AL10CR4ADD01       AS (2010) CR 04

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2010

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(1. Teil)

BERICHT

4. SITZUNG

Dienstag, 26. Januar 2010, 15.00 Uhr

NICHT MÜNDLICH GEHALTENE

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Mustafa ÜNAL, Türkei, EPP/CD / PPE/DC

Dok. 12112

Sehr geehrter Herr Präsident,

Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Den beiden Herren Berichterstattern Sasi und çavuşoğlu gratuliere und danke ich für diesen hervorragenden Bericht. Er stellt uns vor wichtige und richtige Feststellungen in einer entscheidenden Phase der im Oktober in diesem Lande stattfindenden Wahlen.

Die allgemeine Sicherheitslage in Bosnien-Herzegowina ist ruhig. Die politische Krise im Lande ist trotzdem ernst. Dies ist als eine potentielle Bedrohung der Stabilität des gesamten Balkans und im weitesten Sinne auch Europas zu bewerten und deshalb ein Zustand, der ständig aus der Nähe zu beobachten ist.

Die Bemühungen bezüglich der Verfassungsreformen trugen bisher leider keine hoffnungsvollen Früchte. Der Butmir-Prozess, der aufgrund der Initiative von USA und EU durchgeführt wurde, erhielt nicht die Unterstützung von allen Parteien im Lande und konnte keine konkreten Ergebnisse mit sich bringen. Der mit dem gleichen Zweck begonnene innerstaatliche Prud-Prozess ist ebenfalls ohne Erfolg geblieben.

Die Hürden zwischen staatlichen Organen verhindern die Erfüllung der Verpflichtungen von Bosnien-Herzegowina, die das Land bei seiner Aufnahme in den Europarat übernommen hatte. Es ist aufgrund der umfassenden nötigen Verfassungsänderungen und der in kurzer Zeit stattfindenden Wahlen zu empfehlen, einen konstruktiven Dialog voranzutreiben.

Der Ausschluss dieses Landes aus der EU-Visafreiheit sowie die Vertagung seiner Aufnahme in den NATO-MAP (Membership Activity Plan) hat die Landesbürger schwer enttäuscht. Die dadurch entstandene Atmosphäre scheint ein großes Hindernis für die Reformbemühungen zu sein.

Bosnien-Herzegowina ist, wie Herr Valentin Inzko betont, bei seinem Wege zu einer Verfassungsreform und auf dem Wege zu Unabhängigkeit und Stabilität stark zu unterstützen. Ein Misserfolg auf diesen Gebieten wird nicht nur dem Ansehen der internationalen Institutionen schaden, sondern auch das Zusammenfinden dieses Landes mit europäischen und atlantischen Strukturen negativ beeinflussen und zu ernsthafter Instabilität führen. In diesem Sinne ist es von größter Bedeutung, die im Bericht vorgeschlagene Einberufung einer internationalen Konferenz sowie die Schaffung einer Diskussionsrunde mit einer breiten Beteiligung zu unterstützen.

Europa soll ein Sicherheitssystem sein oder haben, in dem kein Land aus der Bahn geraten kann.

Wir sollten uns alle darauf konzentrieren, zur Schaffung eines dauerhaften Friedens und dauerhafter Stabilität auf dem Balkan beizutragen. Die von meinem Lande, der Türkei, ins Leben gerufenen Beratungsmechanismen zwischen Bosnien-Herzegowina und Serbien einerseits und Bosnien-Herzegowina und Kroatien andererseits sind zu diesem Zwecke geschaffen worden. Wir glauben daran, dass die Probleme des Balkans nur durch die Stärkung des regionalen Bewusstseins und eine umfassende Annäherung zu überwinden sind.

Danke schön.

Mirjana FERIĆ-VAC, Kroatien, SOC

Dok. 12112

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,

meine Damen und Herren,

Kolleginnen und Kollegen!

Erlauben Sie mir zunächst, den Berichterstattern meinen Dank auszusprechen für die lange und detaillierte Arbeit, die sie geleistet haben.

Bosnien-Herzegowina ist seit langer Zeit im Fokus meines politischen Interesses in Südosteuropa. Einerseits, weil dieses Land lange ein Symbol für ein Miteinander der Menschen verschiedener Religionen, Sprachen und Völker war, und andererseits, weil im Krieg und danach in diesem Land unvorstellbares Unrecht geschehen ist und diesem Land zugefügt wurde. Dies verpflichtet letztendlich alle politischen Entscheidungsgremien zum Engagement.

Ich bin fest davon überzeugt, dass ein Unrecht nicht mit neuem Unrecht aufgewogen werden darf.

Außerdem verpflichtet die Verfassung der Republik Kroatien den Staat, sich um außerhalb des Landes lebende Kroaten zu kümmern, sodass in dieser Hinsicht auch immer von Bedeutung ist, wie mit dem Status der Kroaten umgegangen wird. Kroaten in Bosnien-Herzegowina sind ein konstitutives Volk und es ist meine politische Ausgangsposition, dies immer zu betonen und meine Einstellung zu den Politiken in und um Bosnien-Herzegowina in diesem Lichte zu sehen.

In dieser Debatte möchte ich nicht darauf eingehen, wie Regierungen aus den Nachbarstaaten in der unmittelbaren Vergangenheit damit umgegangen sind.

Aus diesem Bericht wird auch ersichtlich, dass Bosnien-Herzegowina auch jetzt als Exerzierplatz für viele Vermittler, nicht nur aus den Nachbarstaaten, dient.

Wir wissen alle, dass mit dem Friedensabkommen von Dayton der Krieg und das Töten beendet waren, dass aber ein aus dem Friedensabkommen entstandener Staat ein unvollständiger und nicht abgeschlossener sein würde, der selbst einen starken und umfassenden Reformkurs anstreben musste, was nicht im notwendigen Umfang geschehen ist.

Die letzte Episode der Butmir-Initiative im Herbst wurde, mit der Ausnahme der SDA-Partei, für die reinste Kosmetik gehalten, obgleich diese Initiative bekanntlich von den Vereinigten Staaten und der EU ausging, die weiterhin sehr daran interessiert sind, die beteiligten Parteien zur nächsten Gesprächsrunde zu bewegen.

Die Parlamentswahlen sind für Oktober 2010 zu erwarten, und schon jetzt erklären Parteisprecher, die Zeit für Reformen sei zu kurz, obgleich klar ist, dass die Voraussetzungen für die Gleichstellung der Kandidatinnen und Kandidaten nur durch eine Verfassungsänderung gesichert werden kann. Ohne umfangreiche Reformen wird es keinen funktionalen europäischen Staat geben.

Dieser Bericht zeigt aber auch, dass seitens der internationalen Gemeinschaft wenig unternommen worden ist, um Frauengruppen, unabhängige Fachverbände und Gewerkschaften, mit einem Wort Nichtregierungsorganisationen, in die Prozesse einzubeziehen.

Wir dürfen nicht alles den nationalen/nationalistischen/populistischen Parteien überlassen, die die verzweifelten Bürgerinnen und Bürger zu ihren Schutzpatronen und Vertretern wählen. Die Menschen verdienen es, gehört zu werden, in einem offenen Dialog, der Vertrauen schafft in die eigenen Fähigkeiten, den Staat funktionsfähig zu machen.

Die Verfassungsreform soll noch im Frühjahr beschlossen werden, aber sie kann nicht von außen hineingetragen werden, sondern muss eine einheimische „Koproduktion“ sein.

Ich möchte jedoch den politischen Machthabern in Bosnien-Herzegowina in diesem Hause, wie ich es auch außerhalb tue, gesagt haben, dass die Lösungen für Bosnien-Herzegowina nicht in den Hauptstädten im Ausland gesucht werden können, sondern in der Hauptstadt Sarajewo gefunden werden müssen.

Außerhalb des Landes bekommt man oft Märchen zu hören, oder dichtet sie sich selbst – schon Bertolt Brecht hat gesagt: „…lies keine Oden, mein Sohn, lies Fahrpläne, sie sind genauer.“

Abschließend möchte ich sagen, dass man über Bosnien singen, reden oder literarische Werke verfassen kann; das Einzige, was man den Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes nicht antun darf, ist, aufzugeben.

Ich danke Herrn Sasi und dem Ausschuss.