SITZUNGSPERIODE 2003

(3. Teil)

BERICHT

19. SITZUNG

Dienstag, 24. juni 2003, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Ali Riza GÜLÇIÇEK, Türkei, SOC

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Zuerst bedanke ich mich bei dem Berichterstatter für seine ausführliche Arbeit. Seit prähistorischen Zeiten wurden Menschen mit umweltlichen, politischen und wirtschaftlichen Gefahren konfrontiert, die ihrem Leben und Eigentum Schaden zugefügt haben und aus denen sie gezwungen wurden, ihre Geburtsorte zu verlassen und an sichere Orte auszuwandern. In Zeiten, in denen plötzliche wirtschaftliche und soziale Veränderungen stattgefunden haben und Aufstände und Kriege ausgebrochen sind, hat sich diese Tendenz erhöht. An verschiedenen Orten der Welt sind Auseinandersetzungen immer noch der grundlegende Anlass für Massensterben. Deshalb sind Wanderungen zu einer globalen Frage geworden und müssen im Rahmen der universellen Menschenrechte als eine der grundlegenden Fragen behandelt werden.

Überall auf der Welt haben Menschen den Wunsch, sich an verschiedenen Orten niederzulassen und verschiedene Kulturen kennen zu lernen. Ich denke, dass jeder Mensch in seinem Inneren diesen Wunsch hat und dass dieser seit seinem Bestehen sein Beweggrund ist. Dies sind die Gründe dafür, dass heute Millionen von Menschen sich an anderen Orten niederlassen und dort leben müssen. Die Realität ist jedoch zweifellos die, dass es an diesen Orten notwendig ist, die mittelbare oder unmittelbare Diskriminierung bei den gesetzlichen Verfahren und im täglichen Leben abzuschaffen, um den Menschen an ihren Niederlassungsorten ein besseres Leben zu ermöglichen. Ich bin der festen Meinung, dass in solchen Gegebenheiten Gruppen mit verschiedenem Glauben, verschiedenen Weltanschauungen und verschiedenen kulturellen Eigenschaften sich einander näherkommen werden als es jetzt der Fall ist. Es stehe hier fest, dass dies heutzutage Tatsachen sind, es aber wichtig ist, dass statt fortgesetzter Diskussionen oder unergiebiger Auseinandersetzungen ein angesehenes Arbeitsleben mit universellen menschlichen Werten und sicheren sozialen Gegebenheiten gesichert werden muss. Ich denke, dass Länder, die in Zukunft Immigranten aufnehmen, nicht den Fehler machen werden sich zu verspäten, wie damals Maastricht festgestellt hatte. Menschen haben mehr Gemeinsamkeiten als Verschiedenheiten. Es ist egal, aus welchen kulturelle Kreisen sie stammen. Die Hauptsache ist, dass sie auf einen gemeinsamen Nenner kommen und dafür den notwendigen politischen Willen zeigen.

Tatsache ist, dass Wanderungen, die Probleme und Chancen mit sich bringen, mit ihren sozialen, kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Dimensionen aber vor allem, weil sie den Menschen direkt betreffen, ihre Bedeutung beibehalten. Die Menschheit hat es von Anfang an abgelehnt, dass die Menschen voneinander isoliert und abgesperrt leben müssen. Ich denke, dass Wanderungen in unserer sich globalisierenden Welt aus der Sicht des Näherkommens der Kulturen und Völker eine große Chance bedeuten. Dies bedeutet zugleich, dass die Völker die Elemente, die sie in sich bewahren und die wir heute als fremd ansehen, in Zukunft als einen unzertrennlichen Teil ihrer selbst und als ihren eigenen Reichtum bewerten müssen. Ich bin der festen Überzeugung, dass dann unsere Welt den Frieden sehr bald erreichen wird, und ich hoffe innigst, dass dieses sich verwirklicht. Hierzu möchte ich alle herzlich einladen.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/PPE

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen,

Ich möchte dem Berichterstatter dafür danken, dass er sich so engagiert mit der Frage der Organisation der IOM auseinandergesetzt hat. Ich hatte vor einigen Jahren die Gelegenheit, in Mazedonien die Tätigkeiten dieser Organisation kennen zu lernen und habe dort einen ganz konkreten Einblick vor allem in den Menschenhandel bekommen.

Die IOM ist eine internationale Organisation, die sich aktiv mit dem bedenklichen Umfeld des Menschenhandels, des Menschenschmuggels und der irregulären Migration auseinandersetzt. Sie versucht den Menschen, die in die Fänge der Menschenschmuggler geraten sind, ihre Identität, ihre Rechte, aber auch ihre Würde wieder zurückzugeben. Dank der Arbeit dieser Organisation sind verschiedene Länder in der Lage, die Herkunft, aber auch das Umfeld von verschleppten Migranten und Migrantinnen zu erforschen und in den betroffenen Ländern zur Aufklärung beizutragen. Sehr wichtig ist die gestiegene Mitgliederzahl der Länder in dieser Organisation. Nur so kann auch flächendeckend etwas gegen diese Verbrechen an der Menschheit getan werden. Alle Länder des Europarates – vor allem die Länder Südosteuropas – müssen vermehrt in den internationalen Organisationen zusammenarbeiten.

Ihre Organisation verfügt über Informationen, Sie haben sehr viel Erfahrung gesammelt. Davon können potentielle Opfer vor allem in diesen Ländern profitieren. Mit guter Aufklärungsarbeit kann vieles getan werden. In Moldawien zum Beispiel, einem Land, aus dem sehr viele Opfer dieses irregulären Menschenhandels und der Verschleppungen kommen, wurde ein Theater gegründet. Es zieht von Dorf zu Dorf und zeigt auf eindrückliche Weise auf die Ursachen und die schrecklichen Konsequenzen dieser Art von Migration hin. Das angesprochene Theater wurde von der Schweiz finanziert und ist nun von Ländern wie Deutschland und Schweden und anderen Europaratsmitgliedern übernommen worden, damit es weiter existieren kann. Ich denke, dies ist eines der sehr guten Elemente der Aufklärungsarbeit in den Ländern, aus denen die Migration kommt. Dies ist eine der Bemühungen der IOM. Eine andere besteht darin, den in Lager der verschiedenen Balkanstaaten verschleppten Frauen ihre Identität zurückzugeben und sie in ein menschenwürdiges Leben zurückzuführen. Wichtig ist meiner Meinung nach, dass diese Organisation von vielen Ländern getragen wird, damit auch Verbesserungen der rechtlichen Rahmenbedingungen in den Ländern vollzogen werden können. Es müssen Maßnahmen gegen Arbeitslosigkeit und damit auch gegen die weitverbreitete Armut getroffen werden. Nur so kann die Situation der Migration auch verbessert werden.

Wir haben heute morgen über die Europäische Entwicklungsbank für wirtschaftliche Zusammenarbeit diskutiert. Dort haben wir gesehen, wie wichtig diese Zusammenarbeit zwischen den Organisationen ist. Ebenso wichtig ist die Zusammenarbeit Ihrer Organisation mit der Europäischen Entwicklungsbank. Herr Generaldirektor, Sie geben Ihrer Arbeit damit auch eine neue Chance. Ich denke, es braucht nicht nur Managementprogramme und Projekte, sondern auch eine gute und seriöse Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Dazu wünsche ich Ihnen recht viel Erfolg und Glück.

Michael SPINDELEGGER, Österreich, EPP/PPE

Danke Herr Präsident, geschätzte Kolleginnen und Kollegen,

Ich glaube, beide Berichte zeigen, dass wir vor dem Hintergrund der Teilung der Insel nach wie vor vor ungelösten Problemen stehen. Ich möchte daher in meinem Beitrag auf einige Grundsätze eingehen, die aus meiner Sicht für eine Vorwärtsbewegung, die wir alle dringend nötig haben, wesentlich sind.

Grundsatz Nummer 1 sollte sein, dass die Teilung der Insel als solche kein Dauerzustand sein darf. Solange die Insel geteilt ist, wird es solche Probleme geben, die aber weder im Interesse der betroffenen Bevölkerung auf beiden Seiten, noch – so glaube ich – im Interesse einer Organisation wie dem Europarat oder der Europäischen Union sind. Daher ist ein Zypern anzustreben und auch von unserer Seite eine Lösung in dieser Richtung zu unterstützen.

Grundsatz Nummer 2. Die Bewegung in Richtung einer Lösung muss wohl von den Vertretern der Volksgruppen direkt ausgehen. Jede von außen herangetragene Lösung wäre konstruiert, könnte leicht als Oktroi verstanden werden und würde wahrscheinlich auch nicht von der gesamten Bevölkerung mitgetragen. Daher sind die Verhandlungen der Volksgruppen, die ja schon zum Teil zu Erfolgen geführt haben, voll zu unterstützen, die Schirmherrschaft der Vereinten Nationen anzuerkennen und diese Verhandlungen zu beleben und weiter voran zu treiben.

Grundsatz Nummer 3. Was die inhaltliche Lösung anlangt, müssen beide Volksgruppen bei einer Lösung in Richtung eines Zyperns sowohl in der Gesetzgebung als auch in der Verwaltung ihre Interessen wiederfinden. Es kann daher nur eine für beide Teile befriedigende Lösung angestrebt werden.

Grundsatz Nummer 4 betrifft die Frage des Zeitpunkts, wann eine solche Lösung tatsächlich erfolgen soll. Hier kann man zu Recht Kritik daran üben, dass dies schon zu lange dauert. Der Anlass der Erweiterung der Europäischen Union und die Aufnahme Zyperns in die EU wäre sicherlich ein guter Anlass, um zu einer Lösung zu kommen, vielleicht auch im Umfeld, nach einigen Jahren der Mitgliedschaft. Es ist deshalb ein guter Anlass, weil für viele betroffene Bürger auf beiden Seiten dadurch Vorteile sichtbar werden, die ihnen auch persönlich Positives in Hinblick auf Wohlstand und auf wirtschaftspolitische Entwicklung vermitteln können. In einem derartigen positiven wirtschaftlichen Umfeld könnte eine solche Einigung auch leichter erzielbar sein als heute.

Grundsatz Nummer 5 betrifft die beiden Berichte, die nunmehr vorliegen. Ich glaube, dass auch sie in einem größeren Zusammenhang zu sehen sind und dass wir auf Grund dieser Berichte jetzt nicht wieder in einen Grundsatzstreit verfallen sollten. Die Grundsätze des Europarats sind in jedem Mitgliedsland einzuhalten. Daher sind die genannten Berichterstatter auch Garanten dafür. Es ist ihre Pflicht, bestehende Menschenrechtsverletzungen aufzuzeigen und dazu beizutragen, dass solche in Zukunft nicht mehr vorkommen. Ich glaube aber, dass wir in diesem Zusammenhang kein Öl ins Feuer gießen und diese Berichte nicht überbewerten sollten. Ich kann auch nicht alles restlos unterstreichen, was darin steht. Wir sollten vielmehr professionell damit umgehen. Das bedeutet, diese aufgezeigten Fragen von Menschenrechtsverletzungen auch im Detail zu untersuchen und alles dazu beizutragen, dass es künftig keine solchen Verletzungen mehr gibt. Ich glaube, dass wir die besondere Situation Zyperns hier auch beachten und uns als Europarat dafür einsetzen sollten, dass es wirklich zu einer baldigen gemeinsamen Lösung dieser Frage kommt.

Danke schön.

Henryk KROLL, Polen, EPP/PPE

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Es ist traurig, dass der EU-Beitritt des südlichen Zyperns sich wohl im kommenden Jahr vollziehen wird, während gleichzeitig im Norden der Insel erschreckende Verstöße gegen geltendes Menschenrecht an der Tagesordnung sind. Es schockiert mich erst recht, wenn diese Zustände von einem Staat geduldet, ja sogar mitverantwortlich getragen werden, welcher selbst Mitgliedsstaat dieses Europarates ist und in absehbarer Zeit einen EU-Beitritt anstrebt.

Meine Damen und Herren, es erscheint mir wichtig, dass wir uns der Tragweite dieses Falles bewusst sind und erkennen, dass dieses Problem unsere volle Aufmerksamkeit genießen muss. Aus diesem Grund unterstütze ich die Forderungen, die Herr Marty im vorläufigen Resolutionsentwurf dargestellt hat. Die Einschränkung von Grundrechten im nördlichen Teil Zyperns muss sofort ein Ende haben. Die Bevölkerung sollte dringend selbst das verbrecherische Vorgehen der türkisch-zypriotischen Verwaltung anklagen und so den Druck auf die Verwaltung erhöhen. Es ist bemerkenswert, dass in achtunddreißig Jahren UN-Einsatz keinerlei Fortschritt erzielt wurde. Umso mehr ist es nun an uns, möglichst schnell eine Lösung dieser Probleme zu erwirken. Ich möchte anregen, dass der Europarat auch die Regierungen seiner Mitglieder und weiterer Organisationen – insbesondere die Europäische Union – veranlasst, den Druck auf die türkische Verwaltung zu erhöhen. Der momentane Zustand der griechischen und maronitischen Bevölkerung lässt vermuten, dass diese Gemeinden in naher Zukunft komplett aussterben werden oder zumindest abwandern müssen. Wenn dies endgültig passiert, wird eine mögliche spätere Wiedervereinigung der beiden Landesteile nur noch weiter erschwert, zumal das Klima von Misstrauen und Hass innerhalb der Bevölkerung weiter verstärkt wird.

Ich danke Herrn Marty für seinen Bericht und appelliere an Sie, meine Damen und Herren, dass wir in dieser Angelegenheit schnell und umfassend handeln, um eine weitere Verschlechterung der Lage für die Bevölkerung zu bekämpfen.

Vielen Dank.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Herr Vorsitzender, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Ich möchte hervorheben, dass der Ausschuss voller Bewunderung für die Arbeit war, die hier getan worden ist. Es galt, in einer komplizierten Gemengelage den klaren Blick dafür zu bewahren, was sich geändert hat und was nicht. Ich glaube, es war gerade zu spüren, dass dabei das Bemühen vorgeherrscht hat, die Dinge objektiv zu sortieren. Leider musste das Ergebnis so sein, wie es nun vorgetragen wurde. Im Hinblick auf die Personengruppen, die Gegenstand unserer Erörterung sind, hat sich nämlich nichts oder zumindest nichts Wesentliches geändert. Deshalb kam es auch nicht in Betracht – so wie es im Ausschuss gelegentlich gefordert worden war – die Sache zu vertagen und so zu tun, als sei eine Entwicklung in Gang gekommen, die in unserem speziellen Anliegen eine positive Wendung hätte bewirken können. Ich glaube deshalb, dass es richtig war, uns mit dieser Angelegenheit zu befassen. Dabei hoffen wir natürlich sehr, dass die Berichte, die hier zur Debatte stehen, ein Anlass sein mögen, auch im Hinblick auf die Betroffenen wirklich schnellstens entscheidende Verbesserungen zu erreichen. Das ist unsere Hoffnung, und Sie können sicher sein, dass die Mitglieder des Ausschusses und die Berichterstatter der Angelegenheit auch weiterhin verbunden sein werden und genau beobachten werden, ob das, was hier immer wieder behauptet worden ist, irgendwann einmal tatsächlich in Gang kommt. Im Interesse der Betroffen würden wir es sehr wünschen.

Vielen Dank.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Wir sind dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dafür.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dafür.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Dagegen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/PPE

Der Ausschuss ist dagegen.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Danke, Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Dieser Bericht zwingt niemanden dazu, etwas zu tun, was er oder sie nicht will. Er ist ein Angebot, sozusagen eine Offerte, von unseren eigenen Erfahrungen zu lernen. Von einer „Quelle der Inspiration“ zu sprechen, wäre für uns normale Politiker vielleicht etwas zu poetisch, aber so ist es gedacht.

Unsere Geschichte gibt uns Anschauungsunterricht. In dieser Geschichte wurden mittels autonomer Lösungen – ich komme gleich darauf zurück, was das genau bedeutet – positive Erfahrungen gemacht wie Konflikte, die mit Gewalt trächtig waren, ohne Gewalt zum Wohle aller gelöst werden können. Die ursprüngliche Idee von Herrn Atkinsons Motion war, dass wir von diesen Erfahrungen lernen sollten. Ich versuchte dies so umzusetzen, dass jedermann merkt, dass die positiven Erfahrungen vor allem der Ǻland-Inseln – einer Inselgruppe von zweitausend Inseln zwischen Schweden und Finnland – vor dem 2. Weltkrieg einerseits und der autonomen Region Bozen-Südtirol nach dem 2. Weltkrieg andererseits, auf fünfundzwanzig Faktoren zurückgeführt werden können. Diese Faktoren zeigen, wie in der Gesetzgebung, der Verfassungsentwicklung und der Kultur der Interpretation dieser Gesetze in einer Art ein rechtlicher Rahmen geschaffen wurde, der es erlaubte, eine starke Minderheit, die in einem bestimmten Gebiet eines Staates eine Mehrheit hatte, so zu integrieren und ihr eine große Eigenständigkeit so zuzugestehen, dass sie die Souveränität und die Einheit des Staates akzeptierte. Die Grundidee der autonomen Lösung ist also eine Versöhnung kultureller Vielfalt mit der Einheit des Staates. Es ist also keine Bedrohung der Einheit des Staates, sondern eine Garantie, eine Medizin für die Einheit, wenn man die Macht, die Souveränität, die Gewalt, die Eigenständigkeit so verteilt, dass alle etwas bekommen und niemand zu viel, die Machtverteilung aber vielleicht asymmetrisch ist. Das heißt, dass eine Minderheit im Staat, weil sie in einer bestimmten Region eine Mehrheit darstellt, einen höheren Anteil an Selbstständigkeit bekommt als ihr mathematischer Anteil am ganzen Staat ausmachen würde. Man könnte als Föderalist von asymmetrischer Föderalität reden, wenn der Föderalismus die gleiche dezentrale Organisation eines Staates bedeuten würde.

In diesem Konzept und in diesen Erfahrungen steckt ein sehr großes Friedenspotential. Wenn Betroffene Frieden finden können, hat dies ein Sicherheitspotential für die Nachbarschaft zur Folge. Dies ist vielleicht sehr wichtig, wenn man es vom Kontinent aus sieht. Es ist eine feinere Verteilung von Macht. Vielleicht macht es deshalb gewissen Leuten Angst, weil sie fürchten Macht zu verlieren. Es nützt jedoch nichts, Macht zu haben, wenn andere so unzufrieden sind, dass sie diese in Frage stellen. Eine feinere Verteilung von Macht unter der Berücksichtigung kultureller Eigenständigkeiten ist eine präventive, kluge Vorsicht. Ich finde es sehr wichtig, dies zu verstehen. Auf der anderen Seite kann es auch Angst machen, weil der Begriff der Autonomie jahrelang missbraucht worden ist. Er ist auch unbestimmt gehalten worden. Er war ein Begriff, mit dem manipuliert werden konnte. Deshalb ist es wichtig hervorzuheben, dass dieses Konzept nur in demokratischen, rechtsstaatlichen Strukturen möglich ist. Ich habe mich immer gewundert, weshalb es solche Angst macht. Es könnte daran liegen, dass auch in undemokratischen, sogar totalitären Strukturen mit diesem Begriff gearbeitet worden ist. Es könnte natürlich auch daran liegen, dass gewisse Autonomien nicht gut konzipiert waren und die Sezessionstendenzen nicht verhindert haben. Das hat aber nichts mit der Idee als solche zu tun, sondern mit der Art, wie diese Idee gesetzgeberisch und verfassungsmäßig implementiert wurde. Ich finde diese Unterscheidung sehr wichtig.

Weil dieses Konzept so heikel ist und weil es eine Geschichte hat, die positiv ist, aber ebenso negative Erfahrungen – von denen man auch lernen kann – vermittelt, haben wir in der Kommission vier Jahre an diesem Bericht gearbeitet. Ich habe etwa sieben Kommissionssitzungen in den letzten drei Jahren gezählt. Ich möchte dem Sekretariat und Frau Entzminger, die diese Arbeit mitverfolgt hat, danken. Wir haben immer wieder neu geschrieben und neu ergänzt, weil wir gewisse Einwände ernstnehmen und aufnehmen wollten.

Wenn Sie den Bericht genau lesen, dann ist er eine Offerte für jene, die sich mit diesem Konzept auseinandersetzen wollen. Wir raten ihnen, dabei etwa fünfundzwanzig Faktoren zu beachten, die, wie wir gesehen haben, zum Beispiel für den Erfolg der autonomen Regionen Ǻlands und des Südtirols entscheidend waren. Diese Faktoren reichen von ökonomischen über internationale bis zu kulturellen Elementen der beteiligten Staaten. Es war zum Beispiel im Norden sehr wichtig, dass beide Staaten, Finnland und Schweden, bereit waren, gute Demokratien zu sein. Sie wollten auf ihre Demokratie stolz sein. Sie wollten sogar eine nordische demokratische Kultur etablieren, und sie waren zum Beispiel bereit – und das ist einzigartig – vor dem Entscheid des Völkerbundes diesen zu akzeptieren, ohne zu wissen, wie er ausgesprochen werden würde. Als Demokrat muss ich zugeben, dass der Entscheid des Völkerbundes bei keiner der beteiligten Gruppen – weder bei den Schweden, noch bei den Finnen, noch bei den Ǻländern selbst – eine Mehrheit hätte finden können. Alle waren unzufrieden. Die Geschichte hat jedoch dieser demokratisch problematischen Rechtsprechung des Völkerbundes Recht gegeben, die so klug war, zum Beispiel alte finnische Traditionen zu berücksichtigen aber auch zu versichern, dass die schwedische Kultur in Finnland gewahrt werden würde.

Ich denke, es gibt heute sehr viele Staaten, die sich mit solchen kulturellen Fragen auseinandersetzen müssen. Ich glaube, es ist an der Zeit zu merken, dass der homogene Nationalstaat des neunzehnten Jahrhunderts modernen Gesellschaften nicht mehr entspricht und dass die Tradition des kulturell homogenen Nationalstaates erweitert werden muss. Der Bericht ist in dieser Tradition zu sehen und im Bemühen, konzeptionell den modernen, kulturell vielfältigen Gesellschaften so Rechnung zu tragen, dass die Einheitlichkeit des Staates deswegen nicht in Frage gestellt werden muss. Wenn uns das gelingt, dann haben wir etwas für den Frieden in Europa getan. Deshalb danke ich dafür, dass dieser Bericht möglich war und hoffe jetzt auf eine gute Diskussion.

Terezija STOISITS, Österreich, SOC

Sehr geehrter Herr Vorsitzender, meine sehr geehrten Damen und Herren,

Ich glaube, der Bericht, den Andreas Gross der parlamentarischen Versammlung vorgelegt hat, wird sich als eines der positivsten Beispiele in der Tradition des Europarates einreihen, was die vorbildhafte Erforschung und damit auch die Weiterentwicklung von Instrumenten zur Partizipation und Teilhabe im europäischen Raum angeht. Herzlichen Dank für diesen Bericht.

So wie einige Vorredner bereits bemerkt haben und wie Herr Gross ja auch selbst gesagt hat, stellt dieser Bericht sozusagen den ersten Teil einer Arbeit dar. Vier Jahre, so habe ich heute vernommen, hat diese Arbeit gedauert. Daran sehen Sie, dass es nicht nur inhaltlich eine schwierige Angelegenheit war, sondern dass in diesem Bericht auch mit sehr viel Feingefühl und Rücksichtnahme auf Befindlichkeiten sowohl politischer als auch geopolitischer Natur vorgegangen wurde. Für mich ist das Schlüsselwort in diesem Bericht die Begrifflichkeit der feineren Verteilung von Macht. Wenn einer meiner Vorredner angemerkt hat, er meine hier zu erkennen, Herr Gross verwechsele kulturelle und territoriale Autonomie, dann halte ich das für eine grobe Missinterpretation dessen, was er hier vorgelegt hat. Für mich liegt der Schlüssel zur möglichen Lösung, aber auch zur Prävention von gewalttätigen Konflikten in dieser Balance der Machtverteilung, vor allem in der Differenzierung und damit logischerweise der Berücksichtigung von gewachsenen kulturellen Eigenheiten. Der Bericht befasst sich ja nicht von ungefähr mit den positiven Erfahrungen von autonomen Regionen in Europa. Er schließt auch nicht aus, dass es negative gibt. Dort, wo es negative Erfahrungen gibt – und in dem Bericht kann man dies im Exkurs über Kosovo und Wojwodina nachlesen – sind diese Modelle daran gescheitert, dass sich genau diese Balance bei der Machtverteilung geändert hat. Dies war ein Faktor; ich sage nicht, dass es der einzige gewesen ist.

Darum meine ich, dass diese Arbeit logischerweise auch im Interesse des Europarats fortzusetzen ist. Autonomie in der Begrifflichkeit, wie wir sie in diesem Bericht sehen und lesen, bewirkt genau das, was hier manche bezweifeln, nämlich Sezessionstendenzen in Ländern zu unterbinden und nicht, sie zu fördern. Ich teile die Meinung von Herrn Gross voll inhaltlich, dass sich dieser Bericht nahtlos in die moderne Staatsrechtsdiskussion einfügt, wo moderne Gesellschaften Nationen mit vielfältigem kulturellem Input sind. Das ist auch sozusagen das Gewicht, das Europa hat. Ich kann nur sagen, dass ich dem Europarat und speziell jenen, die mit der Weiterentwicklung befasst sind, alles Gute wünsche.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Ich danke für den Eindruck, verstanden worden zu sein. Deshalb werde ich jetzt auf diejenigen, die mich gut verstanden haben, vielleicht ungerechterweise weniger eingehen. Was diejenigen betrifft, von denen ich den Eindruck habe, dass es sozusagen noch Klärungsbedarf gibt und wir uns nicht richtig verstehen, hat Frau Stoisits zu Herrn Prisăcaru schon das Notwendige gesagt. Ich denke, dass es in keiner Weise ein Widerspruch zwischen der europäischen Einheit und der Dezentralisierung von Macht und Souveränität ist – und Herr Solé Tura hat dies sehr schön dargestellt – dass auch kleine Einheiten ihre Selbstbestimmungsmöglichkeiten bekommen. Diese Bewegungen, die gleichzeitig stattfinden, sprechen füreinander und sind kein Widerspruch. Die böse Bemerkung von Herrn Prisăcaru in Bezug auf außereuropäische Erfahrungen finde ich problematisch. Eine sogenannte außereuropäische Erfahrung wird genannt, weil dort eben unter der Regie einer europäischen Nation, Norwegen, und aus der Erfahrung europäischer Beispiele heraus genau das in Sri-Lanka umgesetzt wurde, was Herr Atkinson so gelobt hat, nämlich für heutige Gewaltpotentiale zu lernen und die Konflikte so zu besänftigen, dass Gewalt vermieden werden kann.

Zu Herrn Muratović möchte ich sagen, dass es eine Schwäche unserer Versammlung ist, dass es selten „follow-ups“ für ganz bestimmte, interessierte Staaten und Gesellschaften gibt. Ich finde sehr richtig und wichtig, dass die meisten von uns verstanden haben, dass es hier nicht um ein Modell geht, sondern um Prinzipien – „basic principals“, wie Sie selbst gesagt haben. Wie diese „basic principals“ im konkreten Fall angewendet werden können, wissen die Betroffenen am besten. Sie müssen zum Beispiel in einer Verfassung verankert worden sein, es müssen gesetzlich klar Kompetenzen geregelt werden. Dies haben Sie alles gesagt. Eine Idee wäre vielleicht, dass die Parlamentarier aus jenen Staaten, die einen großen Bedarf und ein großes Interesse haben, sich ohne den Europarat zusammenfinden um sich zu fragen, wie man auf diesen Bericht aufbauen und ihn praktisch umsetzen kann.

Zu Herrn Huseynov möchte ich betonen, dass ich einerseits die positive Erfahrung von Nachitschevan im Paragraph 13, Seite 9, genannt habe und dass dieses Schema, welches er kritisiert hat, ein Zitat aus einem wissenschaftlichen Buch ist. Vielleicht erlauben Sie mir den Ratschlag, den Leser nicht zu unterschätzen. Es entsteht aus dieser Zusammenstellung nicht der Eindruck, dass das heutige Aserbaidschan damals unterm Iran war. Ich glaube, dass man das, was wir erklärt haben, auch durchaus so verstehen kann und es kein Widerspruch ist.

Von Herrn Aliyev kann ich sagen, dass er ein guter Kollege und ein Freund ist und dass wir uns gegenseitig respektieren. Sie haben selbst gesagt, weshalb ich dieses Beispiel nicht genannt habe: es war nämlich ein negatives. Ich versuchte zu betonen, dass der Begriff Autonomie, wie er in der Sowjetunion gebraucht wurde, wenig mit dem zu tun hat, wie wir in gebrauchen. Die Sowjetunion war kein Rechtsstaat, keine Demokratie, und es ging eben nicht um das Recht auf Differenz. Ich habe es deshalb hier nicht angewandt, auf der anderen Seite aber auch in dem Bewusstsein, dass Herr Davis für Nagorno-Karabach selber einen Bericht anfertigen wird. Ich hoffe, dass er sich in seinem Ausblick auf diesen Bericht beziehen wird und wir uns in dem Sinne noch finden können. Dort passiert noch etwas, was ich nicht vorwegnehmen muss. Ich wurde auch darauf aufmerksam gemacht, ich solle das nicht tun, da es meinen Bericht überladen würde.