AL08CR23

AS (2008) CR 23

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2008

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(3. Teil)

BERICHT

23. SITZUNG

Mittwoch, 25. Juni 2008, 10.00 Uhr

SCHRIFTLICHE REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Michaela SBURNY, Österreich, SOC

(Doc. 11623/Doc 11625)

Vielen Dank Herr Präsident!

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

mit den beiden Berichten von Herrn Gross und Mr. Greenway untermauert die parlamentarische Versammlung ihre Position zur Qualität von Demokratie und zu einer besseren Beteiligung von Migrantinnen und Migranten an demokratischen Prozessen. Es zeigt sich, dass es eine gute Entscheidung war, einen jährlichen Bericht zur Entwicklung der Demokratie auf europäischer Ebene vorzulegen und zu diskutieren.

Das Niveau demokratischer Partizipation in Europa ist niedrig, für Migranten ist es sogar noch niedriger. Mit dieser Feststellung beginnt Mr. Greenways bericht und er beschreibt damit eine zentrale Ursache für die Krise der Demokratie. Denn das zentrale Ziel von demokratischen Systemen ist und muss sein, dass alle die von Entscheidungen betroffen sind, an Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen auch tatsächlich teilnehmen können. Es zeigt sich, dass wir derzeit von diesem zentralen Ziel, dass das demokratische System verfolgt, weit entfernt sind. Faktum ist, das wir oft einen Mangel an demokratischen Mitgestaltungsmöglichkeiten haben. Das betrifft die gesamte Bevölkerung, nicht nur die Migranten und Migrantinnen, wenn man auch sagen muss, dass sie in spezieller Weise davon betroffen sind, weil sie weitgehend von Teilnahmemöglichkeiten an diesen Prozessen ausgeschlossen sind oder ihnen zumindest große Hindernisse in den Weg gelegt werden. Diese mangelnde Beteiligungsmöglichkeit aller und auch der Migrantinnen zeigt tatsächlich eine Krise der Demokratie. Diese Krise hat natürlich mehrere Ursachen. Herr Gross hat einiges schon dazu gesagt und ich möchte auf zwei Aspekte noch einmal eingehen.

Der erste Aspekt: Während die Wirtschaft bereits längst transnational und global agiert, sind wir mit unseren demokratischen Entscheidungen noch immer stark auf die nationale Ebene zurückgeworfen. Wir stellen das auch hier im Europarat fest und Herr Niessen hat es gerade auch wieder gesagt: Wir entwickeln gemeinsame Empfehlungen, die dann in den nationalen Parlamenten auch umgesetzt werden müssen. Findet das nicht statt, so bleibt das in gewisser Weise eine Schimäre. Die demokratischen Institutionen auf europäischer Ebene sind nach wie vor relativ schwach, auch das europäische Parlament, und ich finde wir sollten jede Gelegenheit nutzen, dieses europäische Parlament und die Institutionen auf europäischer Ebene zu stärken.

Wenn wir diese politische Handlungsfähigkeit auch gegenüber einer globalen Wirtschaft gewinnen und vergrößern wollen, dann müssen wir die Entwicklung einer transnationalen Demokratie vorantreiben. Dabei müssen wir allerdings auch darauf achten, dass wir nicht den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern verlieren. Es wird dem politischen System momentan immer wieder vorgeworfen wird, dass eine Lücke entsteht zwischen denen die auf oberster Ebene entscheiden und denen, die zu wenig in die Entscheidungsprozesse eingebunden sind und daher auch gar nicht nachvollziehen können, warum diese Entscheidungen getroffen werden. Hier müssen wir wirklich einiges unternehmen und ich glaube, dass es so wie es gestern bei der Konferenz besprochen wurde ein ganz wichtiger Punkt ist, genauer gesagt, dass auch Migrantinnen am politischen System verstärkt teilnehmen müssen.

Ein zweiter Punkt ist die Frage der Diversität und auch hier zeigt sich, dass unser Umgang mit Migrantinnen nur ein Spiegel dessen ist, wie wir insgesamt mit Diversität umgehen. Die Demokratie lebt von Unterschieden und es sollte uns gelingen, die Chancen dieser unterschiedlichen Zugänge, der Erfahrungen, des Wissens zu nutzen und sie nicht als Gefahr zu sehen.

Ich ersuche sie auch in diesem Sinn, unserer Abänderung zum Bericht von Herrn Greenway zuzustimmen, wo es um die Erlernung der Sprache geht: Sie kann keine Bedingung für Integration, sondern nur ein Teil des Prozesses sein.

Meine Damen und Herren,

wir sind stolz auf unsere europäischen Demokratien, aber ich denke es ist höchste Zeit unsere demokratischen Systeme einem Reality-Check zu unterziehen, denn wir wollen sicherstellen, dass die Beteiligung an den entsprechenden Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozessen allen Beteiligten tatsächlich ermöglicht wird, so wie es das Ziel der Demokratie ist.

Danke schön!

Hakki KESKIN, Deutschland, UEL/GUE

(Doc. 11623/Doc 11625)

Sehr geehrter Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

Herr Greenway und Herr Gross gilt mein Dank und Anerkennung für ihre sehr guten Berichte.

Herr Greenway hat in seinem Bericht mit Nachdruck die Notwendigkeit der erleichterten Einbürgerung als Mittel für die politische Partizipation unterstrichen. In der Tat hat die Staatsbürgerschaft eine zentrale Funktion in den Einwanderungsländern, denn nur mit dem Erwerb der Staatsbürgerschaft können die Migrantinnen und Migranten in allen Bereichen der Gesellschaft, in der sie leben, gleiche Rechte bekommen. Ansonsten sind sie Ausländer oder Migranten mit minderen Rechten.

Ich rede hier nicht von Menschen, die nur provisorisch oder erst seit einiger Zeit in diesen Ländern leben. Nein, ich rede von Menschen, die seit Jahrzehnten dauerhaft in diesen Ländern leben. Sie sind ein Teil der Gesellschaften geworden, in denen sie leben. Diesen Menschen - und ich rede hier von Millionen von Menschen - müssen gleiche Rechte auf allen Ebenen der Gesellschaft gewährt werden. Allein in Deutschland sind es 7 Millionen Menschen, die immer noch den Ausländerstatus haben. Sie sind Ausländer, d.h. sie haben nicht einmal das kommunale Wahlrecht, wenn sie nicht aus einem EU-Staat kommen. Dies verstößt gegen die Grundprinzipien der Demokratie und des Rechtsstaates. Sie können nicht auf Dauer einen beträchtlichen Teil der Wohnbevölkerung von politischen Mitwirkungsmöglichkeiten, von politischen Rechten ausklammern, abschotten, denn das ist eine besondere Form der Diskriminierung.

Ich glaube, diese Politik ist auch integrationsfeindlich, integrationshemmend. Denn Menschen, die nicht gleichberechtigt in die Gesellschaft aufgenommen worden sind und keine gleichen Rechte haben, können sich nicht vollständig mit der Gesellschaft identifizieren und sich zu diesem Land bekennen. Daher meine ich, wer Integration will, muss dafür sorgen, dass die Menschen, die dauerhaft in diesen Ländern leben, gleiche Rechte in allen Teilen der Gesellschaft haben.

Nun wird gesagt, ja sie können aber auch die Staatsbürgerschaft erwerben. Nein, wenn man die Barrieren zu hoch schraubt, dann ist der Erwerb der Staatsbürgerschaft schwierig. Das Haupthindernis ist die erzwungene Aufgabe der alten, bisherigen Staatsbürgerschaft. Das muss abgeschafft werden. Es muss toleriert werden – wie es in vielen Ländern der Fall ist – dass man bei Beibehaltung der alten Staatsbürgerschaft die neue bekommen kann. Ich möchte mit Nachdruck das unterstreichen, was Herr Niessen hier gesagt hat, und zwar das endlich unser Europarat, diese parlamentarische Versammlung, es zu einem Prüfstein in den alten EU-Staaten machen sollte, dass Migrantinnen und Migranten Dauerrechte, gleiche Rechte, gewährt werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann muss man nachbohren, nachhaken. Es gibt eine Reihe von Beschlüssen, nun sollte dieser Beschluss der letzte sein.

Eduard LINTNER, Deutschland, EPP/CD/PPE/DC

(Doc. 11623/Doc 11625)

Herr Präsident!

meine Kolleginnen und Kollegen,

die Dokumente, die uns die Berichterstatter vorgelegt haben, sind wertvoll und hilfreich. Darauf ist schon hingewiesen worden. Sie enthalten eine Fülle von nützlichen Informationen, fundierte Argumente und auch hilfreiche Ratschläge und die Regierungen der betroffenen Mitgliedstaaten sollten sie als eine Art „Spieglein an der Wand“ benutzen und die Monitas und Hinweise ganz straff auf ihre Umsetzung ins nationale Recht prüfen.

Bevor ich nun zu einigen wenigen Punkten Stellung nehme, zwei allgemeine Bemerkungen:

Erstens, in den Berichten wird erfreulich deutlich, dass es beim Monitoring des Europarats keine signifikanten Unterschiede gibt zwischen Alt und Neu, zwischen Ost und West. Nur die historischen, mentalen und lagebedingten Unterschiede am Handlungsrahmen werden zu Recht – und ich finde unvermeidlicher Weise – anerkannt und zweitens, ist auch die Zusammenschau der Arbeit aller mit Monitoring Funktionen befassten Institutionen und Gremien des Europarats wertvoll, denn es gilt ja auch unsererseits, sicherzustellen, dass die Fülle der im Namen des Europarates ausgeübten Missionen nicht schon wegen der bloßen Zahl die betroffenen Mitgliedsländer vor echte Probleme stellt. Es muss auch gewährleistet sein, dass die jeweils eruierten Informationen koordiniert werden, alles andere wäre kontraproduktive Doppelarbeit.

Lassen Sie mich nun aus der Sicht der deutschen Mitglieder der EPP zwei kritische prinzipielle Anmerkungen machen.

Erstens kann das Recht auf Teilnahme an Wahlen auf der Basis unseres Grundgesetzes in Deutschland nicht unterschiedslos allen Einwanderern zugebilligt werden. Zumindest bei Länder- und Bundestagswahlen setzt ein solches Wahlrecht auch Pflichten und Rechte auf der Basis der Staatsbürgerschaft voraus. Mitbestimmung ist ohne Mitverantwortung aus unserer Sicht nicht darstellbar. Mitbestimmung über Wahlen verlangt deshalb eine intensivere Beziehung als den bloßen Wohnsitz. Dazu gehört im Übrigen natürlich auch der Wille des Ausländers, sich zu integrieren, d.h. in unserem Fall die deutsche Staatsangehörigkeit überhaupt anstreben zu wollen, und dass man sich zwischen zwei Staatsangehörigkeiten entscheiden muss.

Zweitens verlangt die Beteiligung an Wahlen auf kommunaler Ebene zwar eine geringere, aber ich meine doch ausreichende, Beziehungsdichte zwischen Personen und Kommune. Sie geht ebenfalls über die bloße Anwesenheit weit hinaus und fordert eben auch die Gegenseitigkeit innerhalb eines staatlichen Zusammenschlusses, der intensiver sein sollte als etwa die Mitgliedschaft im Europarat. Beispiel dafür ist in unserem Falle die Europäische Union.

Das Verhältnis zwischen Staat und seinen Bürgern ist nach deutscher Rechtsphilosophie mehr als die bloße Präsenz in einem Mitgliedstaat. Sie setzt eine engere Bindung voraus, die auch von längerer Dauer sein sollte, weil sonst eben die Schere zwischen Mitbestimmung und Mitverantwortung unausgewogen wäre und deshalb haben wir einige Änderungsanträge formuliert, zu deren Zustimmung wir sie herzlich bitten.

Vielen Dank.

Holger HAIBACH, Deutschland, EPP/CD/PPE/DC

(Doc. 11623/Doc 11625)

Danke Herr Präsident,

meine lieben Kolleginnen und Kollegen,

unabhängig davon wie heute Abend das Halbfinale zwischen Deutschland und der Türkei ausgeht, wird in Berlin auf jeden Fall der Verkehr zusammenbrechen. Warum ist das so? Weil in Berlin neben etwa 3 Millionen bzw. 2,5 Millionen Deutschen – je nachdem wie man zählt – sehr viele Menschen leben, die entweder türkische Staatsbürger sind oder von türkischen Staatsbürgern abstammen.

Das zeigt, dass ein Land wie Deutschland, aber das auch der Europarat eine absolute Notwendigkeit hat, die Frage der Migration und der Integration zu einem ihrer wichtigsten Schwerpunkte zu machen. Deswegen sind beide Reports zu begrüßen, denn sie zeigen – und das hat der Kollege Eduard Lintner schon gesagt – wichtige Punkte auf. Und auch wenn wir nicht in allem übereinstimmen, besonders bei den beiden Fragen Wahlrecht und Staatsbürgerschaft, so glaube ich doch, dass es wichtig ist, dass wir dieses Thema einerseits aufgreifen und andererseits deutlich machen, dass in diesen Berichten sehr viel Wertvolles steckt.

Auf eines möchte ich gern in diesem Zusammenhang hinweisen und gleichzeitig beim Fußball bleiben: Es ist ja nicht so, dass Integration und Migration nur einen Einfluss auf diejenigen hätten, die in eine Gesellschaft hineinkommen. Im Gegenteil, manchmal ist der Einfluss auf diejenigen, die sich in einer Gesellschaft befinden sogar größer. Deswegen spreche ich gerade über Fußball. In den 60er, 70er Jahren hießen deutsche Fußballnationalspieler selbstverständlich Beckenbauer, Müller, Maier oder wie auch immer. Heute heißen sie fast genauso selbstverständlich Odonkor, Kuranyi, Podolski. Das zeigt, natürlich nur an diesem einen Beispiel, dass sich auch unsere Gesellschaft durch Migration, durch Zuwanderung verändert hat und dass wir sie als gemeinschaftliche Aufgabe betrachten müssen. Deswegen war ich demjenigen, der vorhin gesagt hat, dass z.B. die Zivilgesellschaft und Vereine eine große Rolle in diesem Integrationsprozess spielen müssen, ausgesprochen dankbar, denn dort kann es gelingen. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund eine Vorbildfunktion in einer Gesellschaft übernehmen und das gemeingesellschaftlich akzeptiert wird, dann sind wir einen guten Schritt vorangekommen. Es zeigt auch, dass Integration auf einer staatlichen Ebene angesprochen werden muss, durch entsprechende Gesetzgebung, durch entsprechende Initiativen. Wir haben in Deutschland mehrere Integrationsgipfel unter Leitung der Bundeskanzlerin erlebt. Es ist aber mindestens genauso wichtig, wahrscheinlich sogar wichtiger, dass Integration vor Ort gelingt. Auch dafür sind zivilgesellschaftliche Organisationen, wie z.B. Fußballvereine ausgesprochen wichtig.

Und es ist deshalb auch richtig, wenn in der deutschen Gesetzgebung verankert ist, dass diejenigen die aus den Staaten der Europäischen Union kommen, in der Kommunalwahl ein Wahlrecht haben. Die Frage der doppelten Staatsbürgerschaft – auch darauf hat der Kollege Lindner schon hingewiesen – ist da etwas anders gelagert. Es stellt sich darüber hinaus, aufgrund des Gleichheitsgrundsatzes, die Frage, wie es ist, wenn jemand eine doppelte oder eine multiple Staatsbürgerschaft hat, ob er dann auch in jedem Land ein Wahlrecht hat und was das für denjenigen, der nur eine Staatsbürgerschaft hat bedeutet.

Am Ende des Tages glaube ich – und es ist wichtig, hier darauf hinzuweisen – Integration kann nur gemeinsam gelingen. Das bedeutet, dass diejenigen die in ein Land kommen, den Willen haben sich zu integrieren, dass die Mehrheitsgesellschaft, wie wir sie immer nennen, den Willen hat diejenigen auch vorbehaltlos aufzunehmen. Es bedeutet auf der anderen Seite auch, dass die Politik eine Aufgabe hat.

Um am Ende des Tages wieder zu dem Anfangsthema zurückzukommen: Wenn heute Abend die Türkei gewinnt, dann wird das Fest in Berlin wahrscheinlich genauso groß sein, wie wenn Deutschland gewinnt. Aber wenn es am Ende des Tages ein friedliches Fest bleibt, dann hat die Integration, dann hat das ganze Volk gewonnen.

Herzlichen Dank!