AL11CR22       AS (2011) CR 22

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

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(3. Teil)

BERICHT

22. SITZUNG

Dienstag, 21. Juni 2011, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12624)

Sehr geehrter Präsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich möchte ganz herzlich bei Anne Brasseur für ihren erneuten, hervorragenden Bericht danken, denn so sind wir in der Lage, diesen Prozess der Transition hier im Europarat zu begleiten.

Eine Revolution ist noch keine Demokratie. Tunesien hat sich auf diesen beschwerlichen Weg hin zu Demokratie gemacht und einen festen Fahrplan dafür entworfen. Jetzt geht es darum, am 23.10.2011 die Wahlen für die verfassungsgebende Versammlung abzuhalten. Diese wiederum wird die neue Verfassung in Angriff nehmen und die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen vorbereiten.

Es gibt noch große logistische Schwierigkeiten zu meistern: die Aktualisierung der Wählerlisten, die Wähleraufklärung, die Schaffung regionaler Wahlbüros. Wie Anne Brasseur es auch in ihrem Bericht betont, ist es sehr wichtig, dass der Wahlkampf vom gegenseitigen Respekt lebt und dass man auf alle politischen Grundfreiheiten achtet, auch auf den Zugang zu den Medien.

Ich bin sehr gespannt auf meine erste Wahlbeobachtung, die ich für die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Tunesien übernehmen werde.

Der Europarat kann aber auch nach den Wahlen mit den ihm verfügbaren Rechtsinstrumenten, mit der Venice Commission, sehr wichtige Unterstützungsarbeit leisten. Denn die Verfassungsreform hat eine hohe Bedeutung. Es geht darum, den Schutz der Menschenrechte, die Gleichberechtigung der Frau und die Religionsfreiheit fest in der Verfassung zu verankern. Hier können wir sehr gut Unterstützung anbieten.

Neben diesen rechtlichen Instrumenten ist natürlich auch die wirtschaftliche Komponente sehr wichtig. Viele Vorredner haben es angesprochen: Ohne wirtschaftliche Perspektiven wird die Jugend natürlich fragen, wo denn die Wohlstandsdividende und die Arbeitsplätze für sie bleiben!

Deshalb ist jeder von uns gefragt: Der Europarat mit seinen Instrumenten, vor allem aber auch die Europäische Union, wenn es darum geht, endlich Handelsbeschränkungen aufzuheben und eine europäische Lösung für Flüchtlinge zu finden. Letztlich sind auch wir in der Rolle der nationalen Parlamente gefragt, wenn es darum geht, wirtschaftliche Instrumente anzubieten.

Ich freue mich, dass die deutsche Bundesregierung gerade im Rahmen der Transformationspartnerschaft zum Beispiel im Bereich der Wirtschaft mit Existenzförderprogrammen, Ausbildungspartnerschaften und Hochschulkooperation aktiv werden will.

Natürlich wir es auch darum gehen, die Demokratieförderung und die Kontakte zur Zivilgesellschaft herzustellen, damit auch die Zivilgesellschaft nach wie vor in den Prozess einbezogen wird.

Eine ganz wichtige Aufgabe besteht darin, die humanitäre Situation, insbesondere in den Flüchtlingslagern, zu verbessern. Wir wissen, dass es gerade an der tunesisch-libyschen Grenze sehr viele Flüchtlinge gibt; unser Menschenrechtsbeauftragter war dort.

Ich denke, dass jeder einen Beitrag leisten kann; der Bericht von Anne Brasseur ist dazu ein ganz wichtiger Baustein. Es liegen viele Hoffnungen auf Tunesien: Wir möchten, dass dieser arabische Frühling gelingt. Deswegen wünsche ich mir, dass jeder aktiv daran teilnimmt.

Vielen Dank.

Christoph STRÄSSER, Deutschland, SOC

(Dok. 12630 und 12628)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich zunächst bei den beiden Berichterstattern bedanken, weil sie zum richtigen Zeitpunkt zwei Berichte in den Europarat eingebracht haben, die sich mit der Kernkompetenz unserer Einrichtung befassen: den Fragen der Menschenwürde, der Stärke des Rechts und der Geltung internationaler Normen auch für Menschen, die unsere Unterstützung brauchen. Für diese Menschen müssen wir Instrumente bereitstellen, damit ihnen ein menschenwürdiges Leben in ihren Herkunftsregionen gewährleistet wird.

Wir haben bereits über den Weltflüchtlingstag gesprochen. Dazu möchte ich einige vom UNHCR verkündete Zahlen nennen, die ich beeindruckend finde. Die Gesamtzahl der Flüchtlinge, die im Jahr 2010 zu verzeichnen waren, beträgt mehr als 43 Millionen, mit steigender Tendenz. Davon verbleiben mehr als 20 Millionen als Binnenvertriebene in ihren Ländern. Nur 850 000 stellen nach diesem Bericht irgendwo auf der Welt ihre Asylanträge.

Ich sage das deshalb, weil ich denke, dass man sich diese Dimensionen vor Augen führen muss, wenn man über Flüchtlinge und Belastungen durch sie spricht. Diese Belastungen bestehen in den Ländern, in denen diese Flüchtlinge zu Hause sind und in denen sie als Binnenflüchtlinge verbleiben müssen, sowie in den Staaten, die an diese Regionen angrenzen.

Dazu führe ich immer das Beispiel des Tschad an: Das viertärmste Land der Welt nimmt seit 2003 mehr als 2 Millionen Flüchtlinge aus dem Sudan dauerhaft auf und versorgt sie unter schwierigsten Umständen.

Deshalb ist auch meine Feststellung, dass es unsere Verantwortung als Parlamentarierinnen und Parlamentarier ist, diese Wertegemeinschaft, die uns auszeichnet, und die wir heute morgen anlässlich der Partnerschaft für Demokratie mit Marokko besprochen haben, nicht nur auf in den Mitgliedsstaaten des Europarates lebende Menschen zu beschränken, sondern sie auszudehnen auf Menschen, die große Probleme haben, und die, wenn sie denn überhaupt herkommen, alle nicht freiwillig kommen. Dies ergibt sich auch aus diesen Berichten.

Ich sage das auch deshalb, weil man in vielen Diskussionen immer wieder hört, es handele sich um riesige Immigrationsströme nach Europa und damit um riesige Belastungen. Ich glaube, wer so argumentiert, leistet fremdenfeindlichen Debatten Vorschub. Mit diesen schwierigen Auseinandersetzungen haben wir es in vielen europäischen Staaten zu tun. Wir sollten uns hier stückweise selbst disziplinieren und solche Begriffe in den Debatten zu Hause vermeiden.

Lassen Sie mich zu den beiden Berichten zwei Dinge ansprechen: Zunächst zur Situation der Flüchtlinge auf hoher See. In Deutschland gibt es den Spruch: „Auf hoher See und vor Gericht ist man in Gottes Hand“. Das heißt, niemand weiß, wie es ausgeht, wenn man sich auf ein Schiff begibt, oder, wenn man vor Gericht klagt.

Dieser Spruch ist an keiner Stelle so falsch wie bezogen auf Flüchtlinge, die sich z.B. auf den Weg über das Mittelmeer nach Europa machen. Für diese Menschen gilt auch auf hoher See, auch außerhalb der sog. Hoheitszonen, die Europäische Menschenrechtskonvention – das sollten wir ganz klar festhalten. Diese Rechte sind unveräußerlich. Wenn man die Geltung der Europäischen Menschenrechtskonvention und der Genfer Flüchtlingskonvention akzeptiert, ist man auf hoher See nicht in Gottes Hand. Deshalb ist dieser Bericht an dieser Stelle ausgesprochen wertvoll.

Des Weiteren geht es um die Frage der Aufnahmebereitschaft in den einzelnen Ländern. Wir sollten jetzt nicht darüber diskutieren, wie es den Ländern geht, die Flüchtlinge aufnehmen, sondern darüber, wie es den Menschen geht, die in diese Aufnahmeeinrichtungen kommen. Sie müssen teilweise unter teilweise desaströsen Bedingungen leben und haben keinen Zugang zu fairen Verfahren.

Dies wird in aller Deutlichkeit von der EMRK und der Genfer Flüchtlingskonvention geregelt: Jeder Flüchtling hat das Recht auf Aufnahme eines fairen Verfahrens. Wenn es in Europa Länder gibt, die das nicht gewährleisten, dann muss man diesen natürlich helfen, aber im Zweifel gilt es letztendlich auch, die von Dublin II vorgenommene Regelung neu zu verhandeln, um diese Lasten gerecht auf den ganzen großen europäischen Kontinent zu verteilen.

Dann werden wir meiner Meinung nach eine Situation bekommen, in der die Menschenwürde, der Rechtsstaat, und all das, was wir fordern, auch für diese Flüchtlinge gilt. Denn sie haben sonst keinen Schutz.

Dankeschön.