SITZUNGSPERIODE 2006
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(1. Teil)
BERICHT
08. SITZUNG
Freitag, 27. Januar 2006, 10.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Doris BARNETT, Deutschland, SOC
Vielen Dank, Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es gibt eine richtige Feststellung in diesem Bericht: Die Verlagerungen von Wirtschaftsaktivitäten erfolgen nicht, um vermehrt Arbeitsplätze zu schaffen, sondern um Kostenstrukturen zu verbessern und damit den Gewinn zu steigern.
Natürlich ist auch die Folge solcher Verlagerungen bekannt, wenn auch gesagt wird, dass diese nur befristet hinzunehmen seien – was ich bezweifle. Denn wenn ein Standort aufgegeben wird, entstehen zunächst einmal in dem Land, in dem das Unternehmen war, Leerstände und Industriebrachen, es gibt Arbeitslose, die Zahlungen aus dem System erhalten und nicht mehr in das System einbezahlen. Es kommt in diesem Land also zu einer massiven Kostenverlagerung, und gleichzeitig zu verringerten Steuereinnahmen, also massiven Steuerausfällen. Und Fördermittel, die das Land für diese Unternehmen bereitgestellt hat, sind mit der Standortverlagerung auch verloren.
Bevor wir Verlagerungen also so hoch loben, brauchen wir meiner Meinung nach eine belastbare Folgenabschätzung. Unsere Ökonomen müssten ja in der Lage sein, z.B. mit Planspielen die Auswirkungen eben solcher Verlagerungen ablesbar zu machen.
Ein Europa, in dem der Mensch und seine Anliegen, wie die ökonomische Sicherheit und damit die Möglichkeit der Selbstbestimmung und Selbstentfaltung, in den Hintergrund gerät, in dem nur noch Kostenstrukturen wichtig sind, wird nicht zusammenwachsen, sondern brüchig werden, was uns die Ergebnisse über die EU-Verfassung ja auch deutlich gezeigt haben.
Bedenken wir: Spätestens dann, wenn die Kosten absolut optimiert sind, wird es vielleicht keinen Markt mehr geben, weil die Leute einfach nicht mehr das Geld haben, die produzierten Waren zu kaufen. Unsere Länder sollten eigentlich eine Bilanz über die Auswirkungen der bisherigen Verlagerungen auf ihre heimische Wirtschaft ziehen.
Selbst wenn in dieser Dekade eine Verlagerung von West nach Ost Vorteile bringt, kann das Unternehmen auch ganz schnell weiter nach Osten und Süden abwandern, wobei es dann immer wieder Öden und damit Arbeitslose, und damit auch zu bezahlende Folgen für das Land hinterlässt. Denn bezahlt werden sollen diese Folgen ja von den örtlichen staatlichen Stellen und eventuell auch von der EU.
Sollten wir uns also selbst in jedem Aspekt „downsizen“? Deshalb müssen wir sicherstellen, dass ein ruinöser Steuerwettbewerb und auch ein solcher, was die Arbeitsbedingungen betrifft - der Kollege, der vor mich sprach, sagte es schon - was Lohn, Sozialsysteme, Arbeitssicherheit, Umweltschutz und Verbraucherschutz angeht, verhindert wird. Wir dürfen doch nicht unsere Überzeugungen von einem sozialen Europa auf dem Altar der Kostenstruktur opfern!
Es ist wichtig, in Forschung und Entwicklung zu investieren, neue Produktfelder zu erkennen und auszubauen, wie z.B. nachwachsende Rohstoffe. Auch mithilfe von Gentechnik, die die Produktion verbessern könnte, wenn dadurch kein wirklich nachteiliger Eingriff in die Umwelt zu befürchten ist. Damit lassen sich neue Arbeitsplätze, auch gut bezahlte Arbeitsplätze und Arbeitsfelder hier in Europa schaffen. Durch die Niederlassungsfreiheit gibt es dafür eigentlich kein künstliches Hindernis.
Aber was der Staat und auch seine arbeitslos gemachten Steuerzahler verlangen können, ist, dass die Fördergelder, die dem Aufbau eines Unternehmens dienten, auch ihrem Bestimmungszweck zugeführt werden. Denn wenn ein Land mit seinen Steuergeldern ein Unternehmen hochgepäppelt hat, das dann anschließend sofort wieder in ein unternehmenssteuerfreies Nachbarland abwandert, werden das Zusammenwachsen und auch der Zusammenhalt der Staaten dadurch nicht gefördert.
Schauen wir uns dabei auch die Arbeitnehmer und ihre Vertreter, die Gewerkschaften, an. Was passiert denn mit den Gewerkschaften in Europa? Auch sie müssen wir schützen, denn wenn es in den Unternehmen keine vernünftige und zuverlässige Arbeitnehmervertretung gibt – die Staaten werden es nicht richten, denn auch dadurch wird der Zusammenhalt zerstört, ebenso wie der Glaube an ein Europa, das den Menschen dient.
Was sind kühne Strukturreformen im Sektor Bildung? Soll denn alles den Anforderungen der Wirtschaft untergeordnet werden? Ist Bildung nicht ein elementares Menschenrecht, das in jedem Land seine eigene Geschichte hat und deshalb wichtig für die Entwicklung eines humanen Europas ist? Bildung als komplexer Begriff, der auch Philosophie, Künste usw. beinhaltet, darf nicht kühnen Strukturreformen zum Opfer fallen.
Unternehmensverlagerungen dürfen unter keinen Umständen Selbstzweck werden, sondern sie haben den Interessen der Bürger, den Menschen zu dienen. Lassen Sie uns dieses Thema mit der heutigen Resolution nicht beenden, sondern behalten wir dies weiterhin ständig im Auge. Es geht um die Menschen, die wir vertreten, es geht um unser aller Europa, und damit auch um den Zusammenhalt.
Vielen Dank.
Emanuelis ZINGERIS, Litauen, EDG
Liebe Kollegen, liebe Abgeordnete!
Heute ist für uns ein wichtiger Tag: Tag der Vereinten Nationen, Tag der Erinnerung an die verlorenen Werte des Vorkriegseuropas, Tag des Holocausts, Tag der Erinnerung an die Verbrechen in Auschwitz-Birkenau.
Ich möchte diesen kurzen Moment ausnutzen um an die sechs Millionen unschuldigen Menschen zu erinnern, die man während der Kriegsjahre 1939 bis 1945 in Europa umgebracht hat.
Ich möchte an die Europäer erinnern, die im Vorkriegseuropa so viel dafür getan haben, das künftige Europa zu bauen; an die Nachkommen Siegmund Freuds und Albert Einsteins, an die kämpferischen Milieus der Weimarer Republik, die in den zwanziger Jahren ihre Ideale für einen Aufbau Europas erklärt haben. An die idealistischen, weltoffenen Menschen, die in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten umgebracht wurden.
Die Lehre die wir daraus ziehen müssen ist, dass wir erkennen müssen welche Gesinnungstendenzen aus dieser schrecklichen Zeit in unseren heutigen Gesellschaften existieren. Wir müssen totalitäre Tendenzen erkennen, wir müssen lernen, sie so schnell wie möglich zu beseitigen, und zu verstehen, dass diese Schrecken nie wieder in Europa aufkommen dürfen.
Ich erinnere an meine Mutter, die mit 18 Jahren verhaftet wurde – man hat meine gesamte Familie nach Stutthof und Dachau gebracht.
Danke. Ich glaube, Sie erinnern sich im Herzen alle an die im Holocaust ermordeten, unschuldigen Menschen. Herzlichen Dank für diesen Tag der Erinnerung und der Vereinten Nationen!
Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/CD/PPE/DC
Danke Herr Vorsitzender!
Liebe Kollegen!
Es gibt bereits einige europäische und internationale Instrumente, die sich mit der Frage nach der Nationalität befassen, insbesondere auch mit dem Recht des Menschen, eine Nationalität zu haben.
Der nunmehr vorliegende Protokollentwurf entspringt einer Anregung unserer Versammlung, als wir im Jahre 1997 die Nationalitätskonvention beraten haben.
Im Namen der Fraktion der europäischen Volkspartei danke ich der Arbeitsgruppe des Ministerkomitees, sowie meinem Kollegen Bartumeu Cassany und dem Sekretariat des Rechtsausschusses für die Ausarbeitung des Entwurfs einerseits, und für die Stellungnahme mit einigen Vorschlägen zur Verbesserung, leichten Erweiterung und Präzisierung des Textes andererseits. Für uns alle ist es selbstverständlich, Rechte und Pflichten zu haben, die in Verbindung zu unserer Nationalität stehen.
Staatenlose genießen diese Rechte nicht. Sie haben allerdings einen Teil dieser Pflichten zu tragen. Staatenlose stehen am Rande der Gesellschaft mit der sie ihren Alltag leben. Aus meiner persönlichen Sicht sowie aus der meiner EPP-Kollegen wäre es wünschenswert, Staatenlosigkeit nicht nur für künftige Fälle der Staatsnachfolge, sondern umso dringender für heute Betroffene, zu regeln.
In diesem Sinn unterstützen wir auch den Änderungsvorschlag, der darauf abzielt. Nachdem beabsichtigt ist, diese Instrument losgelöst von der Konvention über die Nationalität bestehen zu lassen, würde es meines Erachtens, im Sinne einer klaren Zuordnung im System besser Konvention als Protokoll genannt. Es ist richtig, dass die Artikel den Unterzeichnerstaat binden, unabhängig von der Bezeichnung im Titel, und unabhängig davon, ob es nun Protokoll oder Konvention heißt.
Dennoch spricht sich meine Fraktion auch hier für den entsprechenden Änderungsvorschlag von Herrn Bartumeu Cassany aus. Was mir wichtig erscheint, auch wenn jeder hier in dieser Versammlung dies zu beantworten weiß, ist die Erklärung, worauf sich „Diskriminierung“ bezieht. Daher sprechen wir uns auch klar für die Neufassung des Definitionsartikels für Diskriminierung aus.
Was Artikel 19 angeht, so kann ich nur in meinem Namen, nicht in dem aller meiner EPP-Fraktionskollegen sprechen. Ich denke, dieses Dokument, selbst wenn die heute zu beschließenden Änderungen berücksichtigt werden, ist sehr auf das im Titel formulierte Thema eingegrenzt. Es sollte daher für die Unterzeichnerstaaten inhaltlich voll bindend sein – von der Möglichkeit eines Vorbehaltes sollte gänzlich Abstand genommen werden.
Zusammenfassend halte ich nochmals fest, dass die Fraktion der Europäischen Volkspartei das neue Instrument begrüßt; wir denken, dass wir mit einer Ratifizierung durch unsere nationalen Parlamente einen großartigen Beitrag leisten können, um einer Problematik zu begegnen, die wir europaweit einheitlich lösen wollen: nämlich die Staatenlosigkeit eines unserer Mitmenschen zu vermeiden.