AL11CR03

AS (2011) CR 03

 

DVD Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

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(1. Teil)

BERICHT

3. SITZUNG

Dienstag, 25. Januar 2011, 10.00 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE

(Dok. 12462)

Herr Präsident!

Ich möchte für die Gruppe ALDE gerne dem Kollegen Marty für die sehr mutige und auch sehr schwierige Arbeit danken, in der er sich auf einen schmalen Grat begeben hat, um das Dickicht von Fantasien, Gerüchten und Wahrheiten anzugehen, das eine Verpflichtung für alle diejenigen ist, die in den 90er Jahren für eine Intervention im Kosovo plädiert haben.

Ich finde es sehr wichtig, voranzustellen, dass Dick Marty selber betont, dieser Bericht dürfe nicht für die Delegitimierung der Selbstständigkeit des Kosovo missbraucht werden - und wir alle sollten auch davon absehen, dies zu tun: Das ist nicht Gegenstand dieses Berichtes. Gegenstand ist die Frage, ob sich in dem Chaos der Übergangszeiten, unter dem Deckmantel des Krieges, in atemberaubender Weise eine Struktur der Vermischung von Politik und Kriminalität herausgebildet hat, die inzwischen dazu führt, dass das Kosovo quasi unterwandert wirkt. Deshalb besteht die Aufgabe, sich dieser Frage zu nähern.

Diese Aufgabe gibt es aus unterschiedlichen Gründen: Als Parlamentarierin befürwortete ich 1999 die Intervention der NATO im Kosovo, weil ich lange Jahre im Krieg in Bosnien war, das die Tragödie von Srebrenica erlebt hatte und ich nicht wollte, dass sich so etwas wiederholt.

Diese völkerrechtlich umstrittene Intervention begründete aber damit eine besondere Verpflichtung: Wenn die Intervention im Kosovo mit dem Schutz von Menschenrechten begründet war, ergibt sich daraus die Verpflichtung, auch am Tag danach weiter kompromisslos dem Schutz der Menschenrechte zu folgen und nicht auszuweichen, weil mögliche machtpolitische Konstellationen es nicht für opportun halten, solchen Fragen nachzugehen.

Deswegen kann die Antwort auf diesen Anfangsbericht – und ich betone, dass es sich um einen Anfangsbericht, einen Anstoß, handelt – nur sein, dass alle Seiten sich zu kompromissloser Aufklärung bereit finden, zum Zusammenarbeiten aller Institutionen, die bereits beteiligt gewesen sind, die Fäden wieder aufzunehmen und die existierenden Beweise zusammenzuführen. Ich meine, dass sowohl die Opfer als auch die möglichen Täter dieses Recht haben, denn wenn sich herausstellen sollte, dass ein Teil der Vorwürfe nicht gerechtfertigt ist, müssen diese Vorwürfe aus der Welt geschafft werden.

Insofern gibt es tatsächlich nur eine einzige mögliche Konsequenz: mit Hochdruck an der Aufklärung dieses möglichen Sachverhaltes zu arbeiten, damit Opfern Genüge getan wird und Beschuldigte die Chance haben, von dem Vorwurf befreit zu werden, Täter zu sein, wenn sie es nicht sind.


Schönen Dank.

Holger HAIBACH, Deutschland, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 12462)

Vielen Dank, Herr Präsident!

Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das Problem bei Krieg ist, dass es nicht ganz einfach ist, zu erkennen, wer Opfer und wer Täter ist. Häufig sind Opfer auch Täter, und Täter gleichzeitig Opfer. Wenn dieser Bericht, den unser Kollege Marty heute vorgelegt hat – und für die viele Arbeit, die er sich dabei gemacht hat, ist ihm zu danken -, jenseits der politischen und der juristischen Frage einen Sinn hat, dann ist es doch der, denen, die keine Stimme haben, eine Stimme zu geben: den Toten, den Verletzten, den Verschwundenen, den Familien, die immer noch nach Angehörigen suchen, den Freunden, die Freunde verloren haben.

Unsere Verantwortung dabei ist es, die entsprechenden Mittel bereitzustellen und zu helfen, dass Parteien, die normalerweise nicht miteinander reden würden, miteinander ins Gespräch kommen. Wenn dieser Bericht eine Wirkung schon gezeitigt hat, dann doch die, dass plötzlich all diejenigen, die über Jahre erklärt haben, es gebe ja eigentlich nichts aufzuklären, plötzlich der Meinung sind, eine Untersuchung sei natürlich notwendig.

Ich bin vollkommen der Meinung, dass wir unsere Verantwortung dort auch tatsächlich wahrnehmen müssen, auch deshalb, weil wir, so weit ich das erkennen kann, einen Teil der Verantwortung tragen. Kollegin Beck hat darauf hingewiesen, dass zumindest manche von uns sich entschieden haben, dort militärisch tätig zu werden. Auch haben wir so etwas wie Srebrenica geschehen lassen, ohne dass zu dieser Zeit wirklich etwas passiert wäre.

Deswegen geht unsere Verantwortung nicht nur zu diesem Fall, sondern sie ist mindestens 15, wenn nicht gar 20 Jahre alt. Daher finde ich es richtig, dass wir als Europarat diesen Bericht diskutieren und verabschieden, denn ich glaube, dass es unsere Aufgabe sein muss, genau diese Stimme zu sein. Wir nennen uns immer das Haus der Demokratie und der Menschenrechte in Europa, und wir wissen, dass die Situation auf dem Balkan über zwei Jahrzehnte schwierig war und wahrscheinlich noch lange schwierig bleiben wird. Denn menschliche Opfer sind etwas, über das man nicht so ohne weiteres hinweg kommt, und persönliche Tragödien stehen einer Versöhnung grundsätzlich im Wege.

Deswegen kann ich unserem Kollegen Marty nur zustimmen, wenn er sagt, es kann keinen Frieden ohne Gerechtigkeit geben. Aber was aus meiner Sicht noch viel wichtiger ist: Es kann vor allem keine Versöhnung ohne Gerechtigkeit geben. Versöhnung kann es nur mit Aufarbeitung geben, und diese kann es nur mit einer vernünftigen Strafverfolgung und Aufarbeitung der Geschichte geben.

Dass das sehr schwierig ist, kann jemand, der aus Deutschland kommt, wohl sehr gut beurteilen. Wir haben auch sechs Jahrzehnte nach den furchtbaren Ereignissen, die sich bei uns ereignet haben, z.T. immer noch die Schwierigkeit, zu sehen, was eigentlich unsere Verantwortung und was unsere Aufgabe sei. Ich hoffe, dass der Europarat dieser Aufgabe gerecht wird, indem er diesen Bericht annimmt und die notwendigen Konsequenzen zieht.

Vielen Dank.

Felix MÜRI, Schweiz, ALDE / ADLE

(Dok. 12462)

Dankeschön, Herr Präsident,

Meine Damen und Herren!

Ich danke Herrn Dick Marty für diesen Bericht. Das sind Verbrechen, die niemanden kalt lassen. Deshalb muss mit Hochdruck an der Aufklärung gearbeitet, und es müssen Beweise auf den Tisch gelegt werden.

Jetzt ist eine internationale gerichtliche Untersuchung mit klarem Zeugenschutz nötig, bei der alle Fakten auf den Tisch gelegt werden. Die Vorwürfe sind in kürzester Zeit auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. In kürzester Zeit, weil es letztlich auch darum geht, dass sich der Kosovo und die Region weiterentwickeln können. Das ist aber bei solchen schweren Vorwürfen nicht möglich; niemand wird hier investieren, so lange diese Fragen nicht geklärt sind. In dieser Region sind Frieden, Sicherheit und Stabilität vonnöten.

Denken wir auch an die Bevölkerung dieser Region. Ich will keinen Generalverdacht der Bevölkerung. Daher erwarte ich eine schnelle Abklärung, die nicht wieder um Jahre hinausgeschoben werden darf. Das sind wir der Bevölkerung und der ganzen Region schuldig.

Danke.

Renate WOHLWEND, Liechtenstein, EPP/CD / PPE/DC

(Dok. 12462)

Herr Vorsitzender,

liebe Kollegen!

Diese Debatte ist eine Sternstunde des Europarates. Wir, das Gewissen des Kontinents, haben die Chance, dazu beizutragen, dass die Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, Wahrheit und Gerechtigkeit endlich Vorrang vor politischen Erwägungen bekommen. Politischen Erwägungen, wie dem Bemühen um Stabilität um jeden Preis. Stabilität um den Preis des Wegschauens, des Ignorierens von schweren Menschenrechtsverletzungen, schafft eine Zeit lang Ruhe. Doch die Probleme gären, werden schlimmer, und brechen schließlich auf.

Die Kosovaren verdienen, dass die internationale Gemeinschaft mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zielstrebige Ermittlungen zu allen Vorwürfen durchführt, die im Bericht des Rechtsausschusses erhoben werden. Die bisherigen Ermittlungen waren wenig glaubwürdig. EULEX muss nun den ausdrücklichen Auftrag erhalten, mit allen andernorts bereits erprobten Mitteln das organisierte Verbrechen im Kosovo zu bekämpfen, und zwar bis in die Spitze, und kompromisslos, ohne Rücksichtnahme auf politische Opportunität. Dazu gehören die zielstrebige Nutzung von Kronzeugen und ein glaubwürdiger Zeugenschutz.

Wenn wir eine dauerhafte Aussöhnung von Kosovaren, Serben und anderen Volksgruppen wollen, müssen Verbrechen aus allen Volksgruppen nach gleichen Maßstäben ermittelt und abgeurteilt werden. Es war richtig, die Verbrechen von Milošević und seinen Mittätern an den Kosovaren anzuprangern und zu verurteilen. Kollege Marty hat das übrigens in klaren Worten getan. Er hat insbesondere auch von den Serben die Verhaftung und Auslieferung von Mladić gefordert. Heute nun ist es unsere Pflicht, die Verbrechen anzuprangern und aufzuklären, die von UCK-Kämpfern begangen wurden und von jenen Verbrechern, die die UCK-Uniform missbraucht haben.

Meines Erachtens gibt es keinen Unterschied zwischen dem unendlichen Leid einer kosovarischen Mutter, deren Kind von serbischen Verbrechern entführt und ermordet worden ist, und dem Schmerz einer serbischen oder einer Roma-Mutter, deren Kind von kosovarischen Verbrechern entführt wurde und ihnen zum Opfer gefallen ist. Wenn wir die Entschließung dieses Berichts unterstützen, geben wir ein klares, respektvolles Zeichen an die Verbrechensopfer in dieser geschundenen Region.

Ich unterstütze Kollege Martys Ruf nach Ermittlung und bitte Sie alle, das auch zu tun.

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Frage an Abdullah GÜL, Präsident der Republik Türkei)

Herr Präsident,

der Menschenrechtskommissar Hammerberg hat heute Morgen den türkisch-kurdischen Konflikt als eine der zentralen Menschenrechtsaufgaben in Europa bezeichnet.


Nachdem ich im Oktober mit der deutschen Delegation bei Ihnen war, war ich beim KCK-Prozess in Diyarbakir, und auch im Januar war ich wieder dort.


Darf ich Sie fragen, warum sich dort Hunderte Mitglieder einer legalen politischen Partei, die seit fast zwei Jahren in Untersuchungshaft sind - darunter ein Dutzend Bürgermeister, die teilweise zu 60, 70 % gewählt wurden -, nicht in ihrer Muttersprache verteidigen dürfen?

Glauben Sie nicht, dass, wenn ein demokratischer Weg aus dem türkisch-kurdischen Konflikt blockiert wird, sich die Gewaltspirale ewig weiter dreht?

Dankeschön.