SITZUNGSPERIODE 2004

(2. Teil)

BERICHT
9. SITZUNG

Montag, 26. April 2004, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Rudolf BINDIG, Deutschland, SOC

Herr Präsident, verehrte Kolleginnen und Kollegen,

Die Versammlung hat einen Ad-hoc-Ausschuss zur Beobachtung der Präsidentenwahlen in der russischen Föderation eingerichtet. Acht Mitglieder haben sich an dieser Aktion beteiligt. Die Delegation der Versammlung war Teil der internationalen Wahlbeobachter-Mission, die eng mit der OSZE und ODIHR zusammengearbeitet hat. Die Delegation hatte die Gelegenheit, mit zwei der Kandidaten zusammen zu treffen, und zwar mit Frau Khakamada und Herrn Malischkin, und bei den anderen Kandidaten jeweils mit den Wahlkampfleitern.

Was das Verfahren für die Nominierung der Kandidaten angeht, so legt das Wahlgesetz für die Wahl des Präsidenten der russischen Föderation eindeutig die Bedingungen dafür fest. Erforderlich für eine Kandidatur sind entweder zwei Millionen Unterschriften oder aber die Nominierung durch eine in der Duma vertretene Partei. Zwei der Kandidaten waren von Duma-Parteien vorgeschlagen worden. Die anderen fünf Kandidaten hatten Unterschriften sammeln müssen – eine recht hohe Hürde, weil nicht mehr als fünfzigtausend der zwei Millionen Stimmen in demselben Subjekt der Föderation gesammelt werden dürfen. Man braucht also mindestens aus vierzig Föderationssubjekten jeweils die Zahl von fünfzigtausend Unterschriften. Bedeutsam ist auch, dass es im ersten Wahlgang eine Wahlbeteiligung von über fünfzig Prozent geben muss. Wenn dies nicht der Fall ist, muss das gesamte Nominierungsverfahren erneut vorgenommen werden.

Die Wahlkampagne ist von geringer Intensität gewesen, und in der Öffentlichkeit kaum sichtbar. Es sind nur sehr wenig Mittel für die Werbung ausgegeben worden. Bei der Zusammentragung der Unterschriften hat es eine Reihe von Beschwerden von Seiten der Mitbewerber um das Amt des Präsidenten gegeben. Es hat Klagen darüber gegeben, dass die Verwaltung sich bei einem der Kandidaten an der Zusammenstellung der Unterschriften beteiligt hatte, dass andere Schwierigkeiten hatten und bei ihrer Präsentation in den Föderationssubjekten behindert wurden.

Ein besonderes Problem ist die Rolle der Medien gewesen. Schon bei den Parlamentswahlen hatten die internationalen Beobachter festgestellt, dass die Medien nicht unparteiisch waren. Ähnliches konnte jetzt bei den Präsidentenwahlen festgestellt werden. Die staatlich kontrollierten Medien haben sich ganz klar parteiisch für den Amtsinhaber ausgesprochen. Unabhängige Medienbeobachter haben gesagt, dass auf Putin etwa fünfzig Prozent der Mediendarstellung entfallen sind. Dagegen haben die privaten Fernsehanstalten eher die Balance gehalten; dort hat es auch kritische Stimmen gegeben. Dennoch kann man sagen, dass die landesweit verbreiteten Medien den Amtsinhaber bevorzugt haben.

Was den Wahltag angeht, so ist festzustellen, dass die Wahlen ausgesprochen professionell organisiert worden sind. Dennoch sind Unregelmäßigkeiten vorgekommen, insbesondere im Hinblick auf die geheime Wahl. So kam es leider öfter vor, dass familienweise oder offen abgestimmt wurde, wogegen in den Wahllokalen nicht eingeschritten wurde. Dennoch lässt sich sagen, dass die Wahlen in ihrem Ergebnis davon wohl kaum beeinflusst worden sind.

Auffällig ist – und das möchte ich hier ausdrücklich hervorheben – dass es im Nordkaukasus ganz ungewöhnliche Wahlergebnisse gegeben hat. Während die Wahlbeteiligung landesweit bei 65 Prozent lag, betrug sie in allen Nordkaukasus-Republiken angeblich über 90 Prozent, bis hin zu 96 Prozent in Inguschetien. Die Ergebnisse betrugen hier auch jeweils über 90 Prozent der Stimmen für Herrn Putin.

Was sind die Feststellungen und Empfehlungen? Ein kurzer Hinweis. Nach unserer Auffassung sollte die hohe Hürde von zwei Millionen Unterschriften geändert werden. Bei der Organisation des Wahlprozesses muss darauf geachtet werden, dass geheim abgestimmt wird. Außerdem müssen die Wahlergebnisse im Kaukasus noch einmal überprüft werden. Vor allem aber ist es notwendig, eine Art unabhängiges, öffentlich-rechtliches Rundfunk- und Fernsehwesen zu schaffen, um in Zukunft eine bessere und fairere Vertretung im Fernsehen zu erreichen.

Ali Riza GÜLCICEK, Türkei, SOC

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kollegen,

Ich möchte dem Berichterstatter Herrn Iwinski dafür danken, dass er ein so wichtiges Thema an die Tagesordnung unserer Parlamentarischen Versammlung gebracht hat. Der Bericht ist nicht nur hinsichtlich seines Themas von Bedeutung, sondern auch insofern, als er zur richtigen Zeit einen Bedarf behandelt. Wenn Sie gestatten, möchte ich meine Meinung über den Bericht und das Thema Migration mit Ihnen teilen, über das in den nächsten Jahren noch viel diskutiert werden wird.

Die Bewahrung der Rechte von Emigranten und die Fortführung der Arbeiten für ihre Integration sind sowohl auf nationaler Basis, als auch hinsichtlich der Struktur von internationalen Institutionen wie dem Europarat von äußerster Wichtigkeit. Die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie und Politik zum Thema legale und illegale Emigration, Flüchtlinge und Emigranten, das in Europa seit langer Zeit auf der Tagesordnung steht, wird dazu beitragen, dass in Zukunft ähnliche Probleme besser bewältigt werden. Ich bin der Meinung, dass die Parlamentarische Versammlung des Europarates ihr Interesse zu diesem Thema aufrechterhalten, eine aktive Rolle spielen und eine wegweisende Politik verfolgen sollte. Die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsinstitution für Flüchtlinge wird eine technische Infrastruktur gewährleisten und dazu beitragen, die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates und anderen Ländern sowie die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Migration zu verbessern und die Flüchtlingsströme und ihre demografischen Eigenschaften festzustellen. Aus diesem Grunde unterstütze ich den Entwurf für den Empfehlungsbeschluss.

Ich möchte betonen, dass die Türkei, deren 3,5 Millionen Bürger in Westeuropa leben, großen Wert darauf legt, dass in Ländern, in denen türkische Emigranten und ihre Familien leben und arbeiten, der rechtliche Status verbessert und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte bewahrt werden. Ich begrüße die Bemühungen des Europarats auf diesem Gebiet und wünsche, dass diese sich weiterentwickeln werden.

Wie auch in den Empfehlungsbeschlüssen erwähnt wird, so bin ich der Überzeugung, dass die Erstellung eines Vertrages, bei dem auch Länder außerhalb der EU und Europa ihren Beitrag leisten, einen festen rechtlichen Rahmen bilden wird. Es ist wichtig, dass dieses Thema in jeder Hinsicht – vor allem rechtlich, sozial und wirtschaftlich – in Betracht gezogen wird und dass alle Verbindungsstellen des Europarates ihren Beitrag leisten. Den Emigranten muss die Chance gegeben werden, unter Bewahrung ihrer Identität, ihrer Kultur und ihrem Glauben in Frieden zusammenzuleben, gleichberechtigt behandelt zu werden. Damit sie sich im Leben entfalten können, muss ihnen die Möglichkeit gegeben werden, sich am sozialen und politischen Leben zu beteiligen. Europa ist eine pluralistische Gesellschaft, in der verschiedene Kulturen toleriert werden und durch deren Verfassung die freie Weltanschauung unter Schutz steht. Diese Freiheit ist das Recht aller, ohne Berücksichtigung der ethnischen Identitäten. Nur unter dieser Voraussetzung wird die Identität jedes Einzelnen möglich sein.

Liebe Kollegen, Europa braucht Einwanderer. Es muss endlich eingesehen werden, dass Europa ein Einwanderungsland ist. Um dieses wichtige Problem zu lösen, muss eine angemessene Politik erarbeitet werden. Wie auch der Herr Berichterstatter schon sagte, so unterstütze ich, dass dieses wichtige Thema auf die Tagesordnung des Europarates bei seinem dritten Gipfeltreffen im nächsten Jahr gesetzt wird.

Vielen Dank.

Rosmarie ZAPFL-HELBLING, Schweiz, EPP/CD

Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,

Wie Sie wissen, erstellt der Wirtschaftsausschuss jedes Jahr einen Budgetbericht, und jedes Jahr erleben wir wieder dieselbe Situation: Die Aufgaben des Europarates wachsen, er hat sich auf fünfundvierzig Staaten erweitert, doch die Ressourcen stagnieren. Sehen Sie sich die steigenden Zahlen der Fälle im Gerichtshof an: Sie sind mit dem heutigen Bestand und den Finanzen, die wir haben, nicht mehr zu bewältigen.

Der Budgetbericht macht die Arbeit des Europarates transparent. Dafür möchte ich dem Berichterstatter, Herrn Figel’, ganz herzlich danken. Wir sind uns bewusst, dass der Europarat viele Aufgaben zu bewältigen hätte, im Wirtschaftsbereich, im Sozialbereich sowie in der Bildung. Das würde jedoch eine massive Aufstockung der Finanzen bedingen. Man kann sich vieles wünschen, doch nicht alle Wünsche können erfüllt werden. Es gibt Länder im Europarat, die stark von dessen Tätigkeit profitieren, auch von seiner Hilfe. Sie sind es jedoch vor allem, die den Wunsch äußern, dass ihre eigenen Beiträge gekürzt werden.

Ich möchte auf zwei Punkte hinweisen, die von größter Wichtigkeit sind. Erstens: Die Hilfe der Länder an die Staaten Südosteuropas und den Kaukasus. Dort tragen wir eine große Verantwortung dafür, dass der Demokratisierungsprozess intensiv weitergeht damit weitere Konflikte vermieden werden können. Ich denke hier besonders an Georgien, wo es im Moment sehr kritisch ist, an Armenien, und natürlich an die Situation in Tschetschenien. Zweitens: Wenn es einen Sektor gibt, den wir nicht kürzen dürfen, dann sind dies die Personalkosten. Auf unsere Sekretariate hier im Europarat können wir wirklich stolz sein. Sie arbeiten sehr seriös und fachlich kompetent. Einsparungen wären hier fehl am Platze.

Was mir in diesem Parlament fehlt, sind Interesse, Druck und Engagement für eine Verbesserung der finanziellen Situation. Schauen Sie sich einmal diese Rednerliste an! Wir hatten heute verschiedene andere mit bedeutend mehr interessierten Parlamentarierinnen und Parlamentariern. Schauen Sie sich einmal die Präsenz in diesem Saal heute Abend an! Und da sprechen wir von der Notwendigkeit, Druck auf das Ministerkomitee auszuüben! Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, das müssen wir, das müssen all jene Parlamentarierinnen und Parlamentarier tun, die jetzt nicht hier sind!

Es geht wirklich um die Frage, wie der Europarat in Zukunft in der Lage sein soll, seine Aufgaben zu lösen. Es darf uns doch nicht gleichgültig sein, wenn der Gerichtshof für Menschenrechte aus finanziellen Gründen seine Pendenzen nicht abbauen kann und wenn die Parlamentsarbeit nicht mehr seriös geleistet wird. Es kann uns auch nicht gleichgültig sein, wenn berechtigte Forderungen nicht erfüllt werden. Doch wenn wir so weitermachen und kein größeres Interesse an diesem sehr wichtigen Anliegen zeigen, dann zweifle ich daran, ob der Ministerrat uns ernst nimmt.