AL08CR25

AS (2008) CR 25

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2008

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(3. Teil)

BERICHT

25. SITZUNG

Donnerstag, 26. Juni 2008, 10.00 Uhr

SCHRIFTLICHE REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Holger HAIBACH, Deutschland, EPP/CD/PPE/DC

(Doc. 11654)

Herzlicher Dank Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

der Europarat soll sich auf seine eigenen Aufgaben konzentrieren. Deswegen hat es im Vorfeld auch die eine oder andere Debatte darüber gegeben, ob man über China und mit China reden soll oder ob man es lassen soll.

Ich glaube es ist wichtig, dass wir diese Debatte heute führen. Es gibt viele Gründe. Einer der Gründe dafür könnte sein, dass wir nicht nur Nachbarn sind, sondern, dass wir viele Beziehungen miteinander haben. Es geht unter anderem um die Frage, wie wir mit Bedrohungen in dieser Welt – in diesem Zusammenhang wurde gerade Nordkorea genannt – umgehen.

Es geht aber auch um die Frage, wie wir auf einem Kontinent der uns benachbart ist und der sehr wichtig für uns ist, zusammentreffen: Damit meine ich Afrika. Das Konzept der chinesischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklungshilfe ist völlig anders als unseres. Das stellt Herausforderungen nicht nur an die chinesische, sondern auch an unsere Seite. Deswegen ist es wichtig, dass wir heute sprechen.

Dabei ist es auch wichtig, eine gute Herangehensweise zu finden. Die Herangehensweise in Europa, in der westlichen Welt schwankt meistens zwischen öffentlicher Verurteilung auf der einen Seite und Wegducken aus wirtschaftlichen, politischen oder anderen Erwägungen auf der anderen Seite. Insofern ist dieser Dialog auch deshalb wichtig, damit wir für uns klären, wie unsere Position, wie unsere Herangehensweise sein soll. Ich möchte dem Berichterstatter sehr herzlich zu seinem Report gratulieren, denn ich glaube, dass die Herangehensweise ausgewogen ist.

Es ist auf der einen Seite wichtig, notwendige, klare Kritik zu üben und es darf bei allem Verständnis für kulturelle Unterschiede keine Abstriche bei der Frage der Menschenrechte geben. Der Kollege Prescott hat Recht wenn er sagt, dass dies für den Europarat, für seine Mitgliedsstaaten aber auch für ein Land wie China gilt.

Auf der anderen Seite ist es auch wichtig, eine Diskussion und einen konstruktiven Ansatz zu finden. Es sind die Fortschritte benannt worden, aber es wurden auch die Rückschläge und die Dinge, die nicht in Ordnung bzw. noch nicht erledigt sind erwähnt. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass es nicht darum geht, kulturelle Unterschiede zu nivellieren und auch nicht darum, irgendjemand eine Kultur, einen Glauben oder etwas anderes aufzudrücken, sondern es geht ausschließlich darum, dass wir uns alle gemeinschaftlich an das halten, wozu wir uns international verpflichtet haben, sei es im Europarat oder sei es darüber hinaus. Deshalb ist es wichtig, über Fragen wie Todesstrafe, Meinungs-, Presse- und Religionsfreiheit, das Justizsystem und viele andere Fragen zu sprechen. Ich frage mich manchmal, wer heute über dieses Thema reden würde, wenn es die Olympischen Spiele in China sowie die Auseinandersetzung und die Demonstrationen in Tibet nicht gegeben hätte.

Ein anderes, großes Problem liegt meiner Ansicht nach in der Tatsache, dass wir uns immer nur punktuell, wenn etwas auftaucht, mit dieser Frage beschäftigen und nicht wirklich versuchen, einen dauerhaften Ansatz zu finden. Deshalb kann ich diesen Bericht hier nur unterstützen. Wir müssen von einer kurzfristigen, ereignisbezogenen Betrachtungsweise wegkommen und einen langfristigen Ansatz finden, der die Interessen beider Seiten in Betracht zieht und dazu dient, die Situation vor Ort zu verbessern. Das ein solches Vorgehen funktionieren kann, zeigen Beispiele: Es gibt einen Dialog zwischen der Europäischen Union und China und es gibt auch einen Rechtsstaatsdialog, z.B. zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China. Auch wenn man vieles kritisieren kann, glaube ich, dass die Tatsache, dass sich im Rechtssystem einiges verändert hat auf diese Bemühungen zurückzuführen ist. Aus diesem Grund ist es wichtig, diesen Ansatz zu verfolgen und nicht zu fragen, was vor Olympia passieren wird – z.B. mit den Verhandlungen mit dem Dalai Lama – sondern zu fragen was nach Olympia passiert, wenn die Scheinwerfer der Fernsehstationen in Peking ausgegangen sind und sich das Licht der Weltöffentlichkeit auf andere, mindestens genauso wichtige Konflikte konzentrieren wird.

Deshalb ist es wichtig, in einen dauerhaften Dialog einzutreten und deswegen kann ich den hier
vorliegenden Report nur begrüßen.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Doc. 11660)

Danke Herr Präsident,

meine Damen und Herren,

in der sozial-demokratischen Fraktion gibt es verschiedene Meinungen, aber die ganz große Mehrheit der Fraktion ist überzeugt davon, dass dieser Bericht inhaltlich und zeitlich richtig ist. Es ist ganz wichtig, und ich möchte hier an Frau Merkel erinnern, die gesagt hat, dass es im Zusammenhang mit den Menschenrechten keine Interferenz, keine Einmischungen mehr gibt. Was wir hier vor uns haben, ist möglicherweise ein Justiz- und kein Militärputsch und es gibt in dieser Hinsicht, d.h. wenn es um die Demokratie geht, auch keine Einmischung mehr. Wenn wir so etwas kommen sehen, dann ist es unsere Pflicht, uns zu fragen, was wir dagegen tun können und diejenigen die dafür Verantwortung tragen davor warnen, das zu tun.

Ich möchte darin erinnern, dass vor einem Jahr das gleiche Verfassungsgericht schon einmal versucht hat, die Wahl des Präsidenten zu verhindern, weil sein Frau ein Kopftuch hat. Die Regierung hat politisch sehr klug reagiert und hat Neuwahlen ausgeschrieben. Das Resultat der Neuwahlen war die Antwort auf den Versuch des Verfassungsgerichtes: 47% der Bürgerinnen und Bürger haben die Regierung unterstützt. Jetzt fragen Sie sich einmal, was gemacht werden kann, wenn es wieder passieren würde, dass das Verfassungsgericht seine Macht überschreitet. Man kann Millionen, die zur Wahl gehen auf der Straße mobilisieren. Das ist höchstgefährlich, denn dann könnte aus dem Justiz- wieder ein Militärputsch werden. Das gab es auch schon in der Türkei. Das kann nicht im Interesse des Friedens sein, denn das würde die ganze Region und damit auch große europäische Interessen bedrohen.

Vielleicht ist ein Hinweis auf die Geschichte interessant: Wann und weshalb ist das Verfassungsgericht das erste Mal auf die gleiche Ebene wie das Parlament oder die Regierung gehoben worden? In England im 18. Jahrhundert, als die Emanzipation des Parlamentes sich darin äußerte, dass man das Verfassungsgericht aus den Klauen der Krone, der Exekutive herausholte. Niemals war die Idee aber, dass das Verfassungsgericht über dem Volk und seiner Vertretung, des Parlamentes, steht. Deshalb kann man das       , was in der Türkei passiert als möglichen Justizputsch betrachten, als völlige Überdehnung des rechtmäßigen Machtanspruches des Verfassungsgerichtes. Wenn das Verfassungsgericht findet, dass etwas falsch sei und nicht der Verfassung entspricht, dann muss es diesen Entscheid zurückweisen und nicht die Urheber in Frage stellen, wie es das tut, wenn es die Partei, die Regierungspartei an sich und die Personen in Frage stellt.

Ich glaube nicht Herr Van den Brande, dass man unsere Diskussion ganz von der Säkularismusfrage trennen kann, denn der Grund, die Argumentation des Verfassungsgerichtes ist ja der Hinweis auf Säkularismus. In der Türkei verstehen die Vertreter des Kemalismus Säkularismus ganz anders als in Frankreich, nämlich nicht als eine Autonomie der Religion und eine Autonomie des Staates, sondern der Staat beansprucht die Macht über die Religion und das ist etwas ganz anderes, als das was wir im europäischen Sinne als Säkularismus verstehen. Und das ist auch wieder ein falscher Machtanspruch. Letztlich versteckt sich dahinter die Vorstellung, dass die Justiz, eine politische Macht, die im Volk nicht mehr die entsprechende Machtbasis über die Justiz hat, sich das zurückholt, was sie in der Demokratie im Volk verloren hat. Das können wir nicht akzeptieren, das ist eine Verachtung der Demokratie, eine Verachtung des Willens des Volkes und letztlich auch eine Geringschätzung des Parlamentes.

Vielen Dank!

Hakki KESKIN, Deutschland, UEL/GUE

(Doc. 11623/Doc 11660)

Meine Damen und Herren,

der Verbotsantrag gegen eine Regierungspartei ist sicherlich insbesondere für die Westeuropäer und auch für mich schwer nachvollziehbar. Ich fürchte auch, dass die politische Stabilität des Landes möglicherweise in Gefahr gerät. Dieser Verbotsantrag ist nicht zufällig und vom Himmel gefallen. Als Abgeordneter des Bundestages mit türkischer Herkunft verfolge ich die Entwicklung in der Türkei mit großem Interesse. Ich habe über die Türkei eine Reihe Publikationen veröffentlicht. In meinem jüngsten Buch 2005 habe ich die Reformen der AKP gelobt, aber ich bin besorgt, über die Vorgehensweise der Regierung, insbesondere seit einem Jahr.

Ich gebe Ihnen einige Beispiele:

Die Vorbereitung einer Verfassung bedarf einer Kommission, einer Kommission aus verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen sowie unterschiedliche Parteien. Was tut die Regierung? Sie beauftragt einige, ihr nahestehende, Hochschullehrer und bereitet einen Entwurf vor und wollte diesen Entwurf zur Verfassung machen. Dann versucht die Regierung, die Hochschulen unter eigene Regie zu bekommen. Die Regierung versucht, das ganze Bildungswesen im eigenen Sinne zu formen, die Regierung versucht sogar die Medien zu kontrollieren. Die öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Rundfunkanstalten sind mehr oder weniger zu einem Organ der Regierung gemacht wurden. Auch die Versuche, die Justiz unter eigener Kontrolle zu haben, das alles hat mich und Millionen Menschen in der Türkei beunruhigt und wir sind besorgt über die Entwicklung in der Türkei.

Laizismus ist in einem Staat, deren Bevölkerung zum großen Teil Muslime sind von fundamentaler Bedeutung. Das ist nicht vergleichbar mit Ländern, in denen die Religion, die Gesellschaft und den Staat nach religiösen Modalitäten neu formen will. Dies ist aber in vielen islamischen Ländern leider der Fall; es gibt immer noch Kräfte die das wollen. Ich möchte nicht sagen, dass die Akademiker das wollen, aber es gibt die Befürchtungen und dies müsste man wirklich ernst nehmen.

Ich habe als Politikwissenschaftler gelernt, dass die Gewaltenteilung zu den Grundfundamenten eines demokratischen Rechtsstaates gehört. Und die Gewaltenteilung bedeutet, dass die Justiz das Recht hat, die Gesetze des Parlamentes und die Handlungen der Regierungen zu kontrollieren. Und genau das tut jetzt die Verfassung. Die Verfassung wird prüfen, inwieweit dieser Antrag        der Staatsanwaltschaft tatsächlich berechtigt ist, d.h. dass der Laizismus gefährdet ist.

Es gibt in jedem demokratischen Staat, unveräußerliche, unveränderliche Kriterien und auch der Artikel 20 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland besagt, dass der demokratische und soziale Bundesstaat nicht angetastet werden darf. Genauso ist das auch in der Türkei.

Ich danke Ihnen.