AL11CR08 |
AS (2011) CR 08 |
DVD Ausgabe |
SITZUNGSPERIODE 2011
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(1. Teil)
BERICHT
8. SITZUNG
Donnerstag, 27. Januar 2011, 15.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE
(Dringlichkeitsdebatte, Dok. 12503)
Herr Präsident,
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Auch ich möchte für die Gruppe ALDE der Berichterstatterin danken.
Ich möchte daran erinnern, dass wir nicht zum ersten Mal über Weißrussland sprechen. In den Jahren 1999 bis 2001 verschwanden in Minsk 4 Menschen. Ich möchte auch ihre Namen nennen, damit sie wieder ein Gesicht bekommen: Juri Sacharenko, Viktor Gontschar, Anatoli Krasowski und Dimitri Sawatzki.
Schon vor sieben Jahren hat unser Kollege Pourgourides für den Europarat festgestellt, dass die Spuren des Verschwindenlassens dieser vier Menschen in das Zentrum des Regimes Lukaschenko führten. Wir haben also immer gewusst, mit wem wir es zu tun haben, auch bei der Politik des Dialogs.
Wie nach den Wahlen 2006, als Lukaschenko den Gegenkandidaten Alexander Kasulin zu 5 Jahren Haft verurteilen ließ. Auch in diesem Jahr sind die Gegenkandidaten wieder verfolgt und verhaftet worden. Nach wie vor überziehen die Verhaftungen das Land. Ich habe heute erfahren, dass man jetzt, nachdem Minsk „gesäubert“ worden ist, in die Regionen geht. Es geht um die Reste der freien Presse, um Menschenrechtsinitiativen, und auch um frei denkende Kulturschaffende.
Offensichtlich geht es Lukaschenko darum, die gesamte Opposition in Weißrussland zu zerschlagen. Der Generalstaatsanwalt in Minsk behauptet, die Haftbedingungen würden den gesetzlichen Bestimmungen des weißrussischen Staates entsprechen, das ist aber falsch. Die Anwälte berichten uns, dass seit Ende Dezember kein Kontakt mehr zu den Häftlingen besteht, auch nicht für ihre Familien. Uns erreichte jetzt von Nikolai Statkevichs Tochter ein Hilferuf: ihr Vater ist seit 38 Tagen in Hungerstreik, und es gibt keinen Zugang zu ihm.
Wir wissen also nicht, in welcher Verfassung die Häftlinge sind. Wir kennen nur die Entschlossenheit von Lukaschenko, ihnen zu schaden. Deswegen sind wir in einem Wettlauf mit der Zeit begriffen. Ich möchte mich in diesem Fall an die russischen Kollegen wenden: Sie haben noch Zugang zum Regime Lukaschenko.
Es ist auch von Russland deutlich in Wahlkampf eingegriffen worden. Vom russischen Staatsfernsehen aus hat es Propagandafilme gegen Lukaschenko gegeben. Ich weiß, dass Kandidaten, auch Freunde von mir, von russischer Seite hochrangig empfangen und unterstützt worden sind. Diese Menschen, die auch auf Moskau vertraut haben, sitzen jetzt in KGB-Gefängnissen.
Deswegen möchte ich Sie dringlich auffordern: Bitte nutzen Sie die Kanäle, die Sie noch haben müssen, denn Ihr Präsident hat am 25. Dezember Lukaschenko zur Wahl gratuliert. Nutzen Sie diese Kanäle, um eindringlich auf Lukaschenko einzuwirken, dass diese Menschen aus der Haft entlassen werden. Ich habe wirklich Angst um ihr Leben.
Franz-Eduard KÜHNEL, Österreich, EPP/CD / PPE/DC
(Dringlichkeitsdebatte, Dok. 12503)
Danke, Herr Präsident, für die Worterteilung!
Bevor ich mit meiner eigentlichen Rede beginne, möchte ich doch etwas zum Kollegen Chernyshenko aus der Russischen Föderation sagen. Es gibt drei Länder aus dem ehemaligen Bereich der Sowjetunion, nämlich die baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die es zu hervorragenden demokratischen Verhältnissen gebracht haben. Daher ist für mich entscheidend, ob ein Land den Willen hat, Demokratie zu werden, oder nicht. Und bei Weißrussland muss ich leider feststellen, dass offensichtlich der Wille zu demokratischen Verhältnissen dort nicht gegeben ist.
Ich darf der Berichterstatterin sehr herzlich für ihren umfassenden Bericht danken, in dem auch eine Portion Mut steckt, den ich verstehe; weil Sie Finnin sind, können Sie sich an bestimmte Verhältnisse und Einflüsse erinnern, die in ihrer Geschichte aus dem Osten gekommen sind.
Russland bemüht sich sicher ein wenig, Demokratie zu werden. Aber was uns Herr Ziuganov erzählt hat, dass er eigentlich fast am liebsten statt in Russland in Weißrussland leben möchte, kann ich nicht ganz verstehen, denn soweit ich weiß, lebt er weiterhin in Russland!
Das politische System Weißrusslands ist im Grunde genommen ein Schandfleck in Europa. Das Land ist von Europaratsmitgliedern umgeben; wir haben also in Europa eine Insel, in der die drei berühmten Grundsätze des Europarates in keiner Weise eingehalten werden: Die Wahlen sind gefälscht, die Richter sind abhängig, und die Menschenrechte werden im wahrsten Sinne des Wortes mit Füßen getreten.
Was mich ganz besonders ärgert, ist, dass in Weißrussland weiterhin die Todesstrafe verhängt wird. Ich kann mich noch erinnern, wie im Jahre 2010 gesagt wurde, man solle doch den Dialog mit den Weißrussen aufnehmen. Knapp bevor hier diskutiert wurde, hat man schnell noch einmal die Todesstrafe in die Tat umgesetzt! Wenn ein Land das tut, habe ich schon den Eindruck, dass hier eine Diktatur gegeben ist. Wir als Europarat müssen darauf schauen, dass es keine Diktaturen in Europa mehr geben darf, denn wir haben schlechte Erfahrungen damit gemacht.
Zuletzt noch einige Bemerkungen: Ich bedaure das Volk Weißrusslands, dass es dort leben muss.
Das Zweite: Weißrussland muss bitte beim Europarat Thema bleiben, und wir müssen uns auch auf jeden Fall in der Aprilsession darüber unterhalten.
Als Letztes bitte ich, dass wir auch intern versuchen, unsere nationalen Parlamente auf dieses Thema einzustimmen.
Ich danke.
Andreas GROSS, Schweiz, SOC
(Dringlichkeitsdebatte, Dok. 12497)
Danke Herr Präsident!
Ich möchte mich sehr bei Frau Brasseur für diesen selbstkritischen Bericht bedanken, denn es handelt sich um eine gelungene Revolution, zu der wir nichts beigetragen haben.
Wie mein Vorredner in Bezug auf Frankreich gesagt hat, und wie Sie das in Bezug auf Europa sagen: Wir müssen selbstkritisch sein. Wenn wir rechtzeitig etwas aufmerksamer gewesen wären und die Menschen unterstützt hätten, dann wären vielleicht keine 100 Menschen gestorben, und auch der Mann, der sich öffentlich verbrannte und die ganze Bewegung damit auslöste, hätte nicht sterben müssen.
Wichtig ist, dass diese Revolution noch nicht gelungen ist. Wenn Sie heute die Zeitung Libération lesen, dann sehen Sie, dass noch immer täglich Tausende vor dem Haus des Premierministers demonstrieren und eine Regierung fordern, die dem Willen der Mehrheit derjenigen entspricht, die auf der Straße die Revolution realisiert haben. Ob das gelingt, ist noch nicht sicher.
Deshalb sollten wir überlegen, was wir hier tun können, um zu verhindern, dass ein Chaos entsteht, die dem Militär den Vorwand zum Putsch gibt. Diese Gefahr besteht immer noch. Wenn das passieren würde, müssten noch mehr Menschen sterben und es wäre nichts gewonnen, außer, dass ein Diktator durch ein anderes diktatorisches Regime ersetzt wurde.
Das darf nicht passieren, und wir müssen helfen, es zu vermeiden. Der Jurist, der von Herrn Salles zitiert wurde, und der Tunesien schon vor 50 Jahren auf den Weg der Menschenrechte gebracht hat, appelliert heute in Libération, ihnen und insbesondere dem comité de protection de la révolution zu helfen.
Die zweite große Lehre ist, dass wir aufhören sollten, solche autokratischen Regimes einfach zu übersehen, weil es gut für unser Geschäft ist - auch Herr Anderson hat das gesagt. Hier gibt es eine Hypokrisie, einen Widerspruch unsererseits. Auch bei uns, bei Mitgliedern in unseren Europarat, gibt es Autokraten, die sich nur deshalb an der Macht halten, weil die Mehrheit unserer Regierungen das Geschäft gegenüber dem Respekt der Menschenrechte und dem Willen der Mehrheit des Volkes vorzieht.
Denken wir daran, dass Tunesien Mitglied der Venice Commission war! Dennoch hat niemand darüber geredet, dass es eine Diktatur war, die von einem Clan regiert wurde, der das Geld an sich raffte und die Mehrheit der Menschen darben ließ!
Zum Glück war die tunesische Gesellschaft aufgrund ihrer Zusammensetzung fähig, sich selbst zu befreien. Das passiert aber nicht überall so. An anderen Orten ist unsere Unterstützung notwendig, um zu verhindern, dass es zu Gewalt und Blutvergießen kommt.
Auch in Ägypten sollten wir helfen und nicht die Diktatoren mit dem Argument unterstützen, dass es noch schlimmer kommen (die amerikanische Position), oder dass die Islamisten kommen könnten. Die Islamisten kommen dann an die Macht, wenn wir unsere Werte verraten, indem wir Menschen unterstützen, die diese Werte nicht leben. Dann werden wir gegenüber der Bevölkerung selber unglaubwürdig, und man wird uns nicht mehr glauben, wenn wir sagen, dass wir hier wirklich die Demokratie vertreten.
Diese Lehre sollten wir daraus ziehen. Gleichzeitig sollten wir lernen, jetzt zu helfen, damit es nicht wieder schlimmer wird und damit diese Revolution, die junge Leute miteinander durchgeführt haben, ohne negative Einflüsse, wirklich gelingt.
Vielen Dank.
Franz-Eduard KÜHNEL, Österreich, EPP/CD / PPE/DC
(Dringlichkeitsdebatte, Dok. 12497)
Herr Präsident, danke für die Worterteilung!
Es ist selten, dass zwei Österreicher hintereinander sprechen, und da Herr Professor Konečný in unserem Parlament ein berühmter Redner ist, ist es natürlich für mich als schlichtem ehemaligem Soldaten schwer, jetzt folgen zu dürfen oder zu müssen! Jedenfalls danke ich Madame Brasseur herzlichst für diesen Bericht, zumal er unter großem Zeitdruck zustande gekommen ist und eine wirklich ausgewogene Darstellung des Problems ergibt.
Damit kein Mißverständnis entsteht: Ich begrüße, dass im Maghreb, aber auch in östlicheren Regionen, in autokratische Systeme unterschiedlichster Abstufung Bewegung gekommen ist. Hierbei ist besonders interessant, was sich demnächst in Libyen abspielen könnte.
Was ich auch sagen möchte: Wir sollten aus dieser Revolution, die jetzt in Tunesien, Algerien, aber auch Ägypten um sich greift, für uns eine gewisse Lehre ziehen. Dass wir darauf achten, dass, wenn wir unserer Jugend eine hervorragende Ausbildung zukommen lassen, auch in weiterer Folge Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Denn auch in Europa gibt es Länder mit einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, und obwohl wir Demokratien sind, sollten wir dies im Auge behalten. Denn auf Dauer sollte doch immer der alte politische Grundsatz „salus populi suprema lex“, und nicht irgendwelche Nebenthemen, doch die Hauptaufgabe der Politik sein.
Für einen Österreicher ist es vielleicht auch etwas absonderlich, wenn er versucht, die Franzosen gegenüber den Kollegen aus Frankreich in Schutz zu nehmen. Frankreich war lange in Nordafrika Kolonialmacht, und ich kann mir durchaus vorstellen, dass man hier in Frankreich gewisse Hemmungen hat, mit dem Zeigefinger auf den Maghreb zu deuten, denn man will nicht als Oberlehrer gelten – daher eine gewisse Zurückhaltung.
Auch haben die Franzosen natürlich auch ein Interesse, die so genannte communauté française, zu der natürlich auch Tunesien, Algerien etc. gehörten, zusammen zu halten.
Natürlich ist Optimismus über die demokratische Entwicklung in dieser Gegend angesagt, aber bitte seien wir vorsichtig, denn es ist ja ein langer Wandlungsprozess notwendig. Wenn man sich z.B. anschaut, wie die Polizei vorgegangen ist, dann sieht man, dass sie erst einmal demokratisch geschult werden muss, damit sie lernt, dass man auf Bürger eines Staates nicht einfach so einschlägt. Ähnlich verhält es sich mit der Geheimpolizei und dem Richterstand.
Daher also: Optimistisch können wir sein, aber es muss uns zugleich unbedingt bewusst sein, dass demokratische Verhältnisse erst nach einem gewissen Zeitraum eintreten – u.U. durchaus erst nach einer Generation. Als Europarat müssen wir hier begleiten und Tunesien, Ägypten, Algerien und vielleicht noch anderen Ländern unser Wissen und unsere Ambitionen zur Verfügung stellen, um einen sanften Übergang von der Diktatur zur Demokratie zu erreichen.
Und, was ich schon bei meinem Redebeitrag zu Belarus gesagt habe: Es wird notwendig sein, dass wir uns in Zukunft mit diesem Thema häufigst beschäftigen.
Danke.
Annette GROTH, Deutschland, UEL/GUE
(Dringlichkeitsdebatte, Dok. 12497)
Danke, Herr Vorsitzender!
Ich möchte jetzt nicht alles wiederholen, was bereits gesagt worden ist. Doch möchte ich darauf hinweisen, dass es ja bestimmte Phänomene sind, die zu diesen Zuständen, die wir jetzt in der ganzen Region haben, geführt haben. Warum sind denn die Nahrungsmittelpreise gestiegen? Unter anderem auch aus Spekulationsgründen! Das müssen wir verbieten, denn es wird weitergehen, und zwar auch bei uns.
Wir bilden Leute zu qualifizierten Berufen aus und bieten ihnen keine Perspektiven, wir zwingen diese Länder zur Marktöffnung, investieren in die Textilindustrie und den Tourismus, wo in der Tat Arbeitsplätze geschaffen werden, aber keine qualifizierten – das sind manual jobs.
Ich möchte noch auf etwas hinweisen, das hier noch nicht genannt wurde, nämlich die Handels- und Assoziierungsabkommen, die die EU mit vielen Ländern, auch mit Marokko, Tunesien und dergleichen, abgeschlossen hat. In allen Abkommen ist die Wahrung der Menschenrechte verankert. Nur werden diese Paragraphen – meist Art. 2 – leider nicht beachtet.
In der Vergangenheit haben Menschenrechtsorganisationen und das Europäische Parlament wiederholt die verschiedenen Regierungen und die EU aufgefordert, zu beherzigen, was sie selbst unterschrieben haben. Auf Ben Ali wurde dennoch keinerlei Druck ausgeübt – warum, haben wir schon gehört.
Ich zitiere aus der Financial Times einen Diplomaten: „But there were good things about Tunisia and you didn’t want to mess up what you had: women had a certain stature unknown in the Arab world, the government had done the right thing on healthcare and education.“ So hielt man sich mit der Kritik zurück.
Wenn wir aber bei Ägypten und anderen Staaten diesen Fehler jetzt auch machen und uns nicht einmischen, dann werden wir selbst unglaubwürdig. Wir sollten Mubarak zum Rücktritt auffordern oder Assoziierungsabkommen aussetzen, vor allem aber sofort jegliche Waffenlieferung in diese Region stoppen. Da sollten wir uns einen Spiegel vorhalten!
Ansonsten: Danke, Madame Brasseur, für diesen sehr guten Bericht.