AL08CR10

AS (2008) CR 10

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2008

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(2. Teil)

BERICHT

10. SITZUNG

Montag, 14. April 2008, 11.30 Uhr

SCHRIFTLICHE REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Andreas GROSS; Schweiz, SOC

(Doc. 11536)

 


Danke, Herr Präsident!

Diese russischen Präsidentschaftswahlen gehören zu dem Schwierigsten, was man sich vorstellen kann, und es ist völlig unmöglich, in vier Minuten diesen Wahlen und der Entwicklung der russischen Demokratie auch nur annähernd gerecht zu werden. Wer sich auf Russland einlässt und versucht, zu beurteilen, ob in Russland eine demokratische Entwicklung vor sich geht oder nicht, muss sich auf jeden Fall auf Grautöne einlassen und kann nicht Schwarz-Weiß denken.

Deshalb haben wir schon in der Vorwahlelegation schnell gemerkt, dass die Kriterien “frei” und “fair” viel zu grob sind, um der Komplexität der Sache gerecht zu werden. “Frei” können Wahlen nicht sein, in denen die Bürgerinnen und Bürger überhaupt keine Wahl haben. Es war von Anfang an klar, welcher Kandidat kominiert, und es war ebenfalls von Anfang an klar, dass die anderen drei Kandidaten keine Chance hatten, zu gewinnen. Solche Wahlen können nicht frei sein. Und fair waren sie auch nicht, das haben wir in der Vorwahl ja angemahnt.

Um der Fairness näherzukommen, sollte man wenigstens garantieren, dass auch der wichtigste Kandidat, von dem alle wissen, dass er schon vor der Wahl fast gewählt war, sich an den Diskussionen mit den anderen Kandidaten beteiligt – aus einem minimalen Respekt gegenüber der Demokratie, gegenüber dem Wahlvorgang, und auch um zu zeigen, dass er bereit ist, Anderen ähnliche Chancen zu ermöglichen. Das war nicht der Fall. Deshalb war von Anfang an, schon vor der Wahl, klar: die Begriffe “frei” und “fair” sind viel zu grob.

Daraufhin sagten wir: Es gehört zu dem Paradox dieser Wahl, dass schon im Herbst, also ein halbes Jahr vorher, 70% der Bürgerinnen und Bürger angegeben haben, wählen zu wollen, wen auch immer Herr Putin als seinen Nachfolger vorschlagen würde. Gleichzeitig erklärten 40% derselben Bürger, der Ernsthaftigkeit, der Fairness des Prozesses nicht zu trauen. Mit dieser Ambivalenz muss man sich auseinandersetzen. Wer das tut, sieht, dass diese Wahl eigentlich ein Plebiszit über die letzten acht Jahre der Regierungs- und Präsidentenarbeit war.

Diese acht Jahre haben einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung in Russland mit sich gebracht. Viel mehr Menschen fühlen sich heute sicher, und noch nie hatten so viele Russen so positive Zukunftsaussichten. Unter solchen Voraussetzungen kann fast niemand ein solches Plebiszit verlieren. Dies war der Grund, warum Putins Nachfolger so klar gewählt wurde.

Wir haben festgestellt, dass die demokratischen Potenziale der russischen Gesellschaft mit dieser Wahl nicht erreicht worden sind. Und trotzdem hat der Sieger eine gewisse Legitimität. Diese kommt aus dem plebiszitären Charakter dieser Wahl, der Beurteilung der letzten acht Jahre und der Hoffnung vieler Russen, dass es so weitergeht.

Holger HAIBACH; Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Doc. 11536)

Herr Präsident,

Die Präsidentschaftswahlen in Russland, bei denen ich auch als Wahlbeobachter anwesend war, zeigen sehr deutlich zwei bis drei sehr große Probleme, die für uns sowohl in unserer Tätigkeit als Wahlbeobachter auf der einen Seite, als auch in der Tätigkeit der Parlamentarischen Versammlung bestehen.

Erstens hatten wir als Wahlbeobachter das Problem, dass wir nicht mit Langzeit-Wahlbeobachtern zusammenarbeiten konnten. Die Zusammenarbeit mit der OSZE und mit ODIR mag schwierig sein, aber wenn man sich nur auf die Kurzzeit-Wahlbeobachtung stützen kann, und das nur mit etwa 30 Wahlbeobachtern bei 96 000 Wahllokalen, dann macht dies die Sache natürlich extrem schwierig.

Der zweite Punkt ist die Frage, wie wir mit Wahlen umgehen sollen, die formal korrekt ablaufen, aber nicht den Geist von demokratischen Prozessen atmen. Dass dies besonders bei den Präsidentschaftswahlen in Russland der Fall war, ist meines Erachtens auch schon bei meinen Vorrednern deutlich geworden.

Weil ich glaube, dass wir in der Debatte in eine Schieflage kommen dürfen, möchte ich auf Folgendes hinweisen: Es ist nicht entscheidend, ob eine Wahl so oder so von vornherein entschieden ist. Die Frage ist, ob die Wähler die Möglichkeit haben, ihren freien Willen tatsächlich auszudrücken. Darum müssen wir uns bemühen. Es gibt in vielen Ländern Wahlen, deren Ausgang mehr oder weniger feststeht. Dennoch sollte niemand auf die Idee kommen, sie ausfallen zu lassen oder sie von vornherein zu beeinflussen. Insofern glaube ich, dass wir hier eine wichtige Aufgabe haben.

Wenn wir uns noch einmal dem Beispiel Russland zuwenden, dann ist vieles anzumerken, von der Frage des Zugangs zu den Medien über die Frage der Vermischung von staatlichen und von Partei-Ressourcen (der Wahlkampfleiter des jetzt gewählten Präsidenten war gleichzeitig Leiter der Präsidialverwaltung und hat uns auch im Gebäude der Präsidialverwaltung empfangen), bis hin zu der Frage, wie der Wahlkampf insgesamt abgelaufen ist. Dies zeigt deutlich, dass wir es zwar von den Strukturen her mit einer Wahl zu tun haben, die ordnungsgemäß abgelaufen ist, die aber nicht den Geist einer demokratischen Wahl atmete.

Am Ende des Tages besteht für ein so großes Mitgliedsland, wie Russland es für den Europarat ist, natürlich die Frage, neben der Diskussion um die Umsetzung der Urteile des Menschenrechtsgerichtshofs, neben der Frage der Unterzeichnung der Protokolle 6 und 14, auch die Frage, ob sich ein Land auf dem richtigen Weg befindet, auch wenn es natürlich kein Land gibt, in dem alles perfekt läuft, auch nicht bei Wahlen.

Wenn Sie sich die verschiedenen Berichte zu den Wahlen 2004, 2007 und 2006 ansehen, können sie zwar in dem einen oder anderen Bereich strukturelle Verbesserungen feststellen, aber die Frage, ob es einen wirklichen Fortschritt im Hinblick auf Demokratisierung oder bessere Durchsetzung von Menschenreichten gibt, kann man, glaube ich, getrost mit “Nein” beantworten.

Dies finde ich bei dem, was wir aus Russland mitgenommen haben, bedrückend. Deshalb ist es richtig, bei der Diskussion über den Wahlprozess über mehrere Graustufen zu sprechen. Insgesamt müssen wir uns überlegen, wie wir mit einem großen Mitgliedsstaat umgehen, der offensichtlich nicht willens oder in der Lage ist, seine Probleme in die Hand zu nehmen.

Danke sehr.