SITZUNGSPERIODE 2003

(3. Teil)

BERICHT

23. SITZUNG

Donnerstag, 26. Juni 2003, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH

Addendum I

Zu Protokoll gegebene Rede

Politische Gefangene in Azerbaijan


Politische Gefangene in Azerbaijan

Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/PPE

Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren, liebe Kollegen

Ich bedaure sehr, dass es in den Mitgliedsstaaten des Europarates heute noch politische Gefangene gibt, ich hatte gehofft, dass sie zur sowjetischen Geschichte gehören......... Also erachte ich es wichtig, jetzt darüber zu sprechen, um uns selbst die prekäre Situation dieser unter bestimmten Umständen der Freiheit beraubten Menschen bewusst zu machen, aber viel mehr um die für eine Besserung und Aenderung Verantwortlichen zu erinnern, dass sie trotz ihrer Zugeständnisse und wiederholter Erinnerung seitens des Europarates noch nicht genügend getan haben, und sie aufzurufen, sofort möglichst alle politischen Gefangenen freizusetzen.

Jeder politische Gefangene ist einer zuviel und jeder versäumte Tag ist einer zuviel!.

Seit 2001 arbeiten vom Generalsekretär eingesetzte Experten an der Frage der politischen Gefangenen. Sie haben eine von unserer Versammlung anerkannte Definition formuliert, mit 5 Kriterien, die eine unter Freiheitsentzug lebende Person als „politischen Gefangenen“ qualifizieren. Wir haben demnach eine gemeinsame Sprachregelung und zweifellos handelt es sich bei den meisten der namentlich im Appendix aufgelisteten Personen um politische Gefangene.

Es ist also schon nicht so, wie einer meiner Vorredner es dargestellt hat, dass der Berichterstatter hier seine eigenen Vorstellungen habe und quasi nach eigenem Ermessen kategorisieren wolle, sodass er Schwerverbrecher wie Verräter und Terroristen als politische Gefangene einstufe!

In diesem Zusammenhang verweise ich Sie auf Appendix 7 zum Bericht; dass ganze Familien in Mitleidenschaft gezogen werden, weil sich ein Mitglied politisch exponiert und damit unbeliebt macht, empört mich und ich verurteile das aufs Allerschärfste.

Geschätzte azerische Kollegen, verschliessen Sie doch nicht die Augen vor solch menschenverachtenden Machenschaften! Denken Sie an Ihre Familien, denken Sie daran, dass Sie und Ihre Kinder die Nächsten sein könnten – stehen Sie auf und gebieten Sie Einhalt. Es liegt in Ihrer Verantwortung als Volksvertreter!

Die Experten begutachten und qualifizieren hier in Strasbourg anhand der ihnen von den azerischen Behörden zur Verfügung gestellten Urteile und anderen Dokumente.

Ich begrüsse sehr die Fortführung des Mandates der Experten, weil ich überzeugt bin, dass sie durch ihre wissenschaftliche Arbeit in Form der Beurteilung gemäss Akten-lage eine äusserst wertvolle Unterstützung zur Parlamentarierarbeit leisten, die im Sammeln von Informationen und in persönlichen Kontakten vor Ort besteht.

Allerdings kann die Expertenarbeit nur dann zügig erledigt werden, wenn die benötigten Abschriften vorliegen; die azerischen Behörden mögen hier bitte weiter kooperativ sein, denn zur Zeit wird wohl auf Dokumentationsmaterial gewartet!

Ich will nun auf einen Problemkreis eingehen, der mich im Rahmen des Berichtes und bei Diskussionen im Vorfeld unserer heutigen Debatte sehr betroffen gemacht hat: die Lebensbedingungen der Gefangenen allgemein, Folter und mangelnde medizinische Versorgung im besonderen.

Als ich Mitte der 90er-Jahre im Rahmen meines Berichterstattungsmandates zur Abschaffung der Todesstrafe in den damals neuen Mitgliedsländern die Lebensbe-dingungen von Todesstrafengefangenen sehen musste, habe ich mir geschworen, dass ich mich in der Versammlung nicht nur für das Leben dieser Männer stark machen wollte, sondern die Versammlung auch Sorge tragen sollte für eine Verbesserung der Haftbedingungen.

Wenn das, was im Bericht steht, auch nur teilweise den Tatsachen entspricht - aber ich habe keinen Grund, an der Seriosität des Berichterstatters zu zweifeln-, so herrschen in den Gefängnissen, in denen politische Gefangene gehalten werden, unakzeptable menschenunwürdige Verhältnisse.

Meine schon wiederholte Male vor Ort gereisten Kollegen haben mich informiert, dass die Bedingungen in den „normalen“ Gefängnissen von Azerbaijan durchaus im Durchschnitt unserer Erfahrungswerte betreffend Haftbedingungen liegen.

Warum zeigt sich dann ein so krasser Widerspruch in den Hochsicherheitsge-fängnissen, speziell in dem von Gobustan?

Liebe Kollegen, ich verachte Folter, sei sie physisch oder psychisch, und wenn diese wirklich noch angewendet wird in Ihrem Land, dann bitte tun Sie alles in Ihrer Macht Stehende, um Qual und Erniedrigung sofort zu beenden!

Da die medizinische Versorgung mangelhaft ist bzw. es sie gar nicht gibt, müssen manche politische Gefangene an ihrer unbehandelt gebliebenen Krankheit sogar sterben: das darf nicht hingenommen werden, ein solcher Umgang mit Menschen ist unwürdig und ich bitte Sie, sich für die Freilassung der kranken politischen Gefangenen einzusetzen.

Ich appelliere an unsere Kollegen aus Azerbaijan und an deren Behörden daheim, sich prioritär des Problems der politischen Gefangenen anzunehmen und weiterhin mit den Berichterstattern und Experten des Europarates zusammenzuarbeiten, damit die Debatte von heute die letzte zu diesem Thema war: es darf ab sofort keine politischen Gefangenen mehr geben.

Abschliessend will ich nochmals festhalten: wenn wir in der Versammlung uns kritisch äussern, so wollen wir den Behörden in Azerbaijan die Verletzung von garantierten Rechten und Freiheiten bewusst zu machen und damit die Situation der betroffenen Gefangenen verbessern.

Ich wünsche, dass die heutige Debatte von unseren azerischen Kollegen als

konstruktiver Beitrag zur Lösung ihres ihnen allen wohl bewussten Problems verstanden wird.