AL11CR25       AS (2011) CR 25

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

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(3. Teil)

BERICHT

25. SITZUNG

Donnerstag, 23. Juni 2011, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Rede der Bundesministerin der Justiz Sabine LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

(Dok. 12636 und 12632)

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Abgeordnete,

meine Damen und Herren!

Es ist für mich eine sehr große Ehre, in der Parlamentarischen Versammlung als Justizministerin hier an dieser Stelle zu Ihnen sprechen zu dürfen. Herzlichen Dank für die Einladung.

Als Mitglied der Parlamentarischen Versammlung zwischen 2003 und 2009 fühle ich mich Ihrer Arbeit nach wie vor natürlich sehr verbunden. Ich weiß, welche bedeutende Rolle der Europarat zur Verteidigung der Menschenrechte spielt – ganz grundsätzlich und in wichtigen Einzelfällen in den 47 Mitgliedsstaaten. Und ich bin auch als Ministerin überzeugt, dass der Europarat mit seiner Arbeit manchmal sehr viel mehr für Opfer von Menschenrechtsverletzungen erreichen kann, als dies bilateral auf Regierungsebene möglich ist.

Sie greifen häufig aktuelle Probleme frühzeitiger als andere Gremien auf. Dieser Sensibilität und Aufmerksamkeit neuen politischen Problemen gegenüber begegnet man außerhalb Straßburgs nicht immer.

Die beiden heutigen Berichte zu der Rolle der nationalen Parlamente bei der Festigung und Entwicklung der Menschenrechte und Sozialrechte in Europa bestätigen dies eindrucksvoll.

Die von der Parlamentarischen Versammlung ausgehenden Impulse werden dann noch stärker, wenn sie von den nationalen Parlamenten aufgegriffen werden. Denn sie sind es, die beim Schutz und der Förderung der Menschenrechte in der Verantwortung stehen - durch ihre Funktion als Gesetzgeber, Repräsentanten des Volkes und Kontrolleure der Regierungen.

Die Mitgliedsstaaten müssen durch ihre Gesetzgebungsorgane die internationalen Vorgaben in nationales Recht umsetzen. Es bedarf gerade des Verständnisses für die internationale Dimension dieser Aufgabe; hier kann die Parlamentarische Versammlung Besonderes leisten.

Das Bewusstsein von der internationalen Verantwortung muss in die nationalen Parlamente getragen werden. Zugleich hat die Parlamentarische Versammlung die Möglichkeit, mit der gemeinsamen Autorität der demokratisch gewählten Parlamente Europas Regierungen an ihre Pflichten zu gemahnen.

Dabei kann diese Versammlung bisweilen als politisches Gremium mehr leisten, als es vielleicht der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kann. In seinem jüngsten Urteil zum Fall Chodorkowski hat der Gerichtshof darauf ausdrücklich hingewiesen; politische Schlussfolgerungen aus einer ganz bestimmten Situation können gerechtfertigt sein, auch wenn es nicht in einem Urteil ausgesprochen wird.

Aber nur mit effizienten und zeitgemäßen Strukturen lässt sich das breite Themenspektrum der Parlamentarischen Versammlung auch zukünftig glaubwürdig bearbeiten.

Mit dem geplanten Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention wird sich ein wichtiger Lückenschluss im europäischen Menschenrechtsschutz vollziehen, von dem beide Seiten profitieren werden. Dabei ist für Deutschland aber auch für andere Staaten von zentraler Bedeutung, dass der Beitritt das bestehende System der Europäischen Menschenrechtskonvention möglichst wenig verändern und keinesfalls beschädigen sollte. Es geht um eine Erweiterung des Systems der Europäischen Menschenrechtskonvention, nicht um eine Veränderung in der Substanz.

Mit den Vorschlägen zum Ko-Verteidigungsmechanismus, zur Beteiligung des Europäischen Gerichtshofs, zur Teilnahme der Vertreter des Europäischen Parlaments an den Sitzungen der Parlamentarischen Versammlung in Bezug auf die Wahl der Richter zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof können Grundlagen geschaffen werden, die geeignet erscheinen, das gewachsene, ausgewogene System des Menschenrechtsschutzes beizubehalten und nicht einseitig zugunsten der EU und ihrer 27 Mitgliedsstaaten zu verzerren.

Die umfassende Reform des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs, der sogenannte „Interlaken- und Izmir-Prozess“, soll 2012 abgeschlossen werden. Diese Reform wird ihren Teil dazu beitragen, die Strukturen des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs an die Herausforderungen einer nach wie vor stetig wachsenden Zahl von Eingaben anzupassen. Nur so kann die Operabilität des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes gesichert und seine Rolle als „Juwel des Europarates“ glaubhaft gestärkt werden.

Ob dies über die Einführung einer allgemeinen Verfahrensgebühr oder den Anwaltszwang passieren kann, muss kritisch diskutiert und geprüft werden. Denn wir dürfen nie vergessen: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ist häufig die letzte Chance vieler Menschen, Gerechtigkeit zu bekommen.

Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof muss nicht selten Defizite ausgleichen, die nationale Gerichtssysteme bei der Feststellung von Verantwortung für schwerste Menschenrechtsverletzungen immer wieder aufweisen. Deshalb sollte der Zugang zum Europäischen Menschenrechtsgerichtshof unabhängig von monetären Vorleistungen sein.

Vielversprechender erscheinen da Vorschläge für einen richterlichen Filtermechanismus, aber das bedarf dann auch der intensiven Beratung und Diskussion. Aber das Ziel muss sein, dass der grundsätzliche Zugang von Beschwerdeführern zu einem fairen und transparenten Verfahren beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof auch nach der Reform gewährleistet sein wird.

Die Stärkung des Gerichtshofes und der Lückenschluss im europäischen Menschenrechtsschutz sind elementare Voraussetzungen dann auch für Ihre weitere Arbeit, die ja auch gerade in der Überwachung und Beobachtung der Menschenrechtslage, des Rechtsstaats und der Demokratie in den 47 Mitgliedsstaaten des Europarates besteht. Diese Monitoringfunktion so effektiv wie möglich ausüben zu können, ist eine Ihrer besonderen Vorzüge und Stärken, sehr geehrte Parlamentarierinnen und Parlamentarier.

Wenn ich nun zurückdenke an Berichte, auch Ihre Einzelberichte, zu Menschenrechtsaktivisten, Whistle-Blowern, Blacklists und der Verschleppung von mutmaßlichen Terroristen, dann sieht man, glaube ich, dass immer der Europarat, d.h. Sie mit Ihren Resolutionen, auf Probleme und Menschenrechtsgefährdungen aufmerksam gemacht hat, wenn das in den Mitgliedsstaaten und den Regierungen in dieser Form noch nicht erkannt oder nicht ausgesprochen worden ist.

Und wenn Sie bei der Wahrnehmung Ihrer Aufgabe auch auf Schwierigkeiten stoßen – und diese Erfahrung machen ja immer wieder auch Berichterstatterinnen und Berichterstatter -, dann kann ich nur sagen, dass man deswegen nicht resignieren, sondern sich eher ermuntern lassen sollte. Wie heißt es: Wer in ein Wespennest greift, sollte fest zugreifen!

Aber neben diesen in einem breiten Licht der Öffentlichkeit stehenden Themen haben Sie immer schon eine Sensibilität gehabt, bedeutende, auch politische Entwicklungen zu antizipieren. Lassen Sie mich dafür zum Schluss als Beispiel Ihre Haltung zu Datenschutzfragen erwähnen.

Mit der Konvention 108, die am 28. Januar 2011 ihr bereits dreißigjähriges Bestehen feiern konnte, haben sich die Parlamentarische Versammlung und der Europarat insgesamt als Vorreiter auch für die Rechtsentwicklung in vielen Mitgliedsstaaten, auch in Deutschland, erwiesen und die automatisierte Verarbeitung personenbezogener Daten mit klaren Standards versehen.

Datenschutz gehört seitdem zum festen Kanon der Bürgerrechte in Europa. Der Schutz der personenbezogenen Daten ist heute nicht nur in der Konvention 108 geschützt, sondern ausdrücklich auch in der EU-Grundrechte-Charta verankert. Wir erleben ja immer wieder sehr viele aktuelle Diskussionen - auch heute - über den Umgang mit personenbezogenen Daten; die Sensibilität dafür wächst zunehmend in Europa.

Es muss eben die Kontrolle der Nutzer über die Nutzung ihrer eigenen Persönlichkeitsdaten gestärkt werden. Sie müssen stärker entscheiden können, ob ihre Daten z.B. zu Werbezwecken verwendet werden.

Das Internet ist kein rechtsfreier Raum. Es gibt Abbildungen und Darstellungen, die ganz eindeutig strafrechtlich verboten sind, wie z.B. kinderpornographische Abbildungen. Auch der Europarat hat sich mit diesen Voraussetzungen immer wieder befasst. Deshalb steht an allererster Stelle das Löschen dieser verbotenen Inhalte aus dem Netz.

Wir haben uns in Deutschland für den Weg des Löschens statt Sperrens entschieden. Deshalb werden wir eine ja auch immer wieder missbrauchsanfällige Sperrinfrastruktur nicht aufbauen.

Der Schutz der elementaren Menschenrechte und ihre Durchsetzung im digitalen Zeitalter sind neue, zentrale Herausforderungen. Es verändern sich die Möglichkeiten, Menschenrechtsverletzungen wahrzunehmen und zu ahnden, und den Schutz der Menschenrechte durchzusetzen. Aber mit der Optimierung der Strukturen Ihrer Arbeit im Europarat und der Arbeitsmöglichkeiten des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes werden Sie in der Lage sein – davon bin ich überzeugt -, nach wie vor die erste Stimme zu sein, die sich für die Opfer von Menschenrechtsverletzungen erhebt, und die nationalen Regierungen immer wieder zu ihrer Verantwortung zwingt.

Recht herzlichen Dank.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12636 und 12632)

Herr Präsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Namen der ALDE-Gruppe möchte ich den Berichterstattern sehr herzlich für Ihre sehr profunden Berichte danken.

Ich freue mich, dass wir zu dieser Debatte zwei Persönlichkeiten zu Gast haben: die deutsche Justizministerin und den Generalstaatsanwalt für England und Wales. Ich danke sehr herzlich für Ihre wertvollen Beiträge, die für uns natürlich auch Hausaufgaben beinhalten, die wir zu Hause in den nationalen Parlamenten umsetzen müssen.

Die Berichte verdeutlichen uns, dass wir Impulsgeber und Mahner sein müssen. Wir müssen in den nationalen Parlamenten dafür Sorge tragen, dass die Berichte, die wir hier beschließen, zu Hause umgesetzt werden, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte konsequent in den nationalen Gesetzgebungen verankert werden. Wir müssen uns auch dafür einsetzen, dass die jeweiligen Menschenrechtskonventionen umgesetzt werden.

Das Parlament hat zwei entscheidende Funktionen. Die erste ist die Öffentlichkeitsfunktion: Es geht darum, dass wir die Bürger, die Verwaltungen und natürlich die Regierungen für die Menschenrechtsfragen sensibilisieren, aber auch Aufmerksamkeit schaffen. Dazu braucht es öffentlichen Druck. Manche Beteiligten sind nicht von sich heraus aktiv und da ist es gut, wenn wir die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen haben, damit Themen Öffentlichkeit bekommen. Es ist dann unsere Aufgabe, diese Themen bei Anhörungen, bei Fragestunden in den Parlamenten zur Sprache zu bringen.

Das bringt mich zur zweiten Funktion, der sehr wichtigen Kontrollfunktion. Wir müssen immer wieder den Finger in die Wunde legen, auch und gerade bei der eigenen Regierung, vielleicht auch bei der Regierung, an der man selbst mit den Fraktionen beteiligt ist. Wir können und müssen direkt in den Gesetzgebungsverfahren aktiv werden. Wir müssen unsere Beteiligungs- und Mitwirkungsrechte wahrnehmen, nicht nur ex post, sondern vor allem auch ex ante, d.h. uns in die Entscheidungen aktiv einbringen.

Wir müssen andererseits von der Regierung immer wieder auch Berichte zum Stand bestimmter Umsetzungen einfordern.

Das bringt mich zum letzten Punkt, nämlich zu unserer Arbeitsweise. Es ist ganz wichtig, dass wir in den nationalen Parlamenten Strukturen schaffen, die sich systematisch und konsequent mit diesen Menschenrechtsfragen auseinandersetzen.

Frau Ohlsson hat in ihrem Bericht gerade die sozialen Rechte, das Recht auf Gesundheit, angesprochen. Wir brauchen Gremien, die sich konsequent für alle Belange der Menschenrechte einsetzen. Hier können Menschenrechtsausschüsse sehr wichtig sein.

Wir brauchen für eine erfolgreiche Menschenrechtspolitik die Parlamente, aber wir brauchen auch unabhängige Stellen und den Kontakt zu anderen Akteuren.

Insofern freue ich mich auf diese weitere Debatte und ich freue mich, wenn die Resolutionen angenommen werden. Dankeschön.

Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 12636 und 12632)

Danke Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen!

Zu allererst danke ich den Berichterstattern für die exzellente Arbeit, konzentriere mich aber in meinen Ausführungen auf den Bericht des Rechtsausschusses.

Das Thema, das Kollege Christos Pourgourides vorstellt, beleuchtet einen Bereich parlamentarischer Tätigkeit, der uns dank unseres Doppelmandates als nationale Parlamentarier und Mitglieder dieser Versammlung bestens vertraut ist. Dies betrifft aber nicht die Mehrheit unserer Kollegen in den nationalen Parlamenten. Gerade deshalb ist dieser Bericht zu begrüßen.

Nationale Parlamente werden beim Thema Menschenrechtsschutz gerne übersehen. Dabei sind sie es – sind wir es daheim -, die entsprechende Gesetze erlassen, bei der Ratifizierung internationaler Abkommen mitwirken und von der Exekutive Rechenschaft verlangen.

Bei der konkreten Ausgestaltung entsprechender parlamentarischer Strukturen gibt es noch Einiges zu tun. Die Vereinten Nationen haben 1993 die „Paris Principles“ für unabhängige nationale Menschenrechtsinstitutionen verabschiedet. Eine vergleichbare Messlatte brauchen wir auch für parlamentarische Strukturen in Europa.

Der Berichterstatter schlägt im Kernstück der Resolution die Annahme von Grundprinzipien für die parlamentarische Kontrolle internationaler Menschenrechtsstandards vor; wir könnten diese die „Strasbourg-Principles“ nennen.

Ich komme kurz auf die Interlaken-Debatte zu sprechen. Viele von uns und unsere Ausschüsse erarbeiten sorgfältig inhaltsreiche Berichte, unsere Versammlung verabschiedet Resolutionen und Empfehlungen. Es macht einen also sehr betroffen und ist nach meinem Dafürhalten auch wirklich skandalös, dass in der Erklärung von Izmir zur Zukunft des Menschenrechtsgerichtshofes weder unsere Versammlung noch nationale Parlamente Erwähnung finden.

Ich kann nur wünschen, dass dieses Manko nicht darin begründet liegt, dass Regierungen den kritischen Fragen von Parlamenten ausweichen.

In diesem Zusammenhang will ich kurz einen wichtigen Punkt aufgreifen, nämlich die Verpflichtung der Exekutive, die Parlamente über die Umsetzung der Straßburger Urteile zu informieren.

In der Sitzung des Rechtsausschusses heute morgen hat die Frau Bundesjustizministerin den Mechanismus in Deutschland vorgestellt. Ich denke, dass sie selbst einen wesentlichen Beitrag zu dessen Funktionieren geleistet hat. Die Notwendigkeit einer umfassenden Berichterstattung wird auch im Resolutionsentwurf betont. In Deutschland ist interessant, dass nicht nur die Deutschland betreffenden Urteile, sondern auch alle andere Staaten betreffenden Urteile bekannt gegeben werden und dann deren Implementierung überwacht wird.

Noch kurz eine Ausführung zu meinem Heimatland Liechtenstein: Dort funktioniert die Berichterstattung und Überwachung in der Praxis gut. Wir haben eine Zahl von Fällen, die mit den Fingern einer Hand erfassbar ist, und wir haben kurze Wege. Dennoch wünsche ich auch für mein Land, in dem die Verhältnisse überschaubar sind, eine institutionalisierte Struktur. Ich unterstütze den Bericht des Rechtsausschusses, denn ich denke, dass damit die nationalen Parlamente Garanten der Menschenrechte werden.

Dankeschön.