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AS (2006) CR29 |
Provisorische Ausgabe |
SITZUNGSPERIODE 2006
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(4. Teil)
BERICHT
29. SITZUNG
Donnerstag, 05. Oktober 2006, 10.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Präsident
Ich gebe nun das Wort an Joachim Hörster aus Deutschland.
Joachim HÖRSTER, Deutschland, EPP/CD/PPE/DC
(Doc. 11056)
Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
ich möchte mich zunächst bei unserem Berichterstatter, Herrn Windblatt, für seinen Bericht bedanken, und zwar deswegen, weil er in einer sehr konzentrierten Weise, nüchtern und realistisch die Verhältnisse und die Entwicklung der letzten Monate dargestellt und auch einige Schlussfolgerungen gezogen hat, die vielleicht auf den ersten Blick ein bisschen visionär sind, an denen wir aber am Ende nicht vorbeikommen.
Wenn ich den Kollegen Lloyd ansprechen darf: er hat eben davon gesprochen, dass wir mit den legitimen Parlamenten den Nahostkonflikt beraten sollen – mit Verlaub, da bleiben nicht viele übrig. Da haben wir die Knesset, die demokratisch gewählt ist, das palästinensische Parlament, das demokratisch gewählt ist, wir haben im Libanon ein Parlament, das nach einem bestimmten Proporzsystem gewählt ist, aber wo zumindest die Wahlfreiheit gewährleistet ist. Und damit sind wir bereits, was die Demokratie betrifft, weitestgehend am Ende. Dies sind aber eben genau die Konfliktparteien, die bisher nicht zu einer Lösung gefunden haben, und das erschwert die Dinge außerordentlich.
Ich will darauf hinweisen, dass es eine Unmenge von Vorschlägen gibt, um den Konflikt im Nahen Osten zu lösen. Wir müssen als Europäer daran interessiert sein, dass dieser Konflikt gelöst wird, denn es handelt sich um unsere Nachbarn. Es gibt die road map, sowie den Friedensplan, den die Arabische Liga im März 2002 beschlossen hat, es gibt die Genfer Initiative aus der palästinensischen und der israelischen Zivilgesellschaft heraus, es gibt das Quartett.
Möglicherweise hat der Konflikt der letzten Wochen dazu beigetragen, dass eine Veränderung in der politischen Handhabe stattgefunden hat. Denn wenn wir ehrlich sind, dann müssen wir doch zugeben, dass wir, als Europäer, aus der Sicht der Israelis bisher allenfalls geduldete Partner im Quartett waren. Wir sind nicht als Leute angesehen worden, die konstruktiv zum Friedensprozess beitragen können. Wenn es darum ging, wirtschaftliche und finanzielle Hilfe zu leisten, dann war die Europäische Union, dann war Europa willkommen, jedoch nicht in den politischen Fragen zur Lösung des Konfliktes. Dies scheint sich jetzt geändert zu haben, denn Europa ist ja ausdrücklich eingeladen worden, die UNIFIL-Mission zu bestreiten und sich an der Konfliktlösung zu beteiligen.
Allerdings will ich dabei auch betonen, dass die UNIFIL-Mission nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Sie ist bis zum 31. Juli 2007 begrenzt, und nirgendwo steht geschrieben, wann die Aufgabe der Mission erfüllt ist und unter welchen Konditionen diese Aufgabe beendet werden kann.
Wir müssen ehrlich mit den UN-Resolutionen umgehen: Die Resolution 1559, die nicht nur den Rückzug der syrischen Truppen aus dem Libanon, sondern auch die Entwaffnung der Hisbollah verlangt hat, hat keinen Adressaten, der dies durchführen soll. Denn jeder weiß, dass der Libanon selbst mit seiner Armee, die ja nichts anderes als das von den früheren Bürgerkriegsmilizen Übriggebliebene ist, nicht in der Lage ist, die Hisbollah zu entwaffnen.
Also müsste sich die internationale Staatengemeinschaft dieser Aufgabe unterziehen, aber dazu muss man sich dann auch entsprechend bekennen. Es wäre weiterhin hilfreich, wenn wir sowohl von palästinensischer als auch israelischer Seite einmal die Vision bekämen, wie sich beide Konfliktparteien das Ende eines Friedensprozesses vorstellen. Dies würde uns wesentlich weiterhelfen.
Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Präsident
Dankeschön.
Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC
(Doc. 11056)
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Den meisten Menschen, hier drinnen wie auch draußen, geht es ähnlich: Sie stehen noch immer unter dem Schock des Einmonatskriegs im Nahen Osten, dem im Juli und August dieses Jahres im Libanon mindestens 1187 – zu einem Drittel Kinder unter 12 Jahren -, in Palästina 170 und in Israel rund 40 Zivilpersonen zum Opfer gefallen sind.
All dieses Leid erschüttert uns und macht uns sprachlos. Diejenigen Menschen, die am meisten betroffen sind, sind immer noch die Palästinenserinnen und Palästinenser. Ich erinnere an den Mauerbau, die Arbeitslosigkeit, die Trennung von Familien, Menschenrechtsverletzungen, Landraub und so weiter.
Die aktuelle Problemlage ist diffuser denn je: Der Libanon liegt in Trümmern, und immer wieder explodieren israelische Bomben, auch wenn längst deutlich geworden ist, dass ausschließlich die Zivilbevölkerung im Libanon und im Gegenzug auch in Israel getroffen wurde. Die verschiedenen Friedensprozesse sind auf ein Minimum reduziert. Ausländische Truppen schützen den fragilen Waffenstillstand, und die zivile Bevölkerung im Libanon versucht, aus den Trümmern Neues zu schaffen.
Der Krieg hat unendlich viele Hoffnungen zerstört. Nicht nur im Libanon, der seine wirtschaftliche Position zerstört sieht, sondern auch bei den engagierten Friedenskräften in Israel. Präsident Olmert wurde zu Recht von seinen eigenen Landsleuten kritisiert. Umfragen zeigen auch, dass seine Regierung und seine Kriegsführung von einem großen Teil der Bevölkerung nicht mehr mitgetragen wird. Es ist zu hoffen, dass in Israel endlich neue Kräfte die politische Macht übernehmen, nämlich Politikerinnen und Politiker, die den Friedensprozess ehrlich an die Hand nehmen wollen.
Wir dürfen aber nicht bei unserem Zorn und unserer Resignation stehen bleiben. Vielmehr müssen wir gemeinsam diskutieren, wie die Logik von Gewalt und Krieg im Nahen Osten durch eine Logik des Friedens, der Gerechtigkeit und der sozialen Entwicklung abgelöst werden kann. Ich bin überzeugt, dass die Grundlagen für einen gerechten und dauerhaften Frieden im Nahen Osten in der Schaffung und Anerkennung eines lebensfähigen Staates Palästina und der Anerkennung des Staates Israel innerhalb der völkerrechtlich festgelegten Grenzen liegen. Nur so kann den Menschen in der ganzen Region Sicherheit gewährleistet werden.
Wir wissen, dass der Weg dorthin äußerst beschwerlich ist. Wir wissen auch, dass wir aufgrund unserer Geschichte und der Geschichte im Nahen Osten ein Teil der Hindernisse auf diesem Weg sind. Wir müssen daher alle unsere Möglichkeiten einsetzen, um die Logik von Gewalt und Krieg zu durchbrechen. Alle Anschläge gegen die Zivilbevölkerung in der ganzen Region sind zu stoppen. Wir müssen uns deutlich und klar gegen die Besatzungs- und Siedlungspolitik sowie den Mauerbau durch Israel stellen.
Als Parlamentarierinnen und Parlamentarier müssen wir bestehende Friedensinitiativen - die Genfer Initiative, die road map und andere Optionen wurden bereits erwähnt – unter Einbezug der Zivilbevölkerung unterstützen. Wir sind verpflichtet, uns im Nahen Osten für die Durchsetzung des Völkerrechtes einzusetzen, insbesondere dafür, dass die UNO-Resolutionen von allen Konfliktparteien anerkannt und umgesetzt werden. Die Militär- und Rüstungszusammenarbeit mit Israel und allen anderen Staaten im Nahen Osten muss eingestellt werden. Je mehr Waffen in die Region geliefert werden, desto größer ist die Gefahr, dass die Friedensinitiativen keine Chance haben.
Präsident
Dankeschön.
Marieluise BECK, Deutschland, SOC
(Doc. 11056)
Schönen Dank, Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich bin dem Kollegen Lindblad sehr dankbar, dass er einen so klugen und ausgewogenen Bericht vorgelegt hat, und wenn ich mich richtig erinnere, dann ist er im politischen Ausschuss auch einstimmig angenommen worden. Das Drama im Nahen Osten ist die Tatsache, dass wir es hier mit einem Krieg zu tun haben oder gehabt haben, in dem die von der UNO anerkannten Grenzen von 1948 nicht umstritten waren.
Es hatte sich Prosperität zwischen dem Norden Israels und dem Süden des Libanon entwickelt. All dies wurde zerstört, unter anderem auch deshalb, weil die Souveränität des Libanon deutlich unterwandert wurde, nämlich durch eine Hisbollah, die in großer Seelenruhe und – das ist das Schreckliche – unter den Augen der UNIFIL, für welche die internationale Gemeinschaft zuständig ist, ihre Waffenarsenale ausbauen und aus dem Südlibanon immer wieder den Norden Israels angreifen konnte.
Auf der anderen Seite sehen wir, dass es in dieser Region fast kein Vertrauen mehr gibt. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Die Palästinenser leben mit einer oft unverhältnismäßig scheinenden Härte durch die israelische Seite. Wir wissen auch, dass das Besatzungsregime das tägliche Leben miteinander vergiftet. Dies ist auch eine der Ursachen des Extremismus der den Dialog unmöglich macht.
Auf der anderen Seite aber haben Bürgerinnen und Bürger Israels einen Rückzug erlebt, aus dem Gaza-Streifen sowie aus dem Libanon, welcher nicht zu Friedlichkeit geführt haben; die Zahl der Angriffe hat sich sogar erhöht. Wer dies als Regierung seinen Bürgern erklären muss, hat ein Problem wenn weitere Schritte in Richtung Rückzug, Versöhnung und Rückgabe von Gebieten gegangen werden müssen, und dies auch zwingend notwendig ist.
Ich glaube, es gibt kaum einen Konflikt auf dieser Erde, bei dem die Lösung letztlich allen so klar ist. Es geht nur um zwei Staaten; es kann nur einen Staat Palästina und einen Staat Israel geben, und das ist auch sowohl den Palästinensern als auch den Bürgerinnen und Bürgern in Israel vollkommen klar. Wie kann es nur sein, dass dann der Weg zu dieser Lösung scheinbar immer noch verstellt ist?
Ich bin sehr froh, dass Europa mit den UNIFIL-Truppen eine stärkere politische Verantwortung übernimmt, und sich mit ihnen auch verpflichtet. Wir wissen, dass Militär nie Frieden schafft, aber wir wissen inzwischen, dass Militär so viel Sicherheit geben kann, dass die Voraussetzungen geschaffen werden können, um den Dialog und die Suche nach Frieden wieder zu ermöglichen.
Wie schwer ein solcher Dialog ist, hat der politische Ausschuss vor zwei Wochen in der Türkei erlebt, als irakische Parlamentskolleginnen und -kollegen nicht bereit waren, in einem Raum zu sprechen, in dem sich eine Israelin aufhielt. So etwas können wir als Europarat, der Gleichheit und Menschenrechten verpflichtet ist, nicht akzeptieren.
Europa hat eine Verpflichtung übernommen. Es muss eine neue road map auf diesem Weg zur Zweistaatlichkeit begonnen werden. Noch ein Wort zum Schluss: Wir haben es auch mit dem Iran zu tun. Wir kennen die Verbindung zwischen Hisbollah und Iran. Deswegen stellt sich die Frage, ob es wirklich nur um den palästinensisch-israelischen Konflikt geht, oder ob dahinter nicht eine viel größere und noch gefährlichere Auseinandersetzung steht, nämlich die Auseinandersetzung zwischen der säkularen westlichen Welt und einer politisch-islamisch orientierten Welt. Dieser Konflikt geht auch uns mit unseren eigenen Interessen sehr viel an.
Ruth-Gaby VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC
(Doc. 11053)
Kolleginnen und Kollegen!
Die Dramen, die wir von Flüchtlingen und Boatpeople im Süden Europas hören, sind nicht neu; das hatten wir immer. Die Zahlen sind jetzt aber unglaublich gestiegen und erst jetzt sind wir eigentlich alarmiert. Es ist sehr spät. Die Menschen aus dem Süden, aus Afrika, nehmen heute alle Schwierigkeiten auf sich, auch den Tod durch Ertrinken, um nach Europa zu kommen, um ihr Glück zu suchen und ein besseres Leben zu finden; dies ist ihre Hoffnung.
Ihre Schiffe sind kaputt – wir haben es schon gehört – sie zahlen Gelder an Schlepper, und ganze Familien in Afrika verschulden sich, um diese Schlepper zu bezahlen, und diese Schlepper gehen ungestraft weg. Ihr einziges Ziel ist, wie gesagt, Europa, und damit die Hoffnung auf ein besseres Leben, was immer dieses bessere Leben ist, denn die meisten von ihnen wissen ja, dass sie kaum oder nur zu ganz schlechten Bedingungen Arbeit finden und wahrscheinlich ausgebeutet werden.
Ich möchte mich respektvoll an die Staaten des Südens wenden, die alle diese Flüchtlinge, diese asylsuchenden Menschen und Migranten aufnehmen. Ich möchte trotz des großen Respekts, den ich für die dort geleistete Arbeit habe, sagen, dass es wichtig ist, dass alle diese Menschen das Recht auf die Erfüllung ihrer Grundrechte haben: medizinische Versorgung, Wohnen, ein Asylgesuch einreichen zu können, Nahrung sowie eine menschenwürdige Behandlung. Ich möchte, dass dies auch ganz klar vom Europarat gefordert wird.
Die Gründe für die Flucht dieser Menschen sind vielfältig. Die meisten von ihnen, etwa im Senegal, aus dem im Moment viele Flüchtlinge kommen, sind gut ausgebildet, aber sie haben keinerlei berufliche Perspektive, sie haben keine Lebensperspektiven. Es gibt viel Armut in diesen Ländern, es gibt Hunger, Krankheit und diese unendliche Arbeitslosigkeit, die unter der jungen Bevölkerung bis zu 80 oder 90% beträgt. Diese Faktoren treiben Leute in die Migration, und auch in jede Gefahr. Und es ist häufig auch Abenteuerlust dabei – das darf und muss, glaube ich auch so sein.
Man hat immer wieder diskutiert, was denn jetzt echte und unechte Flüchtlinge seien. Hören wir doch auf damit! Hohe Arbeitslosigkeit, Perspektivlosigkeit, sind Gründe um wegzugehen und sich auf die Flucht zu begeben. Ich denke, wir müssen unsere Fragen anders stellen.
Wie aber regulieren? Denn es ist klar, dass Europa nicht alle Menschen aufnehmen kann. Außerdem hat Europa eine Mauer um sich aufgebaut. In den meisten Ländern haben wir Asylverfahren, welche diese Menschen überhaupt nicht mehr in Betracht ziehen.
Wir müssen aber bei uns, wie dies auch Herr de Puig betont hat, die Migration regulieren. Wir brauchen diese Menschen, und diese Menschen brauchen uns. Dies ist also eine Partnerschaft, die wir eingehen müssen. Wir müssen aber auch gezielt mehr Entwicklungshilfe leisten. Die meisten Länder hier machen das viel zu wenig. Wir haben unendlich viel Geld, um es in Armeen zu stecken, die wir so nicht brauchen, um Kriege zu führen, die wir nicht brauchen. Was wir brauchen, ist mehr Entwicklungszusammenarbeit, die Arbeitsplätze schafft. Wir brauchen mehr Investitionen und mehr Bildungsmöglichkeiten in den Herkunftsländern dieser Menschen.
Aber wir müssen auch die Korruption in diesen Ländern angehen. Wir dürfen nicht mit Ländern zusammenarbeiten deren Regierungen korrupt sind. Wir müssen die Geldwäsche und die Kapitalflucht in unsere Banken verhindern. Aber wir werden diese Immigration immer wieder haben. Ein junger Mann aus dem Senegal hat mir gesagt: „Tu sais, je préfère mourir une fois pour de bon en mer que de mourir tous les jours un peu“.