AL12CR11
AS (2012) CR 11
Provisorische Ausgabe
SITZUNGSPERIODE 2012
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(2. Teil)
BERICHT
11. SITZUNG
Montag, 23. April 2012, 15.00 Uhr
REDEBEITRÄGE AUF DEUTSCH
Doris BARNETT, Deutschland, SOC
(Freie Debatte)
Herr Vorsitzender,
liebe Kolleginnen und Kollegen!
Die Kernaufgaben, denen wir alle uns verpflichtet haben, sind Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Vor einem Monat wurden mitten in Europa, in Belarus, zwei junge Männer, die nach rechtsstaatlichen Maßstäben unschuldig waren, nach einem manipulierten Prozess auf Anordnung des Diktators Lukaschenko ermordet.
Mord an der Jugend im Namen einer brutalen, ja barbarischen Regierung, die Menschenrechte mit Füßen tritt, die Demokratie scheut wie der Teufel das Weihwasser, die den Rechtsstaat mit dem Recht des Diktators verwechselt – das alles gibt es im 21. Jahrhundert direkt vor unserer Haustür. Hat die Welt, haben wir in Europa nicht gelernt, wohin es führt, wenn das ganze private und öffentliche Leben nur einem Führer untergeordnet wird?
Wladislaw Kowalew und Dmitri Konowalow hatten noch ihr ganzes Leben vor sich, als das System Lukaschenkos sie aussuchte, ihren Kopf für ein Attentat hinzuhalten, dessen wahre Täter möglicherweise auch ins Zentrum des Regimes führen könnten. Die Mutter von Wladislaw, Frau Kowalewa, war vor wenigen Wochen bei uns und hat an uns appelliert, ihrem Sohn im Namen unserer Grundüberzeugungen das Leben zu retten.
Allein, es gelang nicht. Hätten wir alle zusammengestanden, wäre es vielleicht doch möglich gewesen. Oder sollte wegen der eigenen Politik, die manche unserer Mitglieder verfolgen, und die nicht immer so ganz nach unseren Grundelementen erfolgt, so mancher kalte Füße bekommen haben und deshalb gegen den letzten Despoten auf europäischem Boden lieber weniger als stärker vorgegangen sein?
Was können wir denn schon tun? fragen sich sicherlich einige von uns. Ich könnte mir vorstellen, dass die Aufnahme von Belarus, das ja bei uns Mitglied werden will, so lange auf Eis gelegt wird, bis das System Lukaschenko endgültig beseitigt ist, bzw. dass Belarus für so viele Sitzungen gesperrt bleibt, wie es den beiden jungen Männern Jahre gestohlen hat, also mindestens 80 Sitzungen und somit 20 Jahre.
Was mich aber am meisten entsetzt, ist, dass der Eishockey-Weltverband doch tatsächlich so tut, als wäre Belarus ein ganz normaler, ordentlicher Staat, in dem man Weltmeisterschaften austragen kann. Sport soll doch der Jugend aller Länder Fairness beibringen – hört Fairness jetzt am Spielplatzrand auf? Darf dahinter gefoltert und gemordet werden? Schaut so der Sport einfach wieder zur Seite, weil er damit nichts zu tun haben will, so wie 1936 in Berlin?
Sport hat schon lange seine politische Unschuld verloren, wenn er sie jemals hatte. 1980 boykottierte der Westen die Olympischen Spiele in Russland, weil das Land Ende 1979 in Afghanistan einmarschiert war. Lukaschenko hat zwar noch keinen militärischen Angriff auf Oppositionelle angeordnet, aber nachweislich gerade zwei Unschuldige hinrichten lassen.
Vor einem Monat waren es zwei Menschen; was wird morgen und übermorgen sein? Wie viele Tote braucht es, um die Sportfunktionäre zu überzeugen, dass ein solcher totalitärer Staat es nicht verdient, jeden Abend als fröhlicher Austragungsort von Weltmeisterschaften in unsere Wohnzimmer zu flimmern. Besinnen wir uns also auf unsere Werte und Grundüberzeugungen, und handeln wir danach.
Andreas GROSS, Schweiz, SOC
(Freie Debatte)
Herr Präsident,
Ich möchte das Wort von Herrn Mota Amaral aufnehmen, der gesagt hat: Das Projekt europäischer Integration erodiert. Als Sie in Straßburg angekommen sind, konnten Sie gleich sehen, dass die nationalistischste Partei Frankreichs bei den Wahlen fast 20% bekommen hat. Man kann sagen, dass in der Hälfte unserer Mitgliedsstaaten mindestens 20% nationalistische Parteien am Werk sind und stärker werden. Das muss uns beschäftigen.
Beide Phänomene – die Schwäche des europäischen Projektes und die Stärke der nationalistischen Parteien – hängen miteinander zusammen. Hinter dem Nationalismus versteckt sich der Wunsch vieler Menschen, die der Ansicht sind, es gehe ihnen schlecht, eine Verbesserung ihrer Lebensumstände zu erreichen. Sie appellieren an den Nationalstaat als Schicksalsgemeinschaft, ihre existentielle Lage zu verbessern.
Doch kann der Nationalstaat das Versprechen, das das Wort „Schicksalsgemeinschaft“ suggeriert, heute nicht mehr realisieren, weil er angesichts der transnationalen Weltwirtschaft zu schwach ist, dieser Weltwirtschaft Regeln aufzuerlegen, die sie zwingen würden, auf die Schwachen und auf die Natur Rücksicht zu nehmen.
Es ist die ursprüngliche Idee des europäischen Projektes - angesichts der Globalisierung verstärkt -, dass durch die Stärkung der Demokratie und der demokratischen Institutionen Europa dazu fähig würde, das zu tun. Genau diesem Punkt müsste die Selbstkritik der europäischen Verantwortlichen gelten, was in den letzten 20 Jahren jedoch nicht der Fall war.
Es ist besonders wichtig, dies hier zur Sprache zu bringen, denn wie der britische Europaminister gesagt hat, liegt unserer Gründung die Idee zugrunde, eine europäische Verfassung auszuarbeiten. Eine solche Verfassung wäre genau die Basis einer europäischen Demokratie, die auch dieses existentielle Versprechen einlösen würde, dass die Menschen in ihrer Not und mit ihren ökonomischen Problemen nicht alleine gelassen werden.
Deshalb halte ich dieses Aufkommen des Nationalismus, das auch von anderen bestätigt wird, für ein ernstzunehmendes Phänomen. Der Luxemburgische Premierminister Juncker beispielsweise trat mit den Worten zurück, er wolle nicht mehr für den Euro verantwortlich sein, weil er angesichts dieses Nationalismus die Schwäche der europäischen Institutionen bedauere. Er war einer der wenigen, die hier immer für eine Stärkung der demokratischen Institutionen eingetreten ist.
Wir sollten es wieder als Projekt und als unsere Aufgabe anerkennen, nicht immer nur Verteidigungsminister zu sein, sondern auch bessere europäische Innenminister, die die europäischen Institutionen so stärken, dass die Nationalisten zu Hause keine Chance mehr haben. Denn wenn die Nation der einzige Ort für die Demokratie bleibt, so besitzen die Nationalisten eine Trumpfkarte, gegen die Europäer sehr schwer gewinnen können.
Danke, Herr Präsident.