AL16CR07
AS (2016) CR 07
Provisorische Ausgabe
SITZUNGSPERIODE 2016
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(1. Teil)
BERICHT
07. Sitzung
Donnerstag, 28. Januar 2016, 10.00 Uhr
Axel E. FISCHER, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC
(Dringlichkeitsdebatte: die kürzlich erfolgten Übergriffe gegen Frauen in europäischen Städten – die Notwendigkeit einer globalen Antwort, Dok. 13961)
Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
meine Damen und Herren!
Ich bin sehr glücklich, dass wir diese Diskussion heute führen, denn es ist wichtig, einige Dinge klar zu sagen:
Einen Kommentar, den ich eben gehört habe, möchte ich an Sie weitergeben: Eben wurde ich von einer Frau darauf angesprochen, dass auf der Rednerliste dieser Diskussion, bei der es um Übergriffe gegen Frauen geht, sehr viele Frauen und relativ wenig Männer stehen. Vielleicht wäre es schön gewesen, wenn noch ein paar Männer mehr gesprochen hätten.
Wir sollten deutlich machen, dass es wichtig ist, diese Dinge aufzuklären. Diese Übergriffe sind nicht nur in Deutschland passiert, sondern auch in Schweden und anderen Ländern. Wie der Berichterstatter vorhin zu recht sagte, besteht dieses Problem in vielen unserer Länder.
Es muss klipp und klar aufgeklärt werden, was dort wirklich passiert ist und wer die Tatverdächtigen sein könnten – bisher wissen wir nicht besonders viel. Es gibt viele Vorwürfe, doch gilt bei uns immer noch die Unschuldsvermutung, wenn nichts nachgewiesen werden kann.
Nun stellen sich folgende Fragen:
Stellen wir uns einmal vor, es sei fast nichts passiert. Dann ist die Frage, warum 2 oder 3 Tage später eine riesige Medieninszenierung gemacht wird. Welche Rolle spielen hier die Medien?
Oder die andere Möglichkeit: Die erhobenen Vorwürfe sind alle zutreffend und es ist zu massenweisen sexuellen Übergriffen gekommen. Dann ist die Frage, warum es so lange gedauert hat, bis die Medien darüber berichtet haben.
Damit müssen wir als Europarat uns beschäftigen, denn wir schreiben uns die Menschenrechte und die Pressefreiheit auf die Fahnen und sind als Berichterstatter in vielen unserer Mitgliedsländer unterwegs. Wenn es um Demokratisierung und Rechtsstaatlichkeit geht, fragen wir immer auch nach den Menschenrechten und der Freiheit der Presse in den jeweiligen Ländern. Irgendetwas hat da in einigen unserer Mitgliedsländer wohl nicht funktioniert. Das müssen wir ganz in Ruhe aufklären.
Ich kann Ihnen heute nicht sagen, was unser Ergebnis sein wird. Aber die Fragen sind da, und es ist unsere Aufgabe, sie zu beantworten. Deshalb bin ich sehr froh, dass wir jetzt dieses Thema auf der Tagesordnung haben und diesen Bericht diskutieren.
ich darf Sie bitten, einander zuzuhören und am Schluss diesen Bericht zu verabschieden, um ein Signal zu senden, dass wir an diesem Thema dranbleiben, denn das ist unsere Aufgabe hier im Europarat.
Herzlichen Dank.
Frank SCHWABE, Deutschland, SOC
(Dringlichkeitsdebatte: die kürzlich erfolgten Übergriffe gegen Frauen in europäischen Städten – die Notwendigkeit einer globalen Antwort, Dok. 13961)
Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Das steht auf dem Papier in fast allen Konventionen, Verfassungen und Gesetzen unserer Nationalstaaten; so auch in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland. In manchen Bereichen ist dieser Grundsatz auch umgesetzt, aber in vielen unserer Heimatländer eben längst nicht umfassend.
Neben der mangelnden Gleichberechtigung gibt es auch einen alltäglichen Sexismus: sexistische Darstellungen in der Werbung, sexistische Witze und leider auch sexistische Übergriffe, wie wir sie jetzt in den letzten Tagen und Wochen erlebt haben. Vieles davon wird verharmlost, und vieles davon erdulden Frauen hunderttausendfach täglich in den Ländern des Europarats – und das im Übrigen ziemlich unabhängig von der ethnischen Zusammensetzung im Land, dem Anteil an Migranten und der Religion.
Wenn die schlimmen frauen- wie menschenverachtenden Übergriffe der Silvesternacht auch in vielen deutschen Städten jetzt dazu führen, etwas zu ändern, Übergriffe gegen Frauen z.B. endlich umfassend in allen Ländern des Europarats zu verbieten, dann ist die Debatte überfällig, richtig und sinnvoll.
Wenn die Debatte allerdings genutzt werden soll, um rassistische Ressentiments zu betreiben - meistens im Übrigen von Männern, die sich zuvor nicht so sehr mit dem Schutz von Frauenrechten hervorgetan haben, dann ist sie verwerflich und wir müssen uns dem mit aller Entschiedenheit entgegenstellen.
Es gibt eben keine schnellen und einfachen Antworten, wie ich sie in den letzten Tagen zum Teil auch hier gehört habe.
In meinem Land gibt es eine intensive Aufarbeitung der Vorkommnisse ohne Vertuschen und Verschweigen. Was mich wirklich irritiert ist das Massenphänomen, das sich in Köln und anderswo ereignet hat, und das ich bisher nur aus Ägypten, vielleicht auch aus Indien kenne. Darauf habe ich keine Antwort, weil es keine schnelle Antwort gibt, ebenso wenig wie bei der Frage, wie man dem entgegenwirken kann.
Wir sollten bei all dem, was wir kritisch diskutieren, bei den Tatsachen bleiben. Tatsache ist, dass die Polizei in vielen deutschen Städten in der Silvesternacht überfordert war und dass das Ausmaß der Übergriffe erst in den nächsten Tagen deutlich wurde. Wahrscheinlich auch deshalb, weil verängstigte Frauen es nicht wagten, die Übergriffe sofort anzuzeigen. Deswegen gab es eine verzögerte Medienberichterstattung, nicht, weil irgendjemand in Deutschland irgendeine Zensur ausgeübt hätte.
Wir haben eine intensive Aufarbeitung: Mittlerweile befasst sich der Landtag von NRW damit, wie zuvor auch der Deutsche Bundestag. Außerdem liegt ein 100-seitiger Bericht der Polizei vor. Gestern hat die Bundesregierung einen Beschluss zur Ausweisung von straffälligen Ausländern gefasst und es gibt zahlreiche Razzien und Festnahmen.
Es gibt m.E. zwei notwendige Schlussfolgerungen:
Dann hätten wir, glaube ich, aus diesen Vorkommnissen gelernt.
Gabriela HEINRICH, Deutschland, SOC
(Dringlichkeitsdebatte: die kürzlich erfolgten Übergriffe gegen Frauen in europäischen Städten – die Notwendigkeit einer globalen Antwort, Dok. 13961)
Vielen Dank, Herr Präsident!
Zuerst möchte natürlich auch ich Jonas Gunnarsson für diesen sehr ausgewogenen Bericht und auch dafür danken, dass er bemerkt hat, dass wir noch sehr viel mehr Informationen benötigen, um beurteilen zu können, was in der Silvesternacht passiert ist.
In Deutschland herrschte nach der Silvesternacht große Bestürzung über die sexuellen Übergriffe auf Frauen im öffentlichen Raum, in Köln, wie wir wissen aber auch in anderen europäischen Städten. Klar ist, dass jedwede Gewalt an Frauen im öffentlichen Raum verurteilt werden muss und Frauen hier beschützt werden müssen.
Der Rechtsstaat ist insgesamt verpflichtet, diese Angriffe aufzuklären und muss dafür sorgen, dass sie nicht straflos bleiben. Damit dies tatsächlich geschehen kann, müssen sowohl die Polizei als auch die Ermittlungsbehörden entsprechend ausgebildet und vorbereitet sein. In dieser Hinsicht haben wir noch Hausaufgaben zu machen.
Der Vorwurf der verspäteten Berichterstattung seitens der Medien betrifft hauptsächlich die überregionalen Medien. Die regionalen Medien in Köln haben sehr wohl am nächsten bzw. übernächsten Tag berichtet. Man muss natürlich auch sagen, dass sehr viele der Anzeigen, die sich allein in Köln mittlerweile auf mehrere Hunderte addiert haben und auch in anderen Städten deutlich mehr geworden sind, sehr verspätet erstattet wurden, sodass auch hier die Berichterstattung natürlich erst nachziehen kann.
Klar ist aber auch, dass diese Angriffe nicht gegen Flüchtlinge im Allgemeinen instrumentalisiert werden dürfen, auch – was ja wahrscheinlich der Fall war –, wenn Asylbewerber oder Migranten an diesen Taten beteiligt waren. Diese grundsätzliche Verurteilung im Hinblick auf Flüchtlinge ist völlig kontraproduktiv.
Gewalt gegen Frauen, auch im öffentlichen Raum, ist ja auch in Deutschland kein neues Phänomen. Es ist genauso wenig neu, dass Übergriffe nicht angezeigt werden, auch nicht im häuslichen Bereich. Die Täter sind dabei Männer aus allen Kulturkreisen.
Wie Jonas Gunnarsson gesagt hat, liegt der Grund in der Ungleichheit von Mann und Frau. Frau Kavvadia bin ich dankbar, dass sie an dieser Stelle das Thema Religion angesprochen hat.
Gewalt gegen Frauen ist kein religiöses Gebot und es ist auch nicht allgemein kulturell begründet, aber Gewalt gegen Frauen ist ein Auswuchs von patriarchalischen Strukturen und einer Erziehung, die Jungen keinen Respekt gegenüber Frauen beibringt, sodass sie der Meinung sind, sie hätten das Recht, Frauen zu betatschen bis hin zu entsprechenden sexuellen Übergriffen.
Ich halte die in diesem Bericht aufgestellten Forderungen für sehr sinnvoll, z. B. die Forderung nach entsprechenden Aufklärungskampagnen. Natürlich muss man sich hier diese Aufklärungskampagnen auch für die Migranten, die in unsere Länder kommen, massiv auf die Fahne schreiben. Sie müssen ganz klar über Gleichberechtigung und die Ächtung von sexueller Gewalt aufgeklärt werden.
Ich bin auch dankbar für die Ergänzung, die besondere Rolle der Erziehung in den Blickpunkt zu nehmen. Es geht darum, sowohl die Mädchen als auch die jungen Männer zu stärken, sich hier entsprechend mit Gleichberechtigung, Gleichstellung und Ungleichheit in unseren Ländern auseinanderzusetzen.
Der Bericht wird hoffentlich mit dazu beitragen, dass wir auch unsere nationalen Gesetzgebungen im Hinblick darauf überprüfen, was wir noch ändern müssen, um Frauen zu schützen.
Es ist sehr positiv, dass sich so viele Männer an dieser Debatte beteiligen.
Danke schön.
Mechthild RAWERT, Deutschland, SOC
(Dringlichkeitsdebatte: die kürzlich erfolgten Übergriffe gegen Frauen in europäischen Städten – die Notwendigkeit einer globalen Antwort, Dok. 13961)
(Anfang auf Englisch)
Gewalt gegen Frauen ist jederzeit schändlich und widerwärtig. An jedem Ort, zu jeder Zeit, an jeder Stelle. Der Unterschied zwischen einem Rechtsstaat und patriarchalen Gesellschaften liegt in der Prävention, der Gesetzeslage und der Möglichkeit der Strafverfolgung; dass Frauen sich vertrauensvoll an die Polizei wenden können.
Bezogen auf Köln habe ich mir die Daten besorgt. Mit Stand vom 21. Januar ist das Ergebnis der Polizeiermittlungen folgendes:
Es liegen 821 Straftaten vor, davon 359 Sexualstrafhandlungen. In den anderen Fällen handelt es sich hauptsächlich also um den Diebstahl von Handys und Geldbörsen. Opfer sind 1490 Frauen, davon wurden 482 Frauen Opfer von Sexualdelikten. Der Tatverdacht richtet sich gegen 30 Personen, von denen keine deutscher Herkunft ist. 7 Personen befinden sich in Untersuchungshaft.
Laut diesem Bericht gab es 2 Vergewaltigungsfälle, und zwar durch Einführen des Fingers in die Scheide. Es wurde in der Regel versucht, die Frauen am Busen und im Schritt zu begrapschen und ihnen unter die T-Shirts zu greifen. Parallel dazu wurden jeweils die Wertgegenstände gestohlen.
Die politische Konsequenz: Der Kölner Polizeipräsident musste bereits zurücktreten. Das ist auch gut so, denn Frauen müssen sich auf ein Rechtsstaatsgebilde verlassen können, das auch für sie da ist. Die möglicherweise noch zu geringe Anzahl liegt tatsächlich daran, dass viele Staaten noch kein entsprechendes Rechtswesen aufgebaut haben, dass also sexuelle Belästigung teilweise noch als Kavaliersdelikt wahrgenommen wird.
Wie diese Debatte zeigt, wollen wir alle letztendlich noch in diesem Jahr die Istanbul-Konvention unterzeichnen, denn das muss ja die logische Konsequenz dieser Vorfälle sein.
Doch möchte ich auch noch einen anderen Aspekt ansprechen. Es gibt einen Aufruf von über 100 Geflüchteten-Organisationen aus ganz Europa:
„We need to talk about Cologne. We, refugee and migrant communities, settled in different EU-countries, from different nationalities and backgrounds, strongly condemn the recent sexual attacks against women in Germany. We would like to express our sorrow and sympathy to the victims of these terrible attacks. We condemn any violence against women, be they nationals or foreigners, perpetuated by foreigners or nationals. Perpetrators should be prosecuted and convicted. It is important now to clarify and understand what happened, so that people, in particular women, feel safe again, justice can be done, and further violence prevented. We did not flee violence there to accept it here.”
Ich denke, wir haben eine Menge Gemeinsamkeiten zwischen geflüchteten Menschen und Europäerinnen und Europäern. Lassen Sie keine falsche Spaltung zu, das ist unsere gemeinsame Aufgabe, bezogen auf Menschenrechte und Rechtstaatlichkeit.
Rainer GOPP, Liechtenstein, ALDE / ADLE
(Dringlichkeitsdebatte: die kürzlich erfolgten Übergriffe gegen Frauen in europäischen Städten – die Notwendigkeit einer globalen Antwort, Dok. 13961)
Danke, Herr Vorsitzender
Werte Kolleginnen und Kollegen!
Dieser Bericht ist wichtig, qualitativ gut und stellt klare, unmissverständliche Forderungen auf. Aber ist es mit Forderungen, Konventionen und Gesetzesanpassungen wirklich getan?
Gesetze und Konventionen sind wichtig, um die entsprechenden Rahmenbedingungen zur Hand zu haben. Schaffen wir es aber nicht, dass durch intensive Aufklärung und Anpassungen im Bildungswesen eine gesellschaftliche Selbstverständlichkeit für die Gleichstellung erreicht wird, werden auch Regelungen, Gesetze und Konventionen scheitern. Dann haben wir zwar die formelle Gleichstellung von Mann und Frau erreicht, aber eine tatsächliche Gleichstellung werden wir nicht bekommen und es wird weiter zu Diskriminierungen kommen.
Durch die Flüchtlingsströme verändern sich zudem aktuell kulturelle und wertebasierte Rahmenbedingungen in unserer Gesellschaft. Echte Integration wird noch wichtiger werden, denn die Anzahl der Menschen, die zu uns kommen, lassen bisher gelebte Integrationsmaßnahmen wohl oft an ihre Grenzen stoßen. Durch Dialoge und intensivste Aufklärung in Bezug auf unsere Werte und unser Zusammenleben sowie entsprechende Vorkehrungen im Bildungswesen müssen wir unsere Migranten vom Kindesalter an entsprechend abholen.
Jedem Menschen soll es m.E. gewährleistet sein, sein Leben frei zu gestalten. Gerade heute sind aber Dialoge ein noch wichtigerer Pfeiler, um Verständnis in Bezug auf Werte und Lebensweisen aufzubauen. Zur Integration braucht es eben ein Geben und Nehmen, um ein für alle Seiten gutes gesellschaftliches Miteinander erreichen zu können.
Herausfordernd, aber machbar – dies haben Generationen vor uns bereits bewiesen.
Und nun zu den jüngsten Übergriffen:
Polizisten und Hilfskräfte müssen besser aufgeklärt und ausgebildet werden, um einer situativen Überforderung vorzubeugen. Kommt es aber zu Übergriffen, ist jeder von uns gefordert, dies in unserer Gesellschaft nicht zuzulassen. Übergriffe, wie jene in der Silvesternacht, müssen restlos aufgeklärt werden. Es muss sich zudem eine Kultur etablieren, die Opfer von Gewalt ermutigt und es ihnen ermöglicht, ihren Teil für die Aufklärung beizutragen.
Aufklärungs- und Informationskampagnen sollten jetzt vollzogen werden, da sie einen bildenden Charakter haben. Ebenso tragen Medien einen wesentlichen Anteil dazu bei, was in einer Gesellschaft als opportun gilt oder eben nicht. Wir als Parlamentarier müssen jede Form von Gewalt verurteilen, denn letztendlich sprechen wir hier von grundlegenden Menschenrechtsverletzungen.
Nur durch Dialog, Aufklärung und vor allem Bildung wird es uns gelingen, eine auf unseren Werten basierende Gleichstellung zu etablieren und so einen essentiellen Beitrag zur Gewaltprävention gegenüber Frauen zu leisten.
Diskussionen wie diese hier sind wichtig und es ist von zentraler Bedeutung, diese Energie hinauszutragen.
Lassen Sie uns hinsehen, lassen Sie uns handeln!
Rainer GOPP, Liechtenstein, ALDE / ADLE
(Fragen an Frau Lorella STEFANELLI und Herrn Nicola RENZI, Kapitän-Regenten von San Marino)
Exzellenzen, wie Sie erwähnt haben, befindet sich San Marino in Bezug auf seinen Finanzplatz seit längerem in einem Transformationsprozess. Ich nehme an, dies wird auch bei Ihnen größere Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit den Staatshaushalt haben.
Wie ist die Lage diesbezüglich in Ihrem Land und welche Maßnahmen treffen Sie?