SITZUNGSPERIODE 2003

(1. Teil)

BERICHT

6. SITZUNG

Donnerstag, 30. Januar 2003, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/PPE

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen.

Es wird jetzt seit langer Zeit vom Krieg gesprochen. Wir sind jedoch hier in diesem Haus dem Frieden verpflichtet. Dem Irak gegenüber werden Auflagen gemacht. Es müssen Hindernisse aus dem Weg geräumt werden. Man erwartet vom Irak den Nachweis, dass die Waffen vernichtet sind sowie eine Zusammenarbeit mit den irakischen Wissenschaftlern. Es gehen Appelle an den Irak, und wir alle hoffen noch, dass der Krieg vermieden werden kann. Leider gibt es im Irak nach wie vor die Grundlage zur Vorbereitung eines Krieges. Mein Appell richtet sich an die Vernunft, denn niemand kann von einem Krieg profitieren. Er bringt nur noch mehr Not und Elend in den betroffenen Gebieten. Wir haben eben gehört, wie es beim letzten Irak-Krieg ausgesehen hat.

So lange Konfrontation und nicht Kooperation das Denken beherrscht, sind wir auf dem Weg zum Krieg und nicht zum Frieden. Gewalt hat noch nie Probleme gelöst. Ich unterstütze ganz klar die Resolution des Sicherheitsrates. Im Namen der Schweizer Delegation appelliere ich an die USA, Zurückhaltung zu üben und bitte keinen Alleingang zu unternehmen. Kein Land ist zu einem solchen Alleingang befugt. Wir haben mit Herrn Saddam Hussein ein Problem. Massenvernichtungswaffen müssen eliminiert werden; dieser Appell geht nicht nur an den Irak, sondern an alle Staaten. Wir werden nie eine echte Friedenspolitik haben, so lange Massenvernichtungswaffen erzeugt und gelagert werden.

Wir müssen Lösungen finden, die über den Irak hinausgehen, so dass Menschen in Sicherheit und ohne Angst leben können. Der Europarat muss klar für den Frieden und gegen den Krieg Stellung beziehen. Das alte Europa war ein Europa des Krieges: alle dreißig Jahre wurde Krieg geführt. Das neue Europa, welches wir nun seit den neunziger Jahren hier in diesem Haus aufbauen, ist ein Europa des Friedens. Ich denke, die USA müssten das, was wir hier im Europarat tun, in der UNO für die ganze Welt leisten.

Die Schweiz hat sich ganz klar dafür ausgesprochen, dass ohne eine neue, ausdrückliche Resolution des Sicherheitsrates kein Angriff auf den Irak gerechtfertigt ist. Ich möchte Sie bitten, den Bericht so, wie er vorliegt, zu unterstützen.

Lisbeth FEHR, Schweiz, LDR

Danke, Herr Präsident.

Unser Ziel muss heute sein, dass ein Europa mit immerhin 43 Staaten klar, deutlich und mit einer Stimme spricht. „Wir glauben nicht, dass Krieg unvermeidlich ist“, sagte unlängst der Leiter der Expertenkommission Hans Blix. Wenn man jedoch den immer schärferen Ton aus dem Weißen Haus hört, so sind wir längst auf dem Weg zu diesem Krieg. Ein kriegerisches Vorgehen ohne den Segen der Vereinten Nationen ist jedoch abzulehnen. Ich schließe mich hier meinen Vorrednern an. Es ist in vieler Hinsicht riskant und schließlich auch verantwortungslos.

Zum Ersten sind die UNO-Experten immer noch dabei, endgültige Beweise für die Massenvernichtungswaffen des Iraks zu liefern. Meines Erachtens gebietet es die Klugheit, ihnen auch die entsprechend nötige Frist einzuräumen. Noch wartet der UNO-Sicherheitsrat aber auf diese Beweisstücke. Präsident Bush versprach in seiner Rede, diese Beweise am 5. Februar zu liefern. Es wundert mich, weshalb er uns so lange warten lässt. Zum Zweiten haben die USA leider – und damit meine ich die Regierung Bush und nicht das amerikanische Volk – das Vertrauen der Weltöffentlichkeit in großem Maße verloren. Die Haltung einer Supermacht, die sich arrogant über UNO-Beschlüsse hinwegsetzt, ist kaum vertrauensbildend. Ich erinnere an den internationalen Strafgerichtshof oder das Kyoto-Abkommen. Mit dem humanitären Völkerrecht nimmt sie es nicht genau und die UNO-Konvention gegen Personenminen wurde von ihr auch nicht ratifiziert.

Es beunruhigt in hohem Maß, wenn solche nationalen Extra-Züge gegenüber der UNO Schule machen, und dies zudem noch von einer Großmacht wie den USA. Damit werden gefährliche Präzedenzfälle für andere Staaten geschaffen, die katastrophale Folgen haben können.

Im Bericht vermisse ich außerdem einen dritten Punkt, der mir sehr wesentlich erscheint, und zwar die Verbindung zum zweiten Konfliktherd im Nahen Osten, die blutige Auseinandersetzung zwischen Palästinensern und Israelis. Vor unseren Augen spielt sich eine unglaubliche Gewaltspirale ab, ein Teufelskreis, aus dem die Beteiligten keinen Ausweg mehr finden. Wenn man das Resultat der gestrigen Wahlen und den überwältigenden Sieg des Hardliners Sharon und seiner Likud-Partei analysiert, stellt man fest, dass sich darüber wohl nur einer freuen kann: Saddam Hussein selbst, dieser Bösewicht. Damit wird die arabische Welt zusammenrücken, statt den irakischen Machthaber zu isolieren.

Ich bin zutiefst enttäuscht, dass die USA dies nicht erkennen wollen. Mit ihrer einflussreichen Stimme bei den Israelis für eine Abkehr von dieser Auge-um-Auge-Strategie und für eine Wiederaufnahme eines gerechten Friedensprozesses für beide Teile hätten sie im Kampf gegen den internationalen Terrorismus im Allgemeinen und Saddam Hussein im Speziellen wohl mehr erreicht als mit diesem Kriegsaufmarsch. Ich denke, hier liegt der Schlüssel für einen Frieden im Nahen Osten.

Thomas KLESTIL, Bundespräsident der Republik Österreich

Sehr geehrter Herr Präsident der Parlamentarischen Versammlung, sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete, sehr geehrter Herr Generalsekretär, meine Damen und Herren.

Ich danke Ihnen, Herr Präsident, sehr herzlich für die Einladung, heute vor diesem hohen Haus einige Überlegungen zu den Wegen der europäischen Integration darzulegen und Gedanken zur Zusammenarbeit und zum zukünftigen Verhältnis zwischen dem Europarat und der erweiterten Europäischen Union zu entwickeln.

Das Engagement für Europa ist eine alte österreichische Tradition. Es gründet auf leidvollen, aber auch hoffnungsvollen Erfahrungen eines Landes an der Nahtstelle der großen Kulturräume unseres Kontinents in einem geopolitisch sensiblen Raum.

Dieses Engagement hat auch zu einer beachtlichen Präsenz meiner Landsleute in führenden Positionen der europäischen Organisationen geführt. So stellt Österreich bereits zum dritten Mal den Generalsekretär des Europarates und zum zweiten Mal den Präsidenten der Parlamentarischen Versammlung. Darüber hinaus übt derzeit ein Landsmann die Funktion des Präsidenten des Kongresses der Gemeinden und Regionen aus. Als österreichischer Bundespräsident freue ich mich, diese Mitbürger, die sich um die europäische Idee so verdient gemacht haben, heute hier begrüßen zu können.

Meine Damen und Herren. Gerade in einer Zeit, in der sich Europa anschickt, die Spaltungen und Trennungen der Vergangenheit zu überwinden, erscheint es mir umso wichtiger, den Dialog über die gemeinsame europäische Zukunft zu intensivieren. Ein solcher Dialog muss umfassend sein und darf sich nicht auf die staatlichen oder zwischenstaatlichen Institutionen beschränken, sondern muss weit in die Zivilgesellschaft, zu den Bürgerinnen und Bürgern, hinein reichen. Denn unser vereintes Europa wird nur dann Bestand haben, wenn es die dauernde Zustimmung und das Vertrauen seiner Bürgerinnen und Bürger findet. Hier liegt eine zentrale Aufgabe des politischen Meinungsbildungsprozesses. Bei diesem notwendigen und hoffentlich breit angelegten Diskurs kommt gerade heute den Massenmedien besondere Bedeutung und große Verantwortung zu. Wichtig wird es dabei sein, der Komplexität der europäischen Geschichte gerade im Hinblick auf unsere gemeinsame Zukunft gerecht zu werden.

Schon für die Väter des europäischen Einigungsgedankens waren die gemeinsamen Werte die Grundlage für ein vereintes Europa. Bei der Realisierung dieser Vision war es immer wichtig und wird es auch weiterhin sein, sich dieser gemeinsamen geistigen und kulturellen Wurzeln zu besinnen, wie auch die Vielfalt der Kulturen und Sprachen, der Traditionen und Religionen zu wahren und zu pflegen. Sie nämlich sind die Quelle unseres Reichtums, unserer Kreativität und damit der Stärke unseres Kontinents in einer globalisierten Welt.

Dies bleibt der Auftrag des Europarates; sich einzusetzen für ein den gemeinsamen Werten verpflichtetes Europa, das auch nach der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union über das integrierte Europa der Union hinaus reichen wird. Angesichts der drängenden Fragen unserer Zeit und der vielfältigen Gefahren  sind länderübergreifende Solidarität und gemeinsames Handeln ein Gebot der Stunde: Terrorismus, Alltagsgewalt und Intoleranz sind Probleme, mit denen sich auch der Europarat heute intensiv beschäftigt. Er war es, der als erste internationale Organisation die Achtung der Menschenrechte auch im Kampf gegen den Terrorismus einmahnte. Die dazu im Vorjahr vom Europarat ausgearbeiteten „Richtlinien“ sind inzwischen von den Vereinten Nationen als gültiger Standard anerkannt. Ich erwähne diese Tatsache, um auf die unverzichtbare Rolle des Europarates als Hüter humanistischer und damit originär europäischer Werte hinzuweisen, die das eigentliche Fundament der europäischen Einigung sind.

Der Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die Förderung der Demokratie und die Festigung des Rechtsstaates bleiben bei der Neugestaltung der politischen Landkarte Europas weiterhin eine  vorrangige Aufgabe. Der nunmehrige Vorschlag der Parlamentarischen Versammlung und des Generalsekretärs des Europarates, ein weiteres Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten  abzuhalten, findet meine volle Unterstützung, weil von einem solchen Forum wichtige politische Impulse für eine Anpassung der Aktivitäten Ihrer Organisation an die politischen Herausforderungen unserer Zeit ausgehen könnten.

Österreich, das vierzig Jahre lang im Schatten des Eisernen Vorhangs lag und das erst vor acht Jahren der Europäischen Union beitrat, ist sich seiner Verantwortung gegenüber Europa insgesamt bewusst. Ich selbst war Gastgeber des ersten Treffens der Staats- und Regierungschefs des Europarates im Jahr 1993 in Wien und ich habe am zweiten Gipfel im Jahre 1997 in Straßburg teilgenommen.  Mit einem weiteren solchen Treffen könnte den 800 Millionen Bürgern der Europaratsfamilie ein deutliches Signal gegeben werden, dass der politische Wille zu  gesamteuropäischen Aktionen besteht, wenn es darum geht, Menschenrechte und Demokratie vor aktuellen Bedrohungen, wie Terrorismus, politischen Extremismus, organisierter Kriminalität und Korruption zu schützen.

Meine Damen und Herren. Als Motor des Europarates fungiert seine Parlamentarische Versammlung. Ihr kommt eine besondere Aufgabe bei der europäischen Einigung zu, denn sie ist die einzige Gesamteuropa verpflichtete parlamentarische Einrichtung. Österreich schätzt die Innovationskraft, die Flexibilität und den politischen Einfluss dieser Versammlung. Sie ist innovativ, denn viele ihrer Ideen sind zukunftsweisend und können umgesetzt werden. Sie ist flexibel, denn sie besitzt die Fähigkeit, auf die jeweiligen politischen Verhältnisse in Europa schnell und angemessen zu reagieren; sie scheut auch nicht davor zurück politisch heiße Eisen anzufassen, wenn Demokratie und Menschenrechte auf dem Spiel stehen. Sie nützt ihren politischen Einfluss, um die Verwirklichung der in den Europaratskonventionen verankerten Rechte durch alle Mitgliedstaaten einzufordern

Wir müssen zunehmend erkennen, dass die Bedrohung für den Einzelnen trotz aller Fortschritte unserer modernen Welt größer geworden ist und sich heute nicht mehr auf bewaffnete Konflikte, Naturkatastrophen oder die Lebenssituation der Ärmsten beschränkt. Die Forderung nach mehr Sicherheit für die Menschen bedingt auch ein höheres Maß an internationaler Solidarität. Sie verlangt aber gleichermaßen eine kompromisslose Durchsetzung der Menschenrechte. Diese bilden in der Tat das Fundament, ja die treibende Kraft für die Erreichung menschlicher Sicherheit und Würde. Diese abzusichern ist Aufgabe der weltweit einzigartigen Institution des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte.

Aufgrund des Individualbeschwerderechtes gegen behauptete Menschenrechtsverletzungen haben 800 Millionen Menschen zu diesem Gerichtshof direkten Zugang. In immer größerem Maße sind sich die Bürger in Fragen der Freiheit und Würde des Einzelnen dieses Instruments zum Schutz der Menschenrechte bewusst. Die Anzahl der Menschenrechtsbeschwerden nimmt daher immer mehr zu. Ich halte dies für ein wichtiges und ermutigendes Signal, das von Europa ausgeht und hoffentlich weltweite Vorbildfunktion hat. Um sicherzustellen, dass der Gerichtshof auch in Zukunft seine Arbeit bewältigen kann, müssen die hiefür notwendigen materiellen Grundlagen gegeben sein. Ich werde das heute Nachmittag besprechen. Ich unterstütze auch die Bemühungen um Straffung der Beschwerdeverfahren. Jedenfalls darf das Recht auf Individualbeschwerde als Schlüsselelement des Menschenrechtsschutzes keine Einschränkungen erfahren.

Meine Damen und Herren. Europarat und  Europäische Union sind Kinder derselben Vision, des auf gemeinsamen Werten beruhenden Friedens- und Freiheitsprojektes eines vereinten Europa. In ihren Strukturen und Funktionsweisen unterscheiden sich zwar beide Organisationen, sie ergänzen einander aber auch. In der politischen Praxis sind Europäische Union und Europarat natürliche Partner, vor allem in ihrem Eintreten für Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Grund- und Freiheitsrechte einschließlich von Minderheitenrechten. Gerade vor dem nunmehr beschlossenen großen Erweiterungsschritt der Europäischen Union erscheint es wichtig, das Verhältnis zwischen beiden Partnern zu überprüfen und wo dies sinnvoll erscheint, neu zu gestalten.

Es ist zu hoffen, dass in nicht allzu ferner Zukunft alle europäischen Staaten dem Europarat angehören werden. An seiner Schwelle stehen heute die Bundesrepublik Jugoslawien – künftig Serbien-Montenegro – und Monaco. Wenn eines Tages auch Weißrussland in den Europarat aufgenommen wird – in diesem Land sind, wie wir alle wissen, noch wesentliche Reformen ausständig – wird diese paneuropäische Institution mit 47 Mitgliedsländern wohl seine maximale Größe erreicht haben.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarates wird dann das parlamentarische Sprachrohr aller Menschen in Europa sein, von Island bis Aserbaidschan, von Russland bis Portugal.

Aus diesem Grund ist in dem Moment der Erweiterung der Europäischen Union der Europarat mit seiner parlamentarischen Versammlung als solider und wichtiger Partner anzusehen. Wenn das Verhältnis zwischen Europarat und Europäischer Union überdacht und neu orientiert werden soll, so gilt dies auch für das Verhältnis zwischen Parlamentarischer Versammlung und dem Europäischen Parlament. Beide Institutionen bestehen aus direkt gewählten Abgeordneten, sind bürgernah und realitätsbewusst und haben die gemeinsame Verantwortung, ein Europa der Freiheit, der Sicherheit und des Rechtes zu schaffen und zu sichern. Der bevorstehende Beitritt von zehn Staaten zur Europäischen Union und die Zusammenarbeit mit den zahlreichen Staaten, die sich künftig hinter den neuen Grenzen des erweiterten Europas befinden werden, wird dazu beitragen, die beiden Institutionen einander näher zu bringen.

Ein gutes Zeichen dafür ist der neue Dialog, der am 24. September letzten Jahres in diesem Plenarsaal zwischen den beiden Institutionen stattfand. Dieser Dialog, der nicht zuletzt auf dem Europäischen Gemeinschaftsvertrag und auch der Geschäftsordnung des Europäischen Parlaments basiert, ist notwendig und sollte über die bereits bestehenden Arbeitskontakte auf dieser hohen Ebene weitergeführt werden. Es erschiene mir undenkbar, dass an einem Ort wie Straßburg, einem solch privilegierten Zeugen des europäischen Integrationsprozesses, das Potential des politischen Dialogs nicht voll ausgeschöpft wird.

So ist der Moment der Erweiterung beider Organisationen, der Europäischen Union und des Europarats, ein guter Anlass, beide Institutionen zu festigen und die Koordination und den Informationsaustausch noch mehr zu vertiefen - in einem Europa der 15, der 25 und der 44. Am Vortage dieses, eines neuen, erweiterten Europäischen Parlaments können die Abgeordneten aus Zypern, der Tschechischen Republik, aus Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, der Slowakei und Slowenien, die bald in Straßburg tagen werden, in dieser Hinsicht auf eine wichtige Hilfestellung des Europarates und seiner parlamentarischen Versammlung bauen.

Mit der bevorstehenden Erweiterung der Europäischen Union werden mehr als die Hälfte der Mitgliedsstaaten des Europarates auch Mitglieder der Union sein. Da die EU-Staaten Souveränitätsrechte an die Union abgegeben haben und eine Verletzung von Menschenrechten auch durch supranationale Institutionen nicht ausgeschlossen werden kann, erscheint mir die Schaffung eines einheitlichen europäischen Systems zum Schutz der Menschenrechte unerlässlich. Ein Beitritt der Europäischen Union zur Europäischen Menschenrechtskonvention sollte daher auf dem Gebiet der Grund- und Freiheitsrechte eine Kohärenz zwischen den Rechtssystemen der Europäischen Union und des Europarates garantieren. Ich appelliere an die Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sich zu diesem Schritt zu entschließen.

Ein weiterer Aspekt, der bei der Neuordnung des Verhältnisses zwischen der Europäischen Union und dem Europarat berücksichtigt werden sollte, ist die Frage einer „neuen Nachbarschaft“ mit jenen Ländern, die auch nach der EU-Erweiterung außerhalb der Union bleiben werden – entweder aus eigenem Entschluss oder weil sie die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht erfüllen. Die Europäische Union könnte jedenfalls den Europarat als Plattform für eine Zusammenarbeit mit diesen „neuen Nachbarn“ nützen. Der Traum vom vereinten Europa darf nicht an der Schengengrenze enden!

Der gemeinsame Rechtsraum, der für alle Europäer innerhalb der Grenzen des Europarates zunehmend Gestalt annimmt, bildet eine solide Ausgangsbasis für die Verwirklichung der Vision, welche die Europäische Union und den Europarat miteinander verbindet, nämlich die Schaffung eines friedlichen, demokratischen, stabilen und prosperierenden Raumes ohne Trennlinien. Wie kein anderes Konzept   ist dieses dazu angetan, die Ängste der europäischen Völker  aufzulösen, ihre Kräfte zu bündeln und ihren Zusammenhalt zu stärken. Dieses Ziel vor Augen möchte ich  davor warnen, neue Trennlinien in Europa zu errichten. Verschiedene Modelle der Kooperation und der nachhaltigen Einbindung werden zu entwickeln sein, um Länder mit einer europäischen Orientierung, wie etwa die Ukraine, langfristig und dauerhaft in den europäischen Einigungsprozess zu integrieren. Wo, wenn nicht im Europarat, den ich auch als Diskussionsforum für die Zukunft unseres Kontinents verstehe, können solche Modelle auf breiter Basis analysiert und besprochen werden.

In diesem Zusammenhang möchte ich besonders den auf vielen Ebenen geführten globalen Dialog der Kulturen und Religionen erwähnen. Gerade Europa bietet sich durch seine religiöse, kulturelle und ethnische Vielfalt  hiefür als verständnisvoller Partner an. Ich begrüße es daher ausdrücklich, dass der Europarat als größte europäische Institution diese Möglichkeiten nützt und Kontakte zur Arabischen Liga und zur Organisation der Islamischen Konferenz geknüpft hat.

Als ein Land, das mit Südosteuropa durch Geschichte und geografische Nähe eng verbunden ist, schätzt Österreich das große Engagement des Europarats in diesem Raum und unterstützt alle diesbezüglichen Aktivitäten, um die letzten weißen Flecken auf der Landkarte des Europarates zu beseitigen. Aufgrund der blutigen Konflikte auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien hat die  politische Wende  des Jahres 1989 den westlichen Balkan mit großer Verspätung erreicht. Wir müssen nun die Länder dieser Region bei ihren Bemühungen um eine Annäherung an die Europäische Union konsequent und nachhaltig unterstützen und ihnen so den Weg in eine prosperierende Zukunft eröffnen. Die Integration Europas wäre unvollständig ohne die Einbeziehung  dieser so wichtigen und zutiefst europäischen Staaten.

Österreich tritt daher nachdrücklich für eine baldige Aufnahme der Bundesrepublik Jugoslawien in den Europarat ein. Damit wäre ein wichtiger Beitrag zur Förderung der politischen Stabilität und der demokratischen Reformen in diesem Land Serbien-Montenegro geleistet. Eine solche Aufnahme würde es Jugoslawien ermöglichen, seinen angestammten Platz in der europäischen Familie einzunehmen.

Einer der wichtigsten Partner für ein friedliches und stabiles Europa ist ohne Zweifel die Russische Föderation. Ich begrüße es daher, dass im Amt des Sonderbeauftragten von Präsident Vladimir Putin für Tschetschenien Experten des Europarates einen Beitrag bei der Suche nach einer Lösung dieses blutigen Konfliktes leisteten. Da das Mandat der OSZE-Assistenzgruppe für Tschetschenien nicht verlängert werden konnte, sind die Experten des Europarates zur Zeit die einzigen ständigen internationalen Vertreter in dieser Region. Es bleibt zu hoffen, dass das große Fachwissen dieser Europaratsexperten im Interesse der Wahrung der Menschenrechte und der Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit in Tschetschenien weiterhin genutzt wird.

Meine Damen und Herren. Selten werden die Folgen einer globalisierten Politik und der Vernetzung der Welt so dramatisch erfahrbar, wie in der Frage von Krieg und Frieden, von Konflikten, die trotz großer geografischer Distanz die Lebensumstände jedes Einzelnen unmittelbar betreffen. Wenn es um Fragen des Friedens und der Sicherheit geht, kann auch in Hinblick auf Europa die bedrohliche Entwicklung rund um den Irak nicht unerwähnt bleiben. Ich weiß, dass Sie auch heute morgen darüber diskutiert haben. Dort besteht die akute Gefahr eines Krieges mit unabsehbaren Folgen. Der Irak muss dazu gebracht werden, allen Verpflichtungen, die ihm in den Resolutionen des UN-Sicherheitsrates auferlegt worden sind, nachzukommen. Die Entscheidung über allfällige weitere Maßnahmen gegen den Irak hat jedoch der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu treffen, dem die Hauptverantwortung für Frieden und Sicherheit in der Welt zukommt.

Europa hat auf Grund seiner leidvollen Geschichte gelernt, dass Krieg letztlich keine Probleme löst, sondern Menschenopfer fordert, Zerstörung und Not mit sich bringt und die Stabilität der Weltwirtschaft ernsthaft gefährdet. Seit Ende des Zweiten Weltkriegs haben wir uns einer Politik verschrieben, die auf Dialog und Verständigung, auf friedliche Mittel statt militärische Konfrontation setzt. Ebenso vertritt Europa ein Weltbild, in dem das Zusammenleben der Staaten und Völker auf der Basis völkerrechtlicher Regeln und bindender vertraglicher Verpflichtungen erfolgt und die globalen Probleme unserer Zeit durch multilaterale Zusammenarbeit im Rahmen der Vereinten Nationen und anderer internationaler Organisationen gelöst werden. Meine und unsere Vision ist die einer multipolaren Welt und einer für alle verpflichtenden internationalen Ordnung, in deren Rahmen Staaten, Kulturen und Religionen in Harmonie miteinander leben können.

Die zahlreichen Bemühungen befreundeter Regierungen, den Irak zu einer vorbehaltlosen Zusammenarbeit mit den UNO-Inspektoren zu bewegen, verdienen unsere volle Unterstützung. Europa ist mit dem Mittleren Osten in vielfältiger Weise verbunden und wäre daher in besonderem Maße dazu berufen, einen Beitrag für die friedliche Lösung der Krise zu leisten. Ich begrüße daher die Bereitschaft der griechischen EU-Präsidentschaft eine Friedensmission in die Region zu unternehmen.

Meine Damen und Herren. Die in Kopenhagen beschlossene Erweiterung der Europäischen Union bedeutet eine endgültige Überwindung der in jeder Hinsicht verheerenden Folgen zweier Weltkriege und der anschließenden Teilung des Kontinents und der Unterdrückung von Millionen von Menschen. Damit aber ist der Weg, den die Gründerväter der Europäischen Union gewiesen haben, noch nicht zu Ende geschritten.

Um aktuelle Herauforderungen auf gesamteuropäischer Ebene besser bewältigen zu können, sind Verschränkungen zwischen den verschiedenen europäischen Organisationen erforderlich. Das gilt für den Kampf gegen den internationalen Terrorismus bei gleichzeitiger Wahrung der Menschenrechte ebenso wie für die Steuerung der Migrationströme auf unserem Kontinent; dies gilt in gleicher Weise für Maßnahmen gegen Intoleranz, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sowie schließlich auch für die Definition von Menschenrechtsnormen auf den Gebieten Bioethik, Datenschutz und Internet-Kriminalität. Der Europarat hat durch die von ihm geschaffenen Abkommen vielfältige Verdienste in diesem Zusammenhang erworben. Daher war es mir auch ein besonderes Anliegen, das seit dieser Woche zur Unterzeichnung aufliegende Zusatzprotokoll zur Bekämpfung von Computerkriminalität zum Verbot von rassistischen und fremdenfeindlichen Handlungen durch Computersysteme persönlich zu unterzeichnen, denn je früher eine große Anzahl von Mitgliedsstaaten diesem wichtigen Rechtsinstrument beitritt, desto eher kann es in Kraft treten.

Für uns ist und bleibt der Europarat der Hüter der europäischen Zivilisation. In dieser nun angebrochenen neuen Ära sollten der Europarat und die erweiterte Europäische Union bei ihren Bemühungen um Stärkung der pluralistischen Demokratie, der wirksamen Verteidigung der Menschenrechte, bei der Lösung aktueller politischer, sozialer und wirtschaftlicher Probleme sowie bei der Förderung der kulturellen Identität Europas noch mehr als bisher als Partner zusammenwirken. Nur so kann der Traum von einem einigen Europa, einem Europa des Friedens und der Freiheit, Schritt für Schritt verwirklicht werden.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

René VAN DER LINDEN, Niederlande, EPP/PPE

Danke, Herr Präsident. Ich glaube sagen zu dürfen, dass Ihre Rede eine sehr positive Wertung für den Europarat ist, der ich voll und ganz zustimme.

Ich hatte eigentlich eine Frage zur Erweiterung und der Tatsache, dass es keine neue Trennlinie geben sollte. Auf diese Frage haben Sie schon geantwortet. Sie haben aber auch gesagt, Europa sollte keine getrennten Positionen im Verhältnis zum Irak einnehmen. Halten Sie die Stellungnahme von heute in der Zeitung von Aachenden für eine positive Leistung dazu?

Thomas KLESTIL, Bundespräsident der Republik Österreich

Ich kann Ihnen nur die österreichische Position vermitteln, die, wie die der meisten Staaten der Europäischen Union, auf die Vereinten Nationen verweist. Ich meine, wir brauchen eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen. Wenn Saddam Hussein tatsächlich Massenvernichtungswaffen chemischer oder biologischer Art besitzt, dann ist es für uns alle notwendig, dass man sie ihm wegnimmt. Der Präsident der Vereinigten Staaten hat angekündigt, er werde in zwei oder drei Tagen Beweise für die Existenz solcher Waffen vorlegen.

Mein Land wird nicht ohne einen Beschluss des Sicherheitsrates des Vereinten Nationen handeln. Wir glauben nach wie vor, dass die Vereinten Nationen der Garant für Frieden und Sicherheit sind. Ich habe es in meiner Rede erwähnt: Krieg ist letztlich nicht die Lösung von Problemen.

Ali Riza GÜLÇIÇEK, Türkei, SOC

Danke, Herr Präsident. Sehr geehrter Herr Bundespräsident.

Am 1. Januar 2003 ist die Änderung des Fremdengesetzes in Kraft getreten. Das Gesetz enthält die sogenannte Integrationsvereinbarung, die verpflichtende Deutschkurse für Nicht-EU-Staatsangehörige vorsieht. Ich weiß, dass diese Vereinbarung für jene Menschen gilt, die nach 1998 nach Österreich gekommen sind. Sie haben den Nachweis spätestens innerhalb von vier Jahren zu erbringen.

Diese neue Änderung beunruhigt die meisten türkischen Staatsbürger, die seit längerer Zeit rechtmäßig in Österreich leben, erwerbstätig sind und im Interesse der österreichischen Gesellschaft ihren Beitrag leisten. Darf ich Sie diesbezüglich um Ihre Stellungnahme bitten?

Thomas KLESTIL, Bundespräsident der Republik Österreich

Herr Abgeordneter, ich habe persönlich die besten Beziehungen zum Dachverband der türkischen Organisationen in Österreich. Ich weiß, wie wichtig, wie fleißig und arbeitsam die türkischen Bürger in Österreich sind. Die Verordnung, auf die Sie sich beziehen, will die Integration für jene Staatsbürger fördern, die beabsichtigen, dauernd im Land zu leben. Das wollen wir auch, und daher bieten wir Sprachkurse an. Wenn die türkischen Verbände zu mir kommen, spreche ich natürlich nicht Türkisch, sondern Deutsch mit ihnen, denn sie können Deutsch. Das wollen wir allen türkischen Einwanderern ermöglichen. Wir begrüßen und brauchen sie sehr und wollen ihnen helfen, sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren.