Provisorische Ausgabe
SITZUNGSPERIODE 2010
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(2. Teil)
BERICHT
13. SITZUNG
Dienstag, 27. April 2010, 15.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Gisela WURM, Österreich, SOC
(Dok. 12195)
Danke, Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren,
Vor ca. einem Jahr, als die Finanz- und Wirtschaftskrise gerade ihren Höhepunkt erreicht hatte, regte ich mit einigen Kolleginnen eine „Motion for Resolution“ an, um die Auswirkungen der Krise auch auf die Frauen untersuchen zu können. Es tut mir persönlich leid, dass die Berichterstatterin, Frau Memecan, heute nicht da sein kann, da eine wichtige Verfassungsabstimmung im türkischen Parlament angesagt ist. Daher ist es mir eine große Ehre, diese Aufgabe zu übernehmen.
Sie mögen jetzt denken: „Die Krise ist doch schon vorbei! Das Wesentliche ist überstanden, der Aufschwung kommt schon wieder und die Wirtschaft beginnt wieder, zu florieren. Die Finanzmärkte sind saniert, der IWF gestärkt, die Bankenabgabe kommt – da können wir doch so weiter machen wie bisher! Warum daher ein Bericht zur Frauenfrage?“
Die Frauen haben in der Wirtschaft nicht wirklich ein großes Gewicht, zumindest nicht dort, wo wir sie auch gerne hätten, nämlich in den entscheidungsfindenen Gremien, in den Chefetagen! Sie finden Frauen zwar sehr wohl bei Banken, aber hinter den Schaltern; auf den höheren Ebenen sind sie sehr selten, wenn überhaupt anzutreffen.
Daher ist es nicht von ungefähr, dass diese größte Bank in den USA, die nahezu die gesamte Finanzwelt zum Strudeln brachte, Lehman Brothers hieß, und nicht Lehman Sisters. Es ist eben so, dass die Brüder hier ihre Geschäfte machten, und nicht die Frauen!
Erinnern Sie sich als letztes an die große Bankenkrise in Island: Die einzige Frau, die sich in den Chefetagen befand, ist 2006 gegangen. Alle anderen, die Entscheidungen trafen, waren Männer.
Mit anderen Worten: Diese Krise wurde leider von den Männern gemacht. Das würde uns jetzt nicht so berühren, wenn diejenigen, die sie verursacht haben, sie jetzt auch auslöschen würden. Doch dem ist nicht so.
Wenn jetzt in den verschiedenen Parlamenten große Konjunkturpakete geschnürt wurden, wenn Banken gerettet wurden, dann sind es im Endeffekt die Steuerzahler, die jetzt bezahlen müssen. Überall spricht man vom Sparen und davon, dass die Haushalte konsolidiert werden – da werden die Hausfrauen dabei sein, aber nicht in der Haushaltsführung, sondern als Steuerzahlerinnen. Auch das sei hier gesagt.
Hier werden wir sehr aufpassen müssen, dass nicht diejenigen zum zweiten Mal die Zeche zahlen, die vorher schon bezahlt haben: oft dadurch, dass sie ihren Arbeitsplatz verloren oder in Kurzarbeit gerieten, und dass die Krise jetzt in den Dienstleistungsbereichen angekommen ist, in denen vor allem Frauen arbeiten - Frauen in prekären Arbeitsverhältnissen, die dann auch noch ihren Arbeitsplatz verlieren, ohne abgesichert zu sein.
Es ist leichter, einer Frau mit einem Gehalt von 400, 500 oder 600 € zu sagen: „Wir können Sie leider nicht weiter beschäftigen“, als einem Herrn, der gut organisiert in der Gewerkschaft seinen Platz gefunden hat.
Wenn wir nun über die Konsolidierung der Haushalte sprechen, dann müssen wir auch über eine Änderung des Finanzsystems sprechen. Wenn wir besprechen, wo gespart werden soll, damit die Budgets wieder in die Grenzen der Maastricht-Kriterien kommen, zu denen wir als EU-Mitglieder uns verpflichtet haben, dann hätte ich schon verschiedene Vorschläge!
Wir werden auch dort sparen müssen, wo die großen Spekulationsgewinne gemacht wurden. Ich spreche hier von einer europaweiten Finanztransaktionssteuer, von Börsenumsatzsteuern. Wieso sollen nur diejenigen, die ein kleines Sparbuch haben, zur Kapitalertragsteuer herangezogen werden; hier gibt es auch andere Methoden, um jene zur Kasse zu bitten, die bisher in falsch verstandener Art des Kasino-Kapitalismus ohne Rücksicht auf Verluste ihre großen Gewinne gemacht haben!
Also sprechen wir davon, dass auch die Reichen und Superreichen zur Kasse gebeten werden, sprechen wir über Spekulationsabgaben, Finanztransaktionssteuern und Börsenabgabesteuern, und achten wir darauf, dass nicht jene zum zweiten Mal zur Kasse gebeten werden, die jetzt schon zu den Ärmeren unserer Gesellschaft gehören - und das sind vor allem die Frauen.
Herzlichen Dank.
Albrecht KONEČNỶ, Österreich, SOC
(Dok. 12026, 12200, 12195, 12103)
Danke Herr Präsident!
Mein Damen und Herren,
Ich hoffe, dass ich nicht zu optimistisch bin, wenn ich meine, dass wir jetzt in der zweiten Stufe der Krise sind, denn Fachleute warnen uns ja, dass bei den industriellen Immobilien eine ähnliche Blase zu platzen droht, wie wir sie bei den amerikanischen Einfamilienhäusern hinter uns gebracht haben.
Unter dieser Annahme, dass wir in der zweiten Phase sind, gilt es zunächst erst einmal, die erste Phase zu betrachten. Es war eine gnadenlose, mitleidlose Hyper-Risiko-Spekulation, in die sich weltweit Banken und eine beträchtliche Zahl von Industrieunternehmen eingelassen haben.
Es waren die Staaten, die zunächst einmal mit riesigen Beträgen die Banken vor dem Zusammenbruch zu retten hatten und gleichzeitig mit riesigen Konjunkturpaketen versuchen mussten, die Wirtschaft ihrer Länder wieder einigermaßen in Gang zu bringen. Die Kosten waren gewaltig.
Doch es waren zwei Arten von Kosten: Solche, die zunächst einmal Staaten zu tragen hatten, zugleich aber auch solche, die Menschen zu tragen hatten und zwar – wie es immer ist – die schwächsten Gruppen der Gesellschaft. Das wird von den vielen Berichten aufgezeigt, die wir heute debattieren und zu denen man naturgemäß nicht im Detail in einer Rede Stellung nehmen kann: Immigranten, Frauen, Familien, weniger qualifizierte Arbeiter; hinzu kommen Rentner, die ihr Geld in auf Aktien aufgebaute Fonds eingezahlt haben und ihren Lebensstandard nicht halten konnten - all diese sind genauso die Opfer der Krise.
Wenn wir jetzt in der zweiten Phase davon sprechen, dass naturgemäß die Staaten die Mittel, die sie vorgeschossen haben, nicht allein vom Konjunkturverlauf durch höhere Steuern zurückbekommen, sondern Maßnahmen treffen müssen, dann geht es ganz entscheidend darum, dass nicht jene, die für diese Krise schon bezahlt haben, nämlich die kleineren Leute, dafür nochmals zur Kasse gebeten werden.
Jene, die die Krise verursacht haben, zahlen sich heute schon wieder Riesenboni aus und sitzen immer noch an den Schalthebeln der ökonomischen Macht. Die anderen hingegen sind arbeitslos, haben vielleicht keinen Kindergarten mehr zur Verfügung, weil ihre Gemeinde meint, sparen zu sollen, oder sind in einer anderen Weise direkt zur Kasse gebeten worden.
Es ist in dieser Phase entscheidend, die soziale Versorgung der Bevölkerung und die Hilfen für die Familien, insbesondere in sozialen Einrichtungen, unvermindert aufrechtzuerhalten und die notwendigen Mittel anderswo aufzutreiben: erstens dort, wo sie vorhanden sind, und zweitens dort, wo die Krise verursacht wurde.
Die Volkssprache hat manchmal eine verborgene Weisheit. In der österreichischen Version des Deutschen könnte ich den Satz sprechen: „Diese Wirtschaft hat wirklich eine Wirtschaft angerichtet“, weil in unserer Sprache das Wort Wirtschaft zwei Bedeutungen hat: Ökonomie und Chaos.
Doris BARNETT, Deutschland, SOC
(Dok. 12026, 12200, 12195, 12103)
Vielen Dank, Herr Präsident!
Ich danke ausdrücklich den Berichterstattern für die intensive und gute Arbeit, mit denen sie die Herausforderungen, vor denen wir stehen, in den vier Entschließungen eindrucksvoll beschrieben und auch Vorschläge unterbreitet haben.
Denn aus gemachten Fehlern kann man lernen – man muss aber nicht. In vielen Ländern – auch in meinem eigenen – hört man vielerorts wieder, dass alles ja noch mal gut gegangen ist, dass alles nicht so schlimm ist wie befürchtet!
Das würde ja bedeuten, dass wir möglichst schnell und möglichst schmerzlos auf den Trampelpfad des alten Wachstumsmodells zurückkehren sollen, der uns schließlich in die Krise geführt hat. Gerade heute haben die Republikaner im US-Repräsentantenhaus das Verfahren von Präsident Obama zur Finanzreform gestoppt, wohl um „hinter verschlossenen Türen, wo die Lobbyisten der Finanzwelt die Reformen schwächen oder sogar kaputtmachen können, die Diskussion weiter zu führen“.
Mit der Krise kam doch mehr ins Wanken als nur die Finanzmärkte. Es stellen sich heute doch ganz andere Fragen: Soll unser Wachstum nach wie vor auf Spekulationen beruhen, die zusammenbrechen können wie ein Kartenhaus und ganze Nationen ruinieren? Soll der Raubbau an Ressourcen dem Wohlstand von morgen weiterhin die Grundlage entziehen können? Ist Wachstum nach wie vor wünschenswert, das wenige bereichert und in dem immer mehr Menschen abgehängt werden?
In der Tat müssen wir eine breit angelegte Diskussion in unseren Ländern, aber auch hier in unserer Versammlung führen, wie wir eine neue Vision von Fortschritt entwickeln können, die über die alten Maßstäbe des Wachstums hinausweist.
In den Entschließungen werden einzelne Facetten der Krisenbewältigung behandelt, die wir in unseren Heimatparlamenten beachten sollten:
Protektionismus muss überwunden werden;
Gewinne sollten über Qualität, Innovation und andere Merkmale erzielt werden, nicht durch Lohndumping;
kleine und mittelständische Unternehmen, Existenzgründer, brauchen echte Überlebenschancen, die nicht durch Kreditzurückhaltung der Banken von vornherein zunichte gemacht werden – deshalb muss auch Basel II auf den Prüfstand;
soziale Sicherung muss neu gedacht werden;
in diesem Zusammenhang würde ich mich freuen, wenn wir hier beim Europarat die Vorbildfunktion beibehalten und befristet Beschäftigte nicht zu Austauschobjekten machen;
energetisches Bauen und Sanieren hilft nicht nur der Umwelt, sondern reduziert auch Heizkosten massiv und hilft so der Bevölkerung;
durch Innovationen können Arbeitsplätze entstehen, aber auch entfallen. Deshalb haben wir dafür Sorge zu tragen, dass junge Menschen die bestmögliche Ausbildung erhalten – möglichst kostenlos – und anschließend auch Beschäftigungsmöglichkeiten vorhanden sind;
über eine familienfreundliche Gesellschaft müssen wir zu einer menschenfreundlichen Gesellschaft kommen, die sich nicht nur um höhere Geburtenzahlen und die Wohlfahrt der Kinder kümmert, sondern auch um Senioren, deren Wissen und Leistungsfähigkeit als Ressource nicht verloren gehen darf, die aber andererseits auch einer anderer Behandlung und Betreuung bedürfen;
und schließlich brauchen wir eine Unternehmenskultur, die Wettbewerb und Gewinnerzielung nicht zum Selbstzweck, zum Spiel auf Leben und Tod werden lässt, weil sonst staatliche Eingriffe, die wir ja nicht wollen, zwangsläufig mehr werden, um das eigene Land, den Wirtschaftsraum zu schützen.
Wir haben einen weiten Weg vor uns – und der beginnt bekanntlich mit den ersten Schritten. Und die beginnen wir heute.
Vielen Dank.
Erich Georg FRITZ, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC
(Dok. 12026, 12200, 12195, 12103)
Herr Präsident,
meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die Debatte in diesem Saal nach den guten Berichten der Berichterstatter hat Zorn und Mitgefühl gezeigt, und Vorschläge für die Zukunft gebracht; in sofern befindet sich diese Versammlung in einer guten gemeinschaftlichen Bevölkerung in unseren Ländern.
Gerade in einer Krise zeigt sich, ob eine Gesellschaft zu Menschlichkeit und Solidarität in der Lage ist. Es wird sich aber auch in der Krise erweisen, ob wir die richtigen Antworten für die Zukunft finden.
In Deutschland hat sich im stärksten Wirtschaftsrückgang in mehr als sechzig Jahren erwiesen, dass konsequentes staatliches Handeln den Menschen Sicherheit geben kann. Der Schutz der Spareinlagen, die konsequente Unterstützung der Sozialsysteme und die Anwendung von Instrumenten, um Arbeitslosigkeit zu vermeiden, haben ihre Wirkung gezeigt und den Arbeitsmarkt vergleichsweise stabil gehalten. Das gibt Menschen Zuversicht.
Genau so wichtig ist aber auch die Verantwortung von Unternehmen. Es hat sich gezeigt, dass die kleinen und mittleren Unternehmen wesentlich besser auf ihre Mitarbeiter eingestellt sind und sie nicht nur als Kostenfaktor ansehen, wie Großunternehmen das tun.
Die längere Zahlung von Kurzarbeitergeld, ein Instrument in Deutschland, hat die Übernahme von Sozialversicherungsbeiträgen für die Unternehmen mit sich gebracht, aber auch eine dreifache Wirkung gezeigt, die man nicht unterschätzen darf:
1. Die Würde der Arbeitnehmer bleibt erhalten, sie werden nicht entlassen, sie haben auch in der Krise das Bewusstsein, dass sie für ihr Unternehmen wertvoll sind, und sie erhalten einen großen Teil ihrer Kaufkraft.
2. Die Unternehmen werden entlastet und können die Rezession besser überstehen.
3. In den Unternehmen, die dadurch ihre bewährten Mitarbeiter behalten, bleiben Wissen, berufliche Erfahrung und Motivation der Mitarbeiter erhalten.
Insofern kann der Staat dazu beitragen, Brücken zu bauen, die dann auch intensiv genutzt werden. Die Rolle des Staates in der Krise darf also nicht unterschätzt werden. Das sollte vor allem von jenen nicht vergessen werden, die noch vor kurzem dachten, der Staat störe eigentlich nur. Die soziale Marktwirtschaft ist immer davon ausgegangen, dass wir beides brauchen.
Natürlich dürfen wir aber auch nicht dem Irrtum verfallen, der Staat sei nun auf Dauer besser geeignet, Wirtschaft zu organisieren und den Menschen Einkommen und Sicherheit zu gewährleisten. Die dezentrale Entscheidung in den Unternehmen, die Autonomie der Tarifpartner und der Wettbewerb sind auch in Zukunft die Grundlage für kreatives, innovatives und wirkungsvolles Wirtschaften, das die Grundlage für Wirtschaft darstellt.
Die Krise wird aber dauerhaft nur zu bewältigen sein, wenn Fehlentwicklungen in Grenzen gehalten werden können, und wenn der Markt, der als Instrument unersetzlich ist, eine regulative Idee erhält.
Dass der Wettbewerb natürlich wirkungsvoll ist, dass die elektive Lösung, der Suchprozess ist, nur über Wettbewerb geschehen kann, darüber sind wir uns weitgehend einig. Doch ein Wettbewerb ohne Regeln schadet dem Allgemeinwohl und schafft mehr Probleme als er selbst zu lösen in der Lage ist.
In einer globalen Wettbewerbswirtschaft müssen auch die Regeln global sein. Deshalb ist die Entwicklung einer internationalen sozialen Marktwirtschaft der Leitgedanke, der die Wirtschaft zum Wohle aller Menschen gestalten kann.
Die Freiheit der leistungsfähigen und leistungsbereiten Menschen und ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Solidarität mit den Schwächeren, ihre Bereitschaft, Verantwortung für die Umwelt zu übernehmen, und dafür zu sorgen, dass ein Wirtschaft eine ethische Grundlage hat, zukunftsfähig sein kann, indem die wesentlichen Teile von Nachhaltigkeit zu einem neuen Leitbild zusammengefasst werden, das dazu geeignet ist, die Form des Wirtschaftens dauerhaft zu verändern, das ist das, was diese Parlamentarische Versammlung motiviert, sich damit zu beschäftigen und einen Beitrag dafür zu leisten, dass diese Welt neue Regeln bekommt.
Herzlichen Dank.
Gisela WURM, Österreich, SOC
(Dok. 12195)
Danke Herr Präsident!
Sehr geehrte Damen und Herren,
Auch einen herzlichen Dank für die interessanten Wortmeldungen und Beiträge. Lassen Sie mich auf einige speziell eingehen:
Die Kollegin aus Serbien, Frau Kovács, hat einige Maßnahmen angesprochen, die unbedingt zu ergreifen wären, wenn diese Welt gerechter sein sollte, wenn sie mit mehr Gleichstellungspolitik, unseren Politiken versehen werden sollte. Sie sprach zum Beispiel von Strukturfonds, die in Bezug auf Gendergerechtigkeit evaluiert werden sollten. Auch hat sie von einer Neubewertung der Arbeit gesprochen – was ist welche Arbeit wert? Wieso ist es weniger wert, wenn man die kranke Mutter zu Hause pflegt, als wenn man beispielsweise in einem technischen Beruf arbeitet?
Es wurde auch darüber gesprochen, dass auf der Ebene der europäischen Sozialpartner die Tarifverhandlungen entsprechend gerechter geführt werden sollen, damit Einkommensunterschiede zwischen Frauen und Männern verringert werden. Auch von Bildung, Bildung, Bildung wurde gesprochen. Bildung ist die Zukunftsinvestition in unseren Ländern.
Auch von Gender Budgeting war, wie ich es verstanden haben, die Rede. Dabei geht es darum, dass wir uns anschauen, wie unsere Budgets auf Frauen und Männer wirken, inwieweit sie geschlechtergerecht sind oder nur für eine bestimmte Gruppe wirksam werden.
Was Frau Kovács besonders gefordert hat und was mir besonders gefällt: Wir sprechen in verschiedenen Bereichen immer wieder von Umweltverträglichkeitsprüfung; ich hätte bei unseren Gesetzen – ganz gleich welchen – gerne eine Frauenverträglichkeitsprüfung, das täte uns allen recht gut!
Frau Sosa Govea hat gesagt, dass sie mit der Berichterstatterin in Bezug darauf übereinstimmt, dass Frauen vielleicht die besseren Entscheidungen treffen würden. Ich habe diesen Bericht übernommen; ich bin nicht automatisch der Auffassung, dass Frauen biologisch die besseren Menschen sind. Doch bin ich der Überzeugung, dass die Welt gerechter ist, wenn sie fifty-fifty aufgeteilt ist. Wenn so aufgeteilt wird, wie wir uns heute in dieser Welt befinden - die Hälfte Männer, die Hälfte Frauen -, wird es um ein Vielfaches fairer und gerechter zugehen.
Daraus leiten sich meine zusammenfassenden Worte zu dieser Thematik ab: Es ist nicht nur eine Frage der Fairness, dass Frauen und Männer gleichberechtigt an den Entscheidungsprozessen in Wirtschaft und Politik beteiligt werden müssen, sondern es ist wirtschaftlich, politisch und moralisch sinnvoll.
Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist kein Luxus, den wir uns nur in guten Zeiten als fernes Ziel leisten können. Die Gleichberechtigung der Geschlechter ist ein moralischer Imperativ, ein ehrliches Instrument zum Einbinden der gesamten Gesellschaft in die Teilhabe an der globalisierten Wirtschaft und eine Chance, dem Boom-Bust-Kreislauf endlich zu entkommen. Ich glaube, dass ich Ihnen nicht vorrechnen muss, wie viele Arbeitsplätze im Bildungs-, Betreuungs- und Pflegesektor mit nur einem Bruchteil der Milliarden hätten geschaffen werden können, die an den Finanzmärkten verspielt worden sind.
Sind unsere Konjunkturpakete für alle Gesellschaftsschichten ein Erfolg gewesen? Fragen wir doch einmal die Frauen und lassen wir sie mitentscheiden. Beenden wir doch endlich einmal die jahrzehntelange Diskriminierung der Frauen in der Wirtschaft. Schließen wir endlich die Gehaltsschere zwischen Männern und Frauen. Heben wir Frauen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft in Führungspositionen!
An Beispielen mangelt es nicht: Führen wir Frauenquoten ein in Aufsichtsräten, wie in Norwegen; in unseren politischen Parteien, wie in Portugal; praktizieren wir paritätische Regierungsbildungen, wie in Spanien, und entgehen wir somit der nächsten Krise! Dies wäre mein Wunsch und der Wunsch des gesamten Gleichberechtigungsausschusses. Ziehen wir die richtigen Lehren aus dieser Krise und setzen wir sie so bald wie möglich zum Wohl der gesamten Menschheit um.
Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um mich herzlich bei Frau Tanja Kleinsorge zu bedanken: Sie hat in den letzten sieben Jahren unseren Ausschuss sehr gut betreut. Sie war ein Motor unseres Ausschusses und immer da, wenn es darum ging, entsprechende Fachauskünfte zu erhalten, auch wenn es oft um Zuspruch ging. Herzlichen Dank Tanja, du wirst uns fehlen, aber wir werden dich hier noch oft als Betreuerin des Sozialausschusses sehen.
Ich würde mir hier vom Europarat wünschen, dass wir mit unserer Gleichstellungspolitik, ganz gleich, ob auf Angestelltenebene oder bei den Führungspositionen, die ganz besonders wichtig sind, als lebendes Beispiel vorangehen, denn sonst sind wir nicht glaubwürdig. Und wenn die Glaubwürdigkeit in der Politik fehlt, dann leidet das ganze Spektrum darunter.
Noch einmal herzlichen Dank und in diesem Sinne viel Erfolg.
Doris BARNETT, Deutschland, SOC
(Dok. 12199)
Vielen Dank, Herr Präsident!
Ich danke auch dem Berichterstatter und den Referenten des Ausschusses für dieses zukunftsweisende Papier. Es ist die logische Fortsetzung der vier Entschließungen, die wir zuvor behandelt haben.
„Das Bruttoinlandsprodukt misst alles, nur nicht das, was das Leben lebenswert macht“, wusste schon 1968 Robert Kennedy. Umwelt, Gesundheit, Bildung, Sicherheit, politische Teilnahme, Zugang zur Arbeit, Verfügbarkeit über freie Zeit – all das wird vom Bruttoinlandsprodukt nicht erfasst.
Das BIP befasst sich auch nicht mit der Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen. Daraus folgt, dass wir einen neuen Maßstab brauchen, wenn wir unser wirtschaftliches und gesellschaftliches Streben verbessern wollen.
Unser Berichterstatter fordert dazu neue Querschnittsinstrumente, mit denen Weltwirtschaft, Klimawandel und die Demographie in einen solchen neuen Maßstab eingebaut werden können. Dazu hat er uns Grundsätze vorgelegt, die wir sicher alle begrüßen können.
Umwelt- und Klimaschutz prägen unsere Lebensbedingungen. Wir sollten deshalb alles daran setzen, sie nicht länger nur als Bedrohung oder Beeinträchtigung unserer Gewohnheiten zu sehen, sondern als Chance für Innovation und Fortschritt zu nutzen.
Umweltschutzmaßnahmen wie z.B. die CO2-Einsparungen führen doch weltweit zu neuen Produkten und lassen neue Arbeitsplätze entstehen.
Gesundheit und Wohlbefinden müssen allen Menschen zustehen. Deshalb wird es von entscheidender Bedeutung sein, nicht immer mehr Geld in ein Molochsystem zu pumpen, sondern vorhandene Möglichkeiten effizienter zu nutzen. Prävention wird zum Schlüssel werden, wenn wir eine rationierte Medizin vermeiden wollen. Die immer älter werdende Gesellschaft braucht mehr als nur Altenheime. Neue Wohnformen, neue Arten des Zusammenlebens werden den Menschen helfen, aber auch eine Herausforderung für Stadtplaner sein.
Da die einzige unendliche Ressource, die wir auf der Welt haben, unser Verstand ist, haben wir alles daranzusetzen, diesen Schatz bei Jedem mithilfe von möglichst guter Bildung zu heben. Damit schaffen wir die beste Voraussetzung für Chancengleichheit.
Unabhängig davon müssen wir auch für Ordnung auf den Arbeitsmärkten in unseren Ländern sorgen. Unsere Gemeinwesen können nur dann ihre Aufgabe als Staat erfüllen, wenn sie nicht zum zweiten Lohnbüro für Unternehmen werden, die mit Hinweis auf niedrigere Mindestlöhne andernorts Lohndrückerei betreiben. In Frankreich beträgt z.B. der Mindestlohn im Monat 1280 Euro, in Bulgarien 112 Euro.
In den kommenden Jahren werden wir wegen des Fachkräftemangels weltweit erleben, dass gut ausgebildete Leute das Land verlassen, wenn mit ihnen nicht pfleglich umgegangen wird. Damit rauben wir uns unsere Innovations- und Wirtschaftskraft selbst.
Der Mensch muss wieder in den Mittelpunkt des Wirtschaftens gestellt werden, nicht der Profit. Das Wohlergehen jedes Einzelnen wird in Zukunft mitentscheidend dafür sein, wie stark eine Volkswirtschaft ist, vor allem aber dafür, wie friedlich und gerecht die Welt sein wird, in der wir leben.
Punkt 12 der Entschließung kann ich nur zustimmen: Die Arbeit an der grundlegenden Fragestellung des Wohlergehens ist als Dauerarbeit fortzusetzen.
Vielen Dank.