15.04.2008
Rede von Angela MERKEL
Bundeskanzlerin Deutschlands
vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats
(Strassburg, 14.-18. April 2008)
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Abgeordnete, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herzlichen Dank für die Einladung nach Straßburg. Es kommt nicht von ungefähr – das spüre ich jetzt wieder –, dass Straßburg als Hauptstadt Europas bezeichnet wird. Denn immerhin gibt es hier gleich zwei Parlamente, die Europa entscheidend mitgestalten und prägen und dies auch in den vergangenen Jahren getan haben.
Ich freue mich, heute zum ersten Mal vor der Parlamentarischen Versammlung des Europarats in Straßburg sprechen zu können. Die Parlamentarische Versammlung ist ein besonderer Ort. Sie war die erste ihrer Art in der Geschichte Europas. Heute sind Abgeordnete aus 47 nationalen Parlamenten in der Parlamentarischen Versammlung vertreten. Das zeigt unsere Vielfalt. Mir ist es deshalb ein ganz besonderes Vergnügen, heute hier bei Ihnen zu sein.
Die Versammlung wird allein dadurch, dass Parlamentarier aus 47 Ländern hier miteinander beraten, ein Ort des politischen Austauschs über die Grenzen in Europa hinweg, ja sogar eines unverzichtbaren politischen Austauschs gerade deshalb, weil die einzelnen Nationen in Zeiten zunehmender Globalisierung immer enger zusammenwachsen. Das spüren wir. Aber wir spüren bei vielen Diskussionen natürlich auch, wo Unterschiede und verschiedene Sichtweisen anzusiedeln sind.
Politische Entscheidungen der einzelnen Länder haben immer mehr Auswirkungen auf das, was in anderen Ländern passiert. Wir stehen zunehmend vor denselben Herausforderungen. Wir haben dieselben Probleme zu lösen. Deshalb erleben wir, dass Außenpolitik zunehmend auch Innenpolitik wird bzw. Innenpolitik immer mehr auch Außenpolitik wird. Das heißt, dass man die klassische Trennlinie, wie wir sie einmal hatten, überhaupt nicht mehr ziehen kann.
Daraus entwickelt sich ein Bewusstsein gemeinsamer Verantwortung für ein gedeihliches Miteinander in Europa. Dieses Bewusstsein entwickelt sich in ganz besonderer Weise in der Parlamentarischen Versammlung. Damit haben Sie in den vergangenen Jahren und in den Jahren Ihrer Existenz einen unschätzbaren Beitrag zum Zusammenwachsen, zur Einigung und zu einem gemeinsamen Verständnis in Europa geleistet.
Den Europarat gibt es seit fast 60 Jahren. Er steht in der gesamten Zeit für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, für Freiheit und Frieden, für Vielfalt und Toleranz, für Gerechtigkeit und Solidarität. Ich glaube, das sind genau die Werte, die Europa in seinem Kern zusammenhalten.
Sicherlich gründet Europa auch auf gemeinsamen geschichtlichen Erfahrungen und auf dem Willen, unsere Zukunft besser zu gestalten. Daraus haben sich im Laufe der Zeit sehr viele gemeinsame Projekte entwickelt, wie zum Beispiel der Binnenmarkt, der Schengen-Raum und der Euro. Doch erst auf der Grundlage anerkannter gemeinsamer Werte konnte in Europa ein historisch neues Miteinander von größeren und kleineren Staaten entstehen – ein Miteinander, das sich durch Vertrauen zueinander und durch Respekt voreinander auszeichnet. Wir wissen, dass das zu einer Periode der Geschichte geführt hat, in der kriegerische Auseinandersetzungen sehr viel weniger geworden sind.
Wir wissen auch, dass nur im Europarat fast alle Staaten Europas versammelt sind. Sie alle eint das Streben nach gemeinsamen Werten. Wir werden bei denen, die noch nicht dabei sind, darum ringen, dass auch sie Mitglied des Europarats werden.
Deutschland trat im Jahr 1951 dem Europarat bei. In diesem Jahr hat der erste Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland, Konrad Adenauer, vor der damals noch Beratenden Versammlung des Europarats eine Rede gehalten. Darin sagte er: "Es bedeutet viel für die politische Entwicklung Europas, dass wir hier in den Organen des Europarats eine Plattform haben, auf der sich die Repräsentanten Europas regelmäßig begegnen, ihre Sorge und Nöte, ihre Wünsche und Hoffnungen austauschen, gemeinsame Kriterien für die Bewertung ihrer Bedürfnisse zu entwickeln versuchen und überhaupt in einem Geiste der Fairness und der guten Nachbarschaft zusammenarbeiten; mit anderen Worten: Wir haben hier das europäische Gewissen."
Seit fast 60 Jahren wacht der Europarat als "europäisches Gewissen" über unsere gemeinsamen Werte – Werte, die letztlich in der Würde jedes einzelnen Menschen gründen. So hat der Europarat geholfen, das Handeln der Regierungen unter das Gebot der Wahrung der Menschenrechte zu stellen. Es ist ein dauerhaft gültiges Gebot, das die Grundlage für das Zusammenleben von Menschen und für die Beziehungen zwischen Mensch und Staat ist.
Richtig ist, dass die Menschenwürde unteilbar ist. Sie hat in allen Ländern Europas den gleichen Stellenwert. Richtig ist aber auch, dass es verschiedene Ausprägungen und Praktiken bei der Wahrung der Menschenrechte gibt. Das ist natürlich auch auf unterschiedliche historische Erfahrungen und Traditionen zurückzuführen. Vermutlich hat unter anderem dies Papst Johannes Paul II. dazu veranlasst, in seiner Ansprache vor der Parlamentarischen Versammlung im Jahr 1988 anzumerken: "Die europäische Identität ist keine leicht erfassbare Wirklichkeit."
Seit dem Jahr 1988, als Papst Johannes Paul II. vor der Parlamentarischen Versammlung sprach, hat sich Europa aber entscheidend verändert. Heute ist eine europäische Identität wesentlich klarer zu erkennen als noch vor 20 Jahren. Der Fall des Eisernen Vorhangs und das Ende des Kalten Krieges haben die widernatürliche Teilung Europas beendet. Zum ersten Mal haben sich auf der Basis der Europäischen Menschenrechtskonvention die Anfänge einer gesamteuropäischen Identität herausgebildet.
Ich habe die ersten 35 Jahre meines Lebens in der ehemaligen DDR verbracht. Während des Regimes der SED gab es nicht die Möglichkeit, diskriminierende und ungerechte Behandlungen staatlicher Stellen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Sprache zu bringen. Das hat sich in Deutschland mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung und durch den Einzug der Freiheit in vielen Teilen Europas schlagartig geändert.
So haben nach dem Jahr 1990 viele Länder Mittel- und Osteuropas Schritt für Schritt von einer Parteiendiktatur Abschied genommen und sich zu Demokratien entwickelt. Sie haben den Weg in eine freiheitliche Gesellschaft eingeschlagen mit demokratischer Stabilität, in den allermeisten Fällen mit einem Mehrparteiensystem, mit einer handlungsfähigen Opposition, mit einer unabhängigen Justiz, mit staatlicher Gewaltenteilung und mit freien Medien. Jeder weiß, dass all dies nirgendwo eine Selbstverständlichkeit war und ist und immer wieder erkämpft werden muss, dass darauf geachtet werden muss, dass all dies nicht in Frage gestellt wird.
Ich habe den Wandel in meinem eigenen Land erlebt. Deshalb sage ich aus voller Überzeugung: Auch wenn Veränderung kaum möglich zu sein scheint, so ist sie dennoch möglich. Wir alle, die wir hier sitzen, haben viele Veränderungen erlebt, die wir vor 20 Jahren noch nicht für möglich gehalten haben. Deshalb bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Erfolgsgeschichte der europäischen Einigung Signalwirkung für andere Regionen der Welt haben kann – Regionen, in denen Stabilität heute kaum denkbar erscheinen mag, aber nach unserer Erfahrung und deshalb nach unserer Überzeugung keineswegs nur Vision bleiben muss.
Wir sind in Europa – auch das gehört zur Betrachtung der Realität – sicherlich noch nicht am Ende dieser Erfolgsgeschichte angelangt. Ich glaube, man kann sagen, dass Europa eine Daueraufgabe ist. Am Haus Europa gibt es immer etwas zu verbessern. Dies gelingt uns umso mehr, je mehr wir uns alle mit dem europäischen Projekt identifizieren.
Die europäische Identität ist noch immer im Werden begriffen. Ihre Stärkung war immer ein Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im vergangenen Jahr. So haben wir im Zusammenhang mit den Feierlichkeiten anlässlich des 50. Jahrestags der Unterzeichnung der Römischen Verträge in Berlin eine Erklärung verabschiedet. Darin haben wir noch einmal unterstrichen, was uns in Europa verbindet: Unsere Werte, auf deren Grundlage wir unsere Zukunft politisch gestalten.
An unserem politischen Handeln zeigt es sich, ob wir diese Werte durchsetzen. Es ist eine Frage unserer Werte, ob wir es schaffen, der Globalisierung ein menschliches Gesicht zu geben. Es ist eine Frage unserer Werte, ob es uns gelingt, dem Klimawandel entschlossen entgegenzutreten. Es ist auch eine Frage unserer Werte, ob wir handelspolitischen Interessen Vorrang vor Menschenrechten einräumen oder ob wir uns darauf verständigen, dass Wirtschaftsfragen und Menschenrechtsfragen keine Gegensätze sein dürfen. Deshalb müssen Grundregeln auch bei Handelsfragen eingehalten werden.
Kurzum: Unseren Werten Geltung zu verschaffen, ist nichts Abstraktes, nichts für Sonntagsreden. Die Herausforderung, unsere Werte zu leben, stellt sich auch in unserem politischen Handeln täglich aufs Neue – sei es zu Hause oder auf der europäischen Bühne. Trotz aller Erfolge des Europarats wird er deshalb weiter Wächter über die Werte Europas sein müssen.
Das möchte ich an zwei Beispielen verdeutlichen – zum einen im Hinblick auf die Terrorismusbekämpfung, zum anderen im Hinblick auf den Schutz von Minderheiten.
Zunächst zum internationalen Terrorismus. Spätestens seit den Anschlägen in Madrid und London wissen wir, dass der Kampf gegen den Terrorismus auch in Europa ausgetragen wird. Es gilt darauf zu achten, die legitimen Sicherheitsbedürfnisse der Menschen in Übereinstimmung zu bringen mit dem Schutz der Grundrechte des Einzelnen. Sicherheitsinteressen und der Schutz unserer Rechtsvorstellungen müssen stets sorgfältig abgewogen werden. Wir alle wissen, wie schwierig das im Einzelfall sein kann. Das mag auch nicht in jedem Fall zweifelsfrei verlaufen. Umso wichtiger ist es, dass unsere Demokratien auf Gewaltenteilung, auf Interessenausgleich und auf Partizipation basieren, sodass wir beim Betreten von Neuland immer wieder den richtigen Weg finden.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich die Rolle des Menschenrechtskommissars des Europarats hervorheben. Thomas Hammarberg hat Deutschland im Herbst 2006 besucht. Deutschland weiß um die Bedeutung konstruktiver kritischer Betrachtung von außen. Für diese offen zu sein, hilft, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Sie zeigt Defizite auf und rüttelt auf, diese Defizite zu beseitigen. Ich füge ausdrücklich hinzu, dass es nicht immer leicht ist, mit solch einer Kritik leben zu müssen. Das geht sicher jedem so. Das ist aber Teil der Demokratie.
Deshalb ist es gut – das will ich an dieser Stelle ausdrücklich hervorheben –, dass es in Europa eine Pflicht zur gegenseitigen Einmischung gibt, wenn es um Menschenrechte geht. In Fragen der Menschenrechte gibt es keine inneren Angelegenheiten eines Landes, mit denen man sich vor Beurteilungen zum Beispiel des Menschenrechtskommissars schützen kann.
Daraus erwächst einer solchen Institution wie dem Europarat eine besondere Rolle. Ich glaube, Sie nehmen diese Rolle sehr selbstbewusst wahr. Mit einem System gegenseitiger Kontrolle staatlichen Handelns scheut sich der Europarat nicht davor, wenn nötig, immer wieder den Finger in die Wunde zu legen. Er ist Garant dafür, dass Bürgerinnen und Bürger vor einem unabhängigen Gerichtshof die Einhaltung ihrer Grundrechte einklagen können. Auf diese Weise hilft er, dass Politiker im Bemühen um Terrorismusbekämpfung angemessene Entscheidungen treffen und die Freiheitsrechte nicht über Gebühr einschränken.
Damit der Europarat in dieser Funktion erfolgreich sein kann, müssen seine unterschiedlichen Instrumente und Organe – Parlamentarische Versammlung, Ministerkomitee und Gerichtshof – vor allem eines: Im Bewusstsein des gemeinsamen Einsatzes für die Werte Europas müssen sie so eng und reibungslos zusammenwirken, wie dies für die Bewältigung der Aufgaben notwendig ist.
Das gilt genauso für den Umgang mit Minderheiten. Dieses Thema stellt eine große Herausforderung für Europa und auch für die europäische Außenpolitik dar. Wir haben es weltweit und auch in Europa mit ungelösten Minderheitenkonflikten zu tun. Auf der einen Seite steht der Wunsch einzelner Bevölkerungsgruppen nach kultureller und politischer Selbstbestimmung. Dem steht auf der anderen Seite das Interesse von Staaten an der Wahrung ihrer territorialen Integrität entgegen. Auch in diesem Fall handelt es sich um Spannungsfelder, bei denen wir versuchen müssen, diese im konkreten Fall aufzulösen.
Wie schaffen wir die Gratwanderung zwischen Autonomiebestrebungen und nationalem Zusammenhalt? Hierfür gibt es kein Patentrezept. Eines steht jedoch fest: Gewalt darf in keinem Fall die Antwort auf Kontroversen sein. Gewalt ist nicht vereinbar mit unseren grundlegenden Werten.
Der Schlüssel, um Kulturkämpfe zu verhindern, liegt im Dialog. Nur über den Dialog können gesellschaftliche Integration und Teilhabe gelingen. Ich weiß, dass dies leichter gesagt als im Einzelfall getan ist. Denn wie gehen wir mit der wachsenden Zahl von Migranten in Europa um? Inwieweit erfüllt sich ihr Wunsch nach der Beibehaltung ihrer kulturellen Identität? Wie verträgt sich das mit dem Anspruch auf Integration? Wir alle wissen, dass unsere Gesellschaften nur durch Migration vielfältiger werden. Die Wahrung des sozialen Friedens erfordert, neue Mitbürgerinnen und Mitbürger in unsere Gesellschaft einzubinden. Das gilt natürlich auch für diejenigen, die einen anderen Glauben haben als die Mehrheit.
Natürlich beschäftigen diese Fragen auch meine Regierung. Ganz bewusst habe ich eine Regierungsbeauftragte für Migrations- und Integrationsfragen im Bundeskanzleramt angesiedelt, weil diese Fragen eine der herausforderndsten Schwerpunktaufgaben sind. Wir haben einen Dialog mit Vertretern von Mitbürgern mit Migrationshintergrund in Deutschland, den so genannten Integrationsgipfel, ins Leben gerufen. Hier lernen wir, die gegenseitigen Erwartungen auszusprechen, Wünsche und Kritik offen zur Sprache zu bringen.
Ob in Deutschland oder in anderen Ländern: Es gibt keine einfachen Antworten auf Fragen der Integration oder der Migration. Das allerwichtigste ist aber, dass man zunächst einmal miteinander redet, sich kennen lernt, sich besser versteht, um dann die Dinge lösen zu können. Daher begrüße ich ausdrücklich, dass Sie im Europarat den interkulturellen Dialog begonnen haben. Ich glaube, dies ist ein ganz wichtiges Zeichen auch für unsere nationalen Aktivitäten.
Meine Damen und Herren, Terrorismusbekämpfung und Integration sind nur zwei Beispiele von vielen, die eine werteorientierte Politik einfordern. Die Werteorientierung der Länder, die im Europarat vertreten sind, kommt vor allen Dingen in der Menschenrechtskonvention zum Ausdruck. Das ist sozusagen die Plattform, auf der wir alle arbeiten.
Sie zielt darauf ab, den 800 Millionen Menschen in Europa Schutz vor staatlicher Willkür zu gewährleisten. So können sie vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen eine Verletzung ihrer Grundrechte klagen. Ich glaube, dass wir sagen können, dass ein derartiges Menschenrechtsschutzsystem weltweit einzigartig ist. Immerhin machen über 50.000 Bürgerinnen und Bürger jedes Jahr von dieser Möglichkeit Gebrauch. Dies ist ein eindrucksvolles Zeugnis des Vertrauens, das der Gerichtshof in ganz Europa genießt.
Ich habe mir heute Morgen ein Bild von seiner Arbeit machen können. Präsident Costa hat mir geschildert, welch großartige Arbeit die Richterinnen und Richter des Gerichtshofs leisten. Ich war auch in der Registratur, wo die Klagen eingehen. Dabei konnte ich mich davon überzeugen, dass der Gerichtshof an seine Kapazitätsgrenze gestoßen ist.
Ich glaube, dass wir uns darin einig sind, dass der Gerichtshof eine geeignetere Form braucht. Dies ist entscheidend für die Glaubwürdigkeit des gesamten Systems des Menschenrechtsschutzes in Europa. Denn wenn man klagen darf, die Klage aber nie bearbeitet wird, dann ist das rechtsstaatliche System natürlich kein überzeugendes System. Deshalb möchte ich deutlich sagen: Wir dürfen die Reform des Gerichtshofs nicht blockieren. Wer das tut, der stellt letztendlich unsere gemeinsam gelebte Wertebasis zur Disposition.
Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft habe ich mit Präsident Putin darüber gesprochen, wie notwendig eine rasche Ratifizierung des Zusatzprotokolls 14 zur Menschenrechtskonvention durch Russland ist. Außerdem habe ich mit dem Präsidenten der Duma darüber gesprochen. Das Thema hat die Bundesregierung sehr häufig vorgebracht.
Ich bin der Meinung, dass dieses Zusatzprotokoll dem Gerichtshof Möglichkeiten für eine effizientere und raschere Arbeit eröffnet. Da ich weiß, dass heute Vertreter der Duma anwesend sind, möchte ich dafür danken, dass sie sich dafür eingesetzt haben, dass dieses Protokoll in der Duma ratifiziert wird. Ich hoffe, dass in der neuen Duma die Zeit gekommen ist, um noch einmal aus einem anderen Blickwinkel auf das 14. Zusatzprotokoll zu schauen und eine Ratifizierung durch Russland zu erreichen. Das würde ich sehr begrüßen, denn das wäre im Interesse aller.
Meine Damen und Herren, die Europäische Menschenrechtskonvention gab es lange, bevor wir in der Europäischen Union über eine Grundrechte-Charta diskutiert haben. Auch das gehört zur geschichtlichen Wahrheit: Die Europäische Union in ihrer heutigen Form wäre ohne die Vorarbeit des Europarats undenkbar. Jeder EU-Mitgliedstaat war zuvor auch Mitglied im Europarat. Der Europarat und die Europäische Union sind unterschiedlich, aber sie sind komplementär.
Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ist es erfreulicherweise gelungen, ein "Memorandum of Understanding" zwischen der Europäischen Union und dem Europarat zum Abschluss zu bringen. Ich denke, wir brauchen einen engeren Austausch zwischen der Europäischen Union und dem Europarat. Dass der Vorsitzende des Ministerrats gleichzeitig Mitglied des Außenministerrats der Europäischen Union ist und heute anwesend ist, zeigt, wie es möglich ist, diese Kooperation zu verbessern.
Ein weiterer wichtiger Schritt bei der Zusammenarbeit beider Organisationen wird der Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention sein. Das sieht der Vertrag von Lissabon vor. Aus diesem Grund haben wir hart daran gearbeitet, dass wir eine Rechtspersönlichkeit in der Europäischen Union werden. Das war gar nicht so einfach. Ich hoffe, dass alle Staaten den Vertrag ratifizieren, damit wir dann die Möglichkeit haben, der Europäischen Menschenrechtskonvention beizutreten. Dies wird unsere gemeinsame Plattform für unsere Arbeit unterstreichen.
Die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union werden dann individuell vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gegen Brüsseler Rechtsakte vorgehen können, wenn sie sich in ihren Grundrechten verletzt fühlen. Auch das ist eine neue Qualität, die heute noch nicht gegeben ist. Die Brüsseler Rechtsakte sind sozusagen als solche noch nicht Gegenstand der Klagemöglichkeit vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wir hoffen natürlich nicht, dass diese Möglichkeit dann dauernd wahrgenommen werden muss, aber sie ist dann gegeben.
Meine Damen und Herren, der Europarat ist eine große europäische Erfolgsgeschichte. Er hat sich historische Verdienste um Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit in Europa erworben. Das sind allerdings Verdienste, die jede Generation aufs Neue erwerben muss.
Ich sage das, weil manchmal die Gefahr besteht, dass das alles in einen Automatismus übergeht. Deshalb muss jede Generation bekannt und vertraut gemacht werden mit den Formen unserer Kooperation. Sie muss sie neu leben, sie ausbauen und weiterentwickeln. Deshalb bin ich der Auffassung, dass die Verdienste zugleich Auftrag und Verpflichtung sind, weiter an einem Europa zu arbeiten, das die Aufgabe hat, dem Wohl seiner Bürgerinnen und Bürger zu dienen.
Deshalb lautet mein Appell an Sie: Mischen Sie sich weiter ein, prägen Sie weiter durch Ihre Beiträge die europäischen Debatten. So bleibt die Parlamentarische Versammlung des Europarats weiterhin ein wichtiger Impulsgeber für ein einiges Europa in Frieden, Freiheit, Demokratie und damit vielleicht auch ein Beispiel in der Welt dafür, wie man in scheinbar ausweglosen Situationen doch Hoffnungen und Lösungen finden kann. Es gibt viele Stellen in der Welt, wo das noch zu leisten ist, sodass wir, die Europäer, mit vergleichsweise überschaubaren Problemen gemessen an den Problemen in anderen Regionen der Welt ein gutes Beispiel geben können.
Herzlichen Dank, dass ich heute bei Ihnen sein darf.