SITZUNGSPERIODE 2006
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(1. Teil)
BERICHT
04. SITZUNG
Mittwoch, 25. Januar 2006, 10.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Andreas GROSS, Schweiz, SOC
Danke, Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Rudolf Bindig ist in den letzten zehn Jahren zum Anwalt der Menschen in Tschetschenien geworden. Er hat die Region zehnmal besucht, und sein Bericht schließt an eine konsequente Folge von Berichten an, die versuchen, die Rechte dieser Menschen zu verteidigen. Ich möchte ihm im Namen der sozialistischen Fraktion meinen Tribut erweisen, und ihm herzlich für diese schwierige Arbeit danken. Wir können stolz auf ihn sein und darauf, dass er es gemacht hat.
Dieser Bericht zeigt aber auch zwei Dinge, die wir beachten müssen. Er macht nicht den Fehler des britischen Konservativen, der den gesamten Konflikt auf den Terror reduziert. Wenn man Terror als Ursache, als Faktor dieser Auseinandersetzungen quantifizieren möchte, dann macht er nicht mehr als zehn Prozent aus. Der Konflikt geht viel tiefer, und blickt auf eine 250jährige Geschichte zurück. Wer ihn lediglich auf den Terror reduziert; der wird der Sache nicht gerecht.
Zweitens macht der Bericht auch nicht den Fehler, einseitige Schuldzuweisungen vorzunehmen. Wir müssen uns dies vor Augen führen, und wir, Rudolf Bindig, ich und andere, haben es selbst Ende November auf den Strassen eines Dorfes in Tschetschenien gesehen: Wir haben mit einfachen Frauen gesprochen, und eine Frau sagte, die Situation sei so schrecklich wie 1937 unter Stalin, ohne Hunger.
Die Verantwortlichen für diese Katastrophe sind eben nicht nur die russischen Behörden, sondern die Kaderowskis, also diejenigen kriminellen Banden, denen die Russen zuviel Verantwortung übertragen haben. Das ist ein großes Problem. Man weiß nie, von wem die Gefahr ausgeht. Aber heute steht fest, dass viele Menschen mehr Angst vor den uniformierten schwarzen, maskierten Männern dieser Truppen haben als vor den russischen Ordnungskräften.
Inwiefern der Kreml verantwortlich dafür ist, dass diese schwarzen Männer zuviel Macht haben, das ist eine andere Frage. Man sollte aber aufpassen, denn es gibt auf beiden Seiten Menschen mit denen man zusammenarbeiten kann, die die Misere sehen und die die Menschenrechte nicht missachten wollen – und diese Kommunikation zwischen den verschiedenen Parteien gilt es zu stärken.
Das ist die Arbeit, die wir im Zusammenhang mit dem ad hoc Komitee des politischen Ausschusses zum Tisch-Gespräch machen. Dort gibt es hoffnungsvolle Zeichen, denn einerseits ist Moskaus Bereitschaft zu einer echten politischen Verständigung und Lösung des Problems höher als wir denken, und andererseits ist die Bereitschaft der klugen Leute in der Opposition da, die Strassburg-Kriterien zu akzeptieren: dass zum ersten die Grenzen der Russischen Föderation geachtet werden müssen, dass zweitens ein gewaltsamer, kriegerischer Weg nicht in Frage kommt, dass an einer politischen Lösung – dass bedeutet sich verständigen, Kompromisse suchen –kein Weg vorbei führt.
Und nun gilt es, die beiden Seiten, die dies erkennen, zusammenzuführen. Und ich möchte Sie bitten, an dieser Lösung auch mitzuarbeiten, denn diese politische Lösung ist die einzige Möglichkeit, Institutionen zu schaffen, die die Straflosigkeit von Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen beenden. Die Straflosigkeit muss überwunden werden, und dies geht nur indem wir demokratische, rechtsstaatliche Prinzipien einrichten. Und dies geht wiederum nur als Konsequenz einer Verständigungslösung, bei der die vernünftigen Mitglieder der verschiedenen Seiten zusammenkommen.
Dieser Prozess muss unterstützt werden – er ist möglich, und ich möchte auch an die russischen Kollegen appellieren, diesen Prozess zu unterstützen. Zusammen könnte es uns gelingen, denn der Moment ist nicht schlecht, da beide Seiten sehen, dass es dazu keine Alternative gibt.