AL11CR13 AS (2011) CR 13
Provisorische Ausgabe
SITZUNGSPERIODE 2011
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(2. Teil)
BERICHT
13. SITZUNG
Dienstag, 12. April 2011, 15.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Katrin WERNER, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 12555)
Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren!
Im Namen meiner Fraktion, der Vereinigten Europäischen Linken, möchte ich mich zuallererst bei Herrn Volontè für diesen guten Bericht bedanken.
Ja, es ist wahr: Europa wird immer reicher und die Armut in Europa nimmt zu. Armut ist auch ein Resultat aus der Finanz- und Wirtschaftskrise. Doch Armut gab es bereits vorher. Sie ist Resultat konkreter politischer Entscheidungen. Schon 2008 mussten 42 Millionen EU-Bürger mit erheblichen materiellen Entbehrungen leben.
Armut ist ein hausgemachtes Problem. Wenn die Europäische Union heute als Antwort auf die Finanz- und Wirtschaftskrise etwa Griechenland oder Portugal zu einem radikalen Sparkurs zwingt, dann verursacht das noch mehr Armut. Grundlegende soziale, wirtschaftliche und kulturelle Menschenrechte werden dabei in Frage gestellt.
Es braucht den politischen Willen, um „der Armut ein Ende zu setzen“, wie Sie, Herr Volontè, es richtigerweise in Ihrem Bericht fordern. Die Finanz- und Steuerpolitik muss sich auch auf nationaler Ebene an den sozialen und ökologischen Erfordernissen unserer Gesellschaft ausrichten. Politik muss sich an den Bedürfnissen der Menschen orientieren.
Wir brauchen Investitionen in Bildung, aber nicht nur für junge Menschen, um sie vor späterer Armut zu schützen. Bildung begleitet uns ein Leben lang.
Viele gesellschaftliche Gruppen sind von Armut betroffen, z.B. Alleinerziehende, Erwerbslose, ältere Menschen, Menschen mit Behinderung und ethnische Minderheiten. Oft werden diese Menschen, wenn sie um Hilfe ersuchen, gesellschaftlich stigmatisiert. In der Vorlage wird darauf hingewiesen, dass sie nicht nur materielle Leistungen, sondern auch soziale Integration und politisches Gehör brauchen.
Wir müssen den vollständigen Zugang zu Beschäftigungsmöglichkeiten, angemessener medizinischer Hilfe und Wohnraum ohne Diskriminierung garantieren. Wir brauchen Mindesteinkommensgarantien, um Menschen vor Armut zu schützen und die Binnenkaufkraft zu stärken. Und wir brauchen den gesetzlich geregelten Mindestlohn.
Sehr geehrter Herr Volontè, bei diesen Forderungen haben Sie die Fraktion der Vereinigten Europäischen Linken an Ihrer Seite. Hier in Straßburg scheinen wir irgendwie alle Sozialistinnen und Sozialisten zu sein. National redet und lebt es sich leider viel zu oft ganz anders.
Ich hoffe, Sie können sich mit Ihren Forderungen nach Mindestlohn, Mindesteinkommen und einem menschenwürdigen Umgang mit armen Menschen nicht nur hier in Straßburg Gehör verschaffen, sondern auch in den einzelnen Ländern.
Persönlich würde ich mich freuen, wenn Sie die Bundeskanzlerin Angela Merkel und die deutsche Delegation ihrer EVP von Ihren Forderungen überzeugen können. Wenn Sie möchten, gehen wir diesen Weg gemeinsam.
Annette GROTH, Deutschland, UEL/GUE
(Dok. 12555)
Herr Präsident!
Ich bin mit allem einverstanden, was hier gesagt wurde, möchte jedoch an eine Strategie erinnern, die anscheinend in Vergessenheit geraten ist, nämlich die Lissabon-Strategie. Sie wurde 1990 von der EU-Kommission ausgerufen und hatte zum Ziel, bis 2010 die EU zum wettbewerbsfähigsten Markt der Welt zu machen. Außerdem stand darin wohl auch etwas von Reichtum und Wohlstand für alle.
Doch dann fing man in allen EU-Staaten an, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren; „flexibility enhances employability“ - Flexibilisierung der Kapitalmärkte, Arbeitszeitverlängerung, Verschieben des Ruhestands-Eintrittsalters und dergleichen mehr. Das hat sich nicht bewahrheitet, wie man eigentlich schon von vornherein wusste.
Jetzt haben wir das Resultat dieser ganzen Flexibilisierung. Wie hier sehr drastisch gesagt wurde: Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer. Da muss man überlegen, ob man nicht die EU, d.h. unsere Regierungen, die die Lissabon-Strategie damals zusammen mit den Lobbyisten des heute „Businesseurope“ genannten Verbands verbrochen haben, dafür verantwortlich machen muss.
Jetzt haben wir die Europa 2020-Strategie, und es geht weiter: mehr Flexibilisierung, länger arbeiten, mehr bezahlen für Rente, Gesundheit und dergleichen. Es wird uns weiter in dieselbe Katastrophe führen! Herr Flynn hat es eben gesagt: Großbritannien ist heute, 30 Jahre nach Thatcher, eines der ungleichsten Länder weltweit! In Deutschland ist es ähnlich.
Für diese vernachlässigten Themen müssen wir dringend etwas tun. EU-Politik ist in den meisten Ländern nicht populär; daher fokussiert man sich oft auf den nationalen Rahmen und vergisst dabei genau diese seltsamen Strategien, die für die gegenwärtige Situation verantwortlich zu machen sind: vermehrte Armut und dergleichen auf der einen Seite, und gleichzeitig ein wahnsinniger Reichtum auf der anderen.
Danke.