AL09CR35      

AS (2009) CR 35
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2009

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(4. Teil)

BERICHT

35. SITZUNG

Freitag, 2. Oktober 2009, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

 

Marlene RUPPRECHT, Deutschland, SOC

(Dok. 12013)

Sehr geehrte Frau Präsidentin,

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

„Vergewaltigung von Frauen einschließlich der Vergewaltigung von Frauen in der Ehe“ heißt der Bericht, der heute der Parlamentarischen Versammlung zur Verabschiedung vorgelegt wird.

Nahezu alle gegenwärtigen Gesellschaften kennen einen Straftatbestand der Vergewaltigung. Sie ächten diese als eine der schwersten Straftaten.

Wenn das so ist, warum reden wir dann heute darüber? Ist es notwendig, dies zum Thema zu machen?

Ich will Ihnen einige Zitate aus der Presse der letzten Tage vortragen:

"Mein Blutdruck steigt", schäumte in der gestrigen Ausgabe der "Los Angeles Times" der renommierte Kolumnist Steve Lopez. Er zitierte aus den Akten des Strafgerichtshofs, der den Fall damals verhandelte, aber durch Flucht des Angeklagten (und Verurteilten) niemals abschloss. Dort wird die 13-Jährige gefragt: "Hast du dich gewehrt?" - "Ein bisschen", sagt das Mädchen, "aber nicht richtig, weil..." - "Warum nicht?" - "Weil ich Angst vor ihm hatte."

"Jetzt hätte ich gern die berühmten Rechtsgelehrten Harvey Weinstein und Debra Winger hier, um mit ihnen über den Fall zu reden", höhnt Lopez über zwei der frühesten Polanski-Unterstützer, den Kinoproduzenten und die Schauspielerin, die in Zürich dem dortigen Filmfestival vorstand und Polanski am Wochenende einen Preis überreichen wollte.

Ein Zitat aus der "Los Angeles Times".

Im Frühstücksfernsehen vernahm am gleichen Tag der Moderator Matt Lauer die Schwägerin des einstigen Kino-Wunderkinds zum Thema: Debra Tate, Schwester von Polanskis 1969 ermordeter Ehefrau Sharon. Sie beteuerte, der Geschlechtsakt sei "mit Einverständnis" geschehen. "Es gibt Vergewaltigung, und es gibt Vergewaltigung", bemühte auch sie sich um Spitzfindigkeiten, die zu erkennen nur wenigen vergönnt ist. Sex mit dieser Frau - der 13-Jährigen also - falle in erstere (oder letztere?) Kategorie. "Ich verstehe", rief eifrig der Moderator.

Ich glaube, die wenigen Zitate machen deutlich, dass es dringend notwendig ist, dass wir uns darüber unterhalten und nicht nur darüber unterhalten, sondern dass wir das Thema in den Mittelpunkt von Gesellschaften stellen, die den Anspruch erheben, humane, rechtsstaatliche Gesellschaften zu sein, und deshalb werden wir heute den Bericht so vorlegen.

Er ist dringend notwendig, weil erstens keineswegs eine einheitliche Definition von Vergewaltigung in unseren Gesellschaften vorausgesetzt werden kann. Zweitens, weil wir keineswegs von einer Gesellschaft ausgehen, die eine solche Tat unabhängig vom Täter oder vom Opfer sieht. Ein Polanski wird mit Glacéhandschuhen angefasst, wenn ein Staat wie die Schweiz das vollzieht, was längst überfällig ist. Er wird in der Öffentlichkeit vorsichtig behandelt. Wäre dieser Täter ein no name, würde man anders damit umgehen.

Wenn das Opfer die Tochter eines bekannten Menschen ist, dann wird man auch anders damit umgehen, als wenn es ein unbekanntes Mädchen ist, das sich vielleicht sogar noch geschmeichelt fühlte, dass so ein berühmter Regisseur es so toll fand, dass er es fotografieren wollte. Wir legen unterschiedliche Wertmaßstäbe an.

Der Bericht ist drittens auch deshalb wichtig, weil wir nach wie vor in der Rechtssetzung und in der Rechtsprechung im Gebiet es Europarates unterschiedliche Rahmen vorfinden. Diese sind dringend anzuschauen, wenn wir unseren Bericht lesen und seine Forderungen umsetzen wollen.

Viertens müssen wir uns den Bericht anschauen und feststellen, dass Prävention sich auf Selbsthilfegruppen und aktive Frauengruppen beschränkt, es aber keineswegs als öffentliche Aufgabe verstanden wird, Vergewaltigungen präventiv entgegenzuwirken.

Fünftens, weil Opfer- und Zeugenschutz in den Mitgliedsstaaten des Europarates nur rudimentär vorhanden sind. Das heißt, wir finden zum Teil Notrufe, zum Teil Selbsthilfegruppen, die aber – verglichen mit der weltweiten Finanzkrise – in den Staaten des Europarates die ersten sind, die mit Einschnitten in ihre finanzielle Ausstattung rechnen müssen, die gravierend darunter leiden, dass kein Geld mehr da ist.

Genau aus diesem Grund diskutieren wir heute das Thema. Dabei will ich will auf einige Punkte eingehen.

Zu meinem ersten Punkt über die Definition möchte ich sagen, dass in den meisten Staaten erst seit diesem Jahrtausend Vergewaltigung in der Ehe als Vergewaltigung definiert und rechtlich so gesehen wird. Bisher war der Geschlechtsakt, auch unter Zwang, die eheliche Pflicht; höchstens eine minderschwere Straftat, wenn denn Verletzungen nachgewiesen wurden. Das hat sich in vielen Staaten inzwischen geändert: Vergewaltigung in der Ehe ist ein Offizialdelikt, das heißt es wird verfolgt, ohne dass das Opfer Strafanzeige stellen muss.

Zweitens werden über die Vergewaltigung nach wie vor – wie auch im Fall Polanski – sehr viele Mythen verbreitet: Es war doch die Einwilligung vorhanden, es liegt zum Teil am Opfer, dass Übergriffe stattfanden, dass Gewalt angewandt wurde. Hätte die Frau nicht so einen kurzen Rock getragen, hätte die Frau keine Avancen gemacht, hätte der Täter doch nicht so weit gehen können.

Eine Frau steigt mit einem Täter nach einem Fest ins Auto und fährt nach Hause, vielleicht kommt es auch zu Zärtlichkeiten – aber genau an dem Punkt, an dem es eben mehr werden soll, sagt die Frau nein, und das kann der Täter nicht akzeptieren. Auch das wird dem Opfer und nicht dem Täter als Schuld angerechnet. Auch das ist ein Mythos; die Frau hat ja gewollt, hat aber nur Angst gehabt, den letzten Schritt zu vollziehen. Auch damit müssen wir in diesem Bericht aufräumen, damit alles den Tatsachen entspricht.

Ein weiterer weit verbreiteter Mythos ist, dass die Täter alle unbekannt sind, der „Mann hinter dem Baum“. Es ist jedoch leider so, dass es sich – laut der deutschen Statistik – bei 98,8% Prozent der angezeigten Täter um Männer aus dem Umkreis der Frau handelt, d.h. aus dem Familienumfeld, dem Bekanntenkreis. Es sind Bekannte gewesen, die die Grenzen zur Gewalttat überschritten haben.

Als letztes möchte ich in diesem Zusammenhang anführen (und ich habe extra auch in Urteilen noch einmal nachgeschaut), dass man der Frau eine Mitschuld gibt, wenn sie sich nicht massiv gewehrt hat: Voraussetzung dafür, dass die Tat als Vergewaltigung und nicht nur als sexuelle Nötigung angesehen wird, ist in vielen Strafprozessen immer noch, dass sich die Frau körperlich deutlich gewehrt hat.

Auch damit muss man meines Erachtens endlich aufräumen. Ich halte es für zynisch und fatal, dem Opfer zur Last zu legen, dass es total gelähmt und zur Gegenwehr nicht mehr in der Lage ist, dass auch kein Schreien mehr möglich ist.

Es gibt auch Männer und Jungen, die vergewaltigt werden, das möchte ich nicht negieren. Die Opferzahl ist aber überwiegend weiblich. Meine letzte Bitte an die Herren hier ist, aufbauend auf meiner 25-jährigen Erfahrung mit dieser Thematik, sich emotionell von den Tätern zu distanzieren.

Ich bitte Sie darum – und das ist für Sie vielleicht ein Affront -, weil die Solidarisierung mit Tätern aus dem Bekanntenkreis oder in der Ehe unbewusst sehr schnell da ist, während die Distanzierung bei diesem nicht so klar getrennten „Mann hinterm Busch, der eine Frau überfällt“ leichter fällt.

Ich denke, dass die meisten Männer, die keineswegs gewalttätig sind, sich mit den Frauen und den Opfern solidarisieren und das auch deutlich zum Ausdruck bringen müssen. Damit es nicht so aussieht, als handele es sich um „ein paar Frauen, die nichts anderes können, als über Frauenthemen zu reden“. Nein, es ist ein Männerthema, und Männer müssen sich damit auseinandersetzen, dass es aus ihren Reihen Leute gibt, die Grenzen überschreiten und permanent die Integrität von Frauen so tief verletzen, dass sie ihr Leben lang traumatisiert sind.

Das ist mein Wunsch an Sie. Die Anwesenden hoffe ich als Multiplikatoren in Ihren Staaten und in diesem Gremium vorzufinden.


Danke.

Doris STUMP, Schweiz, SOC

(Dok. 12013)

Frau Präsidentin,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die sozialistische Gruppe begrüßt den Bericht von Frau Rupprecht und bedankt sich für die umfassende Arbeit, die in diesem Bericht geleistet wurde.

Eine der Forderungen der Frauenbewegung des 20. Jahrhunderts ist die nach der konsequenten Verurteilung von Vergewaltigungen.

Vor rund 25 Jahren wurden Anzeigen wegen Vergewaltigung von der Polizei kaum ernst genommen. Verurteilungen waren selten, die Verantwortung für eine Vergewaltigung wurde den Frauen zugeschoben, und Statistiken über Anzeigen und Anklagen gab es kaum bzw. keine.

Als wir in meiner Region in der Schweiz uns vor beinahe 30 Jahren bei der Polizei erkundigen wollten, wie viele Anzeigen wegen Vergewaltigung gemacht worden waren, antwortete ein Polizist: „meinen Sie Vergewohltätigung?“

Vieles hat sich seither verändert. Zum Glück

Der vorliegende Bericht von Frau Rupprecht stellt in knapper Form, aber präzise und umfassend dar, was unternommen werden muss, um die nach wie vor häufigen Vergewaltigungen zu bekämpfen. Ich möchte nur auf zwei Punkte eingehen:

1. Vergewaltigung als Offizialdelikt

Vergewaltigung muss ein Offizialdelikt sein, damit niemand sagen kann: „Ich habe es zwar gewusst, aber ich konnte nicht tun.“ Vergewaltigungen müssen angezeigt, ernst genommen und verfolgt werden, insbesondere auch Vergewaltigung in der Ehe.

In der Schweiz wurde Vergewaltigung in der Ehe nach harten Diskussionen, ob der Staat in die Ehe eingreifen soll, tatsächlich für strafbar erklärt. Aber auch verheiratete Frauen haben das Recht, selber zu entscheiden, wann und welche Form von Sexualleben sie mit ihrem Partner pflegen wollen.

2. Prävention

Leider genügt es nicht, allein rechtliche Grundlagen zu schaffen. Wie in vielen anderen Bereichen auch müssen wir Prävention betreiben, damit solche Vergehen nicht mehr vorkommen. Die Präventionsarbeit muss intensiviert werden.

Einerseits müssen Mädchen und Frauen genau wissen, welche Rechte sie haben, und dass sie frei sind, sexuelle Kontakte zu verweigern. Andererseits müssen Knaben und Männer lernen, dass der Wille von Mädchen und Frauen zu respektieren ist. Sie haben Verantwortung für die Minderjährigen, nicht umgekehrt; die Minderjährigen sind nicht verantwortlich dafür, dass ein Mann sie vielleicht verführt hat.

Prävention bedeutet, dass auch in der Werbung und in den Medien die Gleichwertigkeit von Frauen und Männern dargestellt und gefordert werden muss. Wenn wir ständig konfrontiert werden mit Bildern von sexuell verführenden Frauen und Männern, die zupacken wollen und können, dann wird ein falsches Bild vermittelt,

Die ganze Gesellschaft muss mit allen Mitteln dafür sorgen, dass Vergewaltigungen konsequent bekämpft werden. D.h.: Medien, Polizei und Gerichte müssen ihre Verantwortung wahrnehmen und Vergewaltiger nicht verstehen und verniedlichen, sondern sie verurteilen und das Urteil auch vollziehen.

Deshalb kann ich als Schweizerin mit gutem Gewissen sagen, dass den schweizerischen Behörden nicht vorzuwerfen ist, dass Polanski verhaftet wurde, sondern dass es so lange gedauert hat, bis er verhaftet wurde, denn das Urteil und das Wissen um den Aufenthalt Polanskis in der Schweiz waren schon lange vorhanden.

Ich bitte Sie also im Namen der sozialistischen Gruppe, diesen Bericht vorbehaltlos zu unterstützen.

Danke.

Marlene RUPPRECHT, Deutschland, SOC

(Dok. 12013, Antwort)

Vielen Dank, Frau Präsidentin!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Ich freue mich sehr über die einhellige Meinung in dieser Versammlung, dass wir Vergewaltigung, auch in der Ehe, als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzusehen haben. Danke dafür, dass dies so klar zum Ausdruck gekommen ist!

Es wurde aber auch deutlich, dass wir in den verschiedenen Ländern unterschiedliche rechtliche Bedingungen vorfinden, und dass bei der Ermittlung, sowie beim Opferschutz und bei der Prävention, in allen Staaten Defizite bestehen – im einen Land mehr, im anderen weniger.

Ich glaube, da müssen wir ansetzen. Als allererstes müssen wir erreichen, dass in allen Staaten Vergewaltigung als Offizialdelikt ins Strafgesetzbuch kommt und auch so behandelt wird. Dies halte ich als ein Kriterium für die Mitgliedschaft im Europarat für unabdingbar.

Ich freue mich, wenn Schritte in diese Richtung getan werden; in der Türkei wurde zu Beginn des Jahrhunderts Vergewaltigung in der Ehe strafbar gemacht. Zwar nicht als Offizialdelikt, aber immerhin ist man dort schon diesen Schritt gegangen. Wenn wir ihn auch in anderen Staaten als Zwischenschritt begreifen, ist das meines Erachtens die richtige Richtung. Ich glaube jedoch, dass wir Ende des Jahrzehnts in allen Mitgliedsstaaten dieses Offizialdelikt brauchen.

Ich fand sehr gut, dass auch der eine Kollege aus der Ukraine deutlich gemacht hat, dass es vor allem für Männer viel mit Vorbild zu tun hat, wie sie mit Frauen und Mädchen umgehen und wie sie darüber reden, wie sie sie mit Gewalt konfrontieren. Es wurde auch deutlich, dass Frauen lernen müssen, ganz eindeutig und klar zu sagen: Es hat niemand das Recht, meine Integrität zu zerstören und mich ein Leben lang so zu handeln.

Weil wir auch nach dem, was die Kolleginnen hier sagten, glauben, dass noch viel nachzuholen ist, haben wir eine Entschließung vorgelegt und möchten, dass sie auch so verabschiedet wird: Alle Staaten sollen dazu aufgefordert werden, zu handeln. Zu der Entschließung gehört auch die Aufforderung an die Parlamentarische Versammlung bzw. den Ministerrat, in die Konvention zum Schutz der Frauen vor Gewalt auch das Thema der Vergewaltigung mit aufzunehmen, denn dies ist eine der schlimmsten Formen von Gewalt.

Wenn wir dies heute so verabschieden, ist es ein Signal für die Menschenrechte, die unser Gremium als zentrales Element unserer Versammlung versteht, eine Botschaft, die wir von hier heraustragen müssen.

Danke schön.