AL13CR07      

AS (2013) CR 07
Provisorische Ausgabe

 

SITZUNGSPERIODE 2013

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(1. Teil)

BERICHT

7. SITZUNG

Donnerstag, 24. Januar 2013, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dringlichkeitsdebatte - Migration und Asyl: steigende Spannung im östlichen Mittelmeerraum, Dok. 13106)

 

Vielen Dank, Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst möchte ich Frau Strik nicht nur für diesen Bericht, sondern für ihre gesamte Tätigkeit in all diesen Jahren im Bereich der verschiedenen Flüchtlingsdramen im Mittelmeerraum von ganzem Herzen danken. Von der gesamten Versammlung gebührt Ihnen großer Respekt.

Was wir hier haben, ist ein unfassbares humanitäres Desaster. So viele Menschen befinden sich gestrandet und hoffnungslos in der Türkei und Griechenland. Amnesty International hat in einem Bericht bereits auf diese Katastrophe hingewiesen. Griechenland braucht in dieser Situation Hilfe, muss aber auch Verantwortung wahrnehmen.

Z.B. ist es von unserem Standpunkt eines verantwortungsvollen Umgangs mit Asylsuchern unerträglich, dass die Behörden nur an einem einzigen Tag Anträge entgegennehmen. So bilden sich hunderte Meter lange Schlangen und immer wieder müssen die Menschen sich anstellen, um ihren Antrag abgeben zu können. Dazwischen sind sie illegal.

Griechinnen, die selbst vor Ort arbeiten, haben bereits von Pogromen gegen die Flüchtlinge gesprochen! Wenn im Zentrum Athens faschistische Truppen auf Mopeds eine Woche lang Jagd auf Flüchtlinge machen – Erwachsene, Kinder, schwangere Frauen -, wobei auch schon jemand getötet wurde, dann ist das systematische rassistische Gewalt.

Auch wenn Griechenland die Zeitspanne, während derer Flüchtlinge in Haft bleiben können, von 6 auf 12 Monate verlängert, ist das unerträglich. Flüchtlinge haben in Gefängnissen nichts zu suchen; Asyl zu suchen ist ein Menschenrecht!

Zu diesem Desaster kommt nun die Tatsache hinzu, dass Griechenland in einer unfassbaren Krise mit unglaublichen sozialen Auswirkungen steckt. Die Griechen waren nie ein faschistisches oder fremdenfeindliches Volk! Die gegenwärtigen faschistischen, fremdenfeindlichen Umtriebe in Kombination mit dieser Krise sind eine entsetzliche Sache. Es bedarf der gesamteuropäischen Anstrengungen, um Griechenland zu unterstützen.

Dieser Situation müssen wir uns im gesamten östlichen Mittelmeerraum stellen. Auch die Türkei muss unterstützt werden. Mittlerweile gibt es in Istanbul so viele Flüchtlinge, dass manche Stadtteile „Klein-Lagos“ oder „Mogadischu“ genannt werden und es eine „Somalierstraße“ gibt! Auch findet man in Istanbul sogar schon Massengräber für verstorbene Asylsuchende.

Inzwischen versuchen auch von Syrien aus Menschen mit Schlauchbooten ins „Paradies“ zu kommen. Da kann es nicht sein, dass Polizeikräfte Schlauchboote mit Messern anstechen und zu den Flüchtlingen sagen: schwimmt! Es kommt zu unmenschlichen Polizeirazzien, gegen die der griechische Staat vorgehen muss.

Griechenland wie auch der Europarat müssen versuchen, auf die EU einzuwirken, damit die Gelder, die gar nicht alle von Griechenland abgerufen werden können, freigegeben werden, damit sie für den Schutz der Flüchtlinge verwendet werden können, anstatt sie in haftähnliche Anstalten für Asylsuchende zu investieren.

Dankeschön.

Doris FIALA, Schweiz, ALDE / ADLE

(Dringlichkeitsdebatte - Migration und Asyl: steigende Spannung im östlichen Mittelmeerraum, Dok. 13106)

Herr Vorsitzender, liebe Kollegen!

Ich möchte meiner lieben Freundin Tineke Strik für den hervorragenden Rapport danken. Ich unterstütze alles, was darin steht.

Wir waren zusammen in Griechenland und ich kann an dieser Stelle sagen, dass uns gemeinsame Emotionen, gemeinsam Gesehenes und Erlebtes und gemeinsame humanitäre Werte miteinander verbinden.

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auch unseren Freundinnen aus Griechenland, Frau Kanelli und Frau Bakoyannis herzlich für ihren Empfang danken und auch dafür, dass sie uns mit Offenheit, ohne Scham und in aller Brutalität die Situation gezeigt haben.

Es wäre pure Arroganz, wenn ich als Schweizerin, die nicht unter einer Schengen-Außengrenze zu leiden hat, Griechenland unbedacht kritisieren würde. Was Griechenland erleben muss, könnte kein Land in diesem Saal im Alleingang meistern.

Es gibt in Griechenland ca. 1 Million illegale Migrantinnen und Migranten, zehntausende befinden sich in Flüchtlingslagern. Ich bin mit unserem Kollegen aus Österreich einverstanden, dass es sich dabei nicht um irgendwelche Zentren handelt, sondern um knallharte Gefängnisse. Wer diese Lager mit eigenen Augen gesehen hat, hat seine Unschuld verloren und wird nie wieder im eigenen Land populistische Aussagen machen oder zulassen, weil er ob dieser Situation einfach nur beschämt sein wird.

Wenn Sie in die Augen der Flüchtlinge aus Syrien, aus Palästina, aus dem Irak, aus Subsahara-Afrika geblickt haben, die ihre Papiere weggeworfen haben und sich nun, nachdem sie Schleppern bis zu 8 000 USD gezahlt haben, sich in diesen Gefängnissen mit diesen Missständen wiederfinden, dann fühlt man sich humanitär in unserem Jahrtausend ganz klein.

Griechenland hat seit dem August 2012 die Landgrenze dicht gemacht. Auch die Flussgrenze wird bestens überwacht. Auf diesem Weg kommen eigentlich keine Flüchtlinge mehr, 97 Prozent konnte man abwenden. Wie aber schon festgestellt wurde, hat Griechenland die längste Küste und 3000 Inseln und ist dadurch nicht so bewachbar, wie wir uns das vielleicht wünschen würden, und damit sehr verletzlich.

Ich bitte meine griechischen Freunde um Nachsicht, wenn ich dennoch in aller Härte die Zustände in den Gefängnissen an den Pranger stellen muss: Oft gibt es keine Heizung, kein warmes Wasser, miserable sanitäre Anlagen, die Menschen sind über Monate von ihren Ehepartnern getrennt, ohne zu wissen, was mit ihnen in Zukunft passieren wird und ohne dass die Familien wissen, was mit ihren Verwandten passiert ist.

Das ist eine unvorstellbare humanitäre Tragödie. Ich fordere Sie auf, nicht zuzulassen, dass sich das nicht ändert.

Ich habe den Inhaftierten versprochen, dass ich nicht schweigen werde. Dieses Nichtschweigen endet nicht hier und heute im Europarat, sondern es wird weitergehen. Wir können nicht zusammen die Welt retten, aber wir können dafür einstehen, dass wir anerkennen, dass globale Herausforderungen globale Lösungen brauchen. Es geht uns alle etwas an.

Ich danke Ihnen.

Annette GROTH, Deutschland, UEL/GUE

(Dringlichkeitsdebatte - Migration und Asyl: steigende Spannung im östlichen Mittelmeerraum, Dok. 13106)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich möchte mich den letzten Worten meiner Vorrednerin anschließen. Wer letzte Woche mit uns in Griechenland war, wird nie die Flüchtlinge vergessen, mit denen wir sprachen. Die Syrerin, die sagte: „Lieber sterbe ich in Syrien, als dass ich hier noch länger eingesperrt bleibe“, den elfjährigen Jungen aus Pakistan, der, auf welche Weise auch immer, nach Griechenland gekommen ist, sichtbar schwer traumatisiert und krank war und dringend Behandlung brauchte, ebenso wenig wie die 51 Frauen, die unter unmenschlichen Bedingungen in einem entsetzlichen Gefängnis festgehalten wurden und uns weinend anflehten: „Holt uns hier raus! Wir werden verrückt, wir sterben hier, wir ertragen es nicht länger!“

Ich wünsche mir, dass alle EU-Innenminister in mehrere Abschiebe-Gefängnisse in Griechenland und anderswo gehen und ihre unmenschliche Dublin II-Regelung überdenken. Es wurde bereits von mehreren Rednern angemahnt: Wir müssen Dublin II vergessen! Als deutsche Oppositionspolitikerin muss ich sagen, dass Dublin II wahrscheinlich schon längst vom Tisch wäre, wenn Deutschland geografisch in Griechenland läge. Leider ist die deutsche Regierung sehr gegen eine Änderung, wie sie letzte Woche in Brüssel wieder debattiert wurde.

Was sich hier abspielt, ist eine humanitäre Katastrophe. Wenn wir dazu schweigen und nicht alles tun, um Flüchtlingen, die vor Krieg und Hunger fliehen, keine Aufnahme und sichere Unterkunft in unseren reichen Ländern geben, machen wir uns mitschuldig.

Ich hörte, dass der Libanon, ein winziges Land, dieses Jahr 300 000 zusätzliche syrische Flüchtlinge erwartet. Die UN-Chefin in Beirut wies darauf hin, dass das einem Zustrom von 25 Millionen Menschen nach Europa entsprechen würde!

Zur Sicherung der EU-Außengrenzen, also zur Abwehr von Flüchtlingen und Migranten, geben wir sehr viel Geld aus, für menschenrechtskonforme Unterbringung, für dringend benötigte medizinische, psychosoziale Betreuung etc. dagegen fast nichts. 200 Millionen Euro für Grenzmanagement (Zäune, Überwachungskameras usw.) gegen nur 4 Millionen vom Europäischen Flüchtlingsfonds für die Unterbringung von Flüchtlingen in Griechenland. Da müssen wir doch laut fordern, die Proportionen umzukehren!

Ehrlich gesagt habe ich Angst vor den erstarkenden Neonazis in Griechenland und unseren anderen Ländern; wir hatten ja neulich eine Debatte – an der ich leider nicht teilgenommen habe - darüber, was sich in Ungarn und anderswo abspielt. Wir müssen dieser Gefahr etwas entgegensetzen. Dazu gehört auch eine solidarische Migrations- und Flüchtlingspolitik.

Ich appelliere an uns alle: Wir müssen Syrer und vor allen Dingen aus Syrien fliehende Palästinenser aufnehmen. Diese Volksgruppe fällt völlig durch alle Raster und wird kaum thematisiert. Auch tausende von Palästinensern vegetieren in Gefängnissen und wissen nicht, wohin.

Ich wünsche diesem Bericht von Tineke Strik weite Verbreitung und einhellige Unterstützung.

Danke.

Stefan SCHENNACH, Österreich, SOC

(Dringlichkeitsdebatte - Migration und Asyl: steigende Spannung im östlichen Mittelmeerraum, Dok. 13106)

Bitte entschuldigen Sie! Bevor Sie in die Abstimmung gehen, möchte ich mich selbst korrigieren.

In der Emotionalität habe ich bei der Schilderung von Istanbul gleich das Massengrab angesprochen. Dieses liegt aber auf der anderen Seite des Grenzflusses in Griechenland. Das möchte ich in meiner Rede korrigieren.

Danke.

Theodora BAKOYANNIS, Griechenland, EPP/CD / PPE/DC

(Dringlichkeitsdebatte - Migration und Asyl: steigende Spannung im östlichen Mittelmeerraum, Dok. 13106)

Ich habe mir sehr viel angehört, aber von einem Massengrab in Griechenland höre ich zum ersten Mal! Ein Massengrab, Herr Kollege, gibt es sicher nicht.

Bitte passen Sie ein wenig auf, wenn sie über Griechenland sprechen. Ich verstehe, dass Österreich keine Grenzen mit dritten Ländern hat, aber ein wenig Respekt erwarten wir Griechen auch von Ihnen.

Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/CD / PPE/DC

(Antwort auf die Dankesworte des Präsidenten, Herrn MIGNON)

Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident!

Herzlichen Dank an alle meine Kollegen, die mich in der Arbeit unterstützt haben. Wie Sie erwähnten, habe ich einige Berichte erstattet, vordergründig im Rechtsausschuss.

Die vielen sehr interessanten Begegnungen, aus denen zum Teil gute Bekanntschaften und Freundschaften geworden sind, will ich gerne weiterpflegen, indem ich sicherlich touristisch nach Straßburg kommen und die Kollegen hier und da besuchen werde.

Vielen Dank.

Marina SCHUSTER, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dringlichkeitsdebatte – Die jüngste Entwicklung in Mali und Algerien und die Bedrohung für Sicherheit und Menschenrechte im Mittelmeerraum, Dok. 13107)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen!

Im Namen der ALDE-Fraktion möchte ich der Berichterstatterin für ihren Bericht danken und mich ihren Worten anschließen: Wir verurteilen die terroristischen Angriffe auf das Gasfeld und sprechen allen Angehörigen der Opfer unser Mitgefühl aus.

Wir verurteilen aber auch die grausamen Menschenrechtsverletzungen in Nordmali. In Berichten des UNHCR wird von Hinrichtungen, Abhacken von Gliedmaßen, Vergewaltigungen und Folter berichtet, durchgeführt von islamistischen Extremisten. Deswegen ist es richtig, dass der Internationale Strafgerichtshof Ermittlungen aufgenommen hat.

Mit großer Sorge sehen wir aber auch Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die malischen Truppen – auch das dürfen wir nicht tolerieren.

Besonders um zwei Dinge müssen wir uns jetzt kümmern:

Die humanitäre Situation, denn die Lage wird sich natürlich verschärfen. Das UNHCR rechnet mit 700 000 Menschen, die gezwungen sein könnten, zu fliehen. Deshalb ist unser Ziel, in Mali und seinen Nachbarländern die Versorgungs- und Ernährungssicherheit und den Zugang zur Zivilbevölkerung herzustellen.

Neben der UN-Resolution 2085 möchte ich auch einen Blick auf den politischen Prozess werfen. Wir dürfen nicht vergessen, dass die Übergangsregierung in Mali den Auftrag bekommen hat, eine Roadmap für einen politischen Prozess zu erarbeiten. Ohne diesen Prozess und ohne die Nachbarstaaten lassen sich die schon lange bekannten Probleme nicht lösen. Es ist wichtig, dass wir weitere Gespräche führen und an weitere Maßnahmen denken, beispielsweise im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit.

Der letzte Punkt: Überall dort, wo sich Terror breitmacht, also auch hier, sind unsere Sicherheitsinteressen berührt. Es ist nicht nur eine Gefahr für Afrika, sondern auch für Europa. Insofern ist es richtig, dass wir als Parlamentarische Versammlung des Europarates uns mit der Situation in Mali und den Nachbarländern befassen.

Vielen Dank.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Dringlichkeitsdebatte – Die jüngste Entwicklung in Mali und Algerien und die Bedrohung für Sicherheit und Menschenrechte im Mittelmeerraum, Dok. 13107)

Danke vielmals, Herr Präsident!

Meine Damen und Herren!

Sehr wahrscheinlich stimmt es, dass dieser militärische Einsatz unvermeidbar war. Das sieht man auch daran, dass man im Süden von Mali und in der Hauptstadt gleich danach keine französischen Flaggen mehr kaufen konnte, denn alle Menschen wollten ihrer Freude und Erleichterung darüber Ausdruck geben, dass das militärische Eingreifen Frankreichs die Terroristen daran gehindert hat, das ganze Land bzw. noch weitere Gebiete zu erobern.

Aber etwas müssen wir uns bewusst machen: Auch nur die Integrität des Landes kann man nicht mit militärischen Mitteln wiederherstellen. Wir müssen politische Anstrengungen unternehmen, um wieder Frieden zu finden und nicht die Lage vor dem Eingriff, sondern mehr zu erreichen. Es reicht nicht, die Situation vor dem Vorstoß der Islamisten wiederherzustellen, denn damals waren die Bedingungen gegeben, um so viel Gewalt verschiedener Art entstehen zu lassen. Die Situation, die wir zuvor hatten, war einer der Gründe dafür, dass es so viel Terror, Elend und Kriminalität gibt.

Dazu müssen wir uns bewusst machen, wie wir über die Probleme reden: Es gibt Rebellen, die keine Terroristen sind, es gibt Kriminelle, die keine Terroristen sind, es gibt Muslime, die keine Terroristen und keine Rebellen sind, es gibt Terroristen, die keine Muslime und auch beispielsweise keine Schmuggler sind, sondern einfach grausame Menschen, die mit religiöser Motivation andere unterdrücken, es gibt aber auch Islamisten, die zwar ihre Religion mit Gewalt anderen aufdrängen wollen, aber selbst keine Terroristen sind. Wir müssen sehr viel präziser sein In der Art, wie wir über diese ganz unterschiedlichen Menschen sprechen.

Auch die Kolonialherrschaft trägt hier eine schwere Verantwortung. Schon in der Kolonialzeit wurde der Norden völlig vernachlässigt. Im ganzen Land können nur 30% der Menschen lesen und schreiben. Das ist für die Wirtschaftsentwicklung eine Katastrophe. Je schlechter es den Menschen geht, desto anfälliger sind sie für die Ideen von Kriminellen oder Terroristen.

Eine zentralistische Staatsstruktur, die erst noch von der Spitze her mit den Kriminellen zusammenarbeitet, ist unfähig, eine multigesellschaftliche Nation zu integrieren. Um die Integrität herzustellen, muss man dezentralisieren und autonome Gebiete schaffen. Hier haben wir Fehler gemacht, weil wir nicht hingeschaut haben, wie andere mit unserem Geld und unserem Handel falsch gewirtschaftet haben.

Vielen Dank.