SITZUNGSPERIODE 2004

(2. Teil)

BERICHT
10. SITZUNG

Dienstag, 27. April 2004, 15.00 Uhr

REDEBEITRÄGE IN DEUTSCH


Wolfgang WODARG, Deutschland, SOC

Herr Präsident, werte Kolleginnen und Kollegen,

Herr Marty verurteilt in seinem Bericht über Euthanasie die Kluft, die in vielen Mitgliedstaaten zwischen Rechten einerseits und Praxis andererseits liegt. Er fordert am Beispiel Hollands und Belgiens Möglichkeiten ein, die, wie er sagt, „freiwillige aktive Sterbehilfe“ und die „Beihilfe zum Selbstmord“ aus der gesetzlichen Grauzone holen und damit deren „potenziellen Missbrauch“ angreifbar machen sollen. Er wirft in seinem Bericht viele Fragen auf und fordert eine breite europäische Diskussion dieser Thematik. Dagegen wäre eigentlich nichts zu sagen.

Sein Bericht stellt jedoch nicht nur Fragen. Mehrfach stellt er den Weg Hollands und Belgiens und damit die Straffreiheit für Ärzte, die unter bestimmten Umständen auch aktiv töten dürfen, bereits als Lösung dar. Diese vorschnelle Zielvorgabe täuscht jedoch darüber hinweg, dass gerade in Holland und später wohl auch in Belgien die Legalisierung der aktiven Sterbehilfe zu deren nicht hinnehmbarer Ausweitung führt. Der Remmelink-Bericht zeigt, dass 1991 bei etwa 15 Prozent der 130 000 in Holland Verstorbenen, bei also etwa 20 000 Menschen, Ärzte explizit oder implizit die Entscheidung getroffen haben, das Leben ihrer Patienten zu beenden. Dabei darf nicht vergessen werden, dass der Verzicht auf weitere Behandlung und die Intensivierung der Schmerzbekämpfung bei gleichzeitiger Tötungsabsicht des Arztes nicht als Euthanasie, sondern als normales ärztliches Handeln verstanden wird. Euthanasie nach amtlichem niederländischem Verständnis war nur in 2 300 Fällen gegeben, in denen noch ein Arzt oder eine Ärztin ein tödliches Mittel auf ausdrücklichen Wunsch des Patienten verabreicht hatte. 1996 waren es schon 27 000 Patienten, deren Leben durch ärztliche Entscheidung beendet wurde, davon nur in 9 000 Fällen auf deren ausdrücklichen Wunsch. Die Zahl der amtlichen Euthanasiefälle war inzwischen auf 3 200 pro Jahr gestiegen, das bedeutet eine Steigerung von 30 Prozent. Man erkennt daran, dass von einer wirksamen Bekämpfung der Grauzone durch die Legalisierung ärztlichen Tötens in Holland keine Rede sein kann.

In der Heimat des Berichterstatters, der Schweiz, ist die aktive Sterbehilfe durch Ärzte zwar immer noch verboten; hier wird jedoch die Beihilfe zum Suizid durch Laien oder auch durch Ärzte nicht strafrechtlich verfolgt. In Züricher Pflegeheimen dürfen Suizidhilfe-Organisationen wie EXIT oder DIGNITAS mit städtischer Genehmigung den vom Sterbewunsch Erfüllten eine Infusion mit tödlichem Gift anlegen und so lange anwesend bleiben, bis der Hilfe Suchende tot ist. Dieser braucht nur noch den Hahn zu öffnen. Weitere Zeugen gibt es meistens nicht. In Ontario in Kanada ist der assistierte Suizid ebenfalls erlaubt; dort lässt man den Patienten jedoch mit dem Gift allein, was in 50 Prozent der Fälle dazu führt, dass dieser sich doch nicht tötet. Dies zeigt, wie groß die psychische Belastung ist, und wie sehr fachlich kompetenter Beistand in die eine oder in die andere Richtung auf den Patienten wirken kann. Weder die Urteilsfähigkeit noch die genaue Krankengeschichte müssen oder können von den Laienhelfern in der Schweiz geprüft werden. Es gibt viele Fälle, wo gerade bei psychischen Erkrankungen oder psychischen Ausnahmezuständen die nötige therapeutische Erfahrung und die fachlichen Voraussetzungen fehlten. Dies sind nicht tolerierbare Missstände.

Wer aktive Sterbehilfe in, wie es heißt, „ausweglosen“ Situationen legalisiert, der muss sich fragen lassen, ob er angesichts einer hoch entwickelten Schmerztherapie und der vielfältigen Möglichkeiten, Menschen in ihrer Not beizustehen, wirklich alles versucht hat, um diesen Patienten zu helfen. Als Arzt, der selbst oft  für sterbenskranke und lebensmüde Menschen verantwortlich war, will ich Folgendes fordern: Wir müssen die Sorge füreinander besser organisieren; wir dürfen Menschen nicht in Heime abschieben; wir müssen Demenzkranke und Irre bei uns behalten und annehmen. Dafür sollten wir gemeinsam streiten. Auch aus ärztlicher Sicht kann ich sagen: Die Debatte um aktive Sterbehilfe, wie sie Herr Marty hier inszeniert hat, ist falsch und schädlich. Der Bericht von Herrn Marty ist abzulehnen.

Helmut RAUBER, Deutschland, EPP/CD

Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren,

Es gibt keine Fragestellung, die mehr betroffen macht als die, über die wir heute diskutieren, nämlich die über Leben und Tod. Wegen der extrem hohen Komplexität des Themas sind einfache Lösungen nur schwer zu finden. Ungeachtet der nationalen Kompetenz in dieser Frage muss es unsere Aufgabe sein, einen möglichst breiten Konsens zu finden. Wir als CDU/CSU lehnen die Diktion, die hinter diesem Bericht von Herrn Marty steht, ab.

Wir müssen Antworten geben, wie Menschen geholfen werden kann, die unter unerträglichen Schmerzen leiden und für die es keine Hoffnung auf Gesundung mehr gibt. Jeder Mensch hat einen Anspruch auf menschenwürdiges Sterben, und das schließt das Recht ein, technische Möglichkeiten zur Verlängerung eines qualvollen Todes auszuschlagen. Töten aus Barmherzigkeit, aus Mitleid oder weil man schlicht finanziell oder auch physisch überfordert ist zu helfen, darf es aber nicht geben. Aktive Sterbehilfe ist gezielte Tötung und deshalb ethisch nicht zu vertreten. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz und der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland weisen zu Recht darauf hin, dass die aktive Sterbehilfe eine Bankrotterklärung der Menschlichkeit ist und dass Tod und Aussichtslosigkeit nicht die Oberhand gewinnen dürfen. Im Vordergrund steht der Grundsatz, Leiden zu lindern und nicht, sich der Leidenden auf die billigste Art zu entledigen.

Die Deutsche Hospiz-Stiftung zeigt in einem Schreiben vom 12. Januar diesen Jahres auf, dass bei einer legalisierten aktiven Sterbehilfe allein europaweit jedes Jahr 100 000 Menschen getötet würden. Werden die Missbrauchszahlen der Niederlande zugrunde gelegt, so würden danach jährlich 24 000 Menschen ungefragt getötet. Wer die Angst vieler Menschen vor einem qualvollen und einsamen Sterben und vor einem wehrlosen Ausgeliefertsein an sinnlos gewordene Maßnahmen der Lebensverlängerung ernst nimmt, der muss Anstrengungen im Bereich der Palliativ-Medizin ebenso unterstützen wie die Hospiz- oder sonstige Bewegungen, die den Menschen im Sterben begleiten und ihn in Würde auf sein Ende zugehen lassen. Wir verschließen nicht die Augen davor, dass schmerzlindernde Mittel in hohen Dosen lebensbeendend sein können. Solange der Tod selbst nicht beabsichtigt ist, ist das tödliche Risiko einer solchen Schmerzbehandlung als Nebenwirkung zu akzeptieren. Wir dürfen nicht vergessen, dass es Situationen gibt, wo schwer zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe zu trennen ist. Deshalb muss auch unter strafrechtlichen Gesichtspunkten geklärt werden, was erlaubt ist und was nicht.

In einer Gesellschaft, die stark dem Jugendwahn huldigt, haben der Tod und die Diskussion um den Tod wenig Platz. Wir können Fragestellungen verdrängen, aber den Tod nicht ungeschehen machen. Nur wenn wir uns diesen Fragen von Leben und Tod stellen, können wir dem Tod einiges an Schrecken und Angst nehmen und das realisieren, was wir unter einem Sterben in Würde verstehen. Wir als CDU/CSU stimmen dem Antrag zu, dieses Problem nochmals in das Präsidium zurückzuverlagern.

František KROUPA, Tschechische Republik, EPP/CD

Herr Präsident, Kolleginnen und Kollegen,

Ich möchte nur ganz kurz zu dem heutigen Thema sprechen. Es gibt unter anderem eine sehr wichtige Frage, und zwar welche Bedeutung das Wort Euthanasie eigentlich hat. Ich sehe in jedem Falle hinter diesem Ausdruck die nicht übliche Beendigung des menschlichen Lebens, die ganz oder – und darauf beruht meine skeptische Meinung über Euthanasie – teilweise freiwillig ist. Aufgrund meiner Weltanschauung bin ich gegen jede Art der Beendigung des menschlichen Lebens außer dem natürlichen Entschlafen.

Neben der Weltanschauung eines jeden Menschen müssen wir aber auch die Gefahr des Missbrauchs der Euthanasie beachten. Keine Gesetze, keine gesetzlichen Normen, einfach gesagt überhaupt nichts kann diese Gefahr und dadurch die unerwünschte Möglichkeit der Änderung des freiwilligen Abzuges des Menschen aus dem Leben in Missbrauch und in gewöhnliches Verbrechen ausschließen. Wir sind auch nicht berechtigt, mittels der Entscheidung der Parlamentarischen Versammlung des Europarates oder mittels der anschließenden Gesetze die tatsächliche heutige Situation der Euthanasie, die bisher nicht gesetzlich ist, zum Hilfsmittel der heutigen freiwilligen ärztlichen Assistenten des so genannten freiwilligen Abzuges aus dem Leben zu machen und so zur Optimalisierung ihres Verhaltens und zu ihrer Straflosigkeit beizutragen.

Es tut mir sehr leid, dass wir – und mit uns auch die ganze Medizinwissenschaft – nicht zur allgemeinen Erleichterung der Menschen beitragen können, die schwer unter den durch ihre Krankheit bedingten Schmerzen leiden müssen. Trotzdem bin ich überzeugt, dass die Euthanasie ein Schritt in eine schlechte und tragische Richtung ist, ein Schritt, der vorwiegend nur schädliche Folgen haben kann. Die Hauptgefahr der gesetzlichen Euthanasie liegt darin, dass sie die Art und Weise verändert, in der die Gesellschaft das Leben und seinen Wert sieht: Dass das menschliche Leben, das an sein Ende kommt, keinen wirklichen Wert und keine tatsächliche Bedeutung hat; dass es Umstände gibt, unter denen das menschliche Leben nicht mehr wertvoll ist. Die Euthanasie zeigt außerdem auch, dass das Leiden des Menschen keinen Sinn und keinen positiven Wert hat. Sie verstärkt die Vorstellung, es sei in Ordnung, die schweren und komplizierten Probleme einfach zu beseitigen anstatt sie zu lösen. Aus diesem Grunde ist für mich der freiwillige Abzug mit Hilfe der Todesassistenten ganz unannehmbar. Ich kann deshalb die Absicht nicht unterstützen, die Durchführung der Euthanasie zum Gesetz zu erheben. Aus diesem Grunde kann ich auch nicht für den Bericht von Herrn Marty stimmen, der aber sehr gute Arbeit geleistet hat.

Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Immer, wenn ich hier das Wort „Euthanasie“ höre, zucke ich zusammen, denn Euthanasie weckt düstere Erinnerungen an Zeiten des Faschismus. Das darf nicht sein, denn wir reden hier nicht von verbrecherischen und menschenverachtenden Morden an gesunden und kranken Menschen aus perverser Forschungs- und Experimentiersucht. Wir wollen vielmehr wissen, wie wir die Sterbehilfe gestalten. Sterbehilfe heißt nicht, Menschen zu töten, sondern schwerkranke Menschen zu unterstützen, die den Wunsch haben, mit der Hilfe von Ärzten, Fachleuten, Pflegenden und Angehörigen ihr Leiden zu beenden. Es ist die Entscheidung schwerstkranker Menschen, in Würde sterben zu dürfen. Um diese Würde zu ermöglichen, bedarf es der Hilfe und Unterstützung verantwortungsbewusster Menschen. Ich habe als Präsidentin einer Aidshilfe-Organisation in der Schweiz intensiv und lange mit Aidskranken gearbeitet. Diese furchtbare Krankheit hat die Menschen grausam zugerichtet, und sehr oft habe ich den Wunsch gehört, sterben zu dürfen, um die mörderische Krankheit endlich zu stoppen. Es war ein Wunsch gegen die Zerstörung und die Würdelosigkeit. Der Wunsch auch, nicht mehr leiden zu müssen.

Töten ohne Zustimmung – das haben wir heute immer wieder gehört. Unter ökonomischem Druck, Druck von den Angehörigen usw. Gerade deshalb müssen wir darüber diskutieren. Heute ist nichts geregelt, es sind keine Kriterien vorhanden. Deshalb wird auch immer wieder von tödlichen, lebensbeendenden Spritzen geredet. Dies ist jedoch fragwürdig und bedarf der Regelung. Ärzte können nicht einfach Sterbehilfe leisten. Wir haben es gehört und auch gelesen: Es bedarf der Zustimmung des Patienten, seines hartnäckigen und nachhaltigen Wunsches. Und: Der Patient soll freiwillig aus dem Leben gehen dürfen. Es ist auch wichtig, dass die Ärzte und Pflegenden geschützt werden. Woran sollen sie sich heute halten? Wie verkraften sie die Entscheidung infolge des dringenden Wunsches, das Leben zu beenden? Es ist dafür unbedingt ein gesetzlicher Rahmen erforderlich. Es müssen Grenzen gesetzt und die Menschen allseits vor Fehlleistungen geschützt werden. Frau Baroness Knight hat vorhin gesagt, Patienten in den Altersheimen fragten sich, wenn der Arzt sie anschaue, ob dieser sie töten oder retten wolle. Mein Gott, ich bin froh, dass ich nicht in England krank werden muss! Ich halte das für falsch. Ich denke, Menschen reden so, wenn ihnen Angst gemacht wird. Deshalb brauchen wir diese Regeln.

Selbstverständlich bin auch ich der Meinung, dass die Palliativpflege im Vordergrund stehen muss. Allerdings ist sie personell aufwendig und kostenintensiv und wird daher in vielen Krankenhäusern und Pflegeheimen vernachlässigt. Man beruhigt die Patienten lieber mit massiven schmerzstillenden Spritzen ohne Zuwendung oder weitere Unterstützung. Ich plädiere auch für den Aufbau der Palliativpflege, die den Patienten die Möglichkeit geben soll, selbstständig auf lebensverlängernde Mittel zu verzichten, das Ende ihres Lebens jedoch ohne Leiden erwarten zu dürfen.

Kolleginnen und Kollegen, ich verwahre mich auch sehr vehement gegen all die Mails, Briefe und Traktate, die auf grobe Art und Weise versuchen, Verfechter der aktiven und passiven Sterbehilfe zu kriminalisieren. Ich habe genug von diesen christlichen Zuschriften, die uns immer wieder kriminalisieren, wenn wir versuchen, laut nachzudenken. Wir versuchen nämlich, ein wichtiges und schwieriges Thema öffentlich zu diskutieren. Wir verlangen Regeln, um zu verhindern, dass Menschen einfach klammheimlich umgebracht werden können, wie das heute oft passiert, wenn sie den Wunsch haben zu sterben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müssen heute keine Entscheidung treffen, müssen nicht ja oder nein zur Sterbehilfe sagen. Wir müssen uns nur darüber klar sein, dass die Frage nach der würdevollen Gestaltung des Sterbens längst keine rechtliche Frage mehr ist, sondern eine politische geworden ist.

Henryk KROLL, Polen, EPP/CD

Vielen Dank, Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,

Die Tradition in dieser Kammer besagt, den Berichterstatter für die gut getane Arbeit zu loben. Leider bin ich diesmal nicht imstande, Herrn Marty diese Dankesworte auszusprechen, da ich nämlich seine Meinung nicht teilen kann.

Die wichtigste Aufgabe des Europarates ist die Bekämpfung der Todesstrafe. Erst im vergangenen Jahr haben wir fast einstimmig die Vereinigten Staaten von Amerika und Japan ermahnt, diese Prozedur zu beenden. Und was ist Sterbehilfe? Ist es nicht Tötung? Ist es nicht Tötung, aber diesmal nicht mit dem Grund der Bestrafung, sondern mit der Begründung, das Leiden des Menschen verkürzen zu wollen? Keiner von uns will leiden, Schmerzen ertragen müssen. Wir haben Angst davor, und diese Angst bewegt uns zu der Entscheidung: „Falls ich unheilbar krank bin, schalte bitte den Knopf aus.“ Sind aber nicht die, welche den Knopf ausschalten, unsere Henker, die guten Henker?

All die vom Berichterstatter angeführten Argumente für die Sterbehilfe kann man mit dem einen schlagen: dem Recht auf Leben. Die Medizin macht enorme Fortschritte. Was jetzt unheilbar ist, kann im nächsten Moment heilbar sein. Das muss man auch dabei berücksichtigen. Als Gläubiger bin ich der Ansicht, dass wir das Leben von Gott erhalten haben und nur Er das Recht hat, es uns zu nehmen. Als Biologe und Tierarzt weiß ich, wie die Tiere bis zum Ende um ihr Leben kämpfen. Das ist eines der wichtigsten Naturgesetze. Naturgemäß darf nicht bewertet werden, ob das Leben schon oder doch noch nicht zur Tötung geeignet ist. Am Ende bleiben immer Zweifel. Die Natur entscheidet, nicht der Mensch.

Meinen Standpunkt hat in juristischer Sprache und auf juristischem Wege der Berichterstatter des Ausschusses für rechtliche Angelegenheiten und Menschenrechte, Herr McNamara, zutreffend ausgedrückt. Dafür bedanke ich mich bei ihm. An dieser Stelle möchte ich Sie alle darum bitten, dem Schutz des Lebens zuzustimmen.

Ich danke für Ihre Unterstützung und Ihre Aufmerksamkeit. Vielen Dank.

Karl DONABAUER, Österreich, EPP/CD

Danke, Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Der Antrag 9898 des Herrn Marty, mit dem wir uns seit über einem Jahr im Ausschuss beschäftigen, stellt eine Neuausrichtung in der Euthanasiedebatte dar. Wir müssen ganz klar sehen, dass es sich um ein schwieriges Thema handelt. Das zeigt auch die Diskussion heute und hier, und kein noch so abstraktes Beispiel, keine Statistik kann uns von unserer Verantwortung befreien, wenn wir über dieses Thema diskutieren. Es ist zweifelsohne eine emotionale Herausforderung und für uns alle eine ethische und eine moralische Frage. Wenn hier heute behauptet wurde, dass die Mitglieder der EVP diese Debatte nicht führen wollen, dann stimmt dies nicht. Wir führen die Debatte sehr wohl, weisen jedoch den Antrag, so wie er uns vorliegt, zurück.

In Anbetracht der nachhaltigen Bedeutung nicht nur für die nationalen Parlamente der Mitgliedstaaten, sondern auch für die europäische Gesellschaftspolitik insgesamt und vor allem für die nachfolgenden Generationen, haben wir uns, meine Damen und Herren, sehr gründlich und sehr kritisch mit diesem Antrag auseinander zu setzen und dafür zu sorgen, dass er in der jetzigen Form keine Zustimmung findet. Der Antrag ist nicht ausreichend durchdacht, medizinisch nicht auf dem letzten Stand und verstößt nach meinem Empfinden und nach meiner Wertvorstellung gegen das Leben und die Würde des Menschen.

In Besprechungen habe ich wiederholt darauf hingewiesen, dass wir uns aufgrund der Lebenserwartungen, des sozialen Umfelds und der Lebensformen in Europa zunehmend mit der Frage des Alterns in unserer Gesellschaft beschäftigen müssen. Zurzeit arbeite ich mit einigen Vertretern aus Mitgliedstaaten des Europarates an einer entsprechenden Vorlage im Sinne der  Empfehlung 1418 von 1999, die von meiner Kollegin, Edeltraud Gatterer, eingebracht und mit großer Mehrheit angenommen wurde. Diese Empfehlung 1418 zeigt rechtliche und politische Maßnahmen zum Schutz der Menschenrechte sterbender Menschen auf. Wir haben alles zu unternehmen, zu erforschen, neue medizinische Erkenntnisse zu nutzen und mit Hilfe der Palliativmedizin und der Hospizbewegung geeignete Voraussetzungen zu schaffen, um schwer- bzw. todkranken Menschen wirkungsvoll helfen zu können. In meinem Land, in Österreich, gibt es hier große Fortschritte, und es arbeiten Hunderte von Menschen freiwillig an all diesen Aktionen mit. Wir haben hier wirklich einen Erfolg, den wir weiterempfehlen können, und wir möchten alle einladen, sich an diesem guten Beispiel zu orientieren.

Demnach soll jeder Bürger in Europa auch rechtlich einen gesicherten Zugang zur palliativmedizinischen Behandlung haben. Diese Art der Medizin lindert die Leiden, tötet jedoch nicht den Leidenden und ist eine der menschlichsten Formen der Medizin. Die Palliativmedizin hat wissenschaftlich schon einen sehr hohen Standard erreicht, der jedoch leider noch viel zu wenig in die Praxis umgesetzt wird. Hier besteht enormer Handlungsbedarf. Zusätzlich soll die Selbstentscheidungsfähigkeit unheilbar kranker Menschen dahingehend gestärkt werden, dass in Europa niemand gegen seinen ausdrücklichen Willen behandelt oder weiterbehandelt wird. Schließlich muss das unveräußerliche Recht auf Leben gemäß Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, dem zufolge niemand absichtlich seines Lebens beraubt werden darf, ausdrücklich auch für unheilbar Kranke gelten. Der Welt-Ärztebund erklärte 1992, ärztliche Unterstützung beim Suizid sei unethisch und müsse durch die medizinische Profession verurteilt werden. Der Schutz des Lebens und die Unterstützung von Menschen in besonderen Lebenssituationen sind mir wichtige Grundanliegen.

Das Dokument 9898 darf in seiner jetzigen Fassung nach meiner Auffassung keine Zustimmung finden, und ich bitte deshalb hier alle Verantwortlichen, dem Antrag auf Rücküberweisung an den Ausschuss zuzustimmen.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Der weitergehende Antrag ist mit Sicherheit der Wechsel des Ausschusses. Nach den Regeln muss eigentlich immer über den weitergehenden Antrag zuerst abgestimmt werden.

Der Präsident

Ich danke Ihnen. Ich werde jetzt auf Deutsch antworten.

Das wäre richtig, wenn es zwei gleichberechtigte Anträge gäbe. Es existiert aber kein Antrag auf reference back in einen anderen Ausschuss. Reference back heißt nämlich, etwas dorthin zurückzuschicken, wo es hergekommen ist. Daher muss ich zuerst abstimmen, ob es in diesen Ausschuss zurückkommen soll. Weil dieser Ausschuss aber schon die zwei Jahre verbraucht hat, die ihm ursprünglich zur Verfügung standen, ist es zulässig, darüber zu diskutieren, ob es ein anderer Ausschuss sein sollte. Hätte er seine zwei Jahre noch nicht verbraucht, wäre überhaupt nur reference back zu dem Ausschuss möglich, der es gehabt hat. Das Verlangen eines anderen Ausschusses ist nur möglich, weil die zwei Jahre schon abgelaufen sind. Daher ist dies ein subsidiäres, und nicht ein gleichwertiges Verlangen. So gilt zuerst die Frage: „Reference back to committee?“ Dann müssten wir entscheiden, wie viel Zeit wir diesem Ausschuss geben. Wenn wir über die Zeit für den Ausschuss entscheiden, ist es gleichzeitig zulässig zu verlangen, dass es ein anderer Ausschuss ist. Daher kann ich dann dieses Begehren zulassen. Ich muss deshalb so vorgehen, zuerst über reference back zu entscheiden und dann die Frage der Zuständigkeit eines anderen Ausschusses zu klären. Ich muss es so tun.

(Der Präsident fährt auf Englisch fort.)

Der Präsident

Die nächste Sprecherin ist Renate Wohlwend aus Liechtenstein.

Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/CD

Danke, Herr Vorsitzender, liebe Kollegen,

Vor einigen Jahren habe ich mich erstmalig mit der Problematik der Lebensbedingungen von Gefangenen befasst. Ich war aus konkretem Anlass dazu gekommen, nämlich aufgrund meiner Erfahrung beim Besuch von Gefangenen, die zum Tode verurteilt waren. Dieser Besuch stand im Zusammenhang mit der Berichterstattung zur Abschaffung der Todesstrafe. Auch im Rahmen von Missionen des Rechtsausschusses konnte ich Eindrücke gewinnen, die mich erschreckt und im Entschluss gefestigt haben, mich für eine Verbesserung bzw. Änderung der Konditionen einzusetzen und ganz allgemein mitzuhelfen, dem Gefangenen die dem Menschen gebührende Würde zurückzugeben. Mein Bemühen damals hat sich in einer Motion erschöpft. Daran anknüpfend hatten wir im März 2002 ein sehr informatives Hearing in Anwesenheit einiger NGO-Vertreter, der Vorsitzenden der Antifolter-Kommission sowie Vertretern von mit diesem Thema befassten Amtsstellen und Institutionen. Aus diesem Grund habe ich immer wieder an die Fortführung dieser Arbeiten der Versammlung aus dem Jahre 1995 gedacht. Ich bin sehr froh und dankbar, dass mein Kollege, Herr Hunault, sich nun dieses Themas angenommen hat und wir heute über einen sehr fundierten und gleichzeitig transparenten Bericht und Empfehlungsentwurf abstimmen können.

Eine sehr wertvolle und den Betroffenen sicher hilfreiche Arbeit leistet die Europäische Kommission zur Verhütung von Folter und menschenunwürdiger Behandlung und Bestrafung. Ich will gern die Gelegenheit nutzen, um den Mitgliedern und dem Sekretariat dieser Kommission für ihren Einsatz zu danken. Durch ihre kritischen Berichte kann diese Kommission sehr oft eine sofortige Besserung in den besuchten Gefängnissen erreichen.

Ich meine, dass Zustände und Umstände, wie ich sie Ende der neunziger Jahre angetroffen habe, und wie sie laut Bericht immer noch bestehen, in einem Mitgliedsland des Europarates, das behauptet, die Menschenrechte zu respektieren, nicht weiter bestehen dürfen. Zum Menschenrecht gehört auch die Menschenwürde. Doch was hat es mit Menschenwürde zu tun, wenn Gefangene ohne Tageslicht einsitzen, wenn sie tagelang keinen Hofgang haben, wenn ihre Zelle rund um die Uhr beleuchtet ist, damit dem Wachpersonal die Bewachung leichter fällt, wenn sie nur ein stark eingeschränktes Besuchsrecht genießen und auch das Korrespondieren erschwert wird? Natürlich stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage nach den finanziellen Mitteln, deren Mangel sehr oft ein Hindernis darstellt, um die Infrastruktur für ein menschenwürdiges Leben der Inhaftierten zu bewerkstelligen. Sehr oft mangelt es auch an finanziellen Mitteln, um das Gefängnispersonal entsprechend ausbilden zu lassen. Aber mitunter mangelt es auch an der intellektuellen Einsicht in die Problematik, nämlich die Notwendigkeit, diejenigen, die täglich mit den Gefangenen zu tun haben, fachlich ausbilden zu lassen. Die Inhaftierten werden oft unwürdig behandelt, körperlich und seelisch geplagt, weil Verantwortliche und deren Stab der Meinung sind, bestrafen zu müssen. Sie müssen jedoch weder strafen noch sollen sie strafen. Denn die Bestrafung derjenigen, die ihnen anvertraut sind, besteht eben im Entzug der Freiheit.

Ich begrüße es sehr, dass unser Berichterstatter, Herr Hunault – und ich glaube, es ist wirklich seinem persönlichen Engagement zu verdanken – einen Dialog mit dem beim Europäischen Parlament für dasselbe Thema Verantwortlichen Berichterstatter gefunden hat, und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dem guten Beispiel folgen werden und nicht der Europarat auf der einen Seite und das Europäische Parlament auf der anderen Seite parallel und ohne Koordination am selben Thema arbeiten werden. Ich finde das fantastisch, und ich meine, wir müssen dies hinaustragen und jenen Berichterstattern, die jetzt in der Anfangsphase mit dem Thema befasst sind, ans Herz legen, dasselbe zu tun. Wie schon einige meiner Vorredner ausgeführt haben, ist es sehr wichtig, auch Alternativen zur Haftstrafe zu finden. Vor allem bei Frauen muss die Unterscheidung gemacht werden, ob sie der Familie und der Kindeserziehung entzogen und ins Gefängnis gesteckt, oder aber anderwärtig betreut werden sollen. Sehr wichtig ist auch, dass man sich bereits während der Haft, und umso mehr danach, um die Bildung und die berufliche und soziale Reintegration bemüht.

Ich finde den Empfehlungsentwurf alles in allem unterstützenswert und halte es für sehr wichtig, dass unser Ausschuss und die Versammlung sich gemeinsam weiter des Themenkreises „Reintegration von Gefangenen“ annehmen.

Der Präsident

Danke, Frau Wohlwend.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD

Herr Präsident,

Nur eine Reihe kurzer Bemerkungen. Zunächst einmal möchte ich mich natürlich bei unserem Berichterstatter, Herrn Hunault, sehr herzlich bedanken. Ich glaube, wir sind alle beeindruckt von der bemerkenswerten und gründlichen Arbeit, die hier geleistet worden ist. Ein gewichtiges Argument für die Forderung nach der Einführung einer entsprechenden Charta ist ja die über Jahre hin durch Fakten belegte Feststellung, dass sich die Zustände nicht verbessert, sondern eher verschlechtert haben. Diese Situation schreit geradezu danach, dass wir uns um die Erarbeitung gewisser Mindeststandards kümmern. Ich glaube, die Form der Konvention ist das klassische Mittel, um solche Mindeststandards und deren Durchsetzung sicherzustellen. Dabei sind wir uns sicher alle im Klaren darüber, dass es ein sehr weiter Weg sein wird. Wir werden auch die Forderungen vielleicht nicht überladen dürfen, um überhaupt zum Ziel kommen zu können. Doch immerhin haben wir bereits einen Teil des Weges durch die Vorarbeiten und den Bericht zurückgelegt. Ich möchte Sie alle herzlich bitten, durch Ihre künftige tatkräftige Unterstützung diesen Weg weiter zu beschreiten, um dann zu dem gewünschten Ergebnis kommen zu können.

Vielen Dank.