SITZUNGSPERIODE 2004

(1. Teil)

BERICHT
4. SITZUNG

Mittwoch, 28. Januar 2004, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Rainder STEENBLOCK, Deutschland, SOC

Vielen Dank, Herr Präsident, meine lieben Kolleginnen und Kollegen,

Auch ich möchte mich sehr herzlich bei Herrn Eörsi bedanken für diesen Bericht und ebenso für seine Bemerkung, dass man an dieser Stelle nicht objektiv sein kann. Gerade vor dem Hintergrund meiner deutschen Geschichte fließen natürlich viele Emotionen in diesen Prozess ein, vor dem wir jetzt stehen. Die Trennung eines Landes zu überwinden, kann nur mit Emotionalität geschehen, mit Kraft, die nicht nur aus dem Verstand, sondern auch aus dem Gefühl und aus dem Herzen kommt. Deshalb glaube ich, dass nicht nur Objektivität, sondern auch die Kraft der Emotionen gefragt ist. Am 1. Mai, liebe Kolleginnen und Kollegen, wird der Kalte Krieg, der Europa in Ost und West zerteilt hat, endgültig in die Geschichtsbücher verwiesen werden. Die Erweiterung der Europäischen Union beendet die politische Teilung Europas endgültig, auch wenn uns die ökonomischen Folgen noch lange begleiten werden. Es gibt jedoch einen Teil Europas, wo die politische Eiszeit noch nicht vorüber ist, wo Stacheldraht und Grenzzaun noch immer ein Land zerteilen. Diese dreißig Jahre alte Grenze, die Griechen und Türken auf Zypern trennt und eine Hauptstadt teilt, ist ein politischer Anachronismus in einem trotz aller Schwierigkeiten immer weiter zusammenwachsenden Europa. Dieser Anachronismus muss so schnell wie möglich überwunden werden. Wir kennen nicht alle Schlüssel, aber der wichtigste Schlüssel zur Lösung dieses Problems liegt in Ankara, liegt in der Türkei.

Wir haben in den letzten Monaten einen deutlichen Reformprozess in der Türkei erlebt, den viele Beobachter so nicht für möglich gehalten haben und der unsere ganze Unterstützung verdient. In der Frage der Menschenrechte, der Minderheitenrechte, der Demokratisierung, der Unabhängigkeit der Justiz, des Zurückdrängens des Einflusses des Militärs hat es erhebliche Fortschritte gegeben, die die Hoffnung auf eine rasche Klärung der Zypernfrage genährt haben. Aber so, wie die Wirklichkeit in der Türkei noch Schwierigkeiten hat, den Reformen zu folgen, und diese Wirklichkeit sich in einigen Punkten immer noch sehr widersprüchlich darstellt, so hat es im vergangenen Jahr in Bezug auf die Zypernfrage in der türkischen Politik Ereignisse gegeben, die eindeutig in die falsche Richtung weisen. Ich will diese Ereignisse hier auch nennen. Da war zum einen die sehr massive Wahlunterstützung für Rauf Denktasch und seine nationalistischen Freunde, oder auch die problematische Erklärung einer Zollunion zwischen dem Nordteil Zyperns und der Türkei. Dies ist nicht hilfreich gewesen. Auf der anderen Seite hat es aber sehr erfreuliche Prozesse gegeben. Hier ist an erster Stelle die Grenzöffnung zu nennen, die dazu geführt hat, dass die Menschen wie in anderen Ländern, etwa in Deutschland, mit den Füßen abgestimmt haben. Sie sind nicht über diese Grenze gegangen, um sich alte Geschichten von Trennung zu erzählen, sondern sie haben sich alte Geschichten von Gemeinschaftserlebnissen erzählt. Sie haben die bikommunale Zusammenarbeit tatsächlich wieder belebt. Sie haben deutlich gemacht, dass diejenigen, die dieses Land in nationalistischer Manier ethnisch teilen wollen, historisch gesehen Politiker von gestern sind, und dass das Volk an dieser Stelle selbst über seine Zukunft entscheiden kann. Auch die Entschädigung, welche die türkische Regierung in der Frage Loizidou ermöglicht hat, ist sicherlich ein sehr positives Ereignis gewesen, denn es hat gezeigt, dass wir in diesem Wiedervereinigungsprozess Chancen haben.

Ich bin sehr froh, dass die Opposition bei den Dezemberwahlen die Mehrheit errungen hat. Jeder, der weiß, unter welch schwierigen Bedingungen die Opposition diesen Wahlkampf geführt hat, was die Einschränkung von Meinungsfreiheit angeht, der kann ermessen, wie viel es bedeutet, dass die Opposition die Mehrheit der türkisch-zypriotischen Bevölkerung hinter sich gebracht hat. Dies gibt auch den reformorientierten Kräften in der Türkei die Möglichkeit, konsequenter als bisher an der Lösung der Zypernfrage zu arbeiten. Die Erklärungen des türkischen Ministerpräsidenten in Davos geben Anlass zur Hoffnung, dass es jetzt auf der Basis des Annan-Plans tatsächlich zu einer Lösung kommen kann, auch wenn die Erklärung des türkischen Militärrates gerade in dieser Frage der Berücksichtigung der Realität auf Zypern nicht so verstanden werden darf. Wenn sie wirklich so gemeint war, wäre das ein Schritt in die falsche Richtung. Es wird keine Lösung auf der Grundlage zweier Staaten in Zypern geben. Zwei Staaten kann, darf und wird es in Zypern nicht geben.

Lassen Sie mich noch einen Punkt zur EU-Kompatibilität anführen. Es darf keine Vermischung des Annan-Plans mit dem Beitrittsplan geben. Der Beitrittsplan ist an die Kopenhagener Kriterien gebunden. Wir sollten an dieser Stelle sehr vorsichtig sein, was die Garantieerklärungen angeht. Dies wird aus meiner Sicht nicht hilfreich sein. Der Beitritt wird durch eine Lösung der Zypernfrage sicherlich gefördert, doch Garantien wird es nicht geben können. Andererseits würde das Nicht-Erreichen der Ziele des Annan-Plans sicherlich den Beitritt der Türkei erheblich beschädigen. Lassen Sie mich zum Schluss sagen, dass wir solidarisch an der Seite derjenigen stehen müssen, die jetzt die historische Chance nutzen wollen, die Trennung zwischen Nord- und Südzypern zu überwinden und die diese Insel, die vielen ja auch als Wiege Europas bekannt ist, im Interesse aller Zyprioten friedlich vereinigen wollen.

Vielen Dank.