AL08CR27

AS (2008) CR 27

 

Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2008

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(3. Teil)

BERICHT

27. SITZUNG

Freitag, 27. Juni 2008, 10.00 Uhr

SCHRIFTLICHE REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH


Doris STUMP, Schweiz, SOC

(Doc. 11538)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

Die sozialistische Fraktion begrüßt diesen Bericht zum Schutz der Kinder vor dem Verlassenwerden oder gar der Aussetzung durch die Mutter bzw. die Eltern.

Erschreckend oft müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass heute noch auch in Europa Kinder nach der Geburt getötet, abgegeben oder ausgesetzt werden. Bezeichnenderweise gibt es dazu kein verlässliches statistisches Material, weder über das Ausmaß in den verschiedenen Ländern noch über die Umstände von Müttern oder Eltern, die ihr Neugeborenes nicht behalten und ins Leben begleiten wollen, noch darüber, ob das Geschlecht des Kindes den Entscheid einer Mutter in die eine oder andere Richtung beeinflusst.

Der Bericht hält einmal mehr und mit gutem Grund fest, dass Kinder ein Recht haben, in ihrer Familie aufzuwachsen und über ihre Herkunft informiert zu sein, deshalb werden die Mitgliedsländer aufgefordert, eine Familienpolitik zu entwickeln, die dazu beiträgt, dass dieses Recht auch gesichert ist.

Im Namen der sozialistischen Fraktion betone ich die Wichtigkeit der ersten zwei Empfehlungen der Resolution, die die Mitgliedsländer eben genau an dieses Recht der Kinder erinnern und sie gleichzeitig auffordern, alles zu unternehmen, dass das Kind bei der Mutter oder ihrer Familie bleiben kann, das beginnt bei der Unterstützung der schwangeren Frau und geht bis zur finanziellen Unterstützung von Familien und zur Bereitstellung von Finanzierung von Kinderbetreuungsmöglichkeiten. Oft sind nämlich finanzielle Probleme die Ursache eines Entscheids gegen ein Kind. Eine umfassende und unterstützende Familienpolitik trägt wesentlich dazu bei, dass Kinder bei ihren Eltern oder zumindest bei ihrer Mutter aufwachsen können.

Die Empfehlungen umfassen eine breite Palette von Maßnahmen, die dazu beitragen können, dass Neugeborene nicht verlassen oder ausgesetzt werden: Information über Verhütung und Abtreibung sowie das Angebot einer geschützten Geburt, so dass die Mutter anonym gebären kann, das Kind jedoch, unter guten Umständen sogar beim Erreichen des 18. Alterjahres die Identität der Mutter erfahren kann. Die sozialistische Fraktion unterstützt diese unterschiedlichen Maßnahmen alle, denn sie alle können dazu beitragen, dass eine Mutter ihr Kind nach der Geburt nicht verlässt.

Die Adoption ist sicher eine geeignete Möglichkeit, Kindern, die aus irgendwelchen Gründen nicht bei ihrer biologischen Familie aufwachsen können, ein familiäres Umfeld zu bieten und ihnen Geborgenheit zu geben.

Zu Recht weist der Bericht jedoch darauf hin, dass es seit einiger Zeit in Europa einen Markt für Adoption gibt. Viele kinderlose Paare möchten unbedingt ein Kind adoptieren. Dem stehen nicht ebenso viele elternlose Kinder gegenüber. Deshalb muss vermieden werden, dass Frauen, die sich in einer finanziellen oder sozialen Notlage befinden, von Behören oder medizinischem Personal dazu verleitet werden, ihr Kind zur Adoption freizugeben, wenn zum Beispiel die finanziellen Voraussetzungen nicht gegeben sind, ein Kind zu erziehen. Im Namen der sozialistischen Fraktion betone ich nochmals, dass zuerst die biologischen Eltern eines Kindes finanziell unterstützt werden müssen, bevor die Freigabe zur Adoption eingeleitet wird.

Der Bericht weist auch darauf hin, dass es nicht nur um die Rechte des Kindes geht, sondern auch um die Rechte von Vater und Mutter, die gewährleistet müssen. Dieser Hinweis verdient volle Unterstützung.

Dazu muss ich noch eine persönliche Bemerkung machen:

Rechte sollen auch Pflichten beinhalten, deshalb habe ich zusammen mit Kolleginnen einige Anträge eingereicht, die verlangen, dass die Männer, potentiellen Väter und Väter in die zutreffenden Maßnahmen einbezogen werden, so dass sie sich auch ihrer Verantwortung und ihrer Pflichten bewusst werden. Die Kommission hat diese Anträge alle einstimmig angenommen, weshalb wir sie hier nicht mehr diskutieren werden. Ich möchte mit bedanken, dass sie so entschieden hat.

Im Namen der sozialistischen Fraktion empfehle ich die Resolution zur Annahme.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Doc. 11629)

Meine Damen und Herren,

als ich diesen Bericht übernehmen durfte, habe ich auch nicht gewusst, wo diese beiden Inseln, Gökçeada und Bozcaada, sind. Ich musste sie zuerst auch auf der Landkarte suchen, durfte sie aber dann besuchen und habe gemerkt, dass das unglaubliche schöne Inseln sind, am Anfang der Dardanellen, d.h. auf der Straße zum Schwarzen Meer. Es handelt sich um die westlichsten Inseln der Ägäis. Es sind nur ganz wenige Inseln der Ägäis, die zum Staatsgebiet der Türkei gehören. Das wurde 1923, im berühmten Vertrag von Lausanne, so festgelegt. Diese Inseln gehörten zwar immer zur Türkei und im ottomanischen Bereich waren sie schon Teil der Türkei, aber sie hatten immer eine starke, zum Teil sogar dominierende griechische Kultur. Es waren Türken mit einer griechischen Identität und Herkunft, die auf diesen Inseln gewohnt haben.

Das Problem ist, dass es vor ungefähr 50 Jahren, 1960, auf der größeren der beiden Inseln, auf Gökçeada (die auf griechisch Imbros heißt) noch 5500 Einwohner gegeben hat, von denen nur 250 ethnisch türkisch, gewesen sind. Es waren immer türkische Staatsbürger, aber die große Mehrheit war griechischer Identität. Heute ist es genau umgekehrt. Innerhalb von nur 50 Jahren hat sich die Situation derart geändert, dass heute noch genauso viel Menschen dort leben, aber nur noch 250 von denen, die ursprünglich griechischer Herkunft gewesen sind.

Auf Tenedos bzw. Bozcaada, der kleineren der beiden Inseln ist die Integration bzw. das Gleichgewicht der beiden Communitys immer besser gewesen, aber auch dort hat es sich umgekehrt: Insgesamt leben dort 2000 Einwohner, von denen heute nur 25 griechischer Herkunft sind. Es geht nicht um die Bürgerschaft, sondern um die kulturelle Identität.

Das war der Grund dafür, die Bikulturalität dieser beiden Inseln bewahren zu wollen. Wenn wir dieses Ziel erreichen wollen, müssen wir heute mit den türkischen Behörden und den Organisationen der griechischen Kultur zusammen, aber auch mit den Communitys und Behörden auf den Inseln versuchen, den Trend zur Erosion, die zur Ausrottung der griechischen Kultur führen würde, aufzuhalten. Wenn wir diesen Trend stoppen wollen, dann müssen wird die Bewohner der Inseln aus dem großen politischen Konflikt, der die beiden Nationen seit 50 und sogar mehr Jahren bedrängt, herausholen. Wenn wir auf die große Einigkeit warten, wird die griechische Kultur auf diesen beiden Inseln verschwinden. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden. Im schulischen Bereich bedarf es einer Schule für die griechischsprachigen Kinder türkischer Eltern bzw. Bürger. Es braucht die Häuser, in denen diese Menschen wohnen dürfen. Ich möchte dazu erwähnen, dass es auf der größeren der beiden Inseln, Gökçeada, Regionen gibt, die wie von einem Krieg verwüstet aussehen: verheerende Dörfer, Geisterdörfer, in denen niemand mehr wohnt, die aber vor 50 Jahren noch zu den blühendsten, reichsten Dörfern der ganzen Türkei gehört haben. Diese Renovierungen müssen stattfinden können, die damit verbunden Eigentumsrechte müssen geklärt werden und dafür sind besondere Anstrengungen nötig.

Der Wille, etwas Besonderes zu tun wurde bei unserem Besuch – und ich möchte mich bei allen Behörden für ihre Offenheit während unseres Besuches bedanken – von niemandem bestritten. Von Seiten der türkischen Behörden auf den Inseln wird sogar Bedauern ausgedrückt, über die Zerstörung ganz alter Häfen. Es ist nicht der Wille, der fehlt, etwas Besseres zu tun, damit dies einerseits nicht mehr passiert und damit andererseits jene, die die Inseln verlassen mussten wieder zurückkommen und neue Menschen aus Griechenland wieder kommen und, sozusagen nach Hause kommen.

Ich hatte den Eindruck, dass alle wissen, dass es für beide Communitys von Vorteil wäre, die Zweisprachigkeit, die Bikulturalität aufrechtzuerhalten, denn dann würde auch das Kapital kommen, dass nötig ist, um die Entwicklung der Inseln im Interesse beider Communitys voranzutreiben.

Es war ganz wichtig, dass die beiden früheren Präsidenten der griechischen und türkischen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarates, Mrs Elsa Papadimitriou und Mr Murat Mercan schon vor 4 Jahren die Initiative ergriffen haben, diesen besonderen Weg zu gehen. Obwohl die Spannung, die dank der beiden Regierungen in den letzten vier bis fünf Jahren abgebaut wurde, ist die Konfliktsituation noch ausreichend groß, um beider Initiative als eine große Leistung zu würdigen. Im Sinne dieser beiden Initianten habe ich versucht, in meinem Bericht einen Ton zu finden und Vorschläge zu machen, die in den Interessen der beiden Communitys wären. Ich habe bei der Formulierung der Resolution bis in die letzten Minuten versucht, Kompromissformulierungen zu finden – sie werden das bei den Amendments, bei denen es auch Oral Amendments gibt, sehen –, um das Ziel zu erreichen, dass etwas getan wird, dass etwas im Interesse beider getan wird. Dazu muss jeder ein bisschen über seinen Schatten springen. Es ist der Eindruck aller, dass etwas getan werden muss, um die Zweikulturalität aufrechtzuerhalten.

Wenn wir etwas tun für die heute bedrohte Minderheitskultur, die früher die Mehrheit war, dann tun wir auch etwas im Interesse der Mehrheit, denn die Diversität, die Vielfalt der Kultur auf beiden Inseln ist im Interesse beider Communitys. Die Förderung der Minderheit wird letztlich auch zur Förderung der Mehrheit führen.

Ich hoffe, dass dieser Kompromisscharakter der Resolution von beiden anerkannt wird und dass wir ihn aufrechterhalten können, denn dann hätten wir etwas getan für den Reichtum dieser geschichtsträchtigen Gegend und wir müssen darauf achten, dass der Charakter dieser Geschichte auch in der Zukunft überleben kann.

Holger HAIBACH, Deutschland, EPP/CD/PPE/DC

(Doc. 11629)

Herr Präsident,

liebe Kolleginnen und Kollegen,

Auf den ersten Blick kann man sich sicherlich fragen, warum ausgerechnet diese beiden Inseln ein Grund sind, hier einen Bericht zu machen und diesen Bericht zu diskutieren, wo es doch größere, vielleicht andere Konflikte gibt, außerhalb und innerhalb des Gebietes des Europarates und ich glaube, der Grund liegt einerseits bei der besonderen Geschichte dieser beiden Inseln und andererseits in den besonderen Symbolen, die mit dieser Geschichte verbunden sind.

Auf der einen Seite, das Symbol dass es zwischen zwei Ländern zu schwierigen Situationen, zu langwierigen Spannungen kommen kann. Auf der anderen Seite, dass es eben Parlamentarier gewesen sind, und die Initiativen von Mrs Elsa Papadimitriou und Mr Murat Mercan sind ja erwähnt worden, die dazu führen, dass man solche Dinge dann auch angeht und versucht, Lösungen zu finden. Und auch, dass es sogar unter schwierigen Bedingungen, wenn es um ganz schwierige Fragen von Nationen geht, möglich ist, Lösungen zu finden, zumindest auf Lösungen hinzuarbeiten. Insofern möchte ich auch Herrn Gross ganz herzlich gratulieren.

Dieser Bericht hat nicht nur, wie ich sehe, politisches Fingerspitzengefühl erfordert, sondern fast noch mehr diplomatisches Geschick, denn es ist keine ganz einfache Angelegenheit, über Themen zu sprechen, die für zwei Nationen sensibel sind. Insofern steht die Geschichte der beiden Inseln sicherlich auch als Symbol dafür, wie kleinere Gemeinschaften, wie Menschen vor Ort, sozusagen der kollaterale Schaden größerer Konflikte werden. Und ich finde, wir würden gut daran tun, wenn wir uns bei dieser Frage hier auf die Situation der beiden Inseln konzentrieren würden und sie nicht mit anderen Konflikten, die diese beiden Länder miteinander vielleicht haben und die sie vielleicht hoffentlich auch bald lösen werden, in Verbindung bringen. Denn es geht hier um die Menschen vor Ort, um die Menschen auf diesen beiden Inseln.

Es drängt sich mir manchmal der Eindruck auf, dass wenn Sie sich all die großen Konflikte in der Welt anschauen, sei es Israel – Palästina, seien es andere Konflikte, es sehr viele gibt, die große Lösungen vorschlagen, es werden viele große Konferenzen gemacht, es werden viele wahnsinnig tolle Ideen entwickelt, aber das Entscheidende ist doch, dass für die Menschen vor Ort erkennbar wird, dass sich ihre Situation verändert, d.h. ganz konkret, dass sie sich verbessert. In dem Moment wo sich die Situation der Menschen vor Ort sich verbessert, macht es wirklich einen Unterschied, dass jeder Mensch glaubt, dass es so etwas wie Frieden und Gerechtigkeit gibt.

Deswegen ist es wichtig, dass wir unterhalb der Ebene der großen Konflikte darauf hinwirken, dass sich die Situation der Menschen vor Ort verbessert und genau darum, so verstehe ich zumindest diesen Bericht, geht es eigentlich auch. Und ich bin außer den beiden Delegationsleitern, die damals diesen historischen Versuch, diese historische Reise unternommen haben, auch den beiden Delegationen dankbar. Ich habe im Rechtsausschuss erleben dürfen, wie die Diskussion gelaufen ist, und ich weiß, dass die eine oder andere Formulierung für beide Delegationen wirklich die Schmerzgrenze bedeutet, und dass man ringen muss, und ich hoffe, dass dieses Ringen sich in positive Energie für die Lösung dieses Konfliktes vor Ort umsetzt und ich hoffe auch, dass die Diskussion konstruktiv bleibt, auch heute, wenn wir über die verschiedenen Änderungsanträge diskutieren werden. Ich bin der Ansicht, dass es entscheidend ist, dass von uns ein Signal ausgeht, dass uns die Menschen vor Ort wichtig sind, denn die Menschen vor Ort sind diejenigen, die zum Schluss den Frieden bedingen und die sozusagen auch den Frieden produzieren. Es gibt im Englischen diesen schönen Spruch: „Let the people on the ground do the job“. Es lässt sich in Deutsch kaum besser sagen, aber genau darum geht es am Ende des Tages.

Insofern wünsche ich mir, dass wir hier eine konstruktive Diskussion führen und ich gratuliere nochmals dem Berichterstatter.

In dem Zusammenhang, würde ich gerne noch hinzufügen: es ist wichtig, dass wir die Leute vor Ort dabei unterstützen, ihr Leben selbstbestimmt zu führen, denn dieser Bericht – und darum geht es im Kern der ganzen Angelegenheit – dieser Bericht handelt nicht von Vergangenheit und von Symbolen, sondern von den Menschen und von der Zukunft.

Danke.