AL11CR30

AS (2011) CR 30
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

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(4. Teil)

BERICHT

31. SITZUNG

Dienstag, 4. Oktober 2011, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12699 - Bericht)

Herr Präsident,

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich möchte gerne Herrn Gardetto für seinen Bericht danken - und auch für seine Änderungsanträge, die er im Lichte seiner Reisen mit eingebracht hat.

Es ist richtig und wichtig, dass wir als Parlamentarische Versammlung des Europarates die Entwicklungen in der arabischen Welt begleiten und unterstützen. Gerade der Europarat hat einige Instrumente anzubieten, die für den Transformationsprozess, dem sich diese Länder stellen müssen, geeignet sind.

Zu nennen sind die Venice Commission und der Partner for Democracy Status, den wir ja heute mit großer Mehrheit für den Palästinensischen Nationalrat verabschiedet haben, nachdem wir ihn zuvor schon für Marokko verabschiedet hatten. Doch es gibt auch andere Instrumente, die sehr gut geeignet sind, um diese Prozesse zu begleiten, wie z.B. die Summer University for Democracy, die sich gerade auch an Jugendlich richtet.

Denn es ist auch klar, dass die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Herausforderungen in diesen Ländern enorm sind. Und es ist leider eben noch nicht gesagt, dass die Entwicklung ganz geradlinig in Richtung Demokratie verläuft.

Ich habe selbst mit einer deutschen Delegation im Juli Ägypten besucht. Dort hatten wir Gespräche mit Bloggern, Menschenrechtsorganisationen und politischen Parteien. Bei diesen gerade gegründeten Parteien hörte man überall: „wir sind für Menschenrechte und Demokratie“ – aber es gab nicht immer eine klare Vorstellung von einem politischen Programm. Wie man den Herausforderungen der Arbeitslosigkeit begegnen oder wie man Sozialpolitik gestalten will war noch nicht ausgearbeitet. Das ist meines Erachtens eine große Herausforderung.

Ich freue mich, dass sehr viele Mitgliedsstaaten aktiv sind, Angebote zur Unterstützung zu unterbreiten – aber eben nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern aus wohlverstandenem Interesse, diese Möglichkeit zum Wandel zu unterstützen.

Es ist aber auch wichtig, dass wir die verschiedenen existierenden Initiativen koordinieren – Initiativen der Vereinten Nationen, der EU, des Europarats, der Arabischen Liga. Dies wird eine wichtige Aufgabe sein.

Vielleicht erlauben Sie mir, zum Schluss der Debatte einige Beispiele einzubringen, wie sich gerade Deutschland in diesem Transformationsprozess engagiert. Wir fördern z.B. die unabhängige Wahlberichterstattung mit der „Deutschen Welle“, denn eine unabhängige Berichterstattung ist sehr wichtig, ebenso wie die Anleitung zu einer solchen.

Auch möchten wir unsere Erfahrungen bei der Aufarbeitung von Unrechtsregimen einbringen, z.B. durch die Arbeit der Gedenkstätte Hohenschönhausen. Zusätzlich fördern wir den Dialog von Bloggern und Menschenrechtsgruppen in der Tahrir-Lounge des Kairoer Goethe-Instituts, denn es ist sehr wichtig, diese Erfahrungen zu nutzen. Auch bei den politischen Stiftungen sind wir aktiv, denn gerade diese konnten schon unter Mubarak Kontakte zur Opposition knüpfen, die man jetzt sehr gut verwenden kann.

Der letzte Punkt, der uns allen am Herzen liegt: Wenn es nicht wirklich konkrete wirtschaftliche und soziale Verbesserungen gibt, werden sich die jungen Leute fragen, was denn ihre eigene „Friedens-„ oder „Transformationsdividende“ ist. Deshalb werden wir weiter darauf drängen, dass es zu einer Marktöffnung der EU kommt. Es muss hier auch für mittelständische Unternehmen ganz konkrete wirtschaftliche Anreize geben, damit Arbeitsplätze entstehen, damit die Entwicklung auf einen guten Weg kommt.

Vielen Dank.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 12699)

Vielen Dank Herr Präsident,

Meine Damen und Herren!

Wir haben heute Morgen sehr ausführlich über die Aufnahme Palästinas als Partner für Demokratie gesprochen. In dieser Debatte wurde die Frage der Staatlichkeit der UN-Mitgliedschaft nicht aufgemacht und das zu Recht, da es sich um einen anderen Vorgang handelt.

In diesem Änderungsantrag geht es darum, die Mitgliedsstaaten des Europarates, die im UN-Sicherheitsrat sind, aufzufordern, auch für eine UN-Mitgliedschaft Palästinas einzutreten. Vorhin haben sehr viele dafür gesprochen. Ich denke, das ist hier der richtige Ort, weil es natürlich auch mit dem Arabischen Frühling in Zusammenhang steht. Es muss Bewegung in den Prozess zwischen Israel und Palästina kommen. Deswegen bitte ich darum, diesen Antrag zu unterstützen.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich freue mich, dass ich heute das erste Mal in diesem hohen Haus einen Bericht vorstellen darf. Ich habe das Berichterstattermandat von Holger Haibach (EPP) übernommen, der den Bundestag und die Parlamentarische Versammlung des Europarates leider verlassen hat. Sie erlauben mir sicher, dass ich ihm Grüße und unsere besten Wünsche nach Namibia schicke.

Zu diesem Bericht hat der Rechtsausschuss im Dezember 2010 eine Anhörung mit Völkerrechtsexperten durchgeführt, deren Statements auch im Memorandum eingearbeitet wurden. Ich freue mich, dass sich so viele Redner gemeldet haben, denn dies ist ein entscheidendes, aber auch komplexes Thema.

Eine Bemerkung möchte ich voranschicken: Ich danke dem politischen Ausschuss für seine Änderungsanträge, die ich gerne alle übernehmen werde.

Die Fragen, die in dem vorliegenden Bericht behandelt werden, treiben uns alle um - zu Hause in unseren Mitgliedsstaaten, in der Parlamentarischen Versammlung, aber auch weit darüber hinaus:

1) Nach welchen Kriterien kann und soll die internationale Gemeinschaft neue Staaten anerkennen? Nach der geltenden Lehrmeinung ist die Anerkennung eines neuen Staates durch andere in ihrem Wesen rein deklaratorisch. Allerdings wissen wir, dass die Praxis der Anerkennung sehr unterschiedlich gehandhabt wird.

2) Welche Prinzipien müssen gewahrt werden, damit die Schutzverantwortung, die „responsibility to protect“, die von der Generalversammlung der Vereinten Nationen angenommen wurde, nicht als Vorwand für ganz andere Interessen missbraucht wird?

3) Welche Prinzipien müssen gewahrt werden, damit der positiv besetzte Begriff des Selbstbestimmungsrechts der Völker nicht missbraucht mit? Darüber gibt es in der Wissenschaft in der Tat vielfältige Literatur.

4) Wo endet die nationale Souveränität? Die Zeiten der so genannten „absoluten Souveränität“ sind, wie schon Boutros Boutros-Ghali feststellte, lange vorbei. Zum einen, weil freiwillig Souveränitätsrechte abgegeben werden, z.B. an eine übergeordnete Instanz wie die EU, und zum anderen, weil die Souveränität als „Souveränität unter dem Recht“ verstanden werden muss, wie es unsere Expertin Prof. Helen Keller bei der Anhörung formulierte.

Kofi Annan drückte es so aus: Staaten sind als dienende Staaten zu verstehen und müssen daher die Menschenrechte achten. Das heißt ganz klar, dass Verstöße gegen die europäische Menschenrechtskonvention eben nicht als innere Angelegenheit betrachtet werden können und dürfen.

Zu den Merkmalen der Staatlichkeit werden inzwischen auch substantielle Kriterien wie Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, Garantien für ethnische Gruppierungen und Minderheiten, und die Verpflichtung zur friedlichen Streitbeilegung gezählt.

Die nationale Souveränität darf auch nicht als Argument missbraucht werden, um Opposition oder ethnische, religiöse oder andere Minderheiten brutal zu unterdrücken. Dazu zwei aktuelle Beispiele, die nicht das Gebiet des Europarates betreffen:

Wir erlebten in Libyen Gaddafis Krieg gegen das eigene Volk. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschloss die responsibility to protect; er entschied also, dass diese Schutzverantwortung auf die internationale Gemeinschaft übergeht. Außerdem beschloss der Sicherheitsrat, dass als ultima ratio auch Luftschläge zum Schutz der Bevölkerung erlaubt sind. Doch dann erhoben Manche Zweifel, was denn von diesem Mandat tatsächlich gedeckt sei – auch, die Rebellen zu unterstützen oder sie zu bewaffnen? Dieses Beispiel zeigt meines Erachtens, dass die responsibility to protect eben noch nicht alle Fragen gelöst hat.

Das zweite Beispiel hängt mit der vorhin geführten Debatte über die arabische Welt zusammen: die brutale Unterdrückung der syrischen Opposition durch das Assad-Regime. Die internationale Gemeinschaft wird sich über kurz oder lang die Frage stellen müssen, ob die responsibility to protect nicht beherztere Sanktionen verlangt als jene, auf die man sich bisher einigen konnte.

An diesen Beispielen sehen Sie, dass diese Diskussion noch nicht abgeschlossen ist. Wir als Versammlung sollten uns meiner Meinung nach einig sein, dass diese hilfreiche, aber eben nicht abgeschlossene Diskussion um das Recht oder sogar die Pflicht zum Schutz von bedrohten Bevölkerungen unbedingt fortgesetzt werden muss. Auch die Diskussion um objektive Kriterien für die Anerkennung von Staaten und die Art und Weise des Schutzes von nationaler Souveränität und territorialer Integrität muss weitergeführt werden.

Deswegen schlage ich in meinem Bericht vor, eine Nachfolgekonferenz zur ICISS-Konferenz ins Leben zu rufen. Es war ja die ICISS-Konferenz, die mit den Eindrücken von Ruanda und Srebrenica die responsibility to protect erarbeitet hat. Ich glaube, als dem politischen Motor des Europarates steht es uns gut an, die Initiative zur Fortsetzung dieser Debatte zu ergreifen. Bei dieser Konferenz können dann führende Praktiker, aber auch Akademiker des Völkerrechts weiter über dieses Konzept debattieren und Lösungen erarbeiten.

Der letzte Punkt, den ich in meinem Statement gleich zu Beginn erwähnen möchte: Ich verweise in meinem Bericht auf ein Petitum, das an vielen Stellen in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates erwähnt wurde, nämlich die Rechte von nationalen Minderheiten. Es ist äußerst wichtig, dass die Rechte von nationalen Minderheiten in erster Linie so verwirklicht werden, wie es in der Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten vorgesehen ist.

Deshalb gilt mein herzlicher Appell an die Mitgliedsstaaten, diese Konvention zu ratizifieren und vollständig umzusetzen, denn sie ist bisher noch nicht von allen in jeder Einzelheit umgesetzt worden.

Deswegen freue ich mich auf Ihre Beiträge und danke sehr für die Unterstützung für dieses wichtige Thema der Parlamentarischen Versammlung.

Vielen Dank.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 12689)

Vielen Dank Herr Präsident!

Auch ich möchte Frau Schuster für diesen hervorragenden Bericht gratulieren. Es ist ein sehr schwieriges und komplexes Thema, wie Sie auch angesprochen haben.

Wer die politischen Verhältnisse in Deutschland kennt, weiß, dass es nicht selbstverständlich ist, wenn ein Linker einer Liberalen gratuliert, aber das ist wirklich ein ausgezeichneter Bericht.

Ich möchte auch ausdrücklich begrüßen, dass in dem Bericht kritisch auf die militärische Intervention in Zypern 1974, auf die militärische Intervention der Nato gegen Jugoslawien1999, sowie die Intervention von Russland in Georgien 2008 eingegangen wird. Ich finde auch, dass der Kontext richtig ist, das so zu benennen.

Für uns als Linksfraktion im Europarat war die kritische Betrachtung des Krieges gegen Jugoslawien 1999 eines der konstitutiven Elemente.

Die Frage der responsibility to protect und deren eventueller Missbrauch bzw. das Überschreiten des Mandates in Libyen wurde von Frau Schuster mündlich vorgetragen, wird aber im Bericht nicht weiter ausgearbeitet. Es ist eine sehr umstrittene Diskussion. Ich begrüße es, dass durch diesen Bericht mehr Klarheit geschaffen wird, denn meiner Meinung nach darf responsibility to protect nicht zur Legitimierung von Militärinterventionen führen, die dann zu viel Weiterem führen, wie das m. E. in Libyen der Fall ist.

Ich begrüße die Änderungsanträge des politischen Ausschusses und denke, sie führen zu mehr Klarheit in dem Bericht. In diesem Zusammenhang möchte ich Herrn Moriau danken.

Zusammengefasst möchte ich sagen, dass es sich um einen sehr guten Bericht handelt, der den Prozess anstößt, mehr Klarheit in die sehr schwierige und komplexe Frage der nationalen Souveränität und Staatlichkeit zu bringen. Das finde ich begrüßenswert und unterstütze insofern den Bericht.

Herzlichen Glückwunsch Frau Schuster für diese exzellente Arbeit.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Dok. 12689)

Herr Präsident!

Auch ich möchte mich im Namen der Sozialdemokraten bei Frau Schuster für diesen Bericht bedanken.

Sie hat das Mögliche ausgeschöpft, das man mit diesen Begriffen und diesem Recht heute daraus machen kann.

Sie haben selbst schon gesagt, dass es sich um einen Anfang handelt, und würden es auch gern als Anfang eines Denkprozesses verstehen. Wie Herr Moriau schon gesagt, helfen uns diese Begriffe nicht mehr, die wesentlichen Probleme von heute für die Zukunft zu lösen. Vielleicht müssen wir die Dinge ein wenig umdrehen, weil diese rechtlichen Begriffe – und das Recht überhaupt – immer der Realität hinterherhinken. Sie sind immer Ausdruck des Vergangenen und oft keine große Hilfe bei der Lösung der gegenwärtigen oder der zukünftigen Probleme.

Man könnte zum Beispiel die Begriffe „Staat“ und „nationale Souveränität“ hinterfragen und daran erinnern, dass es heute viel mehr unsere Aufgabe ist, eine Ordnung im Interesse der Menschen, durch die Menschen und für die Menschen aufzubauen, für die dieser Staat vielleicht lange Zeit als Element dieser Ordnung notwendig war, für die jedoch in Zukunft der Begriff bzw. die Sache Staat eine ganz andere Bedeutung bekommen wird.

Eine Bedeutung, die von jenen Traditionen verdeckt wird, wo der Staat früher schon da war – das Wort „souverän“ kommt ja von König und es hieß dann Volkssouveränität. Heute ist dieses Königliche, dieses Obrigkeitliche wieder viel stärker präsent. Ich möchte in diesem Zusammenhang die Bemerkung von Herrn Herkel aufnehmen, der gesagt hat: „Ich bin auch ein Kind einer Gesellschaft, die sich den Staat selber errungen hat, und nicht Kind eines Staates, der zuerst Staat war und der dann die Gesellschaft gemacht hat.“

Daher könnte man zu der ersten Frage sagen, dass es nicht nur darum geht, wie man von außen intervenieren und die Leute schützen könnte, wenn der Staat das nicht selbst tut, sondern man muss danach trachten – und das ist eine große Aufgabe des Europarates – den Menschen zu helfen, sich den Staat so zu organisieren, dass kein Schutz von außen notwendig ist.

Die zweite Frage des Selbstbestimmungsrechtes finde ich ganz wichtig. Zu einer guten Ordnung gehört eine dezentrale Struktur, damit die politischen Entscheidungen nah bei den Menschen und nicht weit weg in einer zentralistischen Ordnung fallen. In diesem Zusammenhang ist die Minderheitsproblematik Ausdruck einer hohen Zentralisierung und Hierarchisierung; dann kommt man zum Gegenbegriff von Autonomie.

Drittens zu den Schutzmaßnahmen bzw. Interventionsvoraussetzungen. Hier ist anzumerken, dass sich diese Frage bei einer Struktur wie dem Europarat, wo Grundprinzipien übernational geschützt sind, sehr viel weniger stellt, weil wir uns ständig bemühen, gewisse demokratische Standards einer guten Staats- und politischen Ordnung aufrechtzuerhalten, sodass es nicht zu diesem Extremfall kommen muss - damit endet die nationale Souveränität.

Entscheidend ist vielmehr, dass man die Volks- und Bürgersouveränität ins Zentrum stellt und merkt, dass diese Macht, die die Menschen über sich selbst haben, auf der kommunalen, regionalen, staatlichen, europäischen – und im Sinne von Herrn Moriau in Zukunft eventuell auch auf der globalen – Ebene abgestützt ist.

So löst man sich so zu sagen von den traditionellen Begriffen bzw. umschreibt sie in dem Maß neu, dass sie uns dabei helfen, die heutigen Konflikte zu vermeiden, die beim Aufbau einer Ordnung im Interesse der Menschen, für die Menschen, mit den Menschen auftreten und die die Menschen sowie ihre Rechte verletzen.

Vielen Dank.

Vilmos SZABÓ, Ungarn, SOC

(Dok. 12689)

Sehr geehrter Präsident,

Meine Damen und Herren!

Der Bericht ist eine sehr gute Zusammenfassung und ein Lagebericht. Ich finde es wichtig, ein globales Bild dieser Frage zu schaffen.

Die Ausgangspunkte sind sehr zutreffend. Es wird einerseits festgestellt – sehr positiv – , dass die sich Begriffe der nationalen Souveränität und der Staatlichkeit in den letzten Jahren weiterentwickelt haben.

Andererseits ist es aber keine gute Nachricht, dass das Fehlen eindeutiger Kriterien für Staatlichkeit und rechtmäßige Sezession zum Aufkommen zahlreicher sezessionistischer Bewegungen geführt hat und damit auch in Europa den Frieden, die Stabilität und die territoriale Integrität der bestehenden Staaten bedroht.

Wir kennen die Beispiele gut und wissen auch, dass es keine Standardlösung dafür gibt. Diese Fragen werden noch lange auf der Tagesordnung bleiben. Die Verwirklichung und der Schutz der Minderheitsrechte sind von erstrangiger Bedeutung. Der Mangel dieser Faktoren kann dazu führen, dass nationale Minderheiten bei den rechtswidrigen Sezessionen zu den zentralen Elementen gehören.

Ich bin völlig damit einverstanden, dass der Europarat materiell rechtliche Standards definiert. Wir kennen ein gutes Beispiel aus den 90er Jahren; damals wurden Kriterien ausgearbeitet. Ich möchte die wichtigsten Punkte zitieren: Achtung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte, Garantien für ethnische Gruppen und Minderheiten, Anerkennung der Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen, grundlegende Normen (auch für heute), geeignete Hilfsmittel zur Vermeidung der rechtswidrigen Sezessionen. Es lohnt sich, daran weiterzuarbeiten und ich bin mit dem Vorschlag der ICISS-Folgekonferenz einverstanden.

Wir wissen genau, dass die Garantien für die ethnischen Gruppen und Minderheiten an die Bewahrung der nationalen Identität gebunden sind. Konkret geht es dabei um die nationalen Sprachen, die nationale Kultur, Geschichte, die Selbstverwaltung und die Autonomie. Dazu gehören auch die so genannten ungelösten Probleme der Vergangenheit, wie z. B. Entschädigungen für konfiszierten Besitz und die bis heute geltende kollektive Schuld.

Ich komme aus Ungarn und erinnere selbstverständlich an die ungarischen Minderheiten, die in großer Zahl in den Nachbarländern Ungarns leben. Ich kann über viele Ergebnisse aus den letzten 20 Jahren berichten.

Es gibt aber noch Gebiete, auf denen noch viel zu tun ist. Dazu gehören die Sicherung des Gebrauchs der Muttersprache – ernsthafte Probleme damit haben wir in der Slowakei und der Ukraine –, die Einrichtung von Selbstverwaltungsformen und Autonomie, wie z. B. in Rumänien die territoriale Autonomie der Székler. Zu den allgemeinen Problemen gehören die Entschädigungen und die kollektive Schuld.

Ich möchte hier das serbische Entschädigungsgesetz hervorheben, das ausdrücklich diskriminierend für die ungarische Minderheit in Serbien ist.

Dankeschön für Ihre Aufmerksamkeit.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689 - Antwort)

Vielen Dank, Herr Präsident!

Ich versuche, einige wichtige Punkte hier aufzunehmen:

Herr Haratyunyan aus Armenien hat das IGH-Urteil zum Kosovo erwähnt. Das Problem hierbei ist, dass das Urteil ja nur die Unabhängigkeitserklärung als solche betrifft. Es wurde die Frage vorgelegt, ob die einseitige Unabhängigkeitserklärung der provisorischen Selbstverwaltungsorgane des Kosovo mit dem Völkerrecht vereinbar sei. Der IGH hat diese Frage wörtlich genommen und auch nur sie beantwortet.

Er hat eben ausdrücklich – ich sage, leider – nicht dazu Stellung genommen, ob Kosovo Staatsqualität aufweist oder ob die Anerkennungserklärungen anderer Staaten gültig waren und welche Rechtswirkung sie hatten; das erwähne ich ja gerade in meinem Memorandum, denn wir hätten uns erhofft, dass durch dieses Urteil vielleicht strittige Fragen geklärt werden. Das Urteil bezog sich jedoch nur auf die Erklärung als solche. Für diese Diskussion heute ist das zwar eine Ergänzung, aber löst wichtige Probleme nicht.

Noch einmal zur responsibility to protect, die mehrere Redner angesprochen haben. Dieses Konzept, das die Generalversammlung 2005 beschlossen hat, greift für 4 Tatbestände: Völkermord, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und ethnische Säuberungen. Die Fragen, die sich aber im Nachgang einer responsibility to protect stellen, wie bei dem Fall Libyen, sind leider noch nicht abschließend geklärt. Das heißt nicht, dass das Konzept falsch oder richtig ist, sondern einfach, dass Klärungsbedarf für die Auslegung besteht. Deswegen ist meines Erachtens diese Folgekonferenz auch so wichtig. Ich halte es für einen Meilenstein der Weiterentwicklung des Völkerrechts, aber es gibt eben offene Fragen.

Nun haben sich eine Reihe von Rednern der türkischen Delegation gemeldet, um die Situation in Zypern anzusprechen. Die türkische Delegation hat mir bei der Paris-Sitzung eine Reihe von Papieren überreicht, die ich geprüft habe.

Ich möchte darauf verweisen, was Professor Herdigen bei der Anhörung im Dezember angemerkt hat: nämlich, dass die Gültigkeit des Garantievertrages für Zypern von 1960 zweifelhaft sei, da sie nach dem Grundsatz des Wegfalls der Geschäftsgrundlage oder wegen einer materiell rechtlichen Vertragsverletzung durch eine der Parteien – nämlich in Form dieser einseitigen militärischen Intervention - hinfällig geworden sein könnte.

Ich weise nur der Vollständigkeit halber darauf hin, dass hier eine Verletzung der UN-Charta vorliegt; diese schreibt in Art. 2 Absatz 4 ja das Gewaltverbot vor. Es heißt hier: „Alle Mitglieder unterlassen in ihren internationalen Beziehungen jede gegen die territoriale Unversehrtheit oder die politische Unabhängigkeit eines Staates gerichtete oder sonst mit den Zielen der Vereinten Nationen unvereinbare Androhung oder Anwendung von Gewalt.“

Ich weise auch darauf hin, dass sowohl die Resolution 541 aus dem Jahr 1983 klar konstatiert, dass der Versuch, eine türkische Republik Nordzypern zu gründen, ungültig ist, und die Resolution 550 aus dem Jahr 1984 den Appell an die Staaten mit einschließt, die türkische Republik Nordzypern nicht anzuerkennen. So ist die rechtliche Grundlage. Ich habe das nur der Vollständigkeit halber dargestellt, weil es auch im Memorandum erwähnt ist.

Außerdem gab es eine Reihe von Wortmeldungen, die so zu sagen über das Konzept der Staaten hinaus gingen und, wie Andreas Gross es erwähnt hat, feststellten: Die Bürgersouveränität muss in den Mittelpunkt gestellt werden. Ich glaube, gerade in der Schweiz, aber auch in Deutschland und vielen anderen Ländern gibt es eine aktuelle Diskussion um die Frage, wie man Bürger besser beteiligen und von Anfang an in die Prozesse mit einbeziehen kann. Gerade bei europäischen Entscheidungen, wie wir sie in hitzigen Debatten erlebt haben, haben die Menschen das Gefühl, sie seien manchmal zu weit von den Entscheidungen entfernt. Insofern ist dies ein sehr wichtiger Punkt.

Herr Moriau hat einen Punkt angesprochen, der, glaube ich, in der Außenpolitik ein sehr viel höheres Gewicht erhalten muss, nämlich die zivile Krisenprävention. Ich glaube, die Fähigkeit, Konflikte früher zu erkennen und vielleicht auf friedlichem Wege zu verhindern, ist sowohl bei den Vereinten Nationen als auch bei unseren Mitgliedsstaaten eine besonders große Herausforderung. Denn meistens wird erst dann reagiert, wenn Gewalt schon eskaliert ist. Dies ist also unsere Hausaufgabe – wir sollten im Rahmen unserer außenpolitischen Instrumente diese zivile Konfliktverhütung nach vorne stellen.

Zu Herrn Hunko: Hier möchte ich gerne auf das Memorandum verweisen. Da müssen wir uns wohl noch einmal politisch über die Intervention in Jugoslawien unterhalten. Mir geht es vor allem um die Rechtsfragen, die auch im Nachgang damit verbunden sind; das ist der Kern des Berichts. Da gibt es sehr wohl Spannungen.

Leider konnte ich, wie üblich bei solchen Debatten, nicht auf alle eingehen, bin jedoch dankbar für Ihre Anregungen. Ich glaube, dass die Debatte auch zeigt, wie wichtig es ist, dass wir diese Nachfolgekonferenz von ICISS bekommen, damit strittige Fragen geklärt werden können. Es steht uns als Europarat gut an, hierfür der Motor zu sein.

Vielen Dank.

Amendments:

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 9)

Ich bin dagegen. Das Wort legitimate  ist eben offen für subjektive Einfärbungen und das widerspricht der Zielsetzung des Berichtes. Deswegen bitte ablehnen.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 10)

Ich bin dagegen: Es gibt kein solches entitlement und einen solchen Anspruch, und das sollte sich die Versammlung in der Form auch nicht zu eigen machen.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 11)

Ich bin dagegen, wie auch beim oberen Amendment. Das Wort legitimate ist eben offen für Einfärbungen und deswegen möchte ich es nicht verwenden.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 16)

Ich bin dagegen, denn wir sagen ja „also in Europe“ (deutsch: auch in Europa). Es ist eine Tatsachte, dass es sezessionistische Bewegungen gibt. Ich glaube, wenn wir unsere spanischen Freunde nach ihrer Erfahrung mit den Basken fragen, wird dies offensichtlich. Ich glaube, wir sollten es so lassen, wie es ist.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 14)

Ich bin dagegen, weil es bereits heute Bedrohungen gibt - insofern nicht nur „may threaten“. Es gibt Bedrohungen, die Realität sind und es haben sich viele Mitgliedsstaaten zu Wort gemeldet.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 15)

Ich bin dagegen, denn unser Ausgangspunkt für diesen Bericht war ja die territoriale Integrität existierender Staaten. Ich denke, gerade die Wortbeiträge haben gezeigt, dass es ein Spannungsverhältnis zwischen dem Selbstbestimmungsrecht der Völker auf der einen Seite und der territorialen Integrität auf der anderen Seite gibt. Ich würde es gern so lassen wie es ist, denn unser Ansatzpunkt ist eben der existierende Staat.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 18)

Ich bin dagegen. Es gibt eben kein automatisches Sezessionsrecht. Deswegen entspricht der Änderungsantrag auch nicht den Zielsetzungen des Berichts.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 17)

Ich bin aus den genannten Gründen dagegen. Es ist einfach für die Zielsetzung des Berichts besser, bei der Formulierung zu bleiben.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 20)

Ich bin dagegen, den Paragraph 8.2 zu streichen. Ich bitte die Versammlung bei der vorherigen Formulierung zu bleiben.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Subamendment 1, Amendment 21)

Ich denke, es wäre sehr gut, mit aufzunehmen, dass wir Konflikte mit peaceful means lösen wollen. Das ist eine wichtige Anfügung an den Bericht und ich bitte die Versammlung, sie zu übernehmen.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 22)

Ich bin dagegen. Es sollte ja schon vorher legitimate eingefügt werden. Ich halte den Begriff offen für Spekulationen, deswegen würde ich ihn nicht übernehmen.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12689, Amendment 23)

Ich bin dagegen. Es geht darum, das Mandat der Versammlung, dem wir ja in der Empfehlung folgen, nicht einzuschränken. Es liegt dann an der Versammlung selbst, welche Empfehlungen sie uns gibt und welche Kriterien im Völkerrecht weiterentwickelt werden.