AL08CR30

AS (2008) CR 30

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2008

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(4. Teil)

BERICHT

30. SITZUNG

Dienstag, 30. September 2008, 10.00 Uhr

SCHRIFTLICHE REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Andreas GROSS; Schweiz, SOC

(Doc. 11724)

Danke Herr Präsident,

Meine Damen und Herren,

Der Europarat ist vor 60 Jahren gegründet worden, um zumindest staatliche Gewalt zwischen Staaten aus Europa zu verbannen. Heute gilt das für ganz Europa, nicht nur für den privilegierten Teil von damals, und heute gilt es für Gewalt in jeglicher Form. Erstmals in der Geschichte des Europarates haben nun zwei Mitgliedsstaaten dieses Grundgebot seiner Existenz, seiner „Raison d’être“ gebrochen. Damit ist der Europarat im Mark getroffen. Nicht nur die Menschen, die den Bomben - teilweise der eigenen Staaten - zum Opfer fielen, sondern auch der Europarat ist damit ins Herz getroffen worden. Deshalb ist es ganz wichtig, dass wir sagen, worum es geht: Es geht nicht einfach um Konflikt, sondern um Krieg.

Eine klare Sprache ist die Voraussetzung zum richtigen Verständnis und die einzige Chance, aus diesem Verständnis heraus für die Zukunft die richtigen Konsequenzen zu ziehen. In diesem Sinn muss man deutlich machen, dass Konflikte zur Freiheit gehören wie das Amen in die Kirche. Aber aus Konflikten muss nicht Gewalt werden, wenn die Demokratie durch völkerrechtliche Abkommen bzw. Konventionen auch im zwischenstaatlichen Bereich funktioniert.

Es hat nicht funktioniert; die Gewalt ist wieder eskaliert. Es ist zum Krieg gekommen, obwohl wir seit 15 Jahren um den Konflikt wussten. Die Konfliktursache ist steinalt; sie ist sozusagen eine Stalinsche Erbschaft. Obwohl wir seit 16 oder 17 Jahren wussten, dass dort etwas schlummert konnten auch wir den Krieg nicht verhindern. Daher müssen wir unbedingt versuchen herauszufinden, was auch wir falsch gemacht haben.

Wir dürfen nicht nur mit dem Finger auf andere zeigen, sondern müssen uns dessen bewusst sein, dass dann gleichzeitig andere Finger auf uns selbst zeigen. Deshalb nützt es nichts, jemanden zu bestrafen, jemanden auszuschließen, denn wenn wir das tun, amputieren wir uns selbst des eigenen Mehrwerts, den wir als Institution für die Politik in Europa haben.

Wir müssen lernen und einen „Fahrplan“ aufstellen, der bei den Menschen anfängt, die am meisten gelitten haben: den einfachen Menschen in Nord- und Südossetien und in Georgien; den Russen, die nichts dafür konnten und ihr Leben verloren haben; Georgiern, die auch nichts dafür konnten, und denen ermöglicht werden muss, nach Hause zurückzukehren, wenn sie wollen, bzw. die durch den Winter gebracht werden müssen, wenn sie nicht zurückkehren können.

Wir müssen von diesen einfachsten Bedürfnissen bis hin zur großen Strategie endlich herausfinden, wie wir diese schlummernden Konflikte so lösen können, dass alle Beteiligten nicht das bekommen, was sie wollen, sondern etwas davon bekommen, damit sie mit dem Kompromiss einverstanden sein können.

Denn es gibt in der Nachbarschaft der Region genauso große Konflikte, z.B. in Nagorny-Karabach. Es könnte dort noch viel schlimmer kommen, wenn wir jetzt nicht die Gelegenheit nutzen, die Lehren aus diesem Krieg zu ziehen. Das ist unsere Verantwortung und ich hoffe, wir finden gemeinsam heraus, welche Lehre wir ziehen können, damit wir in Zukunft ein solches Infragestellen des Grundwesens des Europarates verhindern können.

Vielen Dank.

Guiorgui GABASHVILI, Georgien, EPP/CD / PPE/DC

(Doc. 11724)

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

Sehr geehrte Damen und Herren,

Diese dringende Debatte ist sehr wichtig für uns, da die Gefahr für die Souveränität unseres Landes noch nicht vorbei ist. Große Teile unseres Landes sind noch immer von Russland besetzt, und die Gefahr ethnischer Säuberungen in verschiedenen Gebieten besteht weiter. Die humanitäre Hilfe für Kriegsopfer und Flüchtlinge wird künstlich behindert. Das von der Europäischen Union erreichte Waffenstillstandsabkommen wird von russischer Seite wiederholt und andauernd gebrochen.

Gerade deswegen ist es sehr wichtig, dass die Beobachtermission der Europäischen Union möglichst schnell mit ihrer Tätigkeit beginnt. Aber nicht weniger wichtig ist es, dass die verschiedenen internationalen Institutionen weiterhin konkrete politische Forderungen an Russland richten, insbesondere der Europarat, dem Russland und Georgien angehören.

Wir müssen Russland klar sagen:

- Georgien ist ein souveränes Land und kein „Bereich der privilegierten Interessen“ eines seiner Nachbarländer, wie das der russische Präsident Medwedew meint.

- Die georgische Bevölkerung entscheidet durch demokratische Wahlen sowohl über ihre Regierung, als auch über die außenpolitische Richtung des Landes, und jede Einmischung ist gesetzwidrig.

- Die Theorie, Länder in Einflussbereiche einteilen zu können, ist schon im vergangenen Jahrhundert in sich zusammengebrochen.

- Es gibt keine Rechtfertigung für den Einmarsch eines großen Staates in das Gebiet eines kleinen Nachbarn, den Versuch der Grenzänderung und seine Annexion durch militärische Macht.

Der Grund für die massive, im Voraus geplante Militärintervention ist formal der Genozid am ossetischen Volk von georgischer Seite - eine empörende Lüge! Dieser Genozid wird von keiner internationalen Organisation oder Beobachtern bestätigt; die Berichte über tausende von Toten unter der friedlichen Bevölkerung erwiesen sich als falsch. Das bestätigen alle internationalen Organisationen, alle unabhängigen Berichte. Außerdem gab es keine einzige ethnische Auseinandersetzung auf dem restlichen Gebiet Georgiens, wo viel mehr Osseten leben als in der Konfliktregion selbst.

Was wir dagegen halten können, sind zahlreiche Beweise, darunter Satellitenaufnahmen, auf denen vollständig vernichtete georgische Dörfer in der Umgebung von Zkhinvali zu sehen sind. In Wirklichkeit sind es Georgier, die ethnischen Säuberungen zum Opfer fielen, und zwar nach der Unterzeichnung des Waffenstillstandsabkommens, also nachdem die russische Armee die Region de facto unter ihre absolute Kontrolle gebracht hatte.

Vor kurzem hat Georgien eindeutige Beweise veröffentlicht, die bestätigen, dass der massive Einmarsch in das souveräne Georgien mindestens 20 Stunden vor der Antwortreaktion Georgiens erfolgte. Diese Beweise können auch die Mitglieder dieser Versammlung auf Wunsch von uns erhalten. Wir alle wissen, dass der Krieg nicht am 7. August angefangen hat. Die ganze Woche davor wurden die unter georgischer Kontrolle befindlichen Dörfer aus schweren Artilleriekanonen beschossen. Es gab Tote und Verwundete. Alle Versuche der georgischen Regierung, dies friedlich zu beenden, scheiterten.

Georgien ist bereit, in jeder Hinsicht mit der internationalen Ermittlungskommission zusammenzuarbeiten, damit ein klares Lagebild erstellt werden kann. Wir sind bereit, alle Details zu untersuchen. Jedoch sollten wir alle zusammen auch Russland dazu anregen, die gleiche Bereitschaft zu zeigen.

Wir glauben, dass es die Aufgabe des Europarates ist, diesem Land deutlich zu machen, dass die kleineren Länder nie wieder nach den Interessensphären der Großmächte aufgeteilt werden dürfen, dass niemand es zulassen wird, die Grenzen souveräner Staaten zu ändern.

Es ist wichtig, mit aller Deutlichkeit von Russland Folgendes zu fordern:

- Den Abzug der Besatzungstruppen aus Georgien, einschließlich aus Abchasien und Südossetien;

- Die unilaterale gesetzwidrige Anerkennung der separatistischen Regime rückgängig zu machen, damit die Folgen der ethnischen Säuberungen nicht nachträglich legitimiert werden.

Wir in Europa sollten uns unbedingt an die wichtigste historische Erfahrung des 20. Jahrhunderts erinnern, die Winston Churchill exzellent formuliert hat: „Der Gaube, dass Sicherheit erworben wird, wenn wir die kleinen Staaten den großen Wölfen hinwerfen, ist eine fundamentale Täuschung“.

Vielen Dank.