jeden Tag neu anfangen. Deswegen ist auch der Rat, wenn Sie mir gestatten, das zu sagen, an Ihre politischen Freunde: Helfen Sie in den Niederlanden mit, dass dieser Vertrag Wirklichkeit wird, denn er ist ein Beitrag zum Frieden, zur Verständigung, zum Recht und zur Einheit unseres Kontinents.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Da war die Frage, ob es ein Referendum geben soll, wie in Amsterdam und Maastricht.

Hans-Gert PÖTTERING, Präsident des Europäischen Parlaments:

Das ist eine Frage, die auf nationaler Ebene entschieden wird. Meine persönliche Meinung, ob Referenden sinnvoll sind oder nicht spielt hier keine Rolle, und ich möchte jetzt dazu auch keine kontroverse Debatte auslösen.

Aber mein Eindruck war doch, dass in den Niederlande die Symbole und der Begriff der Verfassung eine so große Bedeutung hatten, dass man das abgelehnt hat, und wenn jetzt diese große Bedeutung durch die Wegnahme der Begriffe nicht mehr vorhanden ist, könnte man ja möglicherweise zu einer anderen Entscheidung kommen, ob man ein Referendum macht oder nicht.

Aber wenn ich das richtig sehe, haben Sie ja einen klugen Staatsrat in den Niederlanden, der sich mit der Frage befassen wird, und es ist nicht meine Aufgabe als Präsident des Europäischen Parlaments, da irgendwelche Ratschläge oder Empfehlungen zu geben.

René VAN DER LINDEN, Präsident der Parlamentarischen Versammlung:

Jetzt komme ich zum Schluss und möchte Herrn Präsident Hans-Gert Pöttering recht herzlich danken, nicht nur, weil er trotz vieler Termine gekommen ist, sondern insbesondere für seine Überzeugung. Er hat dazu beigetragen, dass wir auch in dieser Parlamentarischen Versammlung die Debatte über das Ergebnis des Gipfels als erste geführt haben, und ich möchte ihm sagen, die Symbole, die Hymne und die Fahne, hat dem Europarat die EU zur Verfügung gestellt. Und außerdem kann ich Ihnen sagen, dass der Europarat diese Symbole nicht für unwichtig hält, und ich möchte gerne mit diesen Symbolen weitermachen, weil sie auch unsere gemeinsamen Ziele verkörpern.

Auch möchte ich darauf aufmerksam machen, dass wir hier, wie Sie gesagt haben, ein Doppelmandat haben. Das Europäische Parlament strengt sich sehr an, um das Verhältnis zu den nationalen Parlamenten zu intensivieren, denn das ist notwendig. Und ich glaube, das kann man auch über den Europarat machen, denn viele in diesem Haus sind die Europasprecher ihrer nationalen Parlamente, ja, viele sind sogar Vorsitzende der Europa-Ausschüsse der nationalen Parlamente.

Ich möchte Ihnen recht herzlich danken für Ihren Beitrag, für Ihre Bereitschaft zur Kooperation, und Ihnen insbesondere viel Erfolg wünschen im Europaparlament, und dass es auch schnellstens die Interkontinental-Konferenz mit dem erwünschten Ergebnis gibt, damit wir auch 2009 eine Europawahl haben, wo unsere Bürger wissen, woran sie mit Europa sind.

Recht herzlichen Dank und alles Gute.