AL11CR21       AS (2011) CR 21

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

________________________

(3. Teil)

BERICHT

21. SITZUNG

Dienstag, 21. Juni 2011, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Fritz Neugebauer, Österreich, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 12625)

Frau Präsidentin,

Meine geschätzten Damen und Herren!

Im Namen der Europäischen Volkspartei bedanke ich mich herzlich bei Luca Volontè und allen, die zum Zustandekommen dieser realistischen Expertise beigetragen haben. Diese versetzt uns heute in die Lage, Marokko den Status einer Demokratie-Partnerschaft zu verleihen.

Ich halte dies politisch deswegen für besonders wichtig, weil in vielen anderen arabischen Ländern des Mittelmeeres der Weg zur Demokratie, zur Teilhabe insbesondere der jungen Menschen an politischen Prozessen wesentlich schmerzlicher und mit vielen Toten vor sich geht.

Vielleicht haben Sie heute früh in den Nachrichten gehört, wie hoffnungsvoll die Menschen in Syrien die Rede des Ministerpräsidenten Assad erwartet haben und wie bitter sie enttäuscht wurden, weil er die Demonstranten, die für Frieden, Freiheit und Demokratie kämpfen, als Gauner und Vagabunden bezeichnet hat und das bestehende System zementieren wollte.

In Marokko läuft es Gott sei Dank ganz anders. Ich bin sehr froh, dass die Initiative in Marokko gerade von dem marokkanischen Parlament und seinen beiden Kammern ausgegangen ist, deren Repräsentanten ich hier sehr herzlich begrüße. Sie können sich auf etablierte politische Institutionen stützen und auf einen politischen Pluralismus zurückgreifen.

Aber Hand aufs Herz: Auch die Veränderungen in Marokko sind nicht möglich geworden, ohne dass die Menschen auf die Straße gegangen sind. Vor wenigen Tagen, am 17. Juni, hat König Mohammed sein Programm vorgestellt und nächste Woche, am 1., Juli wird das Referendum über die neue Verfassung stattfinden.

Schwerpunkte wie die Gewaltenteilung, die Verankerung der Menschenrechte in der Verfassung, die Einführung eines Verfassungsgerichtshofes, die aufgewertete Funktion des Premierministers und die Rolle des Parlamentes als einziges gesetzgebendes Organ sind nur wenige Meilensteine.

Dennoch bleibt nach diesen positiven Schritten viel zu tun, wobei die Wahrung der Bürgerrechte ein oberstes Ziel ist. Vor allem in der praktischen Politik muss gehandelt werden: Arbeit für die jungen Menschen zu schaffen, ihnen Perspektiven zu geben, soziale Gerechtigkeit, die endgültige Abschaffung der Todesstrafe, die Lösung der Frage Westsahara auf der Grundlage der Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, sowie in der Politik die Beendigung des Machtmissbrauches und permanenter Kampf gegen Korruption.

Die Europäische Volkspartei hier im Europarat begleitet diesen Entwicklungsprozess nicht nur mit Sympathie, sondern – ich denke, so wie die gesamte Versammlung auch – mit einer praktischen Hilfe: Es gilt, das Know-how des Europarates zur Verfügung zu stellen, damit zum Wohl der Menschen in Marokko diese Partnerschaft auch mit Leben gefüllt werden kann.

Herzlichen Dank.

Andreas Gross, Schweiz, SOC

(Dok. 12625)

Danke, Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Ich denke, Marokko verdient diese Premiere, denn der König hat auf die rebellierende Jugend anders reagiert als die Machthaber an anderen Orten. Das müssen wir honorieren.

Auf der anderen Seite muss uns klar sein, was „Partnerschaft“ und „Demokratie“ heißen: Demokratie bedeutet, dass die Gewalt korrekt verteilt ist – eine feinere Verteilung der Macht. Und Partnerschaft bedeutet, dass wir offen miteinander reden und nicht damit hinter dem Berg halten, was wir zur besseren Verteilung der Macht für verbesserungsbedürftig halten.

In diesem Sinne möchte ich, ähnlich wie Herr Gardetto, unterstreichen, dass der Charakter einer Verfassung verfehlt wird, wenn man für die Diskussion einer neuen Verfassung nicht einmal einen ganzen Monat Zeit lässt, dann eine Verfassung ist ja eigentlich eine Vereinbarung der Bürger über die Verteilung der Macht und die die Organisation der Politik.

Auch muss in einer konstitutionellen Monarchie der König, je mehr Macht er für sich beansprucht, auch bereit sein, sich dem Dialog und der Kritik auszusetzen. Indem wir das heute mit dem König versuchen, stärken wir auch die Position des Parlamentes. Deshalb sollte auch das Parlament aus dieser Diskussion die Lehre ziehen, weiterhin den Dialog mit dem König zu suchen, auch über die wahrscheinlich am 1. Juli angenommene Verfassung hinaus.

Wenn es beispielsweise in der Verfassung heißt, der König sei nicht mehr „heilig“, aber er sei „unantastbar“, dann widerspricht das dem demokratischen Charakter auch einer konstitutionellen Monarchie. Denn in einer Demokratie gehört es zur Definition von Macht, dass sie antastbar ist, kritisiert und in Frage gestellt werden kann.

Zumal der König, wie Frau Durrieu auch erwähnt hat, immer noch beansprucht, oberster Befehlshaber der Armee zu sein, gleichzeitig aber auch, der oberste Befehlshaber der Religion! Diesen Widerspruch können wir in einer Demokratie nicht einfach stehen lassen, sondern müssen ihn besprechen. Mit unserer Diskussion darüber hoffen wir auch, diese Diskussion in die Gesellschaft von Marokko zurück zu tragen.

Nun müssen wir sehen, ob am kommenden Sonntag die Machthaber in Marokko mit den Demonstranten so umgehen, wie das in einer Demokratie nötig ist, nämlich ob sie Andersdenkenden respektvoll und gewaltlos ihre Freiheit zugestehen. Wenn wir jetzt diese Partnerschaft eingehen, liegt darin auch ein Test unserer eigenen Glaubwürdigkeit,.

Vielen Dank.