AL11CR28      

AS (2011) CR 28
Provisorische Ausgabe

SITZUNGSPERIODE 2011

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(4. Teil)

BERICHT

28. SITZUNG

Montag, 3. Oktober 2011, 11.30 Uhr

REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH

 

Andrej HUNKO, Deutschland, UEL/GUE

(Dok. 12732)

Vielen Dank, Herr Präsident,

meine Damen und Herren!

Ich möchte zunächst auf das eingehen, was Herr Dick Marty am Anfang gesagt hat und ihm auch danken. Ich denke, dass er die zwei zentralen Punkte der Aufgabe der Parlamentarischen Versammlung des Europarates benannt.

Zum einen den Doppelstandard, die Unglaubwürdigkeit auch europäischer Politik gegenüber z. B. Libyen, aber auch anderen arabischen Ländern. Es wäre sinnvoll, einmal darüber nachzudenken, mithilfe welcher Methoden man Doppelmoral, Doppelstandards in Fragen der Menschenrechtspolitik, der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie angehen kann. Es ist wie im Fall Gaddafi ein großes Problem, dass man ihn bis in den März dieses Jahres unterstützt und sich dann um 180° gedreht hat.

Das zweite Problem ist noch zentraler: die gegenwärtige Krise in der EU. Die Euro-Krise bereitet den Menschen in Europa große Sorgen. Ich bekomme täglich E-Mails von Menschen aus Deutschland, die sagen, dass wir uns in Richtung einer Diktatur bewegen. Die Menschen haben Angst vor einer Entdemokratisierung. Wer soll sich dieses Themas annehmen, wenn nicht diese Versammlung des Europarates, die ja von den ökonomischen Interessen auf EU-Ebene unabhängig ist.

Ich finde, dass es sich dabei um zwei richtige Ansätze handelt.

Ich möchte gern noch ein paar Worte zur Wahl in der Türkei sagen. Ich war selbst Mitglied beim Ad-hoc-Komitee im Mai und habe den Prozess schon länger beobachtet.

Wie wir auch in Ankara feststellen konnten, gibt es zwei verschiedene Berichte: einerseits die Berichte der Menschen, die in den verschiedenen Städten waren, wie Antalya, und andererseits die Berichte von Menschen, die in den kurdischen Gebieten im Südosten der Türkei waren und dort viele Probleme feststellen konnten.

Ich bin froh, dass es in der Krise, in der sich das türkische Parlament seit dem 12. Juli befindet, jetzt anscheinend zu einer Lösung kommt. Die meisten derer, die den Eid auf die türkische Verfassung abgelehnt hatten, weil in der Türkei nach wie vor gewählte Volksrepräsentanten im Gefängnis sitzen, haben diesen Eid jetzt abgelegt, aber dies bleibt ein großes Problem. Weitere große Probleme sind die massive Militärpräsenz, die in den kurdischen Gebieten festgestellt wurde, sowie die Tatsache, dass einem gewählten Abgeordneten Hatip Dicle aus Diyarbakir, einen Tag nach der Wahl das Mandat aberkannt wurde. Auch dass nach wie vor Mitglieder der Oppositionsparteien CHP und der BTP im Gefängnis sitzen, sowie die 10%-Hürde sind Probleme, die auch gut benannt wurden.

Vielen Dank an Frau Lundgren für den guten Bericht.

Andreas GROSS, Schweiz, SOC

(Dok. 12732)

Danke vielmals, Herr Präsident!

Ich bat um das Wort, weil ich drei Dinge sagen möchte:

Erstens war ich dem norwegischen Premierminister Stoltenberg äußerst dankbar für seine Art, wie er auf den schlimmsten Gewaltakt in der norwegischen Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg reagiert hat: Er hat gesagt, als Antwort auf eine solche desaströse Gewalt brauche es mehr Demokratie und Humanität, und nicht weniger. Das finde ich unglaublich bewundernswert und möchte ihm dafür danken und gratulieren, dass es ihm gelang, auf dieser Position das Volk hinter sich zu bringen.

Der zweite Punkt betrifft ein Thema, das offiziell erst später zur Sprache kommt, weil die Wahlbeobachtung in Tunesien erst am 23. Oktober stattfinden wird. Wir waren jedoch mit dem Fraktionspräsidenten im Frühjahr und mit der Pre-election Mission vor drei Wochen in Tunesien. Was heute in Tunesien passiert, ist eine eindeutig gute Entwicklung. Wir sind sehr auf schlechte Nachrichten fixiert, deshalb muss man auch die guten Entwicklungen betonen.

In Tunesien hat man es geschafft, einen Tag nach der Revolution im Hinblick auf die Wahl der Verfassungsgebenden Versammlung eine Kommission mit einem komplizierten Titel zur Wahrung der revolutionären Eigenschaften und zur Gewährleistung eines demokratischen Übergangs einzurichten. Diese Kommission wird von Yadh Ben Achour geleitet, der uns so beeindruckt hat, dass wir ihn, obwohl die Frist schon vorbei ist, als Friedensnobelpreisträger dieses Jahres hätten vorschlagen wollen.

Er hat es mit dieser Kommission geschafft, eine revolutionäre Situation zu beruhigen, obwohl die Lage in der Wirtschaft unglaublich schwierig ist und obwohl während des Krieges 900 000 Flüchtlinge aus Libyen gekommen sind. Es gibt heute niemanden, der die Legitimität der Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung wie auch das, was diese Versammlung nachher tun wird, in Frage stellt. Das ist außerordentlich, und wir müssen alles tun, um auch weiterhin zu unterstützen, dass dies gelingt.

Und mein dritter Punkt: Ich möchte Dick Marty ganz herzlich für seine ungeheure Arbeit im Europarat danken! Ich bedaure, dass er zurücktritt und finde schön, was Frau Brasseur gesagt hat: Er hat auch mit seinem heutigen Beitrag gezeigt, was ein authentischer Liberaler ist, nämlich viel mehr als ein Geschäftsmann, ein Kaufmann, und viel mehr als einfach ein toleranter Mensch.

Dick Marty hat immer André Malraux zitiert. Eines seiner Lieblingszitate von Malraux, das wohl das Leitmotiv für uns darstellen kann, wenn wir ihn als Modell annehmen möchten, ist: „Es kommt nicht darauf an, was man sagt, sondern darauf, was man tut.“ Für Politiker geht es darum, eine Mehrheit zu finden und nicht, sich der Mehrheit anzupassen. Das ist Dick Marty auch bei uns gelungen, und dafür verdient er von allen großen Dank.