SITZUNGSPERIODE 2004

(1. Teil)

BERICHT
6. SITZUNG

Donnerstag, 29. Januar 2004, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Herr Vorsitzender, ich danke Ihnen.

Es ist nicht das erste Mal, dass wir in diesem Hause über den Terrorismus diskutieren, und ich bin sehr froh, dass dieses Thema auch weiter diskutiert wird. Der Terrorismus ist eine Realität. Die Frage ist, wie wir hier im Europarat mit dieser Realität umgehen. Wie nimmt der Europarat im Zusammenhang mit dem Terrorismus die Einhaltung der Menschenrechte wahr? Wie gehen wir mit den Ländern um, welche Terroristen beherbergen? Wir sollten aber auch die Frage stellen, was mit den Ländern ist, die Terroristen ausbilden, und in denen Terroristen immer wieder die Möglichkeit finden, ihre Drogengelder zu deponieren und damit zu waschen. Es stellt sich auch die Frage, welche Länder die Verantwortung für die Lieferung von Waffen in Staaten tragen, in denen Terroristen freie Hand haben. All diese Fragen muss sich der Europarat stellen, für den die Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit ja raison d’être sind.

Der Begriff Terrorist ist sehr schwer zu definieren. Wir haben das jetzt in verschieden Stellungnahmen wieder gehört. Sind auch die Menschen Terroristen, die zum Beispiel in Palästina leben, die seit Jahrzehnten unterdrückt werden, deren Land okkupiert wird und die, weil sie keine gerichtlichen Möglichkeiten haben sich zu wehren, mit Steinen werfen? Auch jener Terrorismus ist zu verurteilen. Wir müssen uns jedoch fragen, woher diese Art von Terrorismus kommt. Oder sind solche Menschen Terroristen, die selbst in großem Reichtum leben, die mit einer Kultur verbunden sind, in der die Frauen wie Sklaven gehalten werden, deren Kinder verhungern, die Tausende von Mitbürgerinnen und Mitbürgern ohne gerichtliches Verfahren ermorden, wie das im Irak geschehen ist? Die Motivationen dieser beiden Beispiele könnten nicht unterschiedlicher sein; und trotzdem sind beide Gruppen Terroristen, die Unschuldige ermorden, die riesiges Leid über Tausende von Menschen bringen, die aber auch die wirtschaftlichen Strukturen, von denen der Wohlstand aller abhängig ist, zerstören. Es gibt keinen Grund, der solche Taten rechtfertigen könnte.

Die meisten Länder des Europarates haben sehr gute Gesetzgebungen zur Bekämpfung des Terrorismus. Heute verfügen wir jedoch über internationale Netzwerke, die Ziele wie die Bekämpfung der Armut und die Schaffung sozialer Gerechtigkeit verfolgen. Es stellt sich auch die Frage, was wir alle tun können und was der Europarat tun kann, um zu verhindern, dass mit Rachefeldzügen noch mehr Leid über unschuldige Menschen kommt. Sicher müssen alle Drahtzieher von Terroranschlägen vor Gericht gestellt werden. Die Mitgliedsländer des Europarates tragen Mitverantwortung dafür, dass sie bestraft werden. Wir von der Gruppe der EPP sind der Meinung, dass neue Konventionen zur Bekämpfung des Terrorismus notwendig sind. Ich denke, hierbei ist der Europarat gefordert. Unsere Gruppe hat sich bereits in früheren Stellungnahmen dafür ausgesprochen, Verantwortung dafür zu tragen, dass überall auf der Welt die Menschenrechte eingehalten und soziale Ungerechtigkeiten immer wieder angeklagt werden, denn genau diese Nichteinhaltung ist ja die Grundlage für den Terrorismus. Wir verurteilen jedoch eine an Vergeltung orientierte Aktion, die immer wieder die Bevölkerung, d.h. die Schwächsten – Frauen und Kinder – trifft, die nicht flüchten können.

Es geht nicht um Rache. Vielmehr muss zwischen den Völkern und den Kulturen Frieden hergestellt werden. Der einzige Weg zum Frieden ist aber die vollständige Umsetzung der Menschenrechte. Diese dürfen nicht irgendwelchen Ideologien untergeordnet werden. Der Europarat muss immer wieder seine Dienste anbieten, um Versöhnung zwischen Kulturen und Menschen, zwischen Völkergemeinschaften zu ermöglichen. Ich danke dem Berichterstatter, dass er all diese wichtigen Fragen in seinem neuen Bericht angesprochen hat.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Danke, Herr Präsident.

Ich möchte einige Beispiele aufzählen. Wie hier immer wieder gesagt wurde, ist seit dem 11. September 2001 der Terrorismus bzw. der Kampf gegen den Terrorismus in der westlichen Welt in aller Munde. Dass Terroristen grundlegende Menschenrechtsprinzipien verletzen, indem sie auf Zivilpersonen zielen, ist klar. Diese Verbrechen müssen geahndet und die Täter der Justiz übergeben werden. Doch die Terrorbekämpfung muss bei aller Dringlichkeit differenziert angegangen werden. Die Koalitionen europäischer Staaten und der USA mit Militär und Terror-Regimen im Namen der Terrorismusbekämpfung werfen Fragen auf, denn in verschiedenen dieser Bündnisstaaten finden unter dem Deckmantel der Terrorismusbekämpfung schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen statt. Antiterror-Verbündete wie China, Russland, Pakistan, Saudi-Arabien, Algerien oder Afghanistan fühlen sich in ihrem Vorgehen bestätigt, wenn der Westen aus Rücksicht auf die Terrorismusbekämpfung über solche Menschenrechtsverletzungen hinwegsieht. Auf diese Weise wird der internationale Menschenrechtsschutz geschwächt, und die Opfer der Menschenrechtsverletzungen drohen in Vergessenheit zu geraten.

China und Russland gehören seit den Terroranschlägen in New York der Antiterror-Koalition an. In beiden Staaten werden bestimmte ethnische oder religiöse Minderheitsgruppen im Namen der Terrorismusbekämpfung massiv unterdrückt und verfolgt. Ich nenne China, obwohl es kein Mitgliedsstaat ist. China beispielsweise begeht seit Jahren schwere Menschenrechtsverletzungen, nicht nur an den buddhistischen Tibetern oder an Anhängern der Falun-Gong-Bewegung, sondern auch an den muslimischen Uiguren in Ost-Turkestan. Ähnlich wie die Tibeter leiden auch die Uiguren unter den Verletzungen ihrer Religions- und Meinungsäußerungsfreiheit. Ein anderes Beispiel willkürlicher Terrorismusbekämpfung ist Russland. Im September 1999 begann Russland bekanntermaßen einen jahrelang andauernden Bombenkrieg gegen Tschetschenien. Russland führte den Krieg unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung. Ohne stichhaltige Beweise vermutete die Regierung, dass tschetschenische Extremisten hinter verschiedenen Sprengstoffanschlägen stünden, die zum damaligen Zeitpunkt in Russland geschahen. Den Tschetschenen wurden Verbindungen zur Al-Kaida unterstellt. Die russische Propaganda, wonach jeder Tschetschene ein Terrorist sei, wurde auch von den westlichen Staaten wiederholt. Seit 1999 sind diesem Krieg mehr als achtzigtausend Zivilpersonen zum Opfer gefallen. Ungefähr zweihunderttausend Tschetschenen sind zu Flüchtlingen geworden; wir beschäftigen uns hier immer wieder mit ihnen. Unzählige Menschen sind entführt worden. Misshandlungen, Folter und außergerichtliche Exekutionen sind an der Tagesordnung. Nach dem Moskauer Geiseldrama im Jahre 2002 wurde erneut eine Großoffensive in Tschetschenien gestartet. Auf der Suche nach tschetschenischen Rebellen werden noch immer Städte und Dörfer durchkämmt. Bei diesen Säuberungsaktionen kommt es zu willkürlichen Verhaftungen, Verschleppungen, Folter und Mord an der Zivilbevölkerung. Nachdem in Tschetschenien immer weniger internationale Beobachter stationiert sind und auch der Europarat dort nicht mehr seinen Platz hat, droht der Konflikt aus dem Blickfeld der Weltöffentlichkeit zu geraten.

Es muss leider festgestellt werden, dass Staaten wie China, Russland, Israel, Afghanistan und andere seit dem 11. September viel leichter Gehör finden, wenn sie ihr inhumanes Vorgehen gegen Minderheitengruppen als legitimen Kampf gegen islamistische Terroristen etikettieren. Diese Umdefinierung von staatlichem Terror in Terrorismusbekämpfung ist unhaltbar. Terrorismus muss besiegt werden, und dies kann nur gelingen, wenn ihm durch den Schutz der Menschenrechte die Grundlagen entzogen werden.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Es vergeht kaum eine Woche, ohne dass wir in der Presse Schreckensmeldungen lesen, wonach Menschen auf der Flucht an den Küsten Europas stranden, ertrinken oder in Containern, die auf Schiffen transportiert werden, ersticken. Die Situation in vielen Ländern des Südens, wie zum Beispiel Afrika, aber auch des Ostens ist für viele Menschen oft aus wirtschaftlichen Gründen, aus Gründen der Menschenrechtsverletzungen oder aus Gründen staatlicher oder gesellschaftlicher Verfolgung nicht mehr lebbar. Oft entscheiden sich ganze Familien, Frauen mit Kindern und viele Jugendliche, alles zu versuchen, um ihr Land zu verlassen. Aus Not und in der Hoffnung, einen kurzen und ungefährlichen Fluchtweg zu finden, erkaufen sich viele die zweifelhaften Dienste von Schlepperorganisationen. Dadurch geraten sie meist in Teufels Küche, denn die Schlepper sind nicht an Sicherheit und Menschenwürde, sondern nur am schnellen Geld und an der Erledigung der Fluchtorganisation interessiert. Fluchtwege wie Transportmittel sind oft genug lebensgefährlich, und die Behandlung der abhängigen und oft eingeschüchterten Flüchtlinge ist meist unmenschlich. Frauen werden vergewaltigt, weil sie nicht genügend Geld haben, Kinder geschlagen, weil sie weinen, Alte und Kranke werden oft unterwegs ausgeladen, weil sie das Tempo der Schlepper nicht halten oder hohe Mauern und glatte Containerwände nicht überwinden können. Wer jung, fit und kinderlos ist, hat bessere Chancen, den Fluchtweg zu schaffen. Flüchtlinge und Asylsuchende, die zusammengepfercht auf mehr oder weniger gefährlich baufälligen Schiffen in den Hafenstädten des Südens ankommen, sind meist erschöpft und nicht selten durch die Flucht zusätzlich traumatisiert.

Es geht in dem Bericht nun darum zu definieren, wie diese Menschen aufgenommen, untergebracht, verarztet, und wie ihre Asylgesuche behandelt werden, wobei weder die Reiseroute noch die Wahl des Transportmittels eine Rolle spielen dürfen. Die Asylsuchenden haben, auf welchen Weg auch immer sie gekommen sind, das Recht auf eine wirksame, gerechte und ihrer Situation angepasste Klärung. Außerdem gilt selbstverständlich die Genfer Konvention von 1951 ohne Einschränkung auch für Asylsuchende. Es ist jedoch offensichtlich, dass die Hafenanlagen und Küstengebiete nicht für den Empfang von Asylsuchenden eingerichtet sind, wodurch diese ihre Rechte nicht wahrnehmen können. Dies ist kein Vorwurf an die Länder; es ist einfach eine Tatsache. So sind häufig weder juristische Berater noch Übersetzer oder angepasste Unterkünfte vorhanden. Zudem erhalten die Hilfesuchenden, besser gesagt, die Gestrandeten nicht die ihnen zustehenden Informationen. Es ist, wie der Berichterstatter ausführt, auch nicht haltbar, dass in manchen Häfen gerade bei der Ankunft einer großen Anzahl von Personen lediglich deren Identität und Herkunft festgestellt werden, was dazu dienen sollen, die Menschen gleich wieder abzuschieben und auszuweisen, ohne deren wirklichen Beweggründe für die Flucht zu untersuchen. Damit wird nicht nur die Genfer Konvention, sondern auch das Prinzip des Non-Refoulement verletzt.

Die sozialdemokratische Fraktion unterstützt die Forderungen des Berichtes nach einem Code de bonne conduite und verlangt, dass alle Menschen, die in den Häfen ankommen, ihre Fluchtgründe darlegen dürfen und dass diese von kompetenten Behörden ernst genommen und seriös abgeklärt werden. Dazu gehören auch realistische Fristen, damit die Betroffenen Rechtsmittel gegen ihre Ablehnung oder Ausweisung einreichen können. Ich will damit nicht sagen, dass die Menschen nicht zurückgeführt werden dürfen oder sollen, sondern, dass die Fluchtgründe konkret abgeklärt werden müssen. Die sozialdemokratische Fraktion unterstützt auch die Forderungen nach besserer Zusammenarbeit der internationalen Polizeibehörden im Kampf gegen Schlepperorganisationen und gegen den Menschenhandel durch das organisierte Verbrechen.