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AS (2006) CR17AD01 |
Provisorische Ausgabe |
SITZUNGSPERIODE 2006
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(3. Teil)
BERICHT
17. SITZUNG
Dienstag, 27. Juni 2006, 10.00 Uhr
Addendum 1
Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC
Dieser Rapport zeigt eindrücklich, was geschieht wenn Menschenrechts- und Völkerrechtsinstrumente außer Kraft gesetzt werden. Er zeigt, was passiert, wenn Werte zum Schutz der Menschenwürde, die seit dem 2. Weltkrieg bestehen und auf die wir stolz sind, plötzlich nicht mehr zählen. Herr Martys Bericht liest sich wie eine Nachtmahr, wie ein schlechtes Theaterstück, das man fluchtartig verlassen möchte, weil es unverständlich, unverdaulich und ausweglos ist.
Menschen, die unter dem Generalverdacht des Terrorismus stehen, werden zur Befragung per Flugzeug, mit Zwischenlandungen in verschiedenen Ländern in ihre Destinationen gebracht. Niemand außer denjenigen die Anweisungen geben, wissen mit welchen Zwischenlandungen, und wohin die Menschen gebracht werden, und wie sie vernommen werden.
Wo niemand kontrolliert, wo Menschenrechte nicht mehr zählen, kann man alles machen: quälen, verletzen, verstören – eben foltern. Wozu sonst müsste man Menschen über Kontinente hinweg – Herr Marty nennt es ein Spinnennetz, das über Europa liegt – verschoben werden. Ebenfalls über Kontinente hinweg sollten mutmaßliche Terroristen durch die CIA in ihre Heimatländer abgeschoben werden. Dabei nahm das Weiße Haus in Kauf, dass bei Verhören gefoltert, und damit das Risiko des gewaltsamen Todes der Opfer in Kauf genommen wurde.
Weit haben wir es in unserem neuen 21. Jahrhundert gebracht, welches sich bereits kriegerisch und gewalttätig angekündigt hatte. Menschenrechte scheinen mehr und mehr ihre Gültigkeit zu verlieren. Man nimmt sich das Recht heraus, Ausnahmen zu machen, welche von einigen wenigen definiert werden: z.B. die Regierung Amerikas und jene; die den Transport von mutmaßlichen Verbrechern stillschweigend akzeptieren.
Die Unschuldsvermutung scheint es nicht mehr zu geben, es wird vorverurteilt. Und Menschen, die verdächtigt werden ein Verbrechen begangen zu haben, werden jegliche Würde und jeglicher Respekt abgesprochen. Weit haben wir es gebracht und behaupten noch immer zu wissen, was Rechtsstaatlichkeit ist.
Dass es nicht immer so zugehen muss wie dies uns Amerika vorgibt, haben Italien bei den Brigata Rossa gezeigt, oder Deutschland bei der Bekämpfung der RAF, sowie Spanien in Zusammenhang mit der ETA. Sie haben den Rechtsstaat nie außer Kraft gesetzt, und sie haben Erfolg gehabt. Wenn auch langfristig, wenn auch schmerzlich und verlustreich.
Viele der von Marty im Bericht erwähnten Staaten haben sich empört zurückgezogen und den Ankläger, Marty, angeklagt. Herr Marty hat seinerseits aufgezeigt, wo die Schwachstellen des weltweiten politischen Systems der globalen Verbrechensbekämpfung liegen. Wer nun sagt, dass in seinem Land hinsichtlich der Flüge und der Verhöre keine Schwachstellen existieren, wer Klarheit verhindern will, segelt unter einem falsch verstandenen Nationalstolz. Davon nehme ich auch mein Land, die Schweiz nicht aus.
Es ist wichtig, dass wir die Empfehlungen und die Resolution aus Herrn Martys Bericht sorgfältig umsetzen. Der Bericht darf nicht in den Schubladen verschwinden. Die Arbeit muss weitergeführt. Dringend. Das wohl wichtigste Anliegen des Europarates muss sein, dass wir durch Gesetzesverschärfungen, im Asylwesen, bei der Terrorismusbekämpfung nicht eine neue verlogene, internationale Rechtordnung unterstützen, in der ein bloßer Verdacht, die Herkunft oder das Verhalten eines Menschen genügen um die Menschenrechte auszuhebeln. Der Bericht Marty fordert zu einem Zwischenhalt auf, der dringend nötig ist.
Rainder STEENBLOCK, Deutschland, SOC
Zunächst möchte ich dem Berichterstatter Dick Marty für den sehr wichtigen Bericht: „Mutmaßliche geheime Haft und unrechtmäßige Verbringung von Häftlingen zwischen Staaten unter Beteiligung von Mitgliedstaaten des Europarates“ danken.
Mit diesem Bericht untersucht Herr Marty ungeheuerliche Vorwürfe gegen eine Reihe von Mitgliedstaaten des Europarates: Durch Duldung und aktive Mithilfe Verdächtige als Gefangene in Länder gebracht zu haben, in denen gefoltert wird.
Gerade angesichts der widrigen Untersuchungsbedingungen muss unser aller Dank an Dick Marty gehen, der mit seinem Bericht dazu beitragen möchte, die beschädigte Glaubwürdigkeit europäischer Staaten in Menschenrechtsfragen wiederherzustellen.
Niemand ist vor Terror gefeit. Dies haben uns die Terroranschläge des 11. September 2001 in New York und vom 11. März 2004 in Madrid schmerzhaft bewusst gemacht. Dies Anschläge haben uns auch bewusst gemacht, dass Terrorismus nicht vor Landesgrenzen Halt macht, und wir ihn gemeinsam bekämpfen müssen. Aber dabei muss jederzeit die Achtung der Grundfreiheiten und Grundrechte gewährleistet sein.
Der Bericht von Dick Marty dagegen erhärtet den Verdacht gegen Mitgliedstaaten des Europarates, Menschenrechte verletzt und geheime Verhaftungen sowie gesetzeswidrige Auslieferungen von tatsächlichen oder angeblichen Terroristen in Europa gebilligt zu haben. Im Kampf gegen den Terror haben die Vereinigten Staaten neue rechtliche Begriffe wie „feindliche Kombattanten“ und „Verschleppung“ eingeführt, die im Widerspruch zu unseren grundlegenden Rechtsprinzipien stehen.
Im Wege solcher „Verschleppungsprogramme“ wird der Umgang mit Menschen gezielt einer gerichtlichen Kontrolle entzogen. Dabei wurden Menschen illegal inhaftiert und heimlich in Länder gebracht, in denen Folter eine gängige Methode bei Verhören ist.
Dick Martys Bericht zeigt, dass mehrere europäische Regierungen vor dieser Praxis Augen und Ohren geschlossen haben und einige Staaten sogar aktiv in einzelne Verschleppungsfälle involviert waren. Durch diese stillschweigende Duldung oder die aktive Hilfe von europäischen Staaten gelangten Gefangene auch ins berüchtigte US-Gefangenenlager Guantanamo auf Kuba.
Dies ist beschämend für Europa.
Bislang haben europäische Regierungen wiederholt geleugnet, an diesem Verschleppungsprogramm der CIA beteiligt gewesen zu sein.
Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, dass wir auf verschiedenen Wegen Druck auf die nationalen Regierungen ausüben, damit diese endlich die Untersuchungen aktiv unterstützen und ihrer Ermittlungspflicht gemäß der Europäischen Menschenrechtskonvention nachkommen.
Denn Mitgliedstaaten des Europarates sind verpflichtet, jedem Verdacht auf Menschenrechtsverletzungen nachzugehen. Die nationalen Parlamente müssen alle notwendigen Informationen erhalten, um die Vorwürfe restlos aufzuklären. In Europa muss wieder unmissverständlich gelten, dass Menschenrechte uneingeschränkt geachtet werden müssen. Denn wenn wir Europäerinnen und Europäer Demokratie und Rechtsstaatlichkeit weltweit fördern wollen, müssen wir bei uns zuhause damit anfangen.
Wolfgang WODARG, Deutschland, SOC
Der Abgeordnete Marty hat einen guten und für uns alle einen wichtigen Bericht vorgelegt.
Er hat sich verdient gemacht, weil er die politische Bewertung offenbar vorliegender Verfehlungen des CIA und kooperierender nationaler Geheimdienste dorthin gebracht hat wo sie hingehört: hier in dieses Haus, in den Europarat!
Kollege Marty hatte keine Instrumente um eigene Untersuchungen durchzuführen. Er war Berichterstatter und nicht Untersuchungsrichter oder Vorsitzender eines Untersuchungsausschusses. Er konnte uns keine gesicherten Tatbestände präsentieren sondern lediglich als Berichterstatter all die schwerwiegenden Hinweise sammeln und für uns aufbereiten, die bisher bekannt geworden sind.
Er hat ausreichend Hinweise gegeben, die uns und unsere nationalen Parlamente dazu bringen müssen jeweils im eigenen Land bei der eigenen Regierung und beim eigenen Geheimdienst die notwendigen Nachforschungen anzustellen.
Im Deutschen Bundestag gibt es ein Parlamentarisches Kontrollgremium, welches mit besonderen Vollmachten auch gegenüber der Regierung und den Geheimdiensten ausgestattet ist. Die Balance zwischen der nötigen Geheimhaltung bei der Verbrechens- und Terrorismusbekämpfung und einer ebenso notwendigen Kontrolle des Regierungshandelns durch die Volksvertreter ist nicht konfliktfrei.
Wir sind der Auffassung, dass die Möglichkeit, die Arbeit und sogar die Budgets der Geheimdienste zu kontrollieren auch für speziell zur Verschwiegenheit verpflichtete Parlamentarier gegeben sein muss.
Zusätzlich werden die jetzt notwendigen Nachforschungen in Sachen CIA-Netzwerk und möglicher deutscher Beteiligung durch einen öffentlich arbeitenden Untersuchungsausschuss durchgeführt. Wir werden in allen involvierten Mitgliedsländern solche oder ähnliche Instrumente auch in Zukunft brauchen!
Es ist zu fordern, zu hoffen und wohl auch zu erwarten, dass unsere amerikanischen Freunde endlich die Gefangenen aus dem Lager in Guantanamo in rechtlich einwandfreie Umgebungen bringen, und dass sie angemessener rechtlicher Beurteilung zugeführt werden.
Wir werden dann vermutlich noch mehr Details erfahren, die uns zu weiteren Nachforschungen verpflichten und wir werden die jetzt zu sammelnden Erfahrungen brauchen.
Der Europarat muss die nationalen Bemühungen um Aufklärung weiterhin einfordern, qualifizieren und begleiten. Auf der Ebene des Generalsekretärs – mit dessen Möglichkeiten, auf der Ebene der Regierungen und auf der Ebene der dieser parlamentarischen Versammlung. Wir wollen die Mitgliedstaaten in die Pflicht nehmen, wie es die Menschenrechtskonvention vorsieht und wie es die Menschen in unseren Ländern von uns zu Recht erwarten.
Hierfür werden wir unsere Instrumente verstärken müssen. Wir werden zunehmend hinsehen und handeln müssen, wenn über unsere Grenzen hinweg Unrecht geschieht. Dieses Unrecht bleibt, weil es im Ausland wirkt oder wirken lässt, zumeist verborgen oder zwischen den Zuständigkeiten ungesühnt.
Wir sehen, dass unsere Staaten mit verbrecherischen Regierungen in aller Welt Geschäfte machen oder Personen und Unternehmen tolerieren und manchmal sogar fördern, die damit Geschäfte machen, dass Menschen und Menschenrechte in armen Ländern mit Füßen getreten werden. Wir müssen nicht nur im Zusammenhang mit den Geheimdiensten, sondern auch im Zusammenhang mit Gewaltökonomie und mit solchen Verbrechen genauer hinsehen und handeln, bei denen die Opfer in entfernten Ländern leiden und sterben und bei denen die Täter in unseren Hauptstädten ihre blutigen Geschäfte vorbereiten und kontrollieren.
Menschenrechte können in einer vernetzten Welt nur durch entsprechende politische Vernetzung gesichert werden. Der vorliegende Bericht ist hier ein wichtiger Anfang.