SITZUNGSPERIODE 2007

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(3. Teil)

BERICHT

21. SITZUNG

Dienstag, 26. Juni 2007, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Ruth VERMOT-MANGOLD, Schweiz, SOC/SOC

(Doc. 11276)

Herr Präsident,

meine Damen und Herren,

Ja, ich bin die letzte Rednerin heute, ich wollte eigentlich das gleiche sagen wie Leo. Eigentlich müssten wir hier herausschreien, dass Feminisierung der Armut ein Skandal ist, und zwar auf verschiedenen Ebenen : ein sozialer, ein gesellschaftlicher, ein persönlicher und ein ökonomischer Skandal.

Die Grundursachen der Feminisierung der Armut ist die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern, und diese Ungleichheit besteht, obwohl wie seit Jahrhunderten davon reden und sie eigentlich seit Jahrhunderten weghaben möchten. Frauen sind arm, weil sie ökonomisch grundsätzlich nicht gleichgestellt sind.

Selbst wenn Frauen heute in vielen europäischen Ländern oder den Ländern des Europarates bessere Ausbildungsmöglichkeiten haben und diese auch nutzen, haben Frauen immer noch nicht gleichberechtigten Zugang zur Arbeit und die gleichberechtigte Möglichkeit, gleichwertigen Lohn für gleichwertige Arbeit zu erhalten, und das ist einer der Skandale.

Wo Jobs ausgeschrieben sind, werden die beruflichen Kompetenzen von Frauen oft geringer eingeschätzt als jene von Männern, und vergessen wir nicht, dass vor allem gerade bei jungen Frauen oft die Frage im Hintergrund steht: "Wollen Sie denn auch Kinder haben? Ja, was nützt uns das dann, wenn wir eine Frau einstellen?" Hier werden Frauen oft weggeschoben, und sind dann auch häufig arbeitslos.

Alle Frauen mit Kindern haben ein zusätzliches Handicap. Es ist schlimm, zu sagen, dass Kinder oft Ursache für die Armut ihrer Mütter sind. Und doch ist es in vielen Ländern so, dass das Muttersein und die Arbeitsplätze nicht vereinbar sind, einfach nur, weil zu wenig staatliche Betreuungsmöglichkeiten vorhanden sind. Noch immer wird Müttern ein schlechtes Gewissen eingeimpft, wenn sie versuchen, Jobs und Kinder vereinbaren zu wollen. Diese Geschichte ist noch nicht ausgestanden. Noch immer werden Frauen in vielen Gesellschaften schief angeschaut, wenn sie Kinder haben und einen Job wollen.

Keine Arbeit zu haben, ist aber oft auch die Ursache von Armut. Ältere geschiedene Frauen sehen sich oft mit Armut konfrontiert, vor allem dort, wo die Rentenkassen geschiedene Frauen nicht berücksichtigen. Armut ist eine Seuche. Sie erschwert nicht nur den Alltag von Frauen, sondern auch Beziehungen, und die Möglichkeit, in der Gesellschaft integriert und anerkannt zu werden.

Eine Studie mit dem Titel "Gewalt und Armut" des Vereins Kinderschutz Schweiz, in dem ich Vorstandsmitglied bin, zeigt auf, dass in armen Familien, besonders bei alleinerziehenden armen Müttern, einiges in Schieflage ist. Es gibt z.B. den Rückzug in die eigene Familie; die Leute gehen nicht mehr aus, sie gehen nirgendwo mehr hin, die Frauen sind zu Hause, wo sie genug zu kämpfen haben. Das ist häufig für diese Frauen eine große Schwierigkeit. Die Studie weist auf, dass sie oft ungenügend und schlecht ernährt sind, sie haben Minderwertigkeitsgefühle, die auf die Kinder übertragen werden. Armut macht auch Frauen nicht stärker.

Es bestehen Mängel in Krankenkassen oder im Rentenkassensystem; dann ist die Armut einfach aufgeschoben auf das Älterwerden oder auf das Kranksein. Aber auch Gewalt aus Verzweiflung und aus dem Gefühl, nicht mehr zu wissen, wohin man gehen soll, was man mit sich anfangen soll, kommt in armen Familien bzw. in Familien mit armen, alleinstehenden Frauen, immer wieder vor. Ich glaube aber nicht, dass Gewalt ein Unterschichten- oder ein Armutsproblem ist. Gewalt gibt es in allen Schichten, das möchte ich hier nur klarstellen.

Viele arme Mütter können in Schulfragen den Kindern keine Hilfe bieten. Kinder von armen Familien bzw. von armen Müttern sind oft schlechte Schüler. Auch das gilt es, zu bekämpfen. Wir müssen die Frage der Kinder von armen Müttern immer auch mit einbeziehen.

Eine ganz wichtige Frage bei dem Thema der Feminisierung der Arbeit ist auch die Frage von Migrantinnen. Diese haben oft keinen Zugang zu adäquaten Berufen, und ich denke, auch hier müssen Maßnahmen ergriffen werden.

Ich bitte Sie, dem Bericht zuzustimmen, und die gestellten Anträge und vorgeschlagenen Maßnahmen zu unterstützen.

Walter RIESTER, Deutschland,SPD/SOC

(Doc. 11277)

Herr Präsident,

meine lieben Kolleginnen und Kollegen!

Der Bericht und die Entschließung beschäftigen sich mit der sozialen Dimension Europas, und darüber hinausgehend mit der sozialen Gestaltung von Globalisierung. Wir befinden uns somit im Kern unserer Aufgabenstellung des Europarates.

Europa, von dem ich der Auffassung bin, dass es das größte Zukunftsprojekt nach dem Zweiten Weltkrieg ist, hat uns einen ungeheuren Gewinn an Friedenssicherung gebracht, einen enormen Zuwachs an Wachstum, eine Vielfalt von Kulturen, die aufeinander zugingen – das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite steht aber auch, dass der Wettbewerb sich verschärft hat - der Wettbewerb um Wohlstand, der Wettbewerb um Arbeitsplätze, der Wettbewerb der Sozialsysteme -, und dass dieser Wettbewerb bei vielen Menschen auch Ängste und Sorgen auslöst.

Hier exakt ist die Politik gefordert, dem Markt auch Schranken zu weisen und soziale Ordnungsprinzipien zu entwickeln. Es gibt kein Gremium in Europa, das dies so früh angegangen ist wie der Europarat, und es gibt keine Charta, die das so ausführlich regelt wie die Sozialcharta. Ich bin dem Kanzler der Republik Österreich dankbar, dass er es in seinen Ausführungen gestern so in den Mittelpunkt gestellt hat.

Ich fand aber auch richtig, dass er sagte, dass die Umsetzung der Charta Praxisdefizite hat. Und ich ergänze: Sie hat auch Informationsdefizte. Zu wenige aktiv handelnde Politiker und schon gar nicht die Menschen in Europa wissen um diese Charta. Dem muss Abhilfe geschaffen werden, denn sie ist neben der Menschenrechtscharta, wie ich meine, das wichtigste Dokument dieses Hauses.

In der Entschließung wird nun eine Überlegung aufgenommen, diesen Prozess der sozialen Gestaltung an die Menschen heranzuführen. Wir alle haben in unseren Ländern Prozesse der Reform, in denen es in vielfältiger Weise um Gesundheits- und Rentensysteme und den Arbeitsmarkt geht, Systeme, die nahe bei den Menschen sind.

Die Entschließung fordert uns auf, die Elemente der Charta zu den jeweiligen Themen in den nationalen Reformprozess einzugliedern, weil es uns die Chance eröffnet, dann in einen europäischen Prozess sozialer Gestaltung überzugehen und gleichzeitig die wichtigsten Elemente der Charta im Prozess der sozialen Auseinandersetzung in den Nationalstaaten transparent zu machen.

Es gibt aber auch Bereiche, in denen die Charta noch keine Aussagen macht, Bereiche, die gleichzeitig aber große Sorgen auslösen. Ich erinnere an die Diskussion um die europäische Dienstleistungsrichtlinie, die letztes Jahr heftige Diskussionen um die Frage ausgelöst hat, welche Normen bei der Ausführung von Dienstleistungen bei den sehr unterschiedlichen Wohlstandsniveaus, die wir in Europa haben, denn gelten. Die Bolkenstein-Richtlinien haben aufgezeigt, dass sie nicht akzeptiert wurden. Ein Rückgriff auf die Charta war nicht möglich.

Deswegen der zweite, richtungsweisende Vorschlag: Wir sollten dem Unterausschuss der Sozialcharta mit der Kommission für die Entwicklung der sozialen Rechte Europas auch ein Normenraster entwickeln, das bei Arbeitsmarktfreizügigkeit, bei Dienstleistungsfreiheit und im Übrigen auch bei der Freiheit der Niederlassung von Selbständigen zu berücksichtigen ist. Das wäre der zweite große Schritt für die Weiterentwicklung der Sozialcharta.

Der Bericht geht aber darüber hinaus. Er zeigt auf, dass durch das Eintreten großer Teile dieser Welt, der Schwellenländer – ich denke vor allem an China, an Indien, an Brasilien; drei Länder, die die Hälfte der Menschheit ausmachen -, die mit einem Tempo in den Wachstumsprozess eintreten, wie er uns bisher auf diesem Planeten nicht bekannt war, gleichzeitig völlig neue Problemstellungen in Bezug auf Sozialstandards aufgeworfen werden.

Allein in China sind 200 Millionen Wanderarbeiter im Kern völlig rechtlos – das bedeutet, etwa so viel, wie wir Arbeitnehmer im EU-Europa haben. Sie setzen aber gleichzeitig weltweit Standards. Deswegen ist es wichtig, dass wir über den europäischen Prozess sozialer Gestaltung hinaus vom Europarat aus den Dialog mit darüber hinausgehenden Organisationen aufnehmen. Hier denkt die Entschließung vor allem an das internationale Arbeitsamt. Um in Abstimmungsprozesse zu kommen darüber, wie Globalisierung sozial gestaltet werden kann, wie wir diesen aus unserer Sicht wichtigen Prozess der sozialen Gestaltung auch fruchtbringend einbringen können in die politische Debatte der Welt.

Der vorliegende Bericht lag bei zwei Anhörungen der Wissenschaft, aber auch wichtiger Organisationsvertreter der europäischen Gewerkschaften, des europäischen Arbeitsmarktes, zur Beurteilung vor. Ich freue mich über die große Zustimmung, die wir erhalten haben. Ich freue mich natürlich auch, dass der Bericht einstimmig angenommen worden ist.

Aber das für mich wichtigste wäre, dass wir, ausgehend von einem solchen Bericht, die Praxis verbessern. Ein kleines Beispiel: Ich als deutscher Abgeordneter habe mich furchtbar geärgert, dass mein Land bisher die ratifizierte Sozialcharta nicht gezeichnet hat. Ich selbst habe vor zwei Monaten einen sehr kritischen Beitrag im deutschen Parlament gegeben, in dem ich sagt: "Wenn bis zum Abschluss der deutschen Präsidentschaft keine Unterzeichnung vorliegt, werde ich eine öffentliche Anhörung dazu durchführen und entsprechende Publizität auslösen".

Und ich freue mich, dass vor drei Wochen die deutsche Regierung die Unterzeichnung beschlossen hat, und in dieser Woche die Unterzeichnung der deutschen Regierung zur ratifizierten Sozialcharta eingebracht wurde. Das aber sind Punkte, die wir als Parlamentarier auch in der Frage der weitergehenden Umsetzung der Sozialcharta in unseren Nationalstaaten einbringen müssen.

Deswegen erhoffe ich mir von diesem Bericht von der Entschließung über die heutige Debatte hinaus, dass wir das Profil des Europarates in dieser Sicht schärfen, und dass die Menschen wissen, dass dieser Europarat der stärkste Garant für die Entwicklung der Sozialgestaltung dieses Europas ist.

Herzlichen Dank.

Hakki KESKIN Deutschland, UEL / GUE

(Doc. 11277)

Sehr geehrter Herr Präsident,

sehr geehrte Damen und Herren,

Gestern haben wir sowohl vom Bundeskanzler Österreichs als auch vom Präsidenten des Europäischen Parlaments in diesem Saal viel Lob über den neuen Vertrag gehört.

Der EU-Gipfel der vergangenen Woche wurde notwendig, weil zuvor der Verfassungsvertrag in Frankreich und den Niederlanden per Volksentscheid abgelehnt wurde. Die Franzosen und Niederländer sahen vor allem ihre sozialen Rechte und Interessen in der Verfassung nicht genügend berücksichtigt.

Dementsprechend wäre es Aufgabe des Gipfels gewesen, dieses Bedürfnis der Bürgerinnen und Bürger nach einem sozialen Europa ernst zu nehmen. Doch die Bilanz des EU-Gipfels ist in dieser Hinsicht mehr als ernüchternd.

Die Menschenrechts-Charta und hierbei die Sozial-Charta bei dem Vertrag der EU-Staaten hätte also eine besondere Bedeutung für Europa gehabt. Das erzielte Ergebnis bleibt weit hinter dem des EU-Verfassungsvertrages zurück. Auch die Verbindlichkeit der Sozial-Charta wird sehr unterschiedlich bewertet. Die neoliberale Orientierung in Europa wurde auf dem Gipfel weiter gestärkt.

Europa, meine Damen und Herren, unterscheidet sich ganz wesentlich von anderen Kontinenten, auch von Nordamerika, vor allem dadurch, dass dier der Sozialstaat, die sozialen Sicherungssysteme, die Rechte der Gewerkschaften, Schutz der Armen und Benachteiligten und die Idee der sozialen Gerechtigkeit historische Errungenschaften sind.

Breite Teile der Bevölkerung in vielen europäischen Staaten haben sich diese Werte unbeirrt zu eigen gemacht. Sie gehören im Wertekatalog Europas zu den wichtigsten zivilisatorischen Errungenschaften und zur Lebensqualität der Menschen. Sie sind nicht geschenkt worden sondern wurden im Laufe der Jahrhunderte insbesondere in Europa erkämpft.

Mit Bedauern stellen wir jedoch fest, dass der Neo-Liberalismus, das heißt, die Schicksale der Menschen dem sogenannten freien Markt überlassen, alles andere dominiert. Lieberalisierung und Privatisierung führen jedoch sehr oft zur Monopolbildung und somit zur Beherrschung der Märkte von einer Handvoll transnationaler Konzerne.

Der viel beschworene Wettbewerb und die so genannte freie Marktwirtschaft bleiben auf dem Papier. Mehr als 90 Prozent des Stroms beispielsweise in Deutschland wird von nur vier Konzernen beherrscht. im Bereich Gas und Erdöl kann eine ähnliche Entwicklung beobachtet werden.

Von der Privatisierung sollten die Bürger profitieren, so wurde diese Liberalisierung verkauft. Was wir aber erleben, ist gerade das Gegenteil: Die Energiepreise sind in den letzten Jahren extrem gestiegen.

Die Linke, meine Damen und Herren, will ein Europa, in dem die soziale Gerechtigkeit, der Schutz der Benachteiligten und Armen, der Sozialstaat und die sozialen Sicherungssysteme als Rechte der Bürger im Wertekatalog Europas angehören.

Das Verhindern von Lohn- und Sozialdumping zwischen den Ländern und Regionen Europas und gleiche Rechte für eingewanderte Migranten müssen in Europa selbstverständlich sein.

Die europäische Linke will nicht nur den Frieden in Europa, sondern überall in der Welt ohne militärische Interventionen. Sie will die wirtschaftliche Entwicklung im Einklang mit dem Schutz der Natur harmonisieren sehen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

Wolfgang WODARG, Deutschland, SOC / SOC

(Doc. 11277)

Herr Präsident,

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,

Ich möchte Walter Riester danken dafür, dass er uns an die Qualitäten der Arbeit des Europarates erinnert. Der Europarat hat hier Werte gesetzt, die gelten und zukunftsweisend sind. Sie sind fast fünfzig Jahre alt, und sie müssen fortgeschrieben werden, weil die Welt sich ändert. Aber die Prinzipien der Sozial-Charta sind richtig, und ich freue mich, dass wir uns heute zu diesem Zeitpunkt vornehmen wollen, sie wieder zu neuem Glanz und auch in das Bewusstsein der Menschen in Europa zu bringen.

Wir haben von vielen Vorrednern gehört, was passiert in der Welt. Und wir erleben selbst in den europäischen Staaten, dass es Prozesse gibt, denen wir zum Teil hilflos gegenüber stehen. Wo selbst die Regierungen versucht sind, zu sehen, wie schaff ich dass, das die Unternehmen die ich hier im Lande gerne haben möchte, herkommen, ist es nicht mehr selbstverständlich, dass sie nicht nur an sich und an ihre Aktionäre denken, sondern daran, dass auch die Menschen, die in diesen Unternehmen arbeiten, davon gut leben können. Das ist nicht mehr selbstverständlich.

Wir haben „the working poor“ in Europa, auch in den reichen Ländern. Zunehmend gibt es Menschen, die mehrere Jobs brauchen. Sowieso muss schon die ganze Familie arbeiten, damit der Lebensstandard einigermaßen erhalten bleibt, und das sind Millionen von Menschen, auch in Deutschland, wo die Frauen gar nicht mehr an Kinder denken können, weil sie die Wohnung sonst nicht bezahlen können und weil sie sonst nicht auskommen mit dem Geld.

Wir haben in vielen Ländern Osteuropas ganz stark zurückgehende Geburtenzahlen: die Frauen bekommen keine Kinder mehr, weil sie am Wohlstand teilhaben wollen und weil der Staat es nicht schafft, und weil die Gesellschaft es nicht schafft, diese beiden Dinge zusammenzubringen. Deshalb, glaube ich, ist es ganz wichtig, dass wir diese Werte, die in der Sozial-Charta enthalten sind, zur Geltung bringen in jedem einzelnen Mitgliedstaat. Das mag unterschiedlich möglich sein.

Wenn ich in der skandinavischen Tradition dann arbeiten kann, und die Zugehörigkeit, die Identität der Arbeitgeber mit dem eigenen Land so groß ist, dass sie stolz sind, wenn sie was für ihre Arbeitnehmer tun, dann ist das gut; das gibt es noch in Europa. Aber es ist nicht mehr die Regel.

Manchmal weiß man gar nicht mehr, wer der Arbeitgeber ist. Wem gehört der Betrieb eigentlich, wer hat da eigentlich die Verantwortung? Und die, denen der Betrieb gehört, wissen gar nicht was überhaupt mit ihrem Geld gemacht wird, weil das Ganze unübersichtlich wird, weil die Zuständigkeit, die Verantwortung sich verwischen.

Das Gleiche sehen wir auf der Arbeitnehmerseite. Dort werden ganze Gruppen von Menschen aus dem einen Land mit Bussen ins andere Land gebracht, weil sie dann dort billiger arbeiten, als die eigenen Leute. Das ist alles möglich. Es sind Unternehmen, die Menschen hin- und herschieben, in Containern hin- und herfahren, an der Baustelle in Containern wohnen lassen, weil es billiger ist. Das ist menschenunwürdig.

Weshalb lassen es sich das diese Menschen gefallen? Weil es ihnen so immer noch besser geht, weil sie nämlich mehr Geld nach Hause nehmen, weil da noch weniger zu verdienen ist. Wir haben diesen Dumping-Prozess in Europa, der dazu führt, dass die Arbeitnehmer nicht mehr in der Lage sind, hier ihre eigenen Rechte wahrzunehmen, dass sie oft ohnmächtig sind, sich nicht mehr organisieren.

Und ich denke, das ist eine ganz wichtige Forderung, die wir zu erfüllen haben. Wir haben die politischen Rahmenbedingungen dafür zu setzen, dass Menschen sich organisieren und für ihre Rechte in ihrem Land, da wo sie leben wollen, eintreten können. Das gelingt in einigen Ländern besser und in anderen Ländern schlechter.

Wir haben Länder mit einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 80%: In den skandinavischen Ländern, auch in Österreich ist der gewerkschaftliche Organisationsplan höher, und das sind häufig Länder, die sehr stabil und stark sind, die investieren können. Dort gibt es viele Menschen, die Geld verdienen und also auch Steuern zahlen können. Und wenn man Steuern zahlen kann, kann man etwas für seine Leute tun, das hängt ja alles miteinander zusammen.

Von daher denke ich, das skandinavische Modell ist ein gutes Modell. Doch Deutschland, als reiches Land, hat einen gewerkschaftlichen Organisationsgrad von 20%. Das heißt, nur 20% der Arbeitnehmer engagieren sich für die gesamte Arbeitnehmerschaft, engagieren sich dafür, dass das Geld im Lande bleibt und dass das Geld, welches erwirtschaftet wird, den Menschen zugute kommt.

Diese Tatsache muss uns zu denken geben. Und ich glaube, es ist schon ein Armutszeugnis, wenn wir uns in den Ländern Europas über einen gesetzlichen Mindestlohn Gedanken machen: Das ist notwendig, aber es ist traurig, das es so kommen musste. Jetzt müssen die Regierungen selbst dafür sorgen, dass die Menschen genug verdienen; früher haben die Menschen in diesen Ländern selbst dafür sorgen können.

Das heißt, wir müssen die Arbeitsbedingungen für Gewerkschaften verbessern. Ich denke, die Menschen zu ermutigen sich zu organisieren, dass wir Ihnen das Recht und den Staaten die Pflicht geben, dafür zu sorgen, dass das möglich ist; das ist eine sehr große Errungenschaft dieser Sozial-Charta.

Daher freue ich mich, dass wir sie wieder ins Gespräch bringen und ich freue mich, wenn möglichst viele in ihren Ländern, in ihren Parlamenten dafür sorgen, dass die Menschen selbst die Chancen wahrnehmen können und für ein besseres Leben in ihrem Land auch streiten dürfen, und dass es ihnen leicht gemacht wird, das zu tun.

Ich danke Ihnen.

Walter RIESTER, Deutschland,SPD/SOC

(Doc. 11277)

Danke schön, Herr Präsident!

Als erstes möchte ich mich bedanken für die ungeschmälerte und ungeteilte Zustimmung, die von allen Fraktionen dieses Hauses zu diesem Bericht kam. Ich danke auch für alle Debattenbeiträge einzelner Abgeordneter; es wurde sichtbar und hörbar, welch große Herausforderung in der sozialen Gestaltung Europas noch vor uns liegt.

Das kann keinen überraschen. Frau Tomaszewska, Sie haben auf die Frage des freien Falls von Normen hingewiesen, und einige Redner haben auf die Unterschiede zwischen hoch entwickelten Ländern und Ländern mit Entwicklungsdefiziten hingewiesen.

Ich will Ihnen sagen, ich habe in der letzten Woche mit Schrecken einen Bericht aus meinem Land, aus Deutschland, gelesen. Im Süden dieses Landes wurden einhundert rumänische Landarbeiter zu Löhnen zwischen 1,00 € und 1,20 € beschäftigt. Natürlich greift die Polizei dort ein, aber dass so etwas, wenn es denn sichtbar wird, in einem so reichen Land wie Deutschland möglich ist, macht klar, welch große Defizite im Umsetzen wir in solchen Fragen haben.

Es ist eine große Herausforderung, und ich würde mir sehr wünschen, wenn diese Debatte, die wir heute geführt haben, Ausgangspunkt wäre für eine regelmäßige Dabatte, möglichst mit noch vollerem Haus, vielleicht im Abstand von zwei Jahren. Eine Debatte, in der wir uns über den Stand der Entwicklung dieses sozialen Europas informieren und darüber, was wir selbst als Abgeordnete in unseren Ländern eingebracht haben, sowie das Haus selbst und die Ausschüsse informieren, welche nächsten Schritte gemacht worden sind.

Und ich wünsche mir, dass wir als Abgeordnete auch vor unseren Wählern, vor der Bevölkerung, in unseren Parlamenten berichten können, dass dieser Europarat Kernmotor ist für die Entwicklung und Absicherung sozialer Rechte. Das wäre als Ausgang einer solchen Debatte ein Wunsch von mir.

Ich sehe auf die Zeit, jetzt haben wir gerade die Hälfte, und frage meinen Kollegen vom Wirtschaftsausschuss, ob er noch eine Erklärung dazu abgeben möchte.

Wenn das nicht der Fall ist, dann glaube ich nicht einzelnen Wortbeiträgen mit zusätzlichen Argumenten nochmals Wirkung zu geben, sondern ich möchte mich nochmals bedanken, vor allem auch beim Sekretariat, das mich sehr stark unterstützt hat, denn eine solche Arbeit ist nie die Arbeit eines einzelnen. Das war eine sehr gute Arbeit, und sie verdient, dass Sie sie umsetzen und in die nationalen Parlamente einbringen.

Herzlichen Dank.