AL08CR22

AS (2008) CR 22

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2008

________________________

(3. Teil)

BERICHT

22. SITZUNG

Dienstag, 24. Juni 2008, 15.00 Uhr

SCHRIFTLICHE REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Doris BARNETT, Deutschland, SOC

(Dok. 11630)

Vielen Dank Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

zunächst einmal herzlichen Glückwunsch dem Berichterstatter für den unangefochtenen Bericht und die Entschließung. Herr Lemierre hat eben gut herausgearbeitet, dass die Region sehr gut dasteht und das ist sicherlich auch das Verdienst von ihm und seinen Mitarbeitern. Dafür nochmals herzlichen Dank.

Manche mögen deshalb der Auffassung sein, dass die Arbeit der EBRD deshalb ihrem Ende zugeht. Dieser Auffassung können wir uns aber nicht anschließen, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Türkei, die, wie er eben ausführte bisher nur als Anteilseigner tätig war, sich ebenfalls um die Aufnahme in die Liste der Einsatzländer der EBRD bewirbt. Das sagt ja auch vieles über die hohe Qualität der EBRD aus.

So, wie die Staaten, die mit Hilfe der EBRD den Übergang von der Plan- in die Marktwirtschaft organisieren, sich verändern und große Fortschritte erzielt haben, wird sich auch die Aufgabenstellung der EBRD wandeln und den neuen Bedürfnissen der Transformationsstaaten anpassen. Denn gerade jetzt, in einer Zeit, in der Energie zu einem zentralen Thema aller Länder wird, die Hilfe und der Rat der EBRD erst recht gefragt sein.

Gestern betrug der Rohölpreis über $ 130 pro Fass, was alle Volkswirtschaften massiv beeinträchtigt; am meisten aber ist unsere Bevölkerung betroffen, und zwar egal ob sie Auto fahren oder nur einen Kühlschrank betreiben. Gerade in den Übergangsgesellschaften führen ständig steigende Energiepreise zu einem Anstieg der Inflation und einer schleichenden Verarmung der Bevölkerung, was zu Destabilisierungstendenzen führen kann. Deshalb müssen alle erdenklichen Anstrengungen unternommen werden, Energie zu sparen bzw. effizient einzusetzen. Aber das kostet zunächst viel Geld.

Die Transformationsländer haben derzeit wahrscheinlich die einmalige Gelegenheit, eine energieeffiziente Modernisierung ihrer Gesellschaft, ihres Staates für ihre Menschen in Gang zu setzen, denn viele Firmen, die auf diesem Gebiet arbeiten haben ein großes Interesse, Produktionsstätten vor Ort aufzubauen. Solche Investitionen will die EBRD ermutigen durch Kofinanzierung bzw. durch den Erwerb von Kapitalbeteiligungen. Damit hat sie einen wesentlich breiteren Instrumentenkasten als die anderen bestehenden multilateralen Entwicklungsbanken. Das ist gerade für die von Risiken stark gekennzeichneten Übergangsgesellschaften von Bedeutung, die jetzt auch privates Engagement brauchen.

Sichere Energieversorgung bzw. ein berechenbarer niedriger Energieverbrauch in Zeiten exorbitanter Preissteigerungen wird Demokratiebestrebungen unterstützen können, wenn die öffentliche Hand in den Transformationsländern zusammen mit der EBRD sich hier um breite Bevölkerungsschichten kümmert, weil dadurch langfristig auch der eigene Staatshaushalt entlastet wird, weil die Leute eben nicht auf Sozialhilfe angewiesen sind wegen der hohen Energiepreise.

Und einen weiteren Punkt möchte ich aus dem ausgezeichneten Bericht und der Entschließung herausheben:

Die Förderung kleiner Unternehmen und Selbständiger.

Der Transformationsprozess bedeutet nämlich auch die Abkehr von wenigen großen Staatsunternehmen hin zur einer kleinen und mittelständischen Struktur, die wesentlich flexibler ist und den größten Fortschritt beim Übergangsprozess erzeugen kann. Aber gerade diese KMU brauchen eine gezielte Finanz- und Beratungsleistung, die allzu oft in den Transformationsländern nicht bzw. nicht in ausreichendem Maße vorhanden ist. Hinzu kommt häufig auch noch ein nicht ausreichendes qualifiziertes Arbeitnehmerangebot. Das würde aber bedeuten, dass Investitionen in hochwertige Produktionsgüter oder Dienstleistungen nur schwer in Gang kommen. Deshalb muss überlegt werden, ob nicht die EBRD hier auch einen neuen Weg beschreitet und zusammen mit den Unternehmen als Kofinanzierer verstärkt in Berufs-, Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen investiert – eine Investition, die sich sehr schnell bezahlt macht. Dies halte ich angesichts des nicht zu leugnenden „Brain Drains“ für eine unverzichtbare Notwendigkeit.

Bei der Förderung der KMU und der Selbständigen spielt die Förderung durch Mikrokredite eine zunehmend wichtige Rolle. Leider sind in den Transformationsstaaten allzu häufig nicht die Strukturen vorhanden. Hier könnte die EBRD ebenfalls als Berater und Netzwerk-Bauer helfen. In vielen Staaten der EU bestehen bereits gute Mikro-Finanzierungsmodelle bei öffentlichen und privaten Banken, aber auch private Gesellschaften haben sich gegründet, die hier hervorragende Arbeit leisten. Mit Hilfe der EBRD können die Akteure über Patenschaften miteinander neue Strukturen in den Förderländern aufbauen zum Nutzen der Wirtschaft und somit auch der Arbeitsplätze. Dafür würde sicherlich der neu zu schaffende Regionale Kooperationsrat Hilfestellung gerade für Südost-Europa geben können, weil die eben ausgeführten möglichen weiteren Tätigkeitsfelder der EBRD der Zusammenarbeit der Zivilgesellschaften und gesetzgeberische Gestaltung auf nationaler Ebene eben bedürfen.

Es gibt also nach wie vor viel zu tun für die EBRD und ich hoffe, dass wir durch ein gutes Abstimmungsergebnis, am Besten durch 100 % Zustimmung zur Entschließung und zum Bericht, diese Arbeit weiter unterstützen.

Maximilian Reimann, Schweiz, ALDE/ADLE

(Dok. 11630)

Die EBRD hat seit ihre Gründung im Jahre 1991 hervorragende Arbeit geleistet, insbesondere in der Ära des aktuellen, noch Präsidenten Herrn Jean Lemierre. Ich möchte das auch im Namen der liberal-demokratischen Gruppe besonders hervorheben. Der wirtschaftliche Transitionsprozess in den ehemaligen kommunistischen Staaten Mittel- und Osteuropas hat inzwischen weitgehend seine Ziele erreicht und dafür ist die Bank ja gegründet worden. Als Partner für den politischen Transitionsprozess zeichnet an vorderster Front bekanntlich unsere eigene Institution, der Europarat. Und auch wir dürfen uns etwas von den eben geschilderten Lorbeeren an den Hut stecken.

Aber wenn ein Haus fertig gebaut ist, dann stellt sich unweigerlich die Frage, was machen die Bauleute, die Handwerker, die Kreditgeber danach? Um diese Frage geht es mir bei den folgenden Ausführungen primär.

Herr Martins verlangt in seinem, an sich sehr guten, Bericht „ein fortwährendes intensives Engagement der EBRD“. Da bin ich doch etwas zurückhaltender. Wenn ein gutes, ein hervorragendes Werk einmal vollendet ist, dann ist es vollendet. Ich denke, das dürfte im vorliegenden Fall in etwa 10, 12, 15 Jahren der Fall sein.

Nun schickt sich die EBRD allerdings an, ihre Aktivitäten, angesichts des abnehmenden Geschäftsvolumens in Europa, nach Zentralasien zu verlegen. Soll sie das überhaupt, und falls ja, im Alleingang oder mit anderen Partnern gemeinsam?

Das ist für mich die entscheidende Frage, und darüber wird heute bereits nachgedacht und diskutiert; teilweise von unseren Regierungen und Parlamenten zu Hause, aber auch vom Europarat hier in Straßburg, mit dem die EBRD ja in einem freundschaftlichen und traditionell engen Dialog steht. Auch der Europarat darf sich dieser Frage nicht grundsätzlich verschließen. Ich sage das insbesondere auch an die Adresse meiner, sehr geschätzten, Kollegin Barnett.

Ich meine, und ich habe diesen Antrag bereits in unserer Wirtschaftskommission zur Diskussion gestellt, die EBRD sollte nach Erfüllung ihrer Kernaufgaben in Europa nicht einfach hingehen und neue Aktionsfelder außerhalb Europas im Alleingang erschließen. Vielmehr sollte sie taugliche Kooperations- und langfristig auch Fusionsmöglichkeiten prüfen. Das bringt Synergien und erspart Kosten, insbesondere im nicht eben bescheidenen Verwaltungsapparat. Ich sage das in bewusster Kenntnis der Tatsache, dass die luxuriöse Ära unter dem früheren Präsidenten Jacques Attali längst der Vergangenheit angehört! Aber vergessen sollen und dürfen wir nicht, wie damals am Sitz der EBRD leider recht verschwenderisch mit den anvertrauten Mitteln der Mitgliedsländer umgegangen wurde.

Aber back to the future und zurück zur Frage: Wer könnten denn auffällige Fusionspartner sein, wenn die EBRD langfristig ihre ursprünglichen Ziele erreicht hat? Die Antwort liegt auf der Hand, nämlich eine Institution, die bereits heute mit der EBRD kooperiert, so etwa falls die Hauptaktivität in Europa verbleibt, einschließlich oder hoffentlich der Türkei. Das könnten dann die Europäische Investitionsbank (EIB) sein oder auch, die Entwicklungsbank unseres eigenen Europarates, oder – wenn der Schwerpunkt effektiv nach Zentralasien verlegt werden sollte – die International Finance Corporation (IFC), ein Unternehmen der Weltbank-Gruppe mit zum Teil ähnlichen Aufgaben und Zielen wie die EBRD, aber ohne kontinentale Einschränkung.

Wir müssen ohne irgendwelche Scheuklappen, ohne Engstirnigkeit im eigenen Feld, an diese Zukunftsfrage der EBRD herangehen. Und dabei darf keine Alternative im Voraus zum Tabu erklärt werden, nicht einmal die Liquidation nach endgültiger Erfüllung ihrer Aufgaben.

Ich danke Ihnen.