SITZUNGSPERIODE 2006
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(1. Teil)

BERICHT

02. SITZUNG

Dienstag, 24. Januar 2006, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Peter SCHIEDER, Österreich, SOC

Liebe Freunde,

Die sozialistische Gruppe unserer Versammlung ist immer dafür eingetreten, dass unser Kontinent ein Raum des Rechts, der Demokratie, der Freiheit und der Menschenrechte ist. Das gilt für uns allgemein und en détail, und ohne Ausnahme für alle Regierungen, die eigenen und fremden. Deshalb ist die Vorstellung geheimer Gefängnisse und möglicher Folterungen oder der Beihilfe dazu eine ganz furchtbare. Alles muss getan werden, um das aufzuklären. Heute haben wir nur Hinweise darauf, was geschehen ist. Wir werden hoffentlich mehr wissen, wenn Ende Februar unser Generalsekretär die Antworten auf sein Verlangen erhält, und wenn im April dann Kollege Marty seinen Bericht vorlegt. Sein Bericht wird das wichtigste sein. Meine ergänzende Aufgabe als Binnenberichterstatter wird es sein, die politischen Schlussfolgerungen des politischen Ausschusses der Versammlung vorzulegen.

Was können Schlussfolgerungen sein? Zum Beispiel: Die Pflichten der Mitgliedsländer des Europarates sind ziemlich klar. Was ist jedoch mit den Beobachterstaaten? Geben wir ihnen nur Rechte im Europarat, oder sollten nicht auch sie Verpflichtungen haben? Wie ist das mit der Menschenrechtskonvention? Wird sie nicht vielleicht sogar durchlöchert, wenn Mitgliedsstaaten unter anderem durch Stationierungsabkommen Teile ihres Territoriums oder ihrer Bevölkerung von den verfassungsmäßigen Rechten und damit vielleicht auch vom Zugang zum Europäischen Gerichtshof ausschließen? Reicht die Anti-Folterkonvention noch? Ich glaube, ja. Reichen die Möglichkeiten der Kommission noch? Ich glaube, nein. Passt das Prinzip der Nichtveröffentlichung der Berichte noch? Ich glaube, nein. Sollten wir nicht sogar überlegen, bei schwerwiegenden Erkenntnissen der Folterkommission einen Zugang zum Europäischen Gerichtshof zu eröffnen?

Der Generalsekretär hat verlangt, dass wir Zugang zu allen Gefängnissen im Kosovo haben. Ist es eigentlich in Ordnung, dass unsere Regierungen stumm zuschauen, wenn den europäischen Institutionen dort der Zugang verweigert wird? Und wie ist es eigentlich mit den Geheimdiensten? Nicht bloß mit dem amerikanischen, der CIA, sondern mit unseren eigenen, zum Beispiel innerhalb der Europäischen Union. Kann eine Union, die zusammenwächst und sich anschickt, vom nebensächlichsten Detail bis zur Verfassung alle Dinge zu regeln, es hinnehmen, dass sich ihre Mitgliedsstaaten - oder zumindest manche davon - untereinander geheimdienstlich bespitzeln? Teilweise sogar unter dem Mantel einer Immunität, die wir hier in Europa für ganz andere Dinge geschaffen hatten?

Ich weiß schon, dass wir mit Augenmaß und Verantwortung an diese Problematik herangehen müssen. Aber realpolitische Vernunft allein kann nicht der einzige Maßstab unseres Handelns sein. Gefragt sind auch Bestimmtheit und Standfestigkeit in den Fragen der Menschenrechte und der Grundrechte.

Sabine LEUTHEUSER-SCHNARRENBERGER, Deutschland, ALDE, ADLE

Herr Präsident,

sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Europarat ist Vorreiter bei der Aufbereitung dieser Vorwürfe, die alle Vorredner und der Berichterstatter Dick Marty ja schon beschrieben haben. Vorreiter darin, von Seiten der Parlamentarier alles zu tun, damit diese ungeheuerlichen Vorgänge der Verschleppung, der Entführung, der Festsetzung, auch der Folter von Menschen aufgeklärt werden. Wenn es nicht der Europarat gewesen wäre, der sich im November mit diesen Fragen befasst und dann Herrn Marty das Mandat erteilt hätte, hätte wahrscheinlich die Europäische Union keinen Untersuchungsausschuss eingerichtet, und dann würde auch jetzt in den Parlamenten der Mitgliedsstaaten und auch was die Bereitschaft der Regierungen angeht, nicht sehr viel mehr passieren als noch vor drei Monaten.

Und wenn es eine wichtige Aufgabe gibt, mit der sich der Europarat zu befassen hat, dann sind es doch gerade diese Vorwürfe, die schlimme Menschenrechtsverletzungen zum Gegenstand haben. Wenn nicht diese Vorgänge, was sollte denn dann den Europarat aufrütteln und zu wirklich guten, sehr differenzierten und sehr sachlichen Debatten führen? Ich würde mir wünschen, dass sich auch bei mir zu Hause in Deutschland sehr viel mehr Parlamentarier dazu durchringen könnten, einen Untersuchungsausschuss einzurichten, der sich sachlich mit diesen Vorgängen aus den letzten Jahren, der Verschleppung deutscher und anderer Staatsangehöriger befasst, und in dem überlegt wird was zu tun ist, um dies ein Stück weit auch künftig zu verhindern.

Aufklärung heißt, dass nicht alles mit der Wertung „geheim“ belegt werden darf. Ich glaube, dass dies ein Problem in den Debatten ist, die wir zu Hause in unseren nationalen Parlamenten führen. Es gibt geheime Dinge; Nachrichtendienste müssen, das ist Natur der Sache, geheim arbeiten. Nicht alles kann ans Licht der Öffentlichkeit, das ist selbstverständlich. Aber hier liegen schon so viele Anhaltspunkte und Fakten auf dem Tisch; über Flüge, über Nummern von Flügen, über Personen, die aussagen, weil sie nach sechs Monaten wieder freigelassen worden sind, weil sie ohne Anhaltspunkte festgesetzt und gefoltert wurden. Wir wissen, dass diese Vorgänge stattfinden. Aber wir wissen nicht genug Konkretes, und wir wissen nicht im Einzelnen, wer welche Verantwortung in diesem Feld zu tragen hat. Und diese Verantwortung einzufordern, ist gerade Aufgabe von Parlamentariern.

Auch deshalb bin ich froh, dass mit dem ersten Papier, das Herr Marty hier vorgelegt hat, und das nun auch unser Papier ist, mit dem wir zu Hause argumentieren können, vieles zusammengetragen worden ist, was uns auch weitere Fragen ermöglicht.

Und wenn sogar Verantwortliche des CIA in der „Zeit“, einer deutschen Zeitung, in Interviews bestätigen, dass all das stattgefunden hat, und mögliche Anhaltspunkte über geheime Gefängnisse außerhalb Europas nennen, dann glaube ich, kann man nicht in Zweifel stellen, dass dieses Thema dringlich und notwendig ist, und dass der Europarat hier wirklich seiner Aufgabe gerecht wird, und es sich zeigt, auch in der zunehmenden Auseinandersetzung und im Wettbewerb mit der Europäischen Union, dass wir, die parlamentarische Versammlung des Europarats, wirklich die Hüter, Bewahrer und Verteidiger von Menschenrechten sind, und dass diese nicht aufgegeben werden dürfen im Kampf gegen Terrorismus. Das ist selbstverständlich, dessen müssen wir uns nicht jeden Tag wieder vergewissern, aber ich denke, es ist notwendig, deutlich zu machen, dass nur der Rechtsstaat, der sich mit rechtsstaatlichen Mitteln wehrt, überleben wird, und nichts anderes.

Vielen Dank.

Herta DÄUBLER-GMELIN, Deutschland, SOC

Herr Vorsitzender,

verehrte Kolleginnen und Kollegen,

ich bin dem Berichterstatter, Herrn Marty, sehr dankbar für seinen Bericht, sowie für die Gelegenheit, diese Debatte durchzuführen, und zwar in aller Öffentlichkeit. Ich glaube, sie ist von außerordentlich großer Wichtigkeit; und es hat sich hierbei auch bereits herausgestellt, was eigentlich die Besonderheiten und die Aufgaben des Europarates sind.

Lassen Sie mich einfach sagen, dass wir mittlerweile einige klare Hinweise darauf haben, dass unvorstellbarer Missbrauch, und zwar mit Freiheitsberaubung, mit Verschleppung, auch mit Folter, mit unmenschlicher und unwürdiger Behandlung getrieben wurde. Richtig ist – und darauf hat ja auch der Berichterstatter hingewiesen -, dass wir über die genauen Umstände noch nicht so gut Bescheid wissen, wie wir es müssten, wenn wir ein Strafgericht wären. Und deswegen kommt es natürlich darauf an, dass wir alle, ob Abgeordnete oder Regierungen, dazu beitragen, mehr Informationen in den Bericht zu integrieren. Und ich denke, wir sollten auch die Medien ausdrücklich bitten, die Bürgerinnen und Bürger in unseren Mitgliedsländern, die etwas wissen, zu ermutigen, diese Kenntnisse preiszugeben.

Ich möchte aber zum Dritten noch etwas ganz wichtiges, was Kollege Sharandin gesagt hat, betonen und darauf zurückkommen, was Peter Schieder erwähnt hat: Wir wissen heute bereits genug, um als Europarat zu überlegen, welche Folgerungen wir ziehen müssen. Natürlich können wir noch nicht alle politischen Folgerungen genau benennen. Aber wir wissen, dass wir Gespräche mit der Regierung der USA führen müssen; wir wissen ganz genau, dass die Gespräche auch die Regierungen unserer eigenen Mitgliedsländer umfassen müssen. Es geht weniger darum, ob nun Folter zur Bekämpfung von Terrorismus zugelassen sei; denn die handelnden Personen und unsere Regierungen wissen, dass dies weder juristisch noch moralisch zulässig ist. Sie wissen auch, dass die Informationen, die aus erpressten Geständnissen kommen - da haben wir ja nun auch eine außerordentlich lange Erfahrung -, noch nicht einmal zuverlässig sein müssen; das heißt, diese Grauzone, von der manche im Zusammenhang mit einer tickenden Zeitbombe sprechen, ist ja als solche außerordentlich zweifelhaft.

Aber ich denke, und das sollte auch ein Teil der für heute absehbaren Schlussfolgerungen sein, wir müssen mit unseren Regierungen darüber reden, dass wir erpresste Informationen nicht nur nicht für strafgerichtliche oder gerichtliche Verfahren verwenden dürfen, sondern dass wir sie auch für die normale Verwendung durch Behörden, ja bis hinein in die Geheimdienste, ächten müssen, weil wir sonst das Gift der Folter, das sich auf diese Weise langsam, aber sicher dieses Mal wieder im Zuge der Terrorismusbekämpfung in unsere Rechtsordnung einschleicht, nie unter Kontrolle bekommen. Und lassen Sie uns nicht vergessen – darauf haben auch sehr viele heute hingewiesen -, dass Menschenrechte der europäischen Menschenrechtskonvention und auch die Zusatzkonventionen ja nicht nur Raison d’être dieser parlamentarischen Versammlung sind, sondern natürlich auch die Legitimation der Länder, zu denen wir gehören.

Herzlichen Dank.