AL11CR19       AS (2011) CR 19

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

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(3. Teil)

BERICHT

19. SITZUNG

Montag, 20. Juni 2011, 11.30 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Dok. 12642 Teil I + Addendum + Teil II und Dok. 12643)

Herr Vorsitzender,

Meine Damen und Herren,

Ich finde, dass wir nicht über die letzten 3 Monate sprechen können, ohne dabei darauf einzugehen, dass heute in ganz vielen Ländern die Menschen ihr Vertrauen in die Demokratie verlieren.

Am deutlichsten zeigt sich das in Spanien, in Griechenland, teilweise in Italien und in Portugal. Die Menschen protestieren und verlangen eine bessere Demokratie, die in der Lage ist, auf ihr tägliches Leben Einfluss zu nehmen.

Eine Generation von Spaniern fühlt sich heute als Opfer einer Krise, für die sie keine Verantwortung hat, für die sie aber mit 50% Arbeitslosigkeit die Folgen trägt.

Ich erinnere daran, dass wir hier vor einem Jahr in einem Bericht über die Situation der Demokratie hervorgehoben haben, dass wir heute mit der Demokratie in einer doppelten Krise stecken, weil einerseits der Nationalstaat für die Ökonomie zu klein ist und andererseits die Gesetze oft so sind, dass die Menschen nur die Wahl zwischen zwei großen Parteien haben.

Der Präsident hat das in seiner Einführung angesprochen, und wir werden darauf zurückkommen, denn wir müssen uns in Zukunft mit einem anständigen, korrekten, tiefschürfenden Bericht damit auseinandersetzen.

Ich möchte im Namen der Sozialdemokraten einen zweiten Punkt ansprechen – mein Dank geht an Herrn Lipinski und Herrn Gardetto: Die Situation in Mazedonien muss uns beschäftigen. Nicht weil die Wahlen nicht korrekt abgelaufen wären, sondern weil wir mit einem kleinen Staat konfrontiert sind, der auseinanderfällt. Herr Gardetto hat es schön gesagt: „Wir haben Wahlen erlebt, die ausgesehen haben wie zwei Wahlen gleichzeitig in zwei verschiedenen Nationen eines einzigen Landes.“

Es gibt zum Einen kaum mehr und noch viel weniger als vorher Parteien, die den transethnischen Dialog suchen, die mehr als nur eine Gemeinschaft ansprechen.

Das Zweite ist, dass die Koalition, die sich zusammenfindet, eine mathematische Logik hat: Nur die Gewinner der jeweiligen Ethnien machen zusammen eine Regierung. In Bezug auf einen gemeinsamen politischen Entwurf heißt das nichts, denn die politische Logik ist anders als die mathematisch-ethnische Logik.

Im Post-Monitoring-Prozess sollten wir dieser Tatsache mehr Beachtung schenken. Es heißt, der interkulturelle Dialog müsse gestärkt werden, aber wenn die Nation wirklich zusammenwachsen will und zusammenkommen soll, was wirklich zusammengehört, dann muss auch die Ethnizität der Parteien überwunden werden.

Der zweite Aspekt, der in Mazedonien deutlich wurde, ist die Spaltung in Bezug auf die Lage und in Bezug auf den öffentlichen Sektor.

Wer im öffentlichen Sektor einen Posten bekommt, hängt nicht von der Qualifikation des Kandidaten ab, sondern davon, welche Partei gewonnen hat. Es gibt demnach Menschen, die vom Wahlsieg abhängig sind, weil sie den Eindruck haben, dass sie ihre Stelle verlieren, wenn die andere Partei gewinnt.

Das ist schlecht für die Demokratie, denn diese darf nicht die Ursache für die Existenz öffentlicher Beamter sein. Es ist auch sehr schlecht für die Qualität des öffentlichen Dienstes, denn dieser gleicht dann einer Parteiadministration und nicht einem öffentlichen Dienst, bei dem das Allgemeinwohl im Vordergrund stehen soll, nicht die Sonderinteressen einer Partei.

Wenn wir Mazedonien wirklich einen Dienst erweisen wollen, müssen wir diese beiden Punkte betonen, denn sie könnten zu großen Konflikten führen. Es ist unsere Aufgabe, solche Konflikte zu verhindern, anstatt einfach nachher zu lamentieren.

Vielen Dank.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 12642 Teil I + Addendum + Teil II und Dok. 12643)

Vielen Dank, Herr Präsident!

Ich möchte daran anknöpfen, was Herr Gross gesagt hat, nämlich, dass wir eine doppelte Krise der Demokratie haben. In Spanien gibt es eine Bewegung, die auch Resonanz in anderen europäischen Ländern findet.

Damit haben wir aufgrund einer Repräsentanzkrise der Demokratie nicht nur in der Nachbarschaft der Europarats-Mitgliedsländer eine Demokratiebewegung, sondern auch in Ländern des Europarates selbst. Ich möchte ausdrücklich unterstützen, dass wir uns intensiver mit diesem Prozess auseinandersetzen und entsprechend einen Bericht erstellen.

Einige Anmerkungen zur Wahl in der Türkei: Wenn man die Wahlbeteiligung als Maßstab nimmt, kann man sicherlich nicht von einer Krise der Demokratie in der Türkei sprechen; dort gab es eine sehr engagierte und lebendige Wahlbeteiligung von weit über 80%! Ich konnte mich selbst davon überzeugen, dass die Wahllokale bereits kurz nach der Eröffnung um 7 Uhr morgens sehr voll waren.

Allerdings war auch eine Reihe von Problemen festzustellen. Ein nach wie vor zentrales Problem ist die 10-Prozent-Hürde. Ebenfalls zu nennen sind die zahlreichen Verhaftungen im Vorfeld der Wahl.

Besonders hervorheben möchte ich folgenden Punkt: Ich bin zusammen mit einer französischen Kollegin nach Van in den Südosten der Türkei geflogen, in die kurdischen Gebiete. Von dort fuhren wir nach Diabakir. In fast allen Wahllokalen, die wir besuchten, waren bewaffnete Sicherheitskräfte zu sehen, Polizei, und Militär. Dies macht uns doch sehr große Sorgen. Meines Erachtens müssen wir das auch in dem Bericht aufarbeiten.

In der Wahl in der Türkei konnten auch die 36 unabhängigen kurdischen Kandidaten einen Erfolg verzeichnen, die sich zu einer Fraktion bilden. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir vielleicht zum ersten Mal hier in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates auch einen Vertreter aus dieser Region hätten, denn das würde meiner Meinung dem Prozess der Demokratisierung der Türkei sehr förderlich sein.

Auch in Moldawien haben Wahlen stattgefunden, Kommunalwahlen. Auch dort glaube ich, dass es Probleme mit den Listen gegeben hat. Auch dies erfüllt uns in der Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken mit Sorge. Wir werden es weiter beobachten.

Vielen Dank.