AL11CR35
AS (2011) CR 35
Provisorische Ausgabe
SITZUNGSPERIODE 2011
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(4. Teil)
BERICHT
35. SITZUNG
Donnerstag, 06. Oktober 2011, 15.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE
(Dringlichkeitsdebatte: Die politische Lage auf dem Balkan, Dok. 12747)
Dankeschön, Herr Präsident!
Lieber Herr von Sydow, ich danke Ihnen und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für diese solide Arbeit, die sie in so kurzer Zeit geleistet haben.
Als ich am 11. Juli dieses Jahres nach der Grablegung von etwas mehr als 600 identifizierten Körpern Srebrenica verlassen habe, hat der dortige EUFOR-General, ein Österreicher, mich als deutsche Parlamentarierin dringend aufgefordert, die Truppen nicht weiter zu reduzieren. Denn nach seinen Beobachtungen vor Ort ist die Situation unter der Decke angespannter als wir sehen und sehen wollen.
Der Grund dafür ist eine gewisse Müdigkeit bei vielen Parlamenten und Bevölkerungen, nach so vielen Jahren noch Truppen dort zu stationieren. Wir werden gefragt: „Gibt es denn auch Missionen, in die ihr nicht nur rein, sondern aus denen ihr auch wieder rausgeht?“
Ich würde trotzdem sagen, so lange es noch eine Krise gibt, ist es besser, Soldaten vor Ort zu haben, bevor sie wieder offen ausbrechen kann, denn wir alle haben das Drama des gewaltsamen Zerfalls von Jugoslawien noch in Erinnerung.
Der politische Analytiker Veton Surroi spricht von den „vier unvollendeten Staaten“ auf dem Balkan und nennt dabei Serbien, weil es noch immer mit dem „Amputationsschmerz“ nach dem Verlust des Kosovo beschäftigt ist. Ich als deutsche Bürgerin kann sagen, wie lange solche „Amputationsschmerzen“ dauern; wir haben in den sechziger und siebziger Jahren selber erlebt, wie schwer sich die deutsche Bevölkerung und die Politik getan haben, anzuerkennen, dass durch eigenes Verschulden und eigene Aggression Teile des Landes verloren gegangen sind und dass wir das akzeptieren müssen.
Surroi nennt Bosnien, weil dort immer noch mit dem Gedanken der ethnischen Trennung gespielt wird – Andreas Gross hat darauf hingewiesen. Dabei wird verschwiegen, dass gerade Bosnien eine Bevölkerung mit einer sehr hohen ethnischen Verschränkung hatte: Fast 40% der bosnischen Familien waren multireligiös und multiethnisch. Bis zum Ausbruch des Krieges war ihnen das gar nicht bewusst, sondern sie wurden dadurch erst in eine Identifikation hineingetrieben, die sie selbst so gar nicht vornehmen wollten.
Das Ergebnis ist bis zum heutigen Tage ein geteiltes Land, in dem unterschiedliche politische Kräfte mit unterschiedlichen Motiven dafür sorgen, dass das Land keine wirklich funktionsfähige Zentralregierung hat und sich auch bisher nicht wirklich ernsthaft auf den Weg gemacht hat, um eine nach-Daytonsche Verfassung zu schaffen, die dieses Land regierbar und dann auch beitrittsfähig für die Europäische Union machen würde.
Mazedonien mit seiner albanischen Minderheit, das in großer Sorge ist, dass, wenn es irgendwo noch einmal Grenzverschiebungen geben sollte, dies die Lunte an das eigene Land legen könnte, und das Kosovo, das nachbarschaftlich immer noch keine geklärten Verhältnisse hat und wo wir gerade wieder den Konflikt im Norden erlebt haben.
Hierbei möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass die UN-Resolution 1244, die Sie, Herr von Sydow, eben erwähnt haben, die KFOR ganz eindeutig dazu auffordert, die Durchsetzung der Neutralität in dem Sinne zu gewähren, dass es keine serbischen Kontroll- und Verwaltungsstrukturen auf dem Boden des nördlichen Kosovo gibt, und EULEX dort auch unter dem Dach des UNMIC statusneutral agieren muss.
Wichtig ist etwas, das Andreas Gross eben hervorgehoben hat, und das ich aus den Schilderungen vor Ort weiß: Der Norden Kosovos ist mindestens ebenso sehr eine Frage von organisierter Kriminalität wie von ethnischer Politik und Grenzstreitigkeiten, und die Menschen, die sich multiethnisch bewegen wollen, geraten unter massiven Druck. Es gibt dort Bürger- und Fraueninitiativen, die fordern, den Nationalismus zu überwinden. Sie werden bedroht, weil eben der Deckmantel des vermeintlich ethnischen Konflikts die Möglichkeit gibt, organisierte Kriminalitätsstrukturen aufrecht zu erhalten.
Wir sollten dem nicht auf den Leim gehen. Europa bedeutet multiethnische Strukturen. Die Türen für Europa müssen für alle diese Länder offen bleiben, aber sie sollten auch wissen: EU bedeutet Aufgabe von Souveränität, und deswegen muss man nicht bis auf den letzten Millimeter Souveränität kämpfen.
Marieluise BECK, Deutschland, ALDE / ADLE
(Dok. 12712)
Herr Vorsitzender,
geschätzte Kolleginnen und Kollegen!
Ich halte eine politische Debatte, in der es um die Fixierung einer Mindest-Frauenquote von 40% für die Verwaltungs- und Aufsichtsräte von privaten Unternehmen geht, aus verschiedenen Gründen nicht eben für eine Sternstunde des Europarates.
Der erste Grund ist familienmotiviert und dabei für mich persönlich der wichtigste: Meine beiden Töchter vertreten seit eh und je die Meinung, dass Frauenquoten etwas Rückständiges, ja aus ihrer Sicht etwas Despektierliches sind. Einen Posten nur deshalb zu erhalten, weil man eine Frau ist, passt nicht in ihr modernes Weltbild. Persönlichkeit, Bildung und Leistung sollen ausschlaggebend sein, wenn es um die Besetzung von Posten geht, und nicht Nepotismus, Gefälligkeit, oder eben (dank Quoten) das Geschlecht.
Deshalb sagten mir meine Töchter schon früh: „Vater, unterstütze nie politische Vorhaben, die Frauenquoten zum Ziel haben; Du tätest uns keinen Gefallen – im Gegenteil: Du würdest unsere Persönlichkeit als Frau unterlaufen!“ Wie recht meine Töchter doch haben, zeigt ein Blick auf die aktuelle Zusammensetzung des Bundesrates, also der Landesregierung in der Schweiz.
Wir haben 7 Ministerien. Davon sind 4, also die Mehrheit, in Frauenhand. Das kann sich bei den nächsten Bundesratswahlen natürlich wieder ändern, aber die Tatsache ist und bleibt, dass es selbst auf höchstem Niveau auch ohne irgendwelche verbindlichen Frauenquoten zu Frauenmehrheiten kommen kann – dank Qualität, Kompetenz und in der Politik natürlich auch dank Zufall, im richtigen Moment am richtigen Ort zur Verfügung gestanden zu haben.
Der zweite Grund, warum Frauenquoten nicht in eine moderne Gesellschaft passen, ist, was den privaten Sektor anbetrifft, um den es mir primär geht, die Einschränkung des freien Wahlrechts. Die Mitglieder von Verwaltungs- und Aufsichtsräten werden gewählt von den Eigentümern der Unternehmen, die an den Schalthebeln ihrer Firmen die besten Leute haben wollen - ganz einfach die fähigsten unter all jenen, die sich zur Verfügung stellen, ungeachtet ihres Geschlechts. Da kann doch nicht der Staat mit der Auflage kommen, die Stellen zu 40% mit Frauen zu besetzen! Das ist ein Einschnitt ins private Eigentumsrecht, der nicht einfach so hingenommen werden kann.
Der dritte Grund schließlich bezieht sich auf die Frage, ob sich eine vierzigprozentige Frauenquote überhaupt immer und überall durchsetzen lässt. Was ist mit jenen Unternehmen, die in Branchen tätig sind, für die sich Frauen a priori weniger interessieren, wie etwa Bergbau, Tief- und Tunnelbau, die Schwer- und die Rüstungsindustrie? Da nützen doch sämtliche progressiven Maßnahmen, Anti-Diskriminierungsprogramme, Gleichstellungszertifikate und all das, was uns zwecks Überwindung der Ungleichstellung von Mann und Frau in diesem Bericht vorgeschlagen wird, nichts und wieder nichts.
Das soll und muss doch einmal klar so gesagt sein. Frauenförderung ist auch aus meiner Sicht, dort, wo es sinnvoll ist und von den direkt betroffenen Mädchen und Frauen auch gewünscht wird, zweifellos zu bejahen. Deshalb stelle ich mit Genugtuung fest, dass an vielen Gymnasien und Hochschulfakultäten heute, im Gegensatz zu meiner Zeit, die Frauen in der Mehrheit sind.
Aber von Gleichstellung mit dem Brecheisen, dort, wo es von den Betroffenen gar nicht gesucht wird, wie das auf der Führungsebene gewisser Branchen eben der Fall sein kann, halte ich nichts. Deshalb lassen wir besser die Finger von solchen Forderungen. Nur dann, wenn die fixen Frauenquoten aus diesem Bericht gekippt werden – dazu liegen uns ja einige Vorschläge vor -, werde ich am Ende diesem Bericht zustimmen.