SITZUNGSPERIODE 2003

(3. Teil)

BERICHT

17. SITZUNG

Montag, 23. Juni 2003, 15.00 Uhr

Addendum I

Zu Protokoll gegebene Rede

zu den Punkten 3 und 4 der Tagesordnung


Hubert DEITTERT, Deutschland, EPP/PPE

Wir diskutieren heute zwei verwandte Themen. Zum einen den Bericht des Kollegen Martin Libicki aus Polen. Er befasst sich mit der Situation der Landwirtschaft im Hinblick auf die Erweiterung der Europäischen Union. Gleichzeitig beraten wir den Entwurf einer Entschließung des Kollegen Adolfo Fernández Aguilar aus Spanien. Dieser befasst sich mit den Herausforderungen der Landwirtschaft im Mittelmeerraum.

Ich will mich auf den Bericht des Kollegen Libicki konzentrieren. Herr Libicki hat die Situation der Landwirtschaft in den EU-Beitrittsländern in einer sehr anschaulichen Weise analysiert und beschrieben. Ich möchte ihm deshalb für seinen Bericht ausdrücklich danken.

Der Beitritt zur Europäischen Union stellt die Landwirtschaft in den Beitrittsländern in der Tat vor große Herausforderungen. Die Struktur der dortigen Betriebe ist in weiten Bereichen eine völlig andere als in den heutigen Mitgliedsländern.

Vor allem die sehr kleinen Betriebe, die es in Mittel- und Osteuropa in großer Zahl gibt, werden es sehr schwer haben, im europäischen Wettbewerb mitzuhalten. Es ist denn auch langfristig ein starker Strukturwandel zu erwarten. Anders als in der heutigen Europäischen Union spielt der landwirtschaftliche Sektor in den Beitrittsländern eine weitaus größere Rolle für die Volkswirtschaft insgesamt. Einige Beitrittsländer haben einen Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Bevölkerung von mehr als 25 Prozent. Zum Vergleich: in der Bundesrepublik liegt dieser Anteil unter 2 Prozent. Im Zuge der weiteren Entwicklung ist es sehr wahrscheinlich, dass die gewerbliche Wirtschaft wächst, während gleichzeitig die Zahl der landwirtschaftliche Betriebe zurückgeht. Es kommt daher entscheidend darauf an, diesen unvermeidlichen Strukturwandel politisch so zu gestalten, dass keine wirtschaftlichen und sozialen Brüche entstehen.

Die Zielvorgabe der Europäischen Union, die Landwirtschaft in den Betrittsländern in einer Übergangszeit schrittweise an die Regelungen in den alten Mitgliedsländern heranzuführen, halte ich für richtig. Es wird im Bericht kritisiert, dass die für die Übergangszeit vorgesehenen Direktzahlungen und Produktionsquoten zu gering seien. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass die Erweiterung auf 25 Mitglieder ein außerordentlicher Kraftakt für die Europäische Union ist, der letztlich nur in Stufen zu bewältigen ist.

Hinzu kommt, dass die Lebenshaltungskosten in den Beitrittsländern – zumindest in der Übergangszeit – noch geringer sein werden als in der heutigen EU. Schließlich gilt es bei allen berechtigten Auseinandersetzungen immer zu bedenken, dass die zur Verfügung stehenden finanziellen Mittel begrenzt sind.

Lassen Sie mich auf einen Punkt hinweisen, der mir besonders wichtig ist. Es ist von allergrößter Bedeutung, dass bei der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung in den Beitrittsländern nicht-landwirtschaftliche Arbeitsplätze auch in ländlichen Gebieten entstehen. Angesichts des zu erwartenden Strukturwandels ist es außerordentlich wichtig, dass die Menschen in der Nähe ihrer Wohnorte auch Arbeitsplätze finden. Denn nur wenn wir es erreichen, dass in den ländlichen Gebieten auch in Zukunft ausreichend Menschen leben, die ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit bestreiten können, halten wir die Dörfer und den ländlichen Raum vital und lebendig.

Die Landwirtschaft und der ländliche Raum haben neben der Aufgabe als Erzeuger von Nahrungsmitteln eine weitere wichtige Funktion, die allzu oft übersehen wird. Für die Erhaltung einer gesunden Umwelt in attraktiven Erholungsgebieten ist es unerlässlich, dass die landwirtschaftlichen Flächen auch bewirtschaftet werden.

Neben der Pflege und dem Erhalt dieser Kulturlandschaft ist der ländliche Raum auch eine Stätte, wo volkstümliche Bräuche und ländliche Kultur gepflegt werden. Beides sind wichtige Faktoren für die Identifikation der Menschen mit ihrer Heimat. Wenn die Gesellschaft von der Landwirtschaft also Dienstleistungen erwartet, die allen zugute kommen, muss dafür auch ein finanzieller Ausgleich gezahlt werden.

Angesichts der vielfältigen Anforderungen an die Landwirtschaft in den Beitrittsländern, aber auch in der bisherigen EU, dürfen wir diese nicht allein unter dem Gesichtspunkt ihres Anteils am Bruttosozialprodukt sehen, sondern müssen sehr wohl auch ihre kulturelle und umweltpolitische Dimension im Auge behalten. Nur wenn uns dies gelingt, hat die europäische Landwirtschaft insgesamt eine Zukunft.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.