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AS (2012) CR 12

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2012

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(2. Teil)

BERICHT

12. SITZUNG

Dienstag, 24. April 2012, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dok. 12895)

Dankeschön, Frau Vorsitzende!

Ich möchte der Berichterstatterin, Frau Tineke Strik, für diesen Bericht nicht nur als Kollege danken, sondern auch als einer der Vorsitzenden der Parlamentarischen Versammlung der Union für das Mittelmeer. Dieser Bericht ist sehr wichtig, denn er beschreibt eine Tragödie, ohne unbedingt jemanden an den Pranger zu stellen, wie das in der Vordiskussion geschehen ist.

Tatsache ist, dass von 72 Personen 62 zu Tode kamen. Das ist eine Tragödie, die für ein multiples Versagen sowohl von Nationalstaaten als auch multilateralen Vereinigungen wie der NATO steht. Angesichts einer solchen Tragödie können wir nicht alles bis auf Punkt und Komma genau untersuchen und uns gegenseitig die Verantwortung zuschieben, weil sie im Verantwortungsbereich des jeweils anderen gelegen habe.

Tatsache ist, dass ein Seerettungsnotruf ausgestrahlt wurde, und dass in unseren Zeiten der unglaublichen Technisierung natürlich alle gewusst haben, dass dieser Notruf abgesendet wurde. Nach Empfang eines solchen Notrufes geht es dann natürlich um die Frage, wer jetzt Seerettungshilfe leisten will. Weder die Fracht- noch die Kreuzfahrtschiffe, die an dieser Tragödie vorbeigefahren sind, noch die Nationalstaaten, noch die NATO waren dazu bereit.

Wenn man noch zusätzlich bedenkt, dass die zehn Überlebenden, die nach dem Tod ihrer 62 Mitreisenden ja alle völlig traumatisiert sind, noch dazu in Haft genommen wurden, so kann man sich das Ausmaß dessen, was sich hier abgespielt hat, hier wohl kaum vorstellen.

Daraus müssen wir lernen. Was sich hier abgespielt hat, ist unterlassene Hilfeleistung, wie sie in jedem nationalen Strafgesetzbuch zu finden ist. Auch dürfen wir nicht übersehen, dass im Jahre 2011 1500 weitere Menschen das Leben verloren haben. Doch müssen wir auch wertschätzen, dass die Frontex ungefähr 64 Flüchtlinge pro Tag rettet.

Trotzdem – im Mittelmeer, der Wiege unserer gemeinsamen Kultur und so wichtiger Religionen, einem Binnensee der Mobilität, bringt uns diese Tragödie wieder die gesamten Flüchtlings- und Migrationstragödien in Erinnerung und erinnert uns auch daran, was in Griechenland und in der Türkei los ist.

Wenn die Folge dieses Berichts ist, nicht nur ein Drama in Erinnerung zu rufen und Verantwortliche an den Pranger zu stellen, sondern auch eine höhere Verantwortung daraus erwachsen zu lassen und sicher zu stellen, dass daraus Konsequenzen gezogen werden, so hat Ihr Bericht einen sehr wertvollen Dienst geleistet.

Dankeschön.

Viola von CRAMON-TAUBADEL, Deutschland, SOC

(Dok. 12895)

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin!

Ganz herzlichen Dank auch an die Berichterstatterin für diesen sehr wichtigen Bericht für unsere Parlamentarische Versammlung.

Seit Beginn der Umstürze in der arabischen Welt überquerten zehntausende Menschen das Mittelmeer, um nach Europa zu gelangen.

Europa kann allerdings derzeit kaum auf legalem Wege erreicht werden. Im Falle einer Flucht bleibt den Menschen nur der Weg über die See, um in Europa Schutz zu finden.

Die vorliegende Beschlussempfehlung ist vor allem deshalb von großer Bedeutung, da sie die Verantwortung der unterschiedlichen Akteure erstmals genau auflistet. In einem langen Befragungs- und Rechercheverfahren wurde untersucht, wer für die Katastrophe im Falle des libyschen Flüchtlingsbootes aus dem März 2011 die Verantwortung zu übernehmen hat.

Dieser Fall, in dem bei der Überfahrt 63 von 72 Menschen ums Leben kamen, ist nur eine von vielen Tragödien, in denen sich das Mittelmeer für Flüchtlinge – zumeist aus Schwarzafrika – nicht als Rettungsanker, sondern als Grab erweist. Die Entschließung fordert daher – stellvertretend für die vielen weiteren, teilweise unbekannten Tragödien – Konsequenzen:

Die Nato und alle an der Operation „Unified Protector“ beteiligten Mitgliedsstaaten müssen die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen für die Ermittlungsarbeit beisteuern und einer eingehenden Untersuchung des Ereignisses zustimmen.

Zudem wird für den Fall, dass ein Staat seiner daraus erwachsenen Verantwortung (hier also Libyen) nicht mehr nachkommt, richtigerweise auch eine Überprüfung des „Internationalen Übereinkommens über den Such- und Rettungsdienst auf See“ gefordert. Es müssen endlich verbindliche Richtlinien für die Rettung von Menschen, die in Seenot geraten sind, erarbeitet werden.

Europa hat hier eindeutig eine Verpflichtung, die auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in seiner Entscheidung am 23.02.2012 bereits dokumentiert hat. In diesem Fall wurde Italien verurteilt, weil dort Flüchtlinge aus Libyen ohne Asylverfahren nach Libyen zurückgeschickt wurden. Das Urteil stellte klar, dass die Europäische Menschenrechtskonvention auch auf hoher See angewendet werden muss. EU-Mitgliedstaaten müssen auch außerhalb ihres Territoriums Schutzsuchenden die Möglichkeit auf ein faires Asylverfahren gewähren.

Wir fordern deshalb im EU-Asylrecht das Dublin II-Verfahren dahingehend zu ändern, um insbesondere für die stärker belasteten Südgrenzen eine solidarische Umverteilung der Flüchtlinge in der gesamten Europäischen Union zu ermöglichen.

Durch eine immer stärkere Sicherung der EU-Außengrenzen, beispielsweise durch weitere Frontex-Missionen oder durch ein Überwachungssystem, wie es die Kommission nun in Form von Eurosur (European Border Surveillance System) vorschlägt, wird Europa langfristig nicht gewinnen.

Es wird ausschließlich dazu führen, dass wir einen neuen Eisernen Vorhang an den EU-Außengrenzen errichten. Das hat mit einem offenen, humanitären und toleranten Europa nichts zu tun.